Jewgenija Stantchev Dr. Jewgenija Stantchev, geb. Sengelmann
(8.7.1936 – 16.6.2021)
Gesellschafterin, Unternehmerin
Hermann-Wüsthof-Ring 9 (Firma Siloco)
Fuhlsbüttler Straße 756, Ohlsdorfer Friedhof, Grablage: BL 52 - 462
In der Traueranzeige der Gesellschafter, Geschäftsführung und Belegschaft der Firma Siloco GmbH & Co. KG zum Tode von Jewgenija Stantchev heißt es: „Die Verstorbene hat mit unermüdlichem Einsatz das Familienunternehmen fortgeführt und ausgebaut. Wir verlieren mit ihr eine Persönlichkeit, die mit ihrer Energie, Lebendigkeit und Schaffensfreude das Unternehmen geprägt und auf Erfolgskurs gehalten hat.“ 1)
1973 wurde Jewgenija Sengelmann gemeinsam mit Udo Wulff Gesellschafter/in und Geschäftsführer/im väterlichen Unternehmen, der Bauausrüsterfirma Siloco in Hamburg. Diese Firma hatten ihr Vater und ihr Onkel „1927 als Gesellschafter und Geschäftsführer von drei U-Boot-Kapitänen, die Siloco nach dem Ersten Weltkrieg 1919 als Exportunternehmen von Bau- und Industriemaschinen gegründet hatten“ 2) übernommen.
Jewgenija Stantchev blieb bis zum Alter von 82. Jahren im Unternehmen tätig, bis 2007 als Geschäftsführerin.
In ihrem Portrait über Eugenia Stantchev schreibt Mriam Opresnik 2019 im Hamburger Abendblatt über die beruflichen Anfänge von Eugenia Stantchev und über deren Lebensweg: „Früher ist es manchmal vorgekommen, dass Besucher sie für die Sekretärin gehalten haben. Vor allem am Anfang, als sie neu im Unternehmen war, neu in der Branche. In einer Branche, die von Männern dominiert wurde, und in einer Zeit, in der Frauen nur dann arbeiten durften, wenn sie ihre Pflichten als Ehefrau und Mutter nicht vernachlässigten. (…)
‚Siloco ist wie mein drittes Kind‘, sagt Eugenie Stantchev. (…) Siloco ist nicht WIE ihr drittes Kind. Siloco WAR ihr drittes Kind. Sie hat es wachsen sehen, durch schwere Zeiten begleitet und dafür selbst immer zurückgesteckt. Sogar bei ihren eigenen Kindern, die gerade mal zwei und vier Jahre alt waren, als sie die Firma von ihrem Vater übernahm. Es war damals das Zeitalter der Ehe und Familie, in dem Männer arbeiten gingen und Frauen sich um den Haushalt und die Kinder kümmerten. Kindergartenplätze gab es kaum, arbeitende Mütter noch weniger. Frauen in Führungspositionen existieren nahezu gar nicht, (…).
Doch Eugenie Stantchev lässt sich nicht in ein Schema pressen. Damals nicht, als sie sich scheiden lässt, arbeiten geht, ein Kindermädchen engagiert. Und heute erst recht nicht. Sie macht ihr Ding, lässt sich von gesellschaftlichen Zwängen nicht beirren, nicht von ihrem Weg abbringen. Immer wieder ist sie in den vergangenen Jahren gefragt worden, ob sie nicht endlich aufhören will. Doch sie wollte nicht. Wollte sich nicht drängen lassen und nicht aufhören. ‚Ich selbst habe nie ans Aufhören gedacht‘, sagt Eugenie Stantchev. ‚Wenn ich höre, dass die Leute mit Ende 50 oder Anfang 60 in den Ruhestand gehen, kann ich das nicht verstehen. Ich hatte diesen Wunsch nie.‘
Eigentlich heißt sie Jewgenija, so ist sie getauft worden – russisch-orthodox in Riga, wo sie geboren wurde. (…). Doch als ihre Familie im Zuge der Umsiedlungsaktion von deutschen Volksgruppen während des Zweiten Weltkriegs ‚Heim ins Reich‘ gerufen wurde, wurde ihr Name geändert – eingedeutscht. ‚Im Passamt fand man, Eugenie sei eine gute Übersetzung für Jewgenija‘, sagt Stantchev und schüttelt den Kopf. Sie mag den Namen nicht. (…).“ 2)
Ihr beruflicher Weg führte Jewgenija Stantchev nicht direkt ins väterliche Unternehmen. Nach dem Jurastudium und entsprechender Promotion wurde sie zuerst einmal „Journalistin bei der ‚Welt‘. 2) Sie avancierte zur Wirtschaftsredakteurin, wurde dann bei „‘Zeit‘- und ‚Stern‘-Herausgeber Gerd Bucerius (…) Assistentin des damaligen Geschäftsführers (…), dessen Nachfolgerin sie werden sollte.“ 2)
Doch da der Geschäftsführer nicht aufhörte, wechselte sie in die Firma ihres Vaters als Geschäftsführerin, gemeinsam mit ihrem Cousin – mit dem sie sich aber nie verstand. „Von ihm sogar rausgeschmissen werden sollte. ‚Wir waren einfach zu unterschiedlich. Er hat immer in kleinen Dimensionen gedacht und ich in großen. Er wollte alles so lassen, wie es war – und ich wollte expandieren‘, (…). Sie hat ihn schließlich rausgekauft – oder sich freigekauft, wie sie es auch nennt. Stattdessen hat sie ihrem damaligen Mitgeschäftsführer 30 Prozent der Firma übertragen. ‚Alleine hätte ich das alles nicht geschafft‘, (…).“ 2)
Miriam Opresnik fährt in ihrem Beitrag über die Unternehmerin fort: „Mit ‚alles‘ meint sie die Erweiterung des Sortiments um mobile Raumsysteme wie Container für Asylbewerber, Schulen und Wohnanlagen. Die Expansion nach der Wiedervereinigung, den Wiederaufbau im Osten. Die neuen Niederlassungen, die permanente Ausweitung des Sortiments. Irgendwann hat sie ihren Sohn ins Unternehmen geholt, doch die Zusammenarbeit war schwierig. ‚Mutter und Sohn zusammen, das hat irgendwie nicht geklappt‘,(…). Doch jetzt wird ihr Sohn ihr Nachfolger im Beirat der Firma.
Stantchev war zweimal verheiratet, ist zweimal geschieden. ‚Ich weiß nicht, ob ich mich selbst heiraten würde‘, sagt sie. (…). Sie erzählt von der Farm in Australien, die sie mit ihrem zweiten Mann hatte – mit ein paar Tausend Schafen und Rindern. Von den Jagden, die sie mit ihrer Hannoveraner Stute Petra geritten ist (…). Und von ihrer Enkeltochter, die bei ihrer Geburt Sauerstoffmangel hatte und leicht behindert ist. Aus diesem Grund hat Jewgenija Stan¬tchev die Wajekama Stiftung für Inklusion ins Leben gerufen. Außerdem ist sie Mitgründerin des Zonta Clubs Hamburg-Elbufer, der sich für die Rechte der Frauen einsetzt.“ 2)
In der Traueranzeige des Zonta-Clubs Hamburg-Elbufer steht zum Tode von Jewgenija Stantchev: „Als Gründungsmitglied hat sie als Treasurer und Präsidentin unserem Club Fahrt & Format gegeben Wir sind dankbar, dass sie sich über 35 Jahre für unser Thema stark gemacht hat.“ 3)