Biografien-Datenbank: Frauen aus Hamburg

Astrid Matthiae

(22.5.1949 - 14.6.2022)
73 Jahre, Fischerei- und Gewässerbiologin, Hörfunkjournalistin, Autorin


Die Rollen ihres Lebens:
Sie war Norddeutsche und Kind der Küste. Astrid Matthiae wurde in Glückstadt/Elbe geboren, hinein in eine Familie, die zu den TäterInnen gehörte, auch wenn die Eltern sagten, sie hätten nichts gewusst. Gleichzeitig, so was kommt vor, wussten sie gutes Essen zu schätzen und pflegten es. Die Urgroßeltern betrieben in Hamburgs Zentrum Mittagsrestaurants und die Großeltern in Glückstadt einen Weinhandel, direkt am Hafen mit Blick auf die Matjesfässer und Heringslogger. Sie gaben den Ausschlag für die Berufswahl: Fischerei- und Gewässerbiologie, damals eindeutig kein Frauenberuf Aber das sollte gerne so sein.
Als ihr das eigentlich vorgeschriebene Praktikum auf großer Forschungsfahrt verweigert wurde, tatsächlich mit der Begründung `Frau`, waren Kontakte zum Rundfunk schnell geknüpft. Eigene Beiträge schrieb sie aber erst nach ihrem Sachbuch "Vom pfiffigen Peter und der faden Anna, zum kleinen Unterschied im Bilderbuch" (Fischer TB). Es ist entstanden aus dem Kampf, ja Kampf für das Babyhaus Schmuddelkinder. Hamburgs Senat wollte die junge Babyhaus-Szene ausbremsen (Motto: Bis drei gehört das Kind zur Mutter), hatte sich dafür aber die falsche Initiative ausgesucht und nicht mit der Zähigkeit einer Handvoll Leute gerechnet, die Astrid zusammenhielt. Die dort entstandene Ausstellung "Bilderbücher auf Seiten der Mädchen, auch für Jungen zu empfehlen", war mehrfach auf der Hamburger Frauenwoche zu sehen und ging von Bologna bis Oslo. Jetzt stehen die gut 120 Positiv-Titel und wenige abschreckende Beispiele in der Bibliothek der Anna-Warburg-Schule in HH-Niendorf. Dort werden u.a. ErzieherInnen ausgebildet. Für Auslands-Reportagen war Astrid im Apartheid-Südafrika, den Niederlanden, Dänemark, Schweden, Norwegen und - Andalusien. Dort war sie (Mitte der 1990er wegen CO2 per Bahn), um vom Leben der TagelöhnerInnen in den Erdbeerfeldern zu erfahren und von ihren Kindern, die sie weit weg in den Tagelöhnerdörfern zurückließen. Ihre Klagen über die monatelange Trennung sind ihr bis zum Schluss im Ohr geblieben und die Einsicht, Monokulturen gehören abgeschafft, aus ökologischen, aber auch aus sozialen Gründen. (Mehr dazu unter: www.astridmatthiae.de) Dabei war Astrid keine Freundin des traditionellen Familienmodells. Das ließen schon die Gewalterfahrungen im Elternhaus nicht zu. Nicht zuletzt deswegen wurde sie aktiv für und mit Frauen. Später, innerhalb ihrer journalistischenArbeit, war ihr wichtig, Frauen angemessen zu Wort kommen zu lassen, bei welchen Themen auch immer, und auch gerade dann, wenn sie in ihren Berufsfeldern in der Minderheit waren. Die Leugnungen und Diskriminierungen als Frau in einem angeblichen Männerberuf hatte sie ja selber erlebt und für nachfolgende Jahrgänge Türen aufgetreten. Nachfolgerinnen hatten es leichter. Doch mit Opportunismus und Männerbündelei hatte sie in ihrem Fach weiter zu tun. Das Fazit ihres Reportage-Hörbuchs über eine Fangreise auf einem deutschen (!) Großtrawler vor Mauretanien und ihr Plädoyer für ein AUS der EU-Fischereiabkommen wurden umgebogen in eine ebenso umfangreiche wie folgenlose Kampagne von Brot für die Welt für "faire" Fischereiabkommen. (siehe auch www.astridmatthiae.de) Außerhalb des Berufs war Astrid erfolgreicher, zusammen mit anderen, nicht zuletzt, als es ab 2010 um das AUS für Vattenfalls Fernwärmeleitung, die Moorburgtrasse, ging. An der Initiative Moorburgtrasse stoppen war Astrid über etliche Jahre beteiligt und an der Initiative zum Rückkauf der Energienetze, mit der auch das AUS der Moorburgtrasse abgesichert wurde. Damit hatte Vattenfall die Möglichkeit verloren, Verluste aus dem neu gebauten Kohlekraftwerk auszugleichen und musste es nach nur 5 Jahren abschalten. Jährliche Einsparung: knapp 9 Mio Tonnen CO² . Aber das Thema Ernährung aus der Region begleitete sie von Anfang an, beruflich seit den späten 1980ern und im sogenannten Ruhestand als Aktivistin. Der dramatische Rückgang, wie er ca. seit den frühen 90er Jahren besonders bei den Gemüsebaubetrieben in Hamburg und umzu zu verzeichnen ist, machte ihr große Sorgen. Der Trend ist nicht gestoppt. Noch 2022 entwickelte sie für Kinder ein Wintergemüse Memo, das hoffentlich für mehr hiesiges Wintergemüse auf den Tellern in Kitas und Schulen sorgt und woanders natürlich auch. Eine Rund-ums-Jahr-Beschäftigung und kurze Wege vom Feld bis zum Teller das war ihr Ziel. Und Arbeitsbedingungen, die auch vom Einkommen her zukunftsfähig sind und Spaß machen. Damit wir alle SOLIDARISCH GENIESSEN können. Astrid starb an Krebs.