Charlotte Sophie Gräfin von Bentinck Charlotte Sophie Gräfin von Bentinck, geb. Gräfin von Aldenburg, Reichsgräfin zu Varel und Kniphausen
(5.8.1715 Varel, Oldenburg – 4.2.1800 Hamburg)
Jungfernstieg 3
Eine Sonderstellung in den Hamburger Zirkeln um Sophie und Elise Reimarus, Margaretha Augusta Büsch und Engel Christine Westphalen, die in Abgrenzung zum Adel von ihrem Theetisch sprachen, nahm der Salon der Gräfin von Bentinck ein. In ihrem Haus am Jungfernstieg 3 verkehrten vor allem die in Hamburg lebenden Adligen, die zumeist deutsche oder ausländische Staaten als Diplomaten vertraten, und hochgebildete aristokratische Refugiés. Beide Gruppen waren durch die französische Sprache und eine luxeriöse Lebensweise verbunden. Passend dazu funkeln heute an dieser Stelle Ecke Jungfernstieg/Neuer Wall Geschmeide in den Schaufenstern eines Juweliers.
1733 heiratete Charlotte Sophie, einziges Kind des Grafen Anton II. von Aldenburg und seiner Frau Wilhelmine Maria Landgräfin von Hessen-Homburg, Willem Bentinck, Herr von Rhoon und Pendrecht (1704–1776), den einflussreichen Grafen von Portland. Die tief verschuldeten Eltern hofften auf diese Weise zu Ansehen und Wohlstand zurückzukehren. Doch trotz der rührenden Geduld ihres Gatten, der sich keinerlei Illusionen hinsichtlich ihrer Gefühle für ihn hingab, und allem Bemühen ihrerseits, konnte sie sich in diese Ehe nicht fügen. Seit sie dreizehn Jahre alt war, liebte sie einen anderen, den Witwer und Vater zweier Kinder, Graf Albrecht Wolfgang zu Schaumburg-Lippe (1699–1748). Kurz vor ihrer eigenen Eheschließung hatte er die ebenfalls verwitwete Charlotte (Lottchen geb. 1702) Prinzessin von Naussau-Siegen geheiratet, Sophies sehr geliebte Cousine, mit der sie zusammen aufgewachsen war.
Kurz vor ihrem 25. Geburtstag verließ Charlotte Sophie den ungeliebten Ehemann und die beiden 1734 und 1737 geborenen Söhne, um als nicht immer glückliche Mätresse des Grafen Albrecht Wolfgang zu leben, mit dem sie zwei weitere Söhne bekam. Später rechtfertigte sie ihre konsequente Haltung vor dem Bruder ihres Geliebten, Friedrich zu Schaumburg-Lippe: „Meine Denkweise ist ziemlich außergewöhnlich, (...) Ich weiß nicht, liegt es an meinem Stolz oder an meiner Vernunft, aber ich habe mich überlieferten Denkweisen niemals blindlings unterwerfen können nur aus dem Grund, weil diese von allen akzeptiert werden. Nachdem ich schließlich mit mir selbst ins reine gekommen war, hatte ich den Mut (...), den Weg zu gehen, den ich vor mir sah, und auf Kosten bitterster und schmerzlichster Erfahrungen auszuharren bei dem, was ich als meine Pflicht erachtete – auch wenn mein Verhalten von anderen unbarmherzig verurteilt wurde. (...) Freiwillig habe ich nichts erzählt, was niemand anderen als mich etwas angeht, aber ich konnte es auch nicht mit meiner Auffassung von Ehrlichkeit vereinbaren, irgend etwas zu leugnen. Durch dieses Verhalten habe ich mir viel Schmach und Elend aufgeladen, aber es hat mir Genugtuung und die Hochachtung jenes Mannes verschafft, den ich liebte, die einzigen Dinge, die für mich zählten. Mein Gedankengang ist folgender: Es zeugt von wenig Selbstachtung, wenn man nicht vor allen Menschen zu bekennen wagt, was man selbst ohne jeden Anflug von falscher Scham für richtig hält. Es läuft auf Angst vor Kritik hinaus und hat mit der Liebe zum Guten nichts zu tun, wenn man vor anderen verheimlicht, was man vor dem eigenen Gewissen ehrlich verantworten kann. Außerdem nenne ich es ein wankelmütiges und verächtliches Verhalten, wenn man aus Angst abstreitet, was man für sich selbst als das einzig Richtige und Vertretbare erkannt hat. Dies ist der Schlüssel zu meinem Verhalten. Ich hätte die Beziehung zwischen meinem Geliebten und mir lange vertuschen oder alles mögliche unternehmen können, um diese Liaison zu rechtfertigen. Ich habe weder das eine noch das andere getan. Niemals hielt ich ein Interesse oder eine Gefahr für groß genug, um mich verleiten zu lassen, andere Gefühle vorzutäuschen als diejenigen, denen ich mich hingab, ja hingeben mußte, denn mein Gewissen, mein innerer Richter, sagte mir, es sei nichts Verwerfliches daran. Allerdings habe ich es vermieden, unvorsichtige und überflüssige Geständnisse abzulegen, die ihn und mich selbst vor der öffentlichen Meinung unnötig bloßgestellt hätten. In dem Augenblick, in dem ich, um ganz ich selbst sein zu können, mich zu meiner Liebe bekannte, habe ich das ohne Rücksicht auf das Risiko getan, das ich damit einging. Ich habe es sogar in Holland getan, unter Gefahr für mein Leben.“ (Zit. nach: Hella S. Haasse. Ich widerspreche stets: das unbändige Leben der Gräfin Bentinck. Hamburg 1999.)
Mit dem Tod des Geliebten im Jahre 1748 geriet Charlotte Sophie in eine verzweifelte Lage. Auf Grund des Ehekontrakts war Willem Bentinck als Bürge Antons II. von Aldenburg für ein nie beglichenes Darlehen seit der Scheidung berechtigt, als Vormund seiner Söhne die Verwaltung von Varel und Kniphausen zu führen. Er hatte jedoch lediglich die Erträge der Ländereien beansprucht und Charlotte Sophie und ihrer Mutter das Schloss Varel belassen. Da Charlotte Sophie sich diesen Verbindlichkeiten jedoch nach Möglichkeit entzog, verbot ihr der König von Dänemarkt den Aufenthalt in Varel und erkannte Willem Bentinck offiziell als Herrn der Aldenburgschen Güter an. Für Charlotte Sophie begann eine lange Wanderschaft.
Zunächst ging sie nach Berlin und bat Friedrich II. um Hilfe. Der nahm sich ihrer zunächst an. Als er aber merkte, wie hoffnungslos ihre juristische Lage war, und sie zudem begann, sich in seine Angelegenheiten einzumischen, musste sie Preußen verlassen. Ähnlich erging es ihr nach zunächst herzlicher Aufnahme am Hof der Kaiserin Theresia in Wien, und auch von dem mit ihr verwandten Fürsten von Anhalt-Zerbst in Jever wurde ihr nach einem Intrigenspiel die Tür gewiesen. Charlotte Sophie zog nach Hamburg, wo sie 32 Jahre lang, bis zu ihrem Tode als ranghöchste Adlige ein offenes Haus führte.
Charlotte Sophie besaß eine kostbare Bibliothek und hatte auf ihren Reisen durch Italien, Deutschland und die Niederlande eine umfangreiche Münz- und Bronzensammlung erworben, von der sie zwei Kataloge drucken ließ.
Charlotte Sophie starb im Alter von 84 Jahren. Sie hinterließ tausende von Briefen an Verwandte, Freunde, Rechtsanwälte, Politiker, Künstler, Gelehrte und Philosophen u. a. an so bedeutende Männer wie Voltaire. Einzelne ihrer Briefe sind bis zu zwanzig Seiten lang. Darüber hinaus finden sich in ihrem Nachlass zahlreiche literarische Versuche. In Jever schrieb sie neun philosophische Abhandlungen in Form einer Reihe von Briefen an eine unbekannte Dame, in denen sie sich für die Verbesserung der Lage der Frau einsetzt. Hella S. Haasse, eine genaue Kennerin des Nachlasses der Gräfin von Bentinck, fasste ihren Lebensweg folgendermaßen zusammen: Es „wurde aus der eigenwilligen jungen Komtesse von Aldenburg, der trotzigen Madame Bentinck, der in ihrer Leidenschaft zutiefst verletzten Mätresse des Wolfgang Albrecht zu Schaumburg-Lippe, der gefeierten Weltdame, der hartnäckigen Anklägerin Willem Bentincks, der Verfechterin der Frauenemanzipation zuletzt eine weise alte Frau, deren Gedanken über Liebe und Freundschaft, Glück und Verantwortlichkeit auch heute noch zutreffen“. (Mevrouw Bentinck of Onverenigbaarheid van karakter. In: Mitteilungsblatt der Oldenburgischen Landschaft. Nr. 84. III. Quartal 1994.)
Text: Brita Reimers