Biografien-Datenbank: Frauen aus Hamburg

Erna Hoffmann

(11.8.1892 Hamburg - 27.10.1942 getötet in der Heilanstalt Pfafferode)
Opfer der Euthanasie
Garten der Frauen, Ohlsdorfer Friedhof, Fuhlsbüttler Straße 756 (Erinnerungsstein)


3183 Erna Hoffmann
Erna Hoffmann; Foto: privat

Erna Hoffmann wurde mit vielen anderen Frauen durch Nahrungsentzug in Pfafferode von den Nationalsozialisten ermordet.
Pfafferode in Thüringen war 1941 die Endstation für 170 ursprünglich aus Hamburg stammende, geistig und psychisch behinderte Frauen. Zu Kriegsende 1945 lebten von ihnen noch zehn Frauen.
Meine Mutter Erna Hoffmann war eine einfache Frau. Sie wurde am 11. August 1892 in der Behausung des Schumachers Bave zu Schwartau unehelich geboren. Ihre Mutter Malchen Gumpel-Fürst, jüdischen Glaubens, wurde von ihrer Familie verstoßen, da der Vater des Kindes nicht jüdischer Abstammung war.
Der Hamburger Staatsbürger John Emil Harry Müller adoptierte meine Mutter am 6. April 1898, als sie sechs Jahre alt war. Nach Beendigung der Schule erlernte sie den Beruf der Schneiderin, den sie dann zehn Jahre lang ausübte. 1928 heiratete sie Walther Gustav Ernst Hoffmann und bekam fünf Kinder. Die Ehe wurde 1933 geschieden. Durch einen Schlaganfall im August 1936 veränderte sich das Leben der damals 44-Jährigen. Sie erlitt geistige Behinderungen und kam in die Heilstätte Friedrichsberg in Hamburg. Doch die nationalsozialistischen Machthaber kamen lange vor Kriegsbeginn auf den Gedanken, dass die in einer schönen Grünanlage befindliche „Irrenanstalt“ Friedrichsberg für die „wertlosen“ Frauen zu wertvoll sei. Die Gebäude und das Gelände wurden zu einem Krankenhaus für „wertvollere“ Menschen umgestaltet.
Die so genannte Irrenanstalt Langenhorn - obwohl bereits vollständig belegt - musste die Patientinnen aus Friedrichsberg aufnehmen. Doch auch dieser Aufenthaltsort war diese Frauen zu „gut“, denn noch kurz vor Kriegsbeginn plante man dort die Gebäude zu einem Lazarett auszubauen. Damit wurde erneut ein Transport dieser kranken Frauen notwendig. Es boten sich die holsteinischen Heilstätten in Rickling an. Auch meine Mutter wurde dorthin verlegt. Das Fassungsvermögen dieser Anstalt betrug 500 Patientinnen und Patienten, belegt war sie 1941 mit der doppelten Anzahl Kranker. Die erforderliche Versorgung war mit Kriegsbeginn kaum noch möglich und deshalb kam es zu einer hohen Sterberate. Aber auch Rickling sollte zum Krankenhaus eingerichtet werden. Heilungsfähige und „wertvollere“ Menschen verdrängten geistig und körperlich Behinderte. Damit begann 1941 für die meisten der 170 Patientinnen der Transport in den Tod - nach Pfafferode. Die Heil- und Pflegeanstalt, die Platz für 1200 Patientinnen und Patienten bot, war 1912 zur Aufnahme psychisch Kranker erbaut worden.
Die Verlegung nach Pfafferode wurde zum Zwecke der Tötung der Frauen vorgenommen. Sie wurden entweder direkt durch Giftzuführung oder - wie bei meiner Mutter Erna Hoffmann - durch Nahrungsentzug getötet. Diese Maschinerie verlief reibungslos, da die Frauen aus der Umgebung ihrer Verwandten herausgerissen waren. Minderwertige Pflege und unzureichende Versorgung machten die Gaskammern überflüssig. Das Umbringen der Frauen konnte ungehindert vollzogen werden.
Text: Werner Müller

In der Kirche zu Rickling befindet sich auf dem Altar ein Gedenkbuch für die in Pfafferode getöteten Frauen. Im Folgenden Auszüge aus der Rede von Dr. Harald Jenner „Die Abtransporte aus Rickling im November 1941“ gehalten am Bußtag 2000 in Rickling.
„ (...) Behinderte zu ermorden wurde damals - wenn auch nicht einhellig, so doch wenigstens überwiegend - abgelehnt. Doch das, was in Rickling und anderen Einrichtungen geschah (...) war in gewisser Hinsicht viel erschreckender, denn es gab sich den Anschein des Normalen. Der zum Tode führende Umgang mit Behinderten hatte den Anstrich des Ordentlichen und Zulässigen.
Nach dem Ende der direkten Patiententötung kam die indirekte.
Schon seit Beginn der Betreuung von Behinderten und psychisch Kranken in Rickling am Anfang der dreißiger Jahre war der Landesverein für Innere Mission in die nationalsozialistische Politik gegenüber Behinderten verwoben gewesen. Vielleicht geschah dies, ohne dass man sich dessen bewusst war.
(...) Die gesellschaftliche „Selektion“ der Menschen nach ihrem vermeintlichen Wert ging weiter. Erst war es das schöne und moderne Friedrichsberg, dann Langenhorn, jetzt auch Rickling. Wieder musste Platz geschaffen werden, damit ‚wichtigere’ Menschen versorgt werden konnten. Es ging nicht mehr um die Tötung einzelner wie bis 1941, jetzt erfüllte man scheinbar eine patriotische Aufgabe. Rickling wurde beschlagnahmt. Rickling sollte als ganz normales Krankenhaus für die Stadt Hamburg dienen. (...) Von 170 Patientinnen aus dem Lindenhof [in Rickling] wissen wir, dass sie in zwei Transporten nach Pfafferode (...) verlegt wurden. Warum gerade dahin? Die Methode der Verlegung gibt zu erkennen, dass die Organisatoren der Maßnahmen weiterhin die Tötung der Patienten zumindest in Kauf nahmen oder auch bewusst förderten. Überall im Reich wurden weiterhin Patienten aus Heimen und Kliniken verlegt. Zum Teil waren die Orte der neuen Unterbringung möglichst weit entfernt zum Ausgangsort. Zum Teil kamen die Patienten in Einrichtungen, in denen sie direkt getötet wurden. Ohne Verbindung zu ihren Angehörigen, herausgerissen aus ihrer gewohnten Umgebung, bei minimaler Pflege und unzureichender Versorgung benötigte man keine Gaskammern mehr. Nach August 1941 wurden aus evangelischen Einrichtungen doppelt so viele Menschen verlegt und kamen zu Tode wie bis 1941 in den Gaskammern von Bernburg, Grafeneck, Hadamar oder Pirna. (...)
Es kann als sicher gelten, dass in Pfafferode Bewohner direkt durch Gift getötet wurden. In speziellen Häusern ließ man durch systematischen Nahrungsentzug die Menschen langsam verhungern.
Pflegerinnen, Diakonissen des Mutterhauses Salem in Berlin begleiteten die Patientinnen aus Rickling nach Pfafferode. Dort konnten sie jedoch nicht mehr für ihre Patientinnen sorgen, da sie nicht für die Ricklinger, sondern im großen Pfafferoder Bereich eingesetzt wurden.
Die Patientinnen (...) aus Rickling wurden in zwei Transporten am 25. und 28. November 1941 verlegt. Nur zehn von ihnen überlebten das Jahr 1945. Von ihnen wurden einige 1947 nach Langenhorn - in ihre ursprüngliche Herkunftsanstalt - zurückverlegt. Andere wurden in der frühen Nachkriegszeit vermutlich auf Initiative von Angehörigen aus Pfafferode entlassen.
Fast alle der im November nach Pfafferode gebrachten Patientinnen waren aus Hamburg nach Rickling gekommen. In der Mehrzahl handelte es sich um erwachsene, meist ältere Frauen. Nur eine jugendliche 19-Jährige war darunter. Die älteste war 76 Jahre alt. Die 19-Jährige starb bereits am Tag nach ihrer Ankunft in Pfafferode, warum wissen wir nicht? War sie wirklich krank oder gab es keinen Platz in einer Jugendabteilung? Die nächsten sechs Patientinnen kamen im Dezember 1941 zu Tode. In dieser Weise ging es ständig weiter. Die Akten weisen an manchen Tagen mehrere Tote für einen Tag aus. Einzelheiten sind nicht mehr eindeutig erkennbar. Ob sie zu den durch Gift getöteten Patienten gehörten, durch systematischen Nahrungsmittelentzug oder an der mehr oder minder bewussten Unterversorgung in der total überfüllten Einrichtung starben, lässt sich nicht mehr nachvollziehen.(...).“