Mathilde Hertz
(14.1.1891 Bonn – 20.11.1972 Cambridge)
Biologin, Bildhauerin und Pionierin im Bereich der Komparativen Psychologie
Bestattet auf dem Ohlsdorfer Friedhof, Grablage Q 24/ Q 25, 5358 / 1-27
Mathilde Hertz war die Tochter von Elisabeth Herz, geb. Doll (26.6.1864–28.12.1941) und des Physikers und Erfinder der Hertzschen Wellen, Heinrich Hertz (22.2.1857 Hamburg – 1.1.1894 Bonn).
Mathilde Hertz war drei Jahre alt, als ihr Vater starb. Die wirtschaftlichen Verhältnisse waren auf Grund des frühen Todes ihres Vaters für sie, ihre ältere Schwester und ihre Mutter nicht sehr gut. Zuvor hatte die Familie in gut situierten Verhältnissen leben können. Durch den Tod des „Ernährers“ war dies nicht mehr möglich.
Nach dem Abitur 1910 studierte Mathilde Hertz Philosophie, brach das Studium aber bald ab und absolvierte eine künstlerische Ausbildung an der Kunstschule in Karlsruhe und Weimar. Nach dieser Ausbildung war Mathilde Hertz als Bildhauerin in Weimar, Berlin und München tätig. Sie schuf auch mehrere Büsten ihres Vaters.
„Im Herbst 1918 erhält sie eine Stelle in der Bibliothek des Deutschen Museums in München. Bis 1923 verdient sie hier ihren Lebensunterhalt.“ 1) Eine ihrer Aufgaben war es, fossile Zähne zu rekonstruieren. In dieser Zeit studierte sie neben ihrer Erwerbsarbeit Zoologie und Paläontologie an der Universität München. 1925 promovierte sie mit der Dissertation „Beobachtungen an primitiven Säugetiergebissen“.
„Nach Beendigung ihrer Doktorarbeit lenkt sie ihre Aufmerksamkeit durch den Einfluss von Wolfgang Koehler, einem der Begründer der Gestaltpsychologie, auf das Gebiet der Tierpsychologie.“ 2) Zwischen 1925 und 1929 erhielt sie ein Stipendium der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft, womit sie finanziell ein wenig abgesichert war. „Zunächst arbeitete sie als Hilfskraft in der Zoologischen Sammlung in München, dann ab 1927 als Gastwissenschaftlerin der von Richard Goldschmidt geleiteten Abteilung des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Biologie in Berlin.“ 3)
„1929 erhält sie hier eine Assistentenstelle. Mit Unterstützung des Genetikers und Biologen Richard Goldschmidt führt sie in Berlin bald ihr eigenes Laboratorium. Ende 1929 reicht sie ihre Habilitationsschrift ‚Die Organisation des optischen Feldes bei der Biene‘ ein. Diese wird von den Gutachtern als äußerst positiv bewertet. Im Rahmen ihrer Untersuchungen zur Tierpsychologie gilt weiterhin ihre Aufmerksamkeit dem Verhalten von Raben, speziell der Sehwahrnehmung dieser Vögel. Später konzentriert sie sich auch auf andere Tiere und studiert zum Beispiel den blauen Eichelhäher, Einsiedlerkrebse und Fliegen.“ 4)
1930 wurde ihr „die Venia legendi für Zoologie der Philosophischen Fakultät erteilt: In der Folge hielt sie neben ihrer Forschungsarbeit am Kaiser-Wilhelm-Institut bis 1933 Vorlesungen an dieser Universität.“ 5)
Mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten war Mathilde Hertz‘ wissenschaftliche Karriere abrupt beendet. Wegen ihrer jüdischen Herkunft „wird ihr die Lehrbefugnis an der Universität Berlin entzogen. Aber sie kämpft um ihre Anstellung am Kaiser-Wilhelm-Institut. So verweist sie in einem Schreiben an das zuständige Ministerium darauf, dass alle ihre acht Urgroßelternteile evangelisch getauft gewesen seien und es sich mütterlicherseits um Pastorenfamilien gehandelt habe. Nach mehreren Anträgen erreicht Max Planck, Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und die unbestrittene Autorität der deutschen Wissenschaft, überraschenderweise eine Erlaubnis zur Weiterführung ihrer Arbeit im Labor. Dennoch ist die politische Situation für Mathilde untragbar, sodass sie kurze Zeit später nach Cambridge in England emigriert. Hier kann sie 1935 ihre Forschungen weiterführen. Ein Angebot der Columbia-Universität der USA schlägt sie aus.“ 6)
Mathilde Hertz holte auch ihre Mutter und ihre Schwester, eine promovierte Medizinerin, nach England. Finanzielle Unterstützung erhielten die drei Frauen aus einem „Hertz-Fonds, den britische Unternehmen der Radioindustrie in Erinnerung an Heinrich Hertz auf Bitten führender Wissenschaftler geschaffen hatten. Trotz dieser vergleichsweise vorteilhaften Bedingungen nahm Hertz‘ wissenschaftliche Schaffenskraft bald erheblich ab, was in der Literatur auf gesundheitliche und familiäre Probleme (Tod der Mutter, mentale Erkrankung der Schwester), sowie die belastende Situation der Vertreibung zurückgeführt wird. Um 1939 stellte sie ihre Forschungsarbeiten völlig ein und nahm sie auch später nicht mehr auf.“ 7)
Sie entzog sich „dem öffentlichen Leben. Mathilde Hertz lebt sehr bescheiden in den Nachkriegsjahren. Manche Besucher bezeichnen ihre Verhältnisse sogar als ‚armselig‘. Aus Stolz will sie keine Wohltätigkeiten akzeptieren. Max von Laue allerdings setzt sich 1957 dafür ein, dass sie im Rahmen der Wiedergutmachung ein entsprechendes Ruhegehalt erhält. 1975 verstirbt Mathilde Hertz in Armut und relativer Einsamkeit in Cambridge.“ 8)
Mathilde Hertz wurde – wie sie es wünschte – neben ihrem Vater auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg beerdigt.