Biografien-Datenbank: Frauen aus Hamburg

Edith Behrend

(24.5.1880 in Hamburg - am 8.11.1941 nach Minsk deportiert)
Lehrerin
Schwestern: Martha Behrend und Elsa Behrend
Abendrothsweg 19 (Wohnadresse) Stolperstein
Schule Alsenstraße 21 (Wirkungsstätte)


„Nachdem am Abend des zweiten Reisetages alle Kinder in ihren Quartieren abgeliefert waren, begann am dritten Tag meines Urlaubs die Werbearbeit. Gemeinsam mit meiner Schwester Edith Behrend habe ich in 21 Tagen 45 ziemlich zerstreut liegende Dörfer besucht. In dieser Zeit sind 180 feste Plätze geworben. Auf noch ca. 100 weitere Plätze hoffen wir warten zu dürfen. In früheren Jahren haben wir nur Dörfer im Neckartal besucht. In diesem Jahr haben wir unsere Tätigkeit auf das Donautal und das Jagsttal ausgedehnt.“ Mit diesen Worten schilderte Frieda Behrend der Schulbehörde, wie sie ihren Urlaub für die Vereinigung für Ferienaufenthalt e. V. verbracht hatte.
Mehrere Jahre hintereinander ermöglichte sie so zusammen mit ihrer Schwester Edith Hamburger Kindern aus sozial schwachen Familien einen Aufenthalt auf dem Land. Frieda war die älteste Tochter von Simon Behrend und seiner Frau Rosa, geb. Lazarus. Die sieben Ge­schwister wuchsen in einem Haus auf, in dem viel Wert auf die Ausbildung der Kinder, auch auf die der Mädchen, gelegt wurde. Ihr Vater, Simon Behrend, war Architekt und hatte sein Büro in den Hohen Bleichen 34.
Ihr ältester Bruder Edwin Behrend (Jg. 1873) trat in die Fußstapfen seines Vaters und wurde ebenfalls Architekt. Roland Behrend studierte Jura, vier seiner Schwestern wurden Lehrerinnen:
Elsa Behrend (Jg. 1879) war seit 1906 Lehrerin an der Israelitischen Töchterschule Carolinenstraße. Sie unterrichtete Handarbeiten, Sport und Schreiben. Die ausgeglichene, ruhige, immer freundliche Lehrerin war bei ihren Schülerinnen außerordentlich beliebt.
Edith Behrend (Jg. 1880) war Volksschullehrerin an der Schule Alsenstr. 21. Sie unterrichtete Grundschulklassen vom 1. bis zum 6. Schuljahr. Ihre Schülerinnen erinnerten sich an eine sozial engagierte, natur- und tierliebende Frau. Ihr Unterricht war sehr fortschrittlich. Sie war begeistert von den pädagogischen Reformideen der 1920er Jahre und bemühte sich besonders um christlich-jüdische Verständigung. Zwischen ihrer Klasse und etwa gleichaltrigen Schülerinnen der Mädchenschule Carolinenstraße 35 bestand jahrelang eine Freundschaft. Beide Klassen besaßen ein Aquarium, schenkten sich Fische und standen sich, über einen regen Briefwechsel, gegenseitig mit Rat und Tat zur Seite. Gemeinsam unternahmen sie Ausflüge und richteten Sportfeste auf dem Schulhof der Schule Alsenstraße aus. Mit ihrer Schwester Frieda begleitete Edith Schülerinnen aus Hamburg in den Schwarzwald, wo sie Familien gefunden hatten, die Hamburger Schulkinder bei sich aufnahmen. Wie ihre Schwester Martha gehörte sie der „Gesellschaft der Freunde des vaterländischen Schul- und Erziehungswesens“ an, Vorläufer der späteren Lehrergewerkschaft GEW.
Martha Behrend hatte die Ausbildung für das höhere Lehramt absolviert und unterrichtete an der Emilie-Wüstenfeld-Schule, die ab 1897 eine private „höhere Mädchenschule“ war und 1912 die staatliche Anerkennung als „Lyzeum“ erhielt. Sie lehrte Handarbeit und Turnen. Ehe­malige Schülerinnen berichteten, „dass die EWS damals als die strengste Schule Hamburgs galt (Ringe durfte man nicht tragen, die Sauberkeit der Fingernägel und des Taschentuchs wurden täglich kontrolliert, die Schülerinnen mussten aufrecht und mit den Händen auf dem Tisch sitzen und durften die Köpfe nicht zur Seite drehen.) Das Verhältnis zu den Lehrern war äußerst distanziert. Die Schülerinnen erfuhren nichts aus dem privaten Bereich der Lehrer. Sie wussten auch nicht, dass ihre Sportlehrerin, die strenge Frau Behrend, Jüdin war.“
Zusammen mit der Malerin Gretchen Wohlwill gehörte Martha Behrend der „Kindergesellschaft“ an, einer lockeren Verbindung von Lehrerinnen, die abendliche Zusammenkünfte veranstaltete.
Frieda Behrend war seit März 1899 Lehrerin an der höheren Töchterschule von „Fräulein“ Laura Nemitz im Grindelhof 59, danach an der Schule Stiftsstraße 69. Sie wollte gerne wie ihre Schwester Edith an der Schule Alsenstraße arbeiten, wurde auf ihr Gesuch hin aber im Oktober 1912 in die Schule Breitenfelderstraße 35 versetzt.
Die jüngste Schwester Helene Behrend war durch ein schweres Beinleiden nicht in der Lage, einen Beruf auszuüben. Sie führte ihren Geschwistern den Haushalt und wurde dafür Zeit ihres Lebens von ihnen unterstützt.
Die fünf Schwestern waren unverheiratet und wohnten mit den Eltern und ihrem ebenfalls ledigen Bruder Edwin in einem Haus in der Klosterallee 28. Nach dem Tod der Eltern 1921 und 1922 wohnten Martha, Edwin und Helene im Parterre, Frieda und Edith im Stockwerk darüber, und im 2. Stock lebte Elsa. Im November 1931 zogen sie in die Hochallee 23 und bewohnten auch dort drei Wohnungen.
Nachdem Frieda 1938 in die Schweiz emigriert war und heiratete und Edwin am 24. Juli 1939 einem Krebsleiden erlegen war, zog Edith in den Abendrothsweg.
Roland Behrend war nach seinem Abitur 1893 am Wilhelm-Gymnasium zu Hause ausgezogen und hatte an vier Universitäten Jura studiert: ein Semester in Heidelberg, jeweils zwei Semester in München und Halle und sieben in Berlin, wo er 1901 sein Examen ablegte.
Er erhielt seine Rechtsanwaltszulassung in Hamburg, wohnte in der Bahnhofstraße 34 in Klein Flottbek und betrieb seine Kanzlei am Gänsemarkt 35.
Drei Jahre darauf, 1904, reichte er seine Dissertation zum Thema „Der Begriff der verlorenen Sache nach dem Fundrecht des BGB“ an der Universität Rostock ein. Fünf Jahre später erkrankte er an einer Lungentuberkulose, die ihn in den folgenden Jahren zu häufigen Sanatoriumsaufenthalten zwang. Während einer dieser Kuren lernte er Nanny Auerbach kennen. Sie heirateten im Juni 1908. Nanny war in São Paulo geboren, aber in Hamburg aufgewachsen. Nach­dem sie mehrere Winter in der Schweiz verbracht hatten, ließ Roland Behrend sich 1911 aus der Rechtsanwaltsliste streichen. Von 1911 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges lebte er als juristischer Privatlehrer in Heidelberg. Sein Arzt hatte ihm einen Klimawechsel verordnet, da er das Hamburger Klima nicht vertrug. Als seine Tuberkulose ausgeheilt war, kehrte er bei Ausbruch des Krieges 1914 nach Hamburg zurück und arbeitete als Hilfsrichter am Landgericht. Im Oktober 1916 setzte sich der Amtsgerichtspräsident für ihn ein: „Der Hilfsrichter Assessor Dr. Behrend war bisher beim Militär als dauernd untauglich ausgemustert. Bei der am 14.10. vor der Ersatzkommission Pinneberg stattgehabten Untersuchung ist Dr. Behrend für dauernd garnisonsdienstfähig erklärt worden. Bei dieser Sachlage ist es nicht ausgeschlossen, dass er demnächst einberufen wird. Bei dem herrschenden Richtermangel ist es aber im dienstlichen Interesse sehr erwünscht, dass Dr. Behrend seinem Amte erhalten bleibt. Mit Rücksicht auf den geringen Grad der militärischen Verwendbarkeit gebe ich daher ergebenst anheim, die Zurückstellung des Dr. B. herbeiführen zu wollen. Er untersteht dem Bezirkskommando II Altona Der Amtsgerichtspräsident.“
Aus dieser Stellung wurde er auf eigenen Wunsch zum 27. Juli 1917 entlassen und trat als Syndikus ins Bankhaus M. M. Warburg & Co ein. Da er aber in der Praxis an der „mehr geschäftlichen Tätigkeit als Syndikus keine Befriedigung“ fand, ließ er sich zum 13. Oktober 1919 erneut als Rechtsanwalt in Hamburg nieder. Ein Jahr später bewarb er sich als Amtsrichter, sein Gesuch wurde aber mit Hinweis auf seine angeschlagene Gesundheit abgelehnt. Bis zum Entzug der Zulassung „wegen nicht arischer Abstammung“ am 31. Mai 1933 arbeitete er als Rechtsanwalt. Strittig war, ob für ihn die Ausnahmeregelung, dass Anwälte, die seit August 1914 zugelassen waren, weiter arbeiten durften, zutraf, da er zwischenzeitlich nicht als Rechts­anwalt gearbeitet hatte. Nachdem der Vorstand der Anwaltskammer sein Wiederzulassungsgesuch befürwortet hatte, durfte er ab 28. Juni 1933 erneut als Anwalt tätig sein.
Zum 30. November 1938 traf ihn das endgültige Berufsverbot. Während des Novemberpogroms wurde er wie viele verhaftet und im KZ Sachsenhausen interniert. Am 19. November nach Hause zurückgekehrt, stellten er und seine Frau Nanny ein Auswanderungsgesuch. Sie wollten nach Neuseeland emigrieren, aber ihr Versuch scheiterte. 1941 mussten sie in das inzwischen zum „Judenhaus“ umfunktionierte Martin-Brunn-Stift in der Frickestraße 24 ziehen. Sie bekamen, wie Rolands Schwestern, zum 18. November 1941 einen Deportationsbefehl. Wegen der Ängste und Demütigungen verschlechterte sich der ohnehin angegriffene Gesundheitszustand des 66-Jährigen erheblich. Im November war er so krank, dass er von der Deportationsliste gestrichen wurde. Seine Schwestern Martha, Edith, Elsa und Helene wurden am 18. November 1941 nach Minsk deportiert. Regina van Son, eine Freundin, schrieb am 17. November in ihr Tagebuch: „Ich habe heute einen richtigen Kater. Der Ab­schied von den 4 Behrend ist mir doch recht nahe gegangen. Bis auf Helene waren sie sehr tapfer, und sie gab sich auch viel Mühe. Ich war heute noch von 11-1 Uhr da, half aber gar nichts, denn erstens war genug Hilfe da, und zweitens war ich von den letzten Tagen erschlagen. … Es war erhebend zu sehen, wie viele Freunde die B[ehrend]s haben, und alle halfen ihnen, und alle brachten ihnen die schönsten Sachen zum Mitnehmen. Ich konnte diesmal nur wenig zusteuern; ich habe mich schon ziemlich bei Hess und bei Kahns ausgegeben, und schließlich muß ich ja auch an mich denken.“
Die vier Schwestern fuhren fünf Tage lang in überfüllten Zügen in das Getto Minsk. Dort angekommen, empfing sie bei minus 25 Grad eisige Kälte und ein Lager, in dem kurz zuvor Tausende Menschen umgebracht worden waren, um für den neuen Transport Platz zu schaffen. Die Menschen litten furchtbar unter Hunger, Kälte und willkürlichen Erschießungen; die Sterberate war extrem hoch. Wie lange die Schwestern diesen Terror überlebten, wissen wir nicht.
Am 26. Januar schrieb Regina van Son in einem Brief an ihre Freundin in der Schweiz: „Meine Freundinnen, die Schwestern von Dr. Roland B[ehrend], fuhren schon früher. Sie sind fabelhaft tüchtige und im Leben stehende Menschen, und zwei der Schwestern, Helene und Mar­tha, setzten es durch, dass der Bruder, der nicht ganz kapitelfest mit der Lunge ist, mit seiner Frau hier bleiben konnte.“
Der Aufschub dauerte nur ein halbes Jahr. Roland und Nanny Behrend wurden am 15. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert. Nanny starb im Januar 1943; zwei Tage nach seinem 68. Geburtstag im März 1943 ihr Mann Roland.
Text: Maria Koser aus: www.stolpersteine-hamburg.de