Biografien-Datenbank: Frauen aus Hamburg

Margarete Schweichler

(29.6.1873 in Münster/Westf. – 1.6.1938 in Pullach an der Isar)
Damen-Radfahr-Aktivistin. Buchhalterin. Verbandsbeamtin für weibliche kaufmännische Angestellte. Kommunalpolitikerin (DDP).
Daniel-Schutte-Stift, Borgfelde, Angerstraße 8. Martinallee 30 (Wohnadressen)
Große Burstah 8. (Sitz der Ortsgruppe Hamburg des Kaufmännischen Verbandes für weibliche Angestellte)


4864 Margarete Schweichler
Margarete Schweichler, Ausschnitt aus The Survey, Vol. 23, October 1909 – March 1910, New York, S. 105.

Margarete Schweichler war begeisterte Radfahrerin. Sie organisierte sich in Hamburg bereits in jungen Jahren mit anderen Frauen, um den Radsport auch als Frauensport durchzusetzen. Die Buchhalterin wurde für den Verband für weibliche kaufmännische Angestellte aktiv, reiste zum Kongress in die USA und übernahm verantwortliche Verwaltungspositionen, für die sie mehrmals den Wohnort wechselte (Hamburg, Düsseldorf, Frankfurt/Main). Als Kauffrau wirkte sie eine Zeitlang in Detmold, wo sie im November 1918 federführend an der Bildung eines Frauenrates beteiligt war, der den Systemwechsel zur Demokratie voranbringen wollte.
Margarete Schweichler wurde am 29. Juni 1873 in Münster/Westf. als Elise Margarete Malwine Schweichler geboren[1] und am 7. August 1873 auch dort evangelisch getauft.[2] Ihre Eltern waren Maria Emma Sophie Schweichler, geb. Dollatscheck (1845-1917), und Erdmann Ludwig Albert Schweichler (1831-1878). Die beiden hatten am 2. Dezember 1869 in Karlsruhe geheiratet.[3] Schweichlers Vater gehörte seit mindestens 1865 zum Westfälischen Infanterie-Regiment Nr. 13[4] und war entsprechend nach Münster versetzt worden.[5] Als er im Juli 1878 als Postdirektor in Gnesen (Gniezno, Polen) starb,[6] hatte er den Rang eines Majors inne, weshalb Maria Schweichler fortan in Adressbüchern und Meldekarten als „Majorswitwe“ geführt wurde.[7]
Ging Margarete Schweichler demnach nicht in Münster zur Schule? In Gnesen vielleicht oder woanders? Für den Zeitraum bis 1893 liegen bisher kaum Quellen vor. Nachweislich im März 1893 zog Margarete Schweichler nach Hamburg; ihre Mutter folgte im Oktober nach.[8] Etwa ab 1894 wohnten beide in dem 1892 neu gegründeten Daniel-Schutte-Stift[9] in der Angerstraße 8 in Borgfelde.[10]
Hamburger Damen-Radfahrverein „St. Georg Wanderlust“
Ende des 19. Jahrhunderts eroberten sich Frauen zunehmend Bereiche, zu denen ihnen bislang der Zugang verwehrt worden war. Dazu gehörte auch das Rad fahren. Seit 1886 gab es in Dresden den ersten „Dreiradfahrer-Verein für Damen und Herren“[11]. Die Schriftstellerin Minna Wettstein-Adelt}} (1867/1869-nach 1908), ebenso bekannt als Aimee Duc, Autorin des Lesbenromans „Sind es Frauen?“[12], konstituierte bereits 1894 einen Damen-Radfahr-Club in Berlin.[13] {{nolink: Wettstein-Adelt war auch die Herausgeberin der ersten Zeitschrift namens „Draisena“ (seit 1895).[14]
Hatte sich Margarete Schweichler schon für den frisch entstandenen Hamburger „Damen-Radfahrverein Sport“ stark gemacht? Mindestens ab Sommer 1897 war die junge Frau nämlich als Schriftführerin eines solchen Damen-Vereins tätig: Sie agierte für den Hamburger Damen-Radfahrverein „St. Georg Wanderlust“. Schweichler steht als siebtes Gründungsmitglied[15] unter den Statuten, die 1897 von der Vorsitzenden, der Zahnärztin Martha Wöbcke (Lebensdaten unbekannt), bei der Hamburger Polizei zur Anmeldung des Vereins eingereicht wurde.[16] Gemäß der Satzung plante der Verein regelmäßige Fahrradtouren, die jeweils vom „Feld am Lübeckerthor“ aus starten sollten, und gab in § 12 dem Wunsch Ausdruck, „daß bei Klubtouren keine der Damen in Hosen fährt“.[17]
Schweichlers Name und ihre Anschrift (Daniel-Schutte-Stift) sind darüber hinaus in jeweils eigens für den Verein geschalteten Anzeigen in der „Radlerin“ abgedruckt[18]; vermutlich war sie (mindestens) bis Anfang 1899 Schriftführerin.[19]
Verbandsaktivitäten und Konferenz in Chicago
Neben oder nach ihren sportlich-feministischen Interessen war sie vom 30. April bis zum 6. November 1903 Beisitzerin und anschließend bis zum 12. Januar 1905 erste Schriftführerin des „Vereins für Eisenbahn-Reform“ in Hamburg. Der Verein machte sich seit seiner Gründung 1890 neben verkehrstechnischen Fragen auch für günstige Personenfahrpreise stark.[20] Sie engagierte sich also auch für soziale Fragen und scheute sich nicht vor der Arbeit, die das Engagement im Vereinsvorstand mit sich brachte.
Margarete Schweichler dürfte eine Ausbildung als Buchhalterin absolviert haben, diese Berufsangabe steht jedenfalls in der Hamburger Meldekarte.[21] Begann ihre berufliche Laufbahn in Hamburg? Ab dem 21. März 1905 „fungierte sie als 1. Schriftführerin“ des von Lida Gustava Heymann (1868-1943) gegründeten Vereins „Industria“[22], der die im Handel und Gewerbe tätigen weiblichen Angestellten unterstützte. Kurze Zeit später schlossen sich „Industria“ und der Berliner „Verband für kaufmännische weibliche Angestellte“ zusammen, um eine effektivere Interessenvertretung gewährleisten zu können.[23] Es ist anzunehmen, dass Margarete Schweichler maßgeblich an dieser Entscheidung beteiligt war. Sie arbeitete fortan als Verwaltungsangestellte in der Hamburger Ortsgruppe des „Kaufmännischen Verbandes für weibliche Angestellte“[24] und baute ihre Kompetenzen aus: 1908 wurde Schweichler, die „Leiterin der Verwaltungsstelle Hamburg (…) vom Landgericht als Sachverständige über Gehaltsfragen vereidigt und ernannt“.[25]
Zudem war sie Mitglied der Hamburger Sektion des Alpenvereins: Im Frühjahr 1909 unternahm sie mit ihrer Verbandskollegin Meta Gadesmann (1881-1962)[26], mit der sie später auch in Düsseldorf und Frankfurt am Main zeitweise ins selbe Haus zog, im österreichischen Tirol auf Wandertour.[27] Weil die Vorsitzende des Berliner Verbandes, Agnes Herrmann (ca. vor 1865 bis nach 1929), verhindert war, war es schließlich Margarete Schweichler, die in Vertretung und als Abgesandte im September 1909 zum II. Kongress der National Women’s Trade Union League in Chicago, Illinois, reiste. Auf dem Kongress wurden Teilnehmerinnen aus Europa gefeiert:[28] Die beiden ausländischen Delegierten, Mary MacArthur (1880-1921, später verheiratete Anderson) aus London und Margarete Schweichler aus Hamburg, wurden zu Ehrenmitgliedern ernannt.[29] Schweichler hielt auf dem Kongress einen Vortrag in deutscher Sprache, der simultan übersetzt wurde. Sie stellte den deutschen Verband mit seinen Tätigkeitsfeldern vor und wies darauf hin, dass allein in Hamburg 1.500 Mitglieder organisiert seien. Die Chicagoer „Abendpost“ wusste darüber hinaus zu berichten: Sie „kleidet sich nach neuester Reformmode, d. h. sie trägt ein sackartiges Gewand, das ihr aber gar nicht schlecht steht.“[30] Sie sei aber trotz dieser Kleidung keine Umstürzlerin, denn sie stehe nicht auf dem „Boden des Klassenkampfes (…), sondern auf dem der Interessengemeinschaft zwischen Unternehmern und Angestellten“.[31] Schweichler berichtete später über ihren USA-Aufenthalt auch in der „Zeitschrift für weibliche Handlungsgehilfen“.[32]
Verbandsarbeit unter den argwöhnischen Blicken der politischen Polizei
Anfang 1911 zog Margarete Schweichler nach Düsseldorf, um dort im Verband weiter tätig werden zu können. Das rief die Düsseldorfer Polizei auf den Plan, die sich – offenbar wegen ihrer Aktivitäten alarmiert – umgehend in Hamburg nach ihr „auch in polit. Beziehung“ erkundigte. Der zuständige Polizeiassessor fasste zusammen, was in Hamburg über die Jahre zu ihr gesammelt worden war. So wurde durch die Behörde auch die Einschätzung ihrer Verbandsarbeit überliefert: „Sie hat sich eifrig am Versammlungsleben beteiligt und wiederholt selbst Referate über öffentliche, in das Gebiet des weiblichen Berufs fallende Angelegenheiten gehalten.“[33] Auch ihre Vorstandstätigkeiten wurden in einem Überwachungsdossier akribisch festgehalten.[34]
Margarete Schweichler hielt etliche Vorträge und gehörte 1912 als Schriftführerin zum geschäftsführenden Vorstand des „Stadtverbands für Frauenbestrebungen Düsseldorf“.[35] Sie setzte sich auch in den Folgejahren für das selbstverwaltete Versicherungswesen ein und veröffentlichte dazu Artikel.[36] Ab 1913 wechselte sie von der rheinischen Stadt nach Frankfurt am Main und wurde dort wie – oder mit? – Meta Gadesmann als Verbandsbeamtin eingesetzt. Schweichler und Gadesmann wohnten zunächst in einem Haus, in dem auch Schweichlers Mutter und die Verbandskollegin Paula Röcker, geb. Berninger (Lebensdaten unbekannt), lebten.[37] Wie Gadesmann war Schweichler 1914 eine der Autorinnen in der Festschrift zum 25-jährigen Bestehen des „Kaufmännischen Verbandes weiblicher Angestellter“.[38] Bis 1916 scheint das Verbandstrio trotz Krieg erfolgreich zusammengearbeitet zu haben, aber nachdem Meta Gadesmann 1916 eine Stelle bei einem Vorläufer der Telefonbau & Normalzeit angenommen hatte, übernahm auch Margarete Schweichler einen Posten als kaufmännische Leiterin in einer Tochtergesellschaft des Frankfurter Unternehmers Harry Fuld (1879-1932). Möglicherweise hatte Gadesmann diesen Weg geebnet.[39] Für ihre neue Aufgabe zog Schweichler nach Detmold in Ostwestfalen um. Sie meldete sich am 18. Juni 1917 in Frankfurt ab, um Geschäftsführerin der Lippischen Telefon-Werke in Detmold zu werden,[40] die erst im Februar des Jahres auf Anregung der Lippischen Staatsregierung gegründet worden waren.[41] Schweichlers Mutter zog noch mit ihrer Tochter um, starb jedoch bereits im November 1917 im Landeskrankenhaus in Detmold.[42] Während des Krieges scheint Schweichler – wie viele andere bürgerliche Frauenrechtlerinnen auch – sowohl Soziale Arbeit für das Kriegsamt geleistet zu haben[43] wie auch als kaufmännische Leiterin der Lippischen Telefonwerke aufgetreten zu sein. Als solche hielt sie sich noch 1918 an den so genannten „Burgfrieden“ – die vorläufige Einstellung emanzipatorisch-politischer Frauenbewegungsarbeit für die Zeit des Krieges –, den u. a. Gertrud Bäumer (1873-1954) mit ihrem „Nationalen Frauendienst“ eingeleitet hatte. Schweichler fand, die Frauen sollten verstärkt kaufmännische Berufe ergreifen und außerdem dem Staat in dieser Situation nicht mit der Forderung nach Frauenstimmrecht schaden, denn – so die berichtende Zeitung: „Einstweilen würden durch Gewährung des politischen Frauenstimmrechts nur 2 Parteien, das Zentrum und die Sozialdemokraten, gestärkt werden.“[44] Beiden stand sie offenbar in keiner Weise nahe.
Einzigartiger Frauenrat in Detmold
Nach Kriegsende war Margarete Schweichler entscheidend daran beteiligt, Frauen im Umfeld der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) zu versammeln: Am 17. November 1918 kamen etwa 400 Frauen zusammen, die einen achtköpfigen Frauenrat aus dem liberalen Spektrum wählten – allen voran Margarete Schweichler. Der Frauenrat bot seine Arbeit und sein Know-How nachdrücklich dem revolutionären Volks- und Soldatenrat an, wurde jedoch ignoriert.[45] Schweichler ließ sich davon allerdings nicht entmutigen und kandidierte für die Landtags- und Reichstags-Wahlen im Januar 1919. Die erzielten Stimmen reichten jedoch nicht für Schweichlers Einzug in die Politik, denn sie war für ihren tatkräftigen Einsatz keinesfalls mit einem sicheren Listenplatz belohnt worden.[46] Zudem war auch die Lippische Telefongesellschaft schon in der Abwicklung begriffen. Schweichler verließ im Oktober 1919 Detmold für immer, sodass sie, als dann überraschend ein gewählter DDP-Kandidat sein Mandat niederlegte, nicht mehr nachrücken konnte.[47]
Anfang der 1920er-Jahre kehrte Schweichler nach Frankfurt am Main zurück[48] und wurde dort u. a. als Prokuristin für die Norddeutsche Schwachstrom-Industrie GmbH tätig, die ebenfalls dem Fuld-Konzern angegliedert und bei der u. a. auch Meta Gadesmann im Aufsichtsrat war.
Am 6. Oktober 1933 zog Margarete Schweichler von Hessen nach Pullach bei München. Wenige Jahre später, am 1. Juni 1938, starb sie dort im Alter von 64 Jahren.[49] An der Beerdigung auf dem Münchner Ostfriedhof am 4. Juni 1938 nahm auch ihre langjährige Freundin Meta Gadesmann teil.[50]
Text: Ingeborg Boxhammer


Textbeiträge von Margarete Schweichler (Auswahl)
Schweichler, Margarete: Die Handlungsgehilfinnen und die Wahlen zu den Ortskrankenkassen, in: Zeitschrift für weibliche Handlungsgehilfen 16 (1911), S. 38.
Schweichler, M.: Was bringt den Frauen das Krankenversicherungsgesetz?, in: Hamburger Fremdenblatt, Fünfte Beilage, Frauen-Rundschau, 21.9.1913, S. 21.
Schweichler, Margarete: Stellennachweis, in: 25 Jahre Berufsorganisation 1889-1914. Zugleich Verwaltungsbericht des Kaufmännischen Verbandes für weibliche Angestellte e. V. für das Jahr 1913 (Berlin, n. d. [1914]), S. 18.
Schweichler, M.: Verkäuferinnen, in: Hamburger Fremdenblatt, Neunte Beilage, Frauen-Rundschau, 28.7.1914, S. 37.
Schweichler, Margarete: Die weibliche kaufmännische Angestellte, in: Frankfurter Zeitung und Handelsblatt, 20.4.1930, Osterausgabe (Abendblatt + 1. Morgenblatt), S. 4.