Irma Sperling
(20.1.1930 - 8.1.1944 in der Heilanstalt „Am Steinhof“ in Wien)
Adolf-Schönfelder-Straße 31 (früher Rönnhaidstraße 30, gegenüber) Wohnadresse (Stolperstein)
1996 Bestattung der sterblichen Überreste auf dem Ehrenfeld der Geschwister-Scholl-Stiftung , Ohlsdorfer Friedhof, Fuhlsbüttler Straße 756
Namensgeberin für: Irma-Sperling-Weg, seit 1985
Irma Sperling wurde nur dreizehn Jahre alt. Da sie eine geistige Behinderung hatte, wurde sie von Ärzten in der Heilanstalt „Am Steinhof“ in Wien ermordet und somit ein Opfer der Euthanasie.
Bei ihrer Geburt deutete alles auf ein gesundes Kind hin, laut Bericht der Geburtsklinik Finkenau war sie 50 cm groß, 3.200 gr. schwer und hatte keine weiteren Auffälligkeiten. Als siebtes von zwölf Kindern wuchs sie in ärmlichen Verhältnissen auf. Ihr Vater, Bruno Sperling, arbeitete als Angestellter bei der „Allgemeinen Ortskrankenkasse Hamburg“. Da er aktiv in der Arbeiterbewegung tätig gewesen war, wurde er am 5. Mai 1933 von der Gestapo verhaftet und verlor während der Haft seine Anstellung. Danach geriet die Familie in immer größere finanzielle Not.
Die Mutter, Anna Katharina Helene Sperling, geb. Pappermann, war zu dem Zeitpunkt schon lange krank und musste unter anderem wegen einer Herzbeutelentzündung und Rheumatismus auch stationär behandelt werden.
Trotz der schwierigen Verhältnisse, in denen sich Familie Sperling befand, blieb zu Hause immer noch Zeit für schöne Momente. Die Kinder und ihre Eltern sangen und musizierten gemeinsam, und auch Irma zeigte als kleines Mädchen eine musikalische Begabung. Ihre zwei Jahre ältere Schwester Antje Kosemund erinnerte sich später daran, dass Irma oft in ihrem Bettchen saß, sich zur Musik wiegte und im Takt zu klatschen versuchte.
Damit Irma Sperlings Behinderung behandelt werden konnte, wurde sie für mehrere Monate ins Krankenhaus Rothenburgsort eingeliefert. Dort entwickelte sie sich gut, erlernte das Sitzen, Stehen und Laufen. Ihr Vater schickte sie danach in eine Tageskrippe. Im August 1933 attestierte ihr jedoch ein Arzt „Schwachsinn“ und forderte die Eltern auf, Irma Sperling in die damaligen Alsterdorfer Anstalten zu verlegen. Die Einweisung erfolgte dann am 21. Dezember 1933. Dort bekam das kleine Mädchen weder die Förderung noch die Zuwendung, die sie dringend benötigte. Deshalb dauerte es auch nicht lange, bis sie ihre Fähigkeiten wieder verlernte und sogar aggressive Züge zeigte. Für Antje Kosemund blieb Irma immer wie folgt in Erinnerung: „Lange braune Locken hatte sie und schöne braune Augen – ein ausdrucksvolles Gesicht. Heute würde man so ein Kind auf die Förderschule schicken, wo sie sich hätte entwickeln können.“
Zusammen mit 227 anderen Mädchen und Frauen wurde Irma Sperling am 16. August 1943 in als „Reichspost“ getarnten Bussen in die Heilanstalt „Am Steinhof“ in Wien gebracht. Dort begannen ihre Qualen. Das Mädchen wurde kaum noch ernährt und erhielt stattdessen eine Überdosierung der Medikamente. Nach acht Wochen wog sie statt 40 nur noch 28 Kilogramm. In ihrer Krankenakte vom 26. September 1943 wurden zudem auch ihre zunehmenden Aggressionen vermerkt: „[Sie] schlägt eine große Fensterscheibe ein, ohne sich zu verletzen. Zwangsjacke.“
Mit dreizehn anderen Kindern wurde Irma Sperling schließlich in die Kinderfachabteilung „Am Spiegelgrund“, Pavillon 15, verlegt. Keines der Kinder überlebte die „Behandlung“.
Zwischen 1942 und 1945 wurden mehr als 300 Kinder in der Heilanstalt „Am Steinhof“ in Wien getötet. Ihre Gehirne wurden gesammelt und nach 1945 von Dr. Heinrich Gross, der bis in die achtziger Jahre hinein nahezu unbehelligt praktizierte, für gehirnanatomische Forschungen weiterverwendet.
Irma Sperling starb am 8. Januar 1944. In der Sterbeurkunde wurde die damals übliche Todesursache angegeben: Grippe und Lungenentzündung, sowie zusätzlich angeborene zerebrale Kinderlähmung.
Tatsächlich starben die meisten Kinder an den Folgen des Medikaments Luminol. Auch Irma Sperlings Gehirn wurde nach ihrem Tod präpariert und zu anderen Präparaten in eine Gehirnkammer gestellt. Erst 1996 erreichte ihre Schwester Antje Kosemund eine Überführung der Überreste nach Hamburg.
Am 8. Mai 1996 wurden die sterblichen Überreste von Irma, sieben weiteren Kindern bzw. Jugendlichen und zwei Frauen feierlich auf dem Ehrenfeld der Geschwister-Scholl-Stiftung auf dem Friedhof Ohlsdorf bestattet.
2002 erreichte Antje Kosemund die Nachricht, dass die Krankenakte von Irma aufgetaucht sei. Jahrelang hatte sie nach dieser Akte immer wieder gefragt. Man hatte in Wien einen verschlossenen Metallschrank aufgebrochen und dort vier Akten von Opfern noch aus der Alsterdorfer Zeit entdeckt. Auch fanden sich weitere präparierte Gehirnschnitte von Irma und unzähligen weiteren Menschen auf einem Dachboden des Wiener Institutes, die am 28. April 2002 in der Gedenkstätte auf dem Wiener Zentralfriedhof beigesetzt wurden.
Seit 1985 gibt es im Hamburg Alsterdorf einen Irma-Sperling-Weg.
Text: Stefanie Rückner/ Carmen Smiatacz