Ariane Gottberg
(2.12.1953 Hamburg – 8.11.2023 Hamburg)
Journalistin, Redakteurin, Autorin
Rademachergang 1 (Wohnadresse)
Bestattet im Garten der Frauen auf dem Ohlsdorfer Friedhof, Fuhlsbüttler Straße 756
Trauerrede:
Nur wenige Wochen vor ihrem 70. Geburtstag ist Ariane Gottberg am 8. November 2023 gestorben. Für den Urnenplatz im Garten der Frauen des Ohlsdorfer Friedhofs hat sie sich bereits viele Jahre vorher entschieden: Hier – unter all den engagierten Frauen – soll ihre Asche begraben werden, hier so wünschte sie es sich, werden all die Menschen stehen, die ihr Leben begleitet haben, und die sich während ihrer Beisetzung am 11. Dezember 2023 an sie erinnern.
Ariane Dorothea kam am 2. Dezember 1953 in Ottensen zur Welt, am 27.12. wurde sie getauft.

Sie hat Hamburg nie verlassen. Hier ging sie zur Schule, machte am 29. November 1972 am Caspar-Voght-Gymnasium Abitur, studierte an der Uni Hamburg für das Lehramt am Gymnasium. Ihre Schwerpunkte: Deutsch und Sozialkunde mit dem Schwerpunkt Politik. Doch als Lehrerin sah sie sich nicht, die Sicherheit eines verbeamteten Lebens war keine begehrenswerte Perspektive. Mit Abschluss des ersten Staatsexamens am 28. Juni 1979 beendete sie ihr Studium. Sie ging als freie Mitarbeiterin 1979 zum NDR-Hörfunk, Sparte Hörspiel, Jugendfunk und Feature. Als 1981 die Hamburger Rundschau gegründet wurde, ein politisch links-liberal stehendes Wochenblatt, finanziert von Hunderten Hamburgerinnen und Hamburgern als Anteilseigner, stieg sie dort voller Begeisterung in das neue Leben als Redakteurin ein. Das finanzielle Einkommen war ihr nicht wichtig, umso wichtiger waren ihr die Themenbereiche, die sie jahrelang betreute: Frauen- und Sozialpolitik, vor allem der außerordentlich sensible Bereich der Ausländerpolitik. Bis 1988 war sie dort Redakteurin, allgemein respektiert für ihre große Einsatzbereitschaft, ihr Einfühlungsvermögen und die Fähigkeit, ihr Engagement mit großer Sachkenntnis journalistisch zu bearbeiten. In der Rundschau befreundete sie sich mit dem Chefredakteur Karsten Peters, der dort bis 1986 blieb und dem sie bis zu seinem frühen Tod vier Jahre später eng verbunden blieb. In der Rundschau lernte sie auch 1981 Ulli Gröttrup kennen, die nach dem Ausscheiden von Carsten Peters dessen Position übernahm. Mit ihr war sie bis zu ihrem Tod eng befreundet.
Im August 1988 wechselte sie ihren Arbeitsplatz und wurde Leiterin der Pressestelle der Umweltschutzorganisation Greenpeace in Hamburg. Thematisch war es genau das Richtige – nur mit der, für sie, ziemlich hierarchischen Organisation kam sie schlecht zurecht. Sie blieb drei Jahre. 1993 bot ihr der damalige Hamburger Umweltsenator Fritz Vahrenholt, den sie sehr schätzte, die Stelle als Redenschreiberin an, dort blieb sie bis 1995, wechselte innerhalb der Stadtverwaltung in die Behörde der Hamburger Stadtentwässerung, wo sie eine Mitarbeiterzeitschrift konzipierte und bis 1999 leitete.
Danach beendete sie das – nicht immer freudige - Angestelltendasein und arbeitete von da an als freie Autorin und Dozentin. Bei einem Journalisten-Stammtisch der Deutschen Journalisten Union der Gewerkschaft IG Medien (heute Verdi) lernte sie im Jahr 2000 Thomas Östreicher kennen, mit dem sie zehn Jahre, bis zu ihrer schweren Erkrankung, zusammengearbeitet hat. Er erinnert sich:“ Wir waren uns auf Anhieb sympathisch. Wir ergänzten uns bestens, tauschten uns über Kunden aus und sprachen Honorarsätze ab. Obwohl nur sieben Jahre älter als ich, strahlte Ariane für mich etwas Gesetzt-Damenhaftes aus – das gefiel mir!“ Am besten verdiente sie als Ghostwriterin, etliche Aufträge waren lukrativ, andere menschlich bereichernd. Neben ihrer Arbeit als Redenschreiberin war Ariane in dieser Zeit unglaublich produktiv: Am 1. Mai 2001 erscheint ihr Buch „Feste der Welt in Hamburg“, das sie mit der Fotografin Gesche Cordes veröffentlicht hat. Beide hatten über ein Jahr lang die Feste verschiedenster Kulturen in Hamburg besucht - von der Jüdischen Gemeinde über den British Day, das Aramäische Kulturfest bis zum Mexikanischen Allerheiligen oder der vietnamesisch-buddhistischen Friedensfeier.
Über zehn Jahre lang leitete sie Gruppen im Gemeindehaus von St. Michaelis, mit denen sie erfolgreich daran arbeitete, die eigene Biografie zu schreiben. Als ihr das Laufen immer schwerer fiel und sie sich nur noch im Rollstuhl fortbewegen konnte, sind einige Menschen aus der Gruppe zu ihr nach Hause gekommen, um ihre Biografie unter Arianes Anleitung fertig zu schreiben.
Bis 2010 besuchte sie regelmäßig in der Nähe der Kirche einen Kindergarten, um mit den Kindern zu singen. Das Projekt nennt sich Il del mondo, ursprünglich gegründet von Yehudi Menuhin.
Ja, die Musik war ihre große Liebe. Als sie von einer Freundin gefragt wurde, ob sie Angst vor dem Tod habe, antwortete sie: Nein, ich habe ja die Musik. Die Musik begleitete ihr Leben, bereits als Kind hörte sie mit ihrer Mutter im NDR Kinderlieder. In der Volksschule (so hieß das damals) machte ihre Musiklehrerin ihre Eltern darauf aufmerksam, dass der NDR Kinderchor Nachwuchs suchte und Ariane habe doch so eine schöne Stimme. In Begleitung ihres Vaters stellte sie sich vor, schmetterte ein Lied und wurde genommen. Damals war sie neun Jahre alt. Sie blieb im Chor bis er im Jahr 1969 aufgelöst wurde. Für die Mädchen bricht eine Welt zusammen, doch es dauert nicht lange und Rudi Bohn nimmt sich einer Gruppe verwaister Chorsängerinnen an und führt die Mädchen – jetzt unter dem Namen „Rubino-Chor“ - an ganz andere Musikliteratur heran: Backgroundchöre, Werbejingles und Partymusik stehen auf dem Programm. Professionell wird ins Mikrofon gesungen und damit Geld fürs Studium und die erste eigene Wohnung verdient. An den Wochenenden wird gefeiert, mit Gesang, Krimsekt und Krabbensalat.
Doch auch dieses Orchester löste sich nach dem Tod von Rudi Bohn 1979 auf.

In den ersten, teilweise aufreibenden Jahren in der Hamburger Rundschau und den privaten Turbulenzen, die auch dazu führten, dass sie nie verheiratet war und kinderlos blieb, war zwar keine Zeit zum Chor-Singen, aber mit ihrem Vater ging sie regelmäßig in Konzerte, vor allem in die St.-Michaelis-Kirche, dem „Michel“. Der Besuch der Matthäus-Passion an Karfreitag gehörte zur geliebten jahrelangen Tradition.
Über ihren Vater lernte Ariane Martin und Silke kennen. Silkes Erinnerung: „Wir kannten Ariane nur vom Hörensagen, lange bevor wir überhaupt ein erstes Wort miteinander gewechselt hatten. Martin – mein Mann -, Arianes Vater und ich besuchten denselben Abendkursus. Die gute Stimmung unter den Teilnehmern führten zu anschließenden Kneipenrunden und weiteren Verabredungen, aus denen sich im Laufe der Zeit Freundschaften entwickelten. Ich erinnere mich an mehrere Besuche in Hüll, wo Herr Gottberg - mit dem wir uns später duzten -, uns stolz den selbst ausgehobenen Teich zeigte, in dem man Moorbäder nehmen konnte und an dem er für Ariane später eine „Hütte“ baute. Voller Bewunderung sprach er von seiner Tochter und las selbstverständlich die Hamburger Rundschau im Abo“.
Die mit dem Vater gemeinsam besuchten Konzerte mit den großen oratorischen Chorwerken werden für Ariane zu einem wichtigen Bestandteil ihres Jahrkreises - als Zuhörerin. Mitte der 80er Jahre wird der Wunsch, wieder in einem Chor zu singen, so groß, dass sie sich beim legendären Michel-Chor unter der Leitung von Günter Jena, vorstellt, vorsingt und angenommen wird. Nun ist sie wieder bei den Mitwirkenden angekommen.
Bis 1998 ist der Michel ihre musikalische Heimat. Wieder ein Chor, der viel Freizeit bindet: Auf Chorfreizeiten, an Probenwochenenden, nach den Proben und Konzerten in der Kneipe und beim weihnachtlich-nächtlichen Punschtrinken nach dem Mitternachtsgottesdienst am Heiligabend. Es entstehen enge, teils lebenslange Freundschaften.
So wurden Ariane und Vera, beide Altistinnen, in den 90er Jahren neben dem gemeinsamen Singen zu einem gut-kompatiblen Reiseteam. Vera: “Unsere Reisen führten uns in erster Linie zu Eva und Hedi in die Schweiz, hinzu kamen zahlreiche Reisen ins In- und Ausland. Wie sehr haben wir auf diesen Reisen voneinander gelernt und zunehmend Verständnis für die Vorlieben der anderen entwickelt: Ich habe z.B. von Ariane gelernt, wie schön und erholsam es sein kann, auch ohne Programm den ganzen Tag mit einem Buch in der Hand und Blick in die Landschaft zu verbringen…“.
Als Günter Jena in den Ruhestand geht und die Kirchenleitung dem Chor eine Leitung vor die Nase setzt, mit der die meisten Sängerinnen und Sänger nicht einverstanden sind, endet für Ariane 1998 das aktive Singen im Chor. Und doch bleibt die Musik in ihrem Leben: Viele Konzertbesuche, auch noch im Rollstuhl. Und später – als sie ihre Wohnung nicht mehr verlassen kann – bucht sie auf ihrem Laptop ein Abo bei den Berliner Philharmonikern. Der Laptop wird ihr „Tor zur Welt“, das sie bis zu ihrem Lebensende weit geöffnet hält. Hier hört sie Konzerte, verfolgt mit großem Interesse die politische Situation und lässt sich über die Hamburger Zentralbibliothek Bücher in digitaler Version schicken.
Und Ariane war sehr belesen, wie man an ihrer großen Bibliothek sehen konnte. Politik, Historisches, Ökologie, Psychologie, alte und neue Literatur aus aller Welt – dafür hat sie sich interessiert. Ganz besonders für die Zeit in Deutschland zwischen den Weltkriegen und im Nationalsozialismus. Dazu gehört auch die Verbindung zu Cato Bontjes van Beek, einer jungen Widerstandskämpferin, die 1943 in Berlin hingerichtet wurde und die ihr Vater Gerhard kurze Zeit vorher in Schlesien kennengelernt hatte und in liebevoller Erinnerung behielt. Mit ihrer Tochter, Saskia Bontjes van Beek, freundete sie sich – in Erinnerung an die Eltern - an. Zu Arianes Abschiedsfeier schrieb Saskia: “Ariane war mir eine Schwester, ein unvergesslicher wunderbarer Mensch.“
Etwa mit Beginn des Jahrtausends fingen Arianes Beschwerden an. Sie konnte nicht mehr gut laufen und Muskelkontraktionen in ihren Beinen machten ihr zu schaffen. Zunächst konnte sie mit Hilfe eines Stockes, später eines Rollators und letztlich im Rollstuhl ihre Wohnung noch verlassen. 20 Jahre lang musste sich Ariane nach der Diagnose einer chronisch voranschreitenden Multiplen Sklerose Stufe für Stufe von ihrer Beweglichkeit und damit auch von ihrer Selbstständigkeit verabschieden. Es war jedes Mal ein Ringen und doch gelang es ihr, die zunehmende Abhängigkeit und das eingeschränkte Leben anzunehmen. Und sie schaffte es, dass ihre Genossenschaftswohnung 2015 behindertengerecht umgebaut wurde, so dass sie ihren großen Wunsch erfüllen konnte: Niemals in ein Pflegeheim zu kommen.
Ihr war die Schwere ihrer Krankheit, die allmählich fortschreitende Lähmung, die dazu führte, dass sie ihr Bett in den letzten Jahren nicht mehr verlassen konnte, vollkommen klar. Und doch hat sie ihre körperlichen und seelischen Schmerzen nur selten bei anderen abgeladen. Sie freute sich über jedes Telefonat, jeden Besuch und wenn man sie fragte: wie geht es Dir – kam stets die Antwort: ich kann nicht klagen.
2006, als sie noch am Stock oder Rollator die Wohnung verlassen konnte, wurde sie vom Kinderhilfswerk gefragt, ob sie für unbegleitet Geflüchtete die Patenschaft übernehme. Trotz ihrer Behinderung sagte sie sofort zu. Und so wurde Salimatou aus Burkina Faso ihr Patenkind, um das sie sich bis zu ihrem Tod kümmerte. Auch die vier Kinder von Salimatou, die Ariane „Oma“ nannten, besuchten sie öfter und die Fotos der ganzen Familie standen in Sichtweite von Arianes Bett.
2011 erfüllte sie sich einen Herzenswunsch: Sie spendeten für die „Michel“-Tafel - eine Gravur mit ihrem Namen und so hat sie sich, direkt neben der auf dem Kirchplatz aufgestellten Glocke, für immer eingeschrieben, nur eine kurze Strecke von ihrer Wohnung am Rademachergang entfernt.
Arianes Familie kam, ganz typisch für die Nachkriegszeit, aus ganz unterschiedlichen Landesteilen. Die Eltern ihres Vaters lebten bis Kriegsende in Hirschberg/Schlesien (heute Polen). Noch in Hirschberg wurde der sehr junge Gerhard Gottberg in die Marine als Matrose auf einem U-Boot eingezogen. Er blieb nach dem Krieg in Hamburg. Der Vater ihrer Mutter kam aus Baden-Württemberg, wohnte aber nach dem Krieg mit Frau und Tochter in Hamburg, wo er auf einem Minenräumboot arbeitete. Dort befreundete er sich mit einem jungen Mann, lud ihn nach Hause zu seiner Frau und Tochter ein. Der junge Mann ist Arianes Vater, die Tochter Arianes Mutter. Die beiden heirateten, bekamen eine Tochter (Ariane) und einen Sohn (Thomas). Aber die Ehe war nicht glücklich: Die Mutter ging, nachdem auch der Sohn volljährig war, wieder nach Baden-Württemberg zurück.
Mit ihrem Vater, Gerhard Gottberg, verband Ariane eine sehr enge und liebevolle Beziehung. Er war ein treusorgender und sanfter Mensch. Als er mit seiner Lebensgefährtin nach Hüll (bei Stade) zog, baute er auf dem riesigen verwunschenen Grundstück mit Hingabe für Ariane ein Häuschen ganz aus Glas. Sie blickte auf einen großen Teich, ringsum Bäume und Blumen. Sie liebte diesen Ort, die Natur und die Einsamkeit. Doch als ihr Vater starb, musste sie fort aus diesem kleinen Paradies. Ein Stückchen Natur fand sie in dem großen Garten, der die Wohnblocks am Rademachergang umschließen. Jahrelang beobachtete sie vom Rollstuhl und später vom Bett aus die Eichhörnchen, rätselte über das Gefieder eines weißen Bussards und war glücklich über den Buntspecht, über die vielen Spatzen und Meisen, die an ihrem Fenster Futter suchten.
Nach dem letzten Krankenhausaufenthalt Ende Juli 2023 verschlechterte sich Arianes Zustand rapide. Im Sommer begleitete sie ein Palliativ-Pflege-Team und Ariane bereitete sich innerlich auf das Sterben vor.
Am 8. November, einem schönen Herbsttag mit leuchtendem Laub und wärmenden Sonnenstrahlen auf ihrem Bett, ist Ariane tief in die Bewusstlosigkeit abgesunken und am Abend gestorben.
In Erinnerung an eine wunderbare Freundin
Christa, Christine, Eva-Maria, Silke, Vera und Ulli