Sigette Sigrid Blanca Ingeborg Freifrau von Richthofen, genannt Sigette geb. Johansson
(02.06.1898 Göteborg - 21.07.1977 Hamburg)
Opernsängerin
Dammtorstraße Hamburgische Staatsoper (Wirkungsstätte)
Auf schönen Beinen betrat eine extravagant gekleidete Dame mit auffallendem Hut die Vier Jahreszeiten, um ihren „Lover“, wie sie sagte, einen britischen Offizier, zu besuchen. Mit ihren alten schwedischen Papieren hatte die schlesische Gräfin bürgerlicher Herkunft, die durch ihre Heirat mit Manfred von Richthofen deutsche Staatsangehörige geworden war, darin kein Problem gesehen. Das sah die britische Militärpolizei, die Deutschen den Zutritt zum Hotel verboten hatte, anders. Und so fand sich Sigrid von Richthofen vor Gericht wieder. Das Urteil lautete jedoch: Freispruch. „In dieser heiligen Halle kennt man die Rache nicht ...“, soll die Opernsängerin daraufhin frei nach Mozart intoniert haben.
Mit Hilfe eines königlich-schwedischen Stipendiums in Mailand ausgebildet, kam Sigrid Johansen über Wiesbaden nach Berlin. 1925 wurde sie für die Welturaufführung von Alban Bergs „Wozzeck“ von Max von Schillings als Marie ausgewählt. Unter namhaften Dirigenten wie Otto Klemperer und Leo Blech sang sie Partien wie Salome oder Carmen. Zudem trat die elegante Frau, die sechs Sprachen beherrschte, bei illustren Hauskonzerten auf, u. a. bei einem Empfang des Außenministers Stresemann. Als der schlesische Graf Manfred von Richthofen um ihre Hand anhielt, ließ Sigrid Johansen ihre Sängerinnenkarriere fahren und wurde Schlossherrin auf Seichau. Freunde erzählten, sie sei eine vorzügliche, wenn auch extravagante Gutsherrin gewesen, habe sich um die Landwirtschaft und das Schloss gleichermaßen gekümmert. Dass bei Kriegsende Schlesien „verloren“ gehen würde, hatten die Richthofens nicht geahnt, und so kam Sigrid von Richthofen nach dem Suizid ihres Mannes 1946 vollkommen unvorbereitet und mittellos nach Hamburg. Hier hatte sie verschiedene Freunde, allen voran den Maler Ivo Hauptmann.
Nachdem sie sich ein billiges Zimmer im Stadtteil Eppendorf gemietet hatte, widmete sie sich ihrer Ausstaffierung. Sigrid von Richthofen, die ihre Beine für mindestens so schön hielt wie die von Marlene Dietrich, kaufte sich kurze Röcke, extravagante Hüte und Talmischmuck, den sie wie echten zu tragen verstand. Obwohl ihre Karriere an der Berliner Staatsoper über zwanzig Jahre zurück lag, gelang es ihr, immer wieder Rollen auf großen und kleinen Bühnen in Hamburg und beim Fernsehen zu bekommen. Sie sang an der Hamburgischen Staatsoper neben Toni Blankenheim die Juno in „Orpheus in der Unterwelt“, spielte kleine Filmrollen wie neben Freddy Quinn in dem Musical „Heimweh nach St. Pauli“ oder neben Lotte Lenya und anderen Weltstars in „Cabaret“. Auch in Fellinis „Julia und die Geister“ war sie zu sehen. Das Metier dieser Lebenskünstlerin war der Auftritt, egal ob als Schlossherrin oder als Sängerin oder als Schauspielerin. Welche Ironie des Schicksals, dass diese Frau in ihren letzten Jahren auf Grund einer Nervenentzündung an Stöcken durchs Leben gehen musste.
Text: Brita Reimers