Biografien-Datenbank: Frauen aus Hamburg

Meryem Dagmar Celikkol

(10.7.1969 Hamburg – 18.11.2021 Hamburg)
Vorsitzende der Bezirksversammlung Hamburg Mitte
Kurt-Schumacher-Allee 10 (SPD-Fraktion Hamburg Mitte)


Einen Tag nach ihrem Tod stand unter der Überschrift „Trauer um Meryem Celekkol“ im Hamburger Abendblatt: „Glück und Leid liegen manchmal so nah beieinander. Am Mittwochabend wurde Ralf Neubauer (SPD) als Nachfolger von Falko Droßmann von der Bezirksversammlung Mitte zum neuen Bezirksamtsleiter gewählt. (…) Eigentlich sollte Meryem Celikkol (SPD), Vorsitzende der Bezirksversammlung Mitte, die Sitzung leiten.
Aber die 52-Jährige wurde am Mittwochnachmittag von zu Hause mit dem Rettungswagen ins UKE gebracht. Laut Bild-Zeitung war eine Hauptschlagader direkt am Herzen gerissen, und die Politikerin wurde notoperiert. Doch leider konnten die Ärzte Celikkol nicht mehr retten.“ 1)
Wer war Meryem Celikkol? Von Beruf war sie Sprachwissenschaftlerin. Ihr „happy place“ war ihr Kleingarten an der Bille. Im Dezember 2020 beschrieb sie sich wie folgt: „Ich wuchs in Horn an der Bille in einem sozialdemokratisch geprägten Haushalt in zwei Kulturen auf. Meinen Eltern war es wichtig, mir soziale Werte zu vermitteln, wie sich anderen gegenüber gerecht und tolerant zu verhalten. Einen hohen Stellenwert hatte für sie, dass Bildung und eine damit verbundene berufliche Unabhängigkeit gerade für Mädchen und Frauen unerlässlich ist.
So ist für mich mein Engagement als Sozialpolitikerin seit zehn Jahren in Hamburg-Mitte selbstverständlich. Soziale Gerechtigkeit ist das höchste Gut der Sozialdemokratie. Das schließt unterschiedliche Themenbereiche ein. Mein Fokus liegt dabei auf den Bereichen Arbeit & Umwelt, Bildung & Wissenschaft, Migration & Integration.

Was bedeutet das konkret?

Die Hamburger Verfassung hat den Klimaschutz als Staatsziel benannt. Bis 2030 wollen wir Modellstadt für den Klimaschutz, bis 2050 klimaneutral werden. Bereits 2011 begann die SPD-Regierung unter Olaf Scholz die hierfür notwendigen Maßnahmen umzusetzen. Auch auf Bundesebene steht die Vereinbarung von Arbeitsplätzen und nachhaltigem Klimaschutz im Fokus. Dafür müssen jetzt parallel zu den Entwicklungen von neuen Berufen passende berufliche Aus- und Fortbildungen ausgearbeitet werden, um Arbeitsplätze zu sichern.
In der Arbeitswelt ist Familienfreundlichkeit ebenso relevant. Dazu brauchen wir ein gesellschaftliches und wirtschaftliches Umdenken, um gleiche Chancen für Frauen und die Vereinbarkeit von Familie und Arbeit zu schaffen. Wichtig dafür ist das 2017 in Kraft getretene Lohngerechtigkeitsgesetz, für das die damalige SPD- Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig mit Gewerkschaften und Frauenverbänden kämpfte. Ich setze mich für eine Ausdehnung des Lohngerechtigkeitsgesetzes auf alle Betriebe ein, kämpfe für gerechte Verteilung von häuslicher Sorgearbeit (care work) und der Schließung der Vorsorgelücke (pension gap).
Die SPD steht für gleiche Bildungszugänge und Aufstiegsmöglichkeiten für alle. Ich selbst bin Bildungsaufsteigerin und weiß: Deutschlands Diversität birgt Ressourcen. Diese werden leider häufig nicht erkannt, sondern vorurteilsbehaftet bei Bildungsempfehlungen als Nachteil begründet. Aus eigener Erfahrung unterstreiche ich: Diskriminierung aufgrund familiärer oder sozialer Herkunft darf nicht sein! Im Rahmen der Bund-Länder-Vereinbarung könnte ein Förderprogramm für verbindliche Trainings zu Antidiskriminierung und Sozial- und Diversity-Kompetenz in der Erzieher*innen- und Lehrer*innenausbildung, aber auch für Schüler*innen, beschlossen werden. Dafür möchte ich mich auf Bundesebene stark machen.
Das Bildungssystem wird regelmäßig anhand erworbener Kompetenzen der Schüler*innen (PISA-Studien) und aktueller demographischer Entwicklungen wissenschaftlich reflektiert, so dass es auf Landesebene angepasst werden kann. Wissenschaft gewährt Zukunftsorientierung und Wettbewerbsfähigkeit. Hier werden innovative Technologien, bspw. für erneuerbare Energien, entwickelt, die den Umweltschutz vorantreiben. Wissenschaft untersucht gesellschaftliche Diversität und spiegelt diese wieder. Umso wichtiger ist es, die prekären Beschäftigungsverhältnisse von wissenschaftlichem Personal anzugehen und Perspektiven auf unbefristete Anstellung im Hochschulbetrieb zu schaffen. Wissenschaftliches Arbeiten muss attraktiver und familienfreundlicher werden.
Deutschland ist ein Vielfalts- und Einwanderungsland, auf das wir stolz sein können. Mein Wahlkreis Hamburg-Mitte ist der bunteste. Aus meiner langjährigen Migrationsarbeit weiß ich: in Hamburg laufen zahlreiche äußerst erfolgreiche integrative Projekte, die bundesweit Vorbildcharakter haben, z.B. die Einbürgerungsoffensive. Viele Migrantenorganisationen und Religionsgemeinschaften bieten soziale Beratungsangebote und Hilfe zur Selbsthilfe. Angebote zum Empowerment gerade für Frauen werden gut angenommen. In diesem Zusammenhang sehe ich einerseits die Überarbeitung und Erweiterung des Einwanderungsgesetzes, als auch eine stärkere Förderung von Integrationsprogrammen für mich als Aufgaben im Bundestag. So stärken wir ein respektvolles und friedliches Zusammenleben in unserer Gesellschaft im Sinne der Vielfaltspartei SPD.
Kurz: Ich bin Sozialdemokratin und Sozialpolitikerin. Als Frau mit Vielfalt kämpfe ich gegen Diskriminierung und für eine solidarische Gesellschaft. Nachhaltig sichere Arbeitsplätze und die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens garantieren eine gute Zukunft. Das geht nur mit guter sozialer Politik! Diesen Themen möchte ich im Deutschen Bundestag mehr Gewicht verleihen!“ 2)
Ulrich Gaßdorf beschreibt in seinem Artikel über den Tod von Meryem Celikkol die Verstorbene so: „Meryem Celikkol war eine Frau, die nie ein Blatt vor den Mund nahm. Und die in der Kommunalpolitik für Schlagzeilen sorgte: Celikkol wechselte im Oktober 2019 mit sechs Abgeordneten in die SPD-Fraktion der Bezirksversammlung Mitte. Zuvor war sie Fraktionsvorsitzende der ‚Grünen2‘ in der Bezirksversammlung, die sich nach internen Querelen von den Grünen abgespaltet hatte. Schließlich wurde Celikkol im Februar vergangenen Jahres zur Vorsitzenden der Bezirksversammlung Mitte gewählt.
Aber die Politikerin wollte mehr, hatte Ambitionen nach Berlin in den Bundestag zu wechseln. Celikkol, die in Horn lebte, bewarb sich als Direktkandidatin für den Wahlkreis Hamburg-Mitte. Doch bei einer digitalen Abstimmung setzte sich der damalige Bezirksamtschef Droßmann im zweiten Wahlgang gegen Celikkol, die an der Uni Hamburg Turkologie und Phonetik studiert hatte, durch.“ 1)
Und Jana Werner schrieb in der „Welt“ zum Tode von Meryem Celikkol, die von 2014 bis zu ihrem Tod Mitglied der Bezirksversammlung Hamburg Mitte war und seit 2019 Vorsitzende dieser Bezirksversammlung: „Vor zwei Jahren bot die Sozialpolitikerin Meryem Celikkol der damaligen Grünen-Landeschefin Anna Gallina wegen fälschlicher Islamismus-Vorwürfe die Stirn – und fand bei der SPD eine neue politische Heimat. (…). Dem Wechsel war eine monatelange interne Schlammschlacht vorausgegangen. Denn Celikkol und drei weitere Grünen-Abgeordnete in der Bezirksversammlung hatten sich 2019 mit zwei Parteifreunden solidarisiert, die die damalige Parteichefin Gallina des Islamismus beschuldigt hatte.
In der Folge traten die sechs Abgeordneten aus Protest bei den Grünen aus und liefen zu den Genossen über. Die Gruppe um Celikkol begründete ihre Entscheidung mit dem ‚widersprüchlichen Verhalten‘ ihrer Partei, das sie ‚als Vertrauensbruch und als Affront gegen Werte wie Vielfalt, Toleranz und demokratische Grundwerte‘ bezeichneten. Die sechs Rebellen kamen mit ihrem Wechsel zur SPD aber auch einem angekündigten Parteiausschlussverfahren zuvor.
Für Gallina, die seit Juni 2020 als Justizsenatorin der Hansestadt agiert, hatte das parteiinterne Zerwürfnis noch ein juristisches Nachspiel. So ermittelte die Staatsanwaltschaft – die ihr als Justizsenatorin pikanterweise unterstellt ist – zwischenzeitlich wegen des Verdachts auf Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung. Angezeigt von zwei ehemaligen Mitgliedern der Grünen-Fraktion in der Bezirksversammlung Mitte wurden neben Gallina auch ihr ehemaliger Parteivize Martin Bill, der heute als Staatsrat in der Verkehrsbehörde fungiert, sowie Michael Osterburg, früherer Grünen-Fraktionschef in Mitte.
Allen Beschuldigten wurde vorgeworfen, die beiden Abgeordneten zu Unrecht öffentlich mit islamistischen Positionen in Verbindung gebracht zu haben. Im Juli 2020 allerdings wurde das Verfahren ‚ohne Aufnahme von Ermittlungen eingestellt‘. Zudem bestand ‚nach Auffassung der Staatsanwaltschaft ein Verfahrenshindernis‘, da der Strafantrag nicht binnen drei Monaten erstattet wurde (Paragraf 77b Strafgesetzbuch). Auch mangelte es im Hinblick auf Paragraf 76 der Strafprozessordnung ‚an einem öffentlichen Strafverfolgungsinteresse‘. (…)
Celikkol ‚hinterlässt eine große Lücke in der Politik ihres Bezirks Hamburg-Mitte und in der Hamburger Politik insgesamt‘, twitterte der Erste Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD). Die Zweite Bürgermeistern Katharina Fegebank (Grüne) schrieb bei Twitter zum plötzlichen Tod von Celikkol. ‚Noch am Sonntag haben wir uns beim Volkstrauertag getroffen, jetzt bist Du nicht mehr da.‘ Das sei so traurig, der Schock sitze tief. Und der Grünen-Bürgerschaftsabgeordnete Michael Gwosdz twitterte: ‚Mir fehlen die Worte, die ich sonst so oft habe. Ruhe in Frieden, liebe Meryem Celikkol. Die geplante Aussprache holen wir im Jenseits nach.‘ 3)