Lotte Lehmann
(27.2.1888 Perleberg bei Berlin – 26.8.1976 Santa Barbara, Kalifornien)
Sopranistin
Hamburgische Staatsoper/Stadttheater Dammtorstraße 28 (Wirkungsstätte)
„Ich bin keine exakte Künstlerin. Wenn ich auf die Bühne gehe, lebe ich die Musik, und nur das zählt für mich. Technik hat mich nie beschäftigt, denn ich bin ein Instinktwesen. Wenn ich eine falsche Note singe, was soll’s? Für gewisse Perfektionisten ist dies nicht akzeptabel, aber nach meiner Ansicht zählt bei einem Künstler die Expression ... Ich habe stimmlich, ohne Zurückhaltung, immer aus dem Vollen gesungen, und ich weiß genau, daß ich teuer dafür bezahlen muß“, [1] sagte Lotte Lehmann 1936 in einem Gespräch mit Lanfranco Rasponi. Und in einem Brief an John Coveney: „Isolde! Was für eine Rolle! Ich verfluche mein Schicksal, daß meine Stimme nicht dramatisch und mächtig genug war, um Isolde zu singen. Vielleicht hätte ich dabei die Stimme verloren, aber es wäre mir mein Leben wert gewesen.“ [1]
Lotte Lehmann, die zu den bedeutendsten Sopranistinnen des zwanzigsten Jahrhunderts zählt, begann ihre Karriere in Hamburg, wohin sie im Sommer 1910 als 22-Jährige in Begleitung ihrer besorgten Eltern kam und als zweiter Knabe in Mozarts „Zauberflöte“ debütierte. Auch wenn ihr Kollege, der Tenor Paul Schwarz, sich erinnerte: „Es gibt Stimmen, die schon bei den ersten Tönen aufhorchen lassen. Und als Lotte Lehmann als Hirtenknabe im ‚Tannhäuser‘ erzählte, daß Frau Holda aus dem Berg hervorkam, fiel schon das eigenartig schöne Timbre der schlanken Sopranstimme auf“, [2] so entwickelte sich ihre Karriere langsam. Sie sang zunächst kleinste Partien, und der Spielleiter Siegfried Jelenko hatte einige Mühe, der ein wenig ungeschickten Lotte Lehmann Lockerheit und Natürlichkeit auf der Bühne beizubringen. Vor einer Caruso-Aufführung von „Pagliacci“ sang sie in Glucks „Orfeo“ die Euridice. Caruso, der sie von der Straße aus hörte, soll ausgerufen haben: „Che bella, magnifica voce! Una voce italiana!“ Seine Bitte, die junge Kollegin neben ihm die Micaela in Bizets „Carmen“ singen zu lassen, schlug die Direktion jedoch aus. Auch kam es 1911 nicht dazu, dass Lotte Lehmann wie zunächst vorgesehen, in der Hamburger Erstaufführung von Strauss’ „Rosenkavalier“ die Sophie sang. Die Partie übernahm die fast gleichaltrige, aber längst etablierte Elisabeth Schumann. Selbst noch ihrem ersten großen Erfolg als Elsa in Wagners „Lohengrin“ gingen Querelen bei der Probenarbeit unter Otto Klemperer voran. Später taufte dieser seine Tochter auf den Namen Lotte.
1916 ging Lotte Lehmann nach Wien. Mit Ausnahme der Inflationszeit kam sie aber jedes Jahr zu insgesamt 54 Gastspielen in die Stadt ihrer Opernanfänge zurück. Die Primadonna blieb für die Hamburger „unsere Lotte Lehmann“. Der internationale Durchbruch gelang ihr 1924 in der Londoner Covent Garden Opera, wo sie unter Bruno Walter die Marschallin in Strauss’ „Rosenkavalier“ sang. Für eine ganze Generation Opernbegeisterter wurde Lotte Lehmann zur Personifikation dieser Gestalt. Über ihr Hamburger Gastspiel 1928 schrieb Heinrich Chevalley: „Die Wiedergabe dieser Figur durch Lotte Lehmann ist von solcher Anmut und solcher Glaubhaftigkeit, daß man fast von einer ‚Entdeckung‘ des Wesens dieser Marchallin durch sie reden kann. Alles Feierliche, alles Tantenhafte ist völlig in den Hintergrund gedrängt, und stattdessen steht eine wahrhaft scharmante, liebenswürdige, oft schelmische und verschmitzte junge Frau vor uns. Und erst vor unseren Augen vollzieht sich dann, rührend und ergreifend, jener seelische Prozeß in der Marchallin, der in die Wehmut und Resignation des ersten Aktschlusses hinübergleitet, jener innere Vorgang einer der Ausnahmefrauen, die nicht erst dann resignieren, wenn es längst zu spät geworden ist, sondern die es verstehen, rechtzeitig zu altern. Es ist ganz unbeschreiblich fein, wie sich in einer diskreten unaufdringlich schmerzlichen Mimik, in stillen, halblauten seelischen Tönen in Lotte Lehmanns Marchallin dieser Prozeß vollzieht, und zugleich ist es ein vollgültiger Beweis für den Stand der künstlerischen und menschlichen Reife wie für das geistige Format, die Lotte Lehmann jetzt erreicht hat, daß es ihr gelingen kann, mit einer gänzlich unvirtuosen und untheatralischen Leistung ... den Zuschauer so tief zu ergreifen, wie es gestern der Fall war. Daß in einer Aufgabe, die rein klanglich gleichsam nur con sordini aufgefaßt werden darf, der Sopran Lotte Lehmanns wieder durch die Wärme und die frauliche Herzlichkeit seiner schönen und edlen Färbung bezauberte, bedarf kaum der ausdrücklichen Bestätigung. Das ausverkaufte Haus nahm die zu Ehren des Anlasses von Egon Pollak geleitete Aufführung, die in der üblichen wirksamen Besetzung der Hauptrollen stattfand, mit stürmischem Beifall auf, der natürlich in erster Linie an die Adresse Lotte Lehmanns gerichtet war.“ [2]
In der Rolle der Marschallin stand sie auch 1929 zum letzten Mal auf der Hamburger Opernbühne. Der Beginn einer Karriere in Amerika ließ ihr neben den Verpflichtungen in Wien kaum mehr Zeit für Gastspiele in Deutschland. Nach 1933 vermied die mit dem jüdischen Bankier Otto Krause verheiratete entschiedene Gegnerin des Nationalsozialismus Deutschland und emigrierte 1938 schweren Herzens in die USA, wo sie seit 1934 ein Engagement an der New Yorker Metropolitan Opera hatte. Nach ihrem Abschied von der Opernbühne 1945 trat Lotte Lehmann bis 1951 weiter als Liedsängerin auf. 1967 kam sie noch einmal nach Hamburg und feierte hier ihren 79. Geburtstag.
Text: Brita Reimers