Anne-Marie Vogler
(07.06.1892 in Altona - 30.05.1983 in Hamburg)
Bildhauerin und Grafikerin
Flottbeker Chaussee 159 (heute Elbchaussee) (Wohnadresse)
Mittelweg 147 (Wirkungsstätte, Atelier und Wohnadresse)
Grindelhochhäuser, Grindelallee (Wohnadesse)
Ihr Grabstein steht im Garten der Frauen auf dem Ohlsdorfer Friedhof, Fuhlsbüttler Straße 756.
„Außerhalb Hamburgs im alten Garten am Ufer der Elbe aufgewachsen, regte sich zunehmend auf mannigfache Weise der Trieb, dem fließend Strömenden ein Bleibendes und der schon in frühester Jugend erlebten Zerstörung menschlichen Glücks ein Dauerndes entgegen zu setzen. Es wuchs damit die Erfahrung, daß auch im Bewegten, Dynamischen ein Stabiles, ein ruhender Pol vorhanden ist.“[1]
Mit diesen Zeilen beginnt Anne-Marie Vogler ihre Lebenserinnerungen für einen Katalog, der nicht zustande kam.2 Sie lesen sich wie das nachträglich formulierte Lebensprogramm einer Frau, die bereits als Kind die Erfahrung gemacht hatte, dass Natur und menschliches Leben nicht nur Erfüllung und Glück, sondern auch Tod und Zerstörung bedeuten können. Aus dieser frühen Erfahrung erwuchs Anne-Marie Vogler ein starker Drang zur Gestaltung, der nicht nur ihr künstlerisches Schaffen, sondern ihr gesamtes Leben bestimmte, wie schon die literarische Stilisierung ihres Lebens in den eingangs zitierten Worten zeigt.
Anne-Marie Vogler stammte aus einer angesehenen, großbürgerlichen Familie. Sie wurde am 07. Juni 1892 als Tochter des wohlhabenden Exportkaufmanns Friedrich Vogler und seiner Ehefrau Clara Mathilde Wilhelmine Vogler geb. Leopold geboren. Ihr Urgroßvater war Architekt und Ratsbaumeister in Hamburg, ihr Großvater Bürgermeister in Altona. Mit ihren drei Brüdern Friedrich (1889), Kurt (1896) und Wolfgang (1902) wuchs sie in Altona an der Flottbeker Chaussee 159 (heute Elbchaussee) auf, in einer damals noch ländlichen Gegend, in der die Grundstücke durchbrochen durch einen Fußweg bis zur Elbe hinunterreichten. Die Landschaft der Elbe blieb Anne-Marie Vogler in allen Wechselfällen des Lebens Heimat: „Höre nachts wieder das heimatliche Rauschen der Ufer – es ist das was mir überall sonst als ‚Heimat’ vorschwebt in diesem abendlichen Wellenschlagen!“[1] notierte sie am 27. Dezember 1929 in ihr Tagebuch, als sie für die Weihnachtstage aus Berlin nach Hamburg gekommen war. Und einige Tage später, am 01. Januar 1930: „... die graue Elbe, das Ufer vereist und ein schwerer wandernder Himmel, Schiffe hinausfahrend in den sich öffnenden Abendhimmel nach Westen. Das ist so schön an Flüssen, die nach Westen münden – dies der Sonne nach in’s Weite gehen! Wie inbrünstig das aber wirken kann, das sieht man sicher nur hier unter soviel Grau und Gewölk und nirgends sonst so. Und der grosse Horizont der Ebene dabei.“[1]
Anne-Marie segelte und ruderte mit den Brüdern auf der Elbe und lernte durch den ständigen Umgang mit ihnen Manches, worum Freundinnen und Mitschülerinnen sie bewunderten oder beneideten. Den Brüdern verdankt sie vermutlich auch ihre spätere Kraft und den unbestechlichen Willen, von denen die folgende Anekdote , die Anne-Marie Vogler selbst gern erzählte, schon etwas spüren lässt.
Als Fünfjährige musste Anne-Marie mit der Großmutter, der Frau des Bürgermeisters von Altona, das damals noch dänisch war, oft über die Grenze nach Hamburg gehen, um Käse zu kaufen. Sie bekam einen Hut aufgesetzt, unter den genau ein Laib Käse passte, und so gings zurück über die Grenze gen Altona. Als ihr das zu dumm wurde, griff sie zur Selbsthilfe. Sie baute sich vor dem Zöllner aus und rief: „... und ich hab’ ‘nen Käse unterm Hut, und ich hab’ ‘nen Käse unterm Hut ...“, bis der Zöllner ihr schließlich den Hut vom Kopf nahm und der Käse hinunterkullerte.
Anne-Marie Vogler besuchte die Höhere Mädchenschule von Therese Rudolph in Altona und verbrachte anschließend ein Jahr in London bei ihrem Onkel, einem Prediger der deutschen Gemeinde, um Hauswirtschaft und Englisch zu lernen. Sie hatte Klavier- und Gesangsunterricht und erwies sich dabei als so begabt, dass sie erwog, Musikerin zu werden.
Mit ihrem Bruder Kurt, der wunderbar Geige spielte, arbeitete sie an einer gemeinsamen musikalischen Laufbahn. Ein Lungenleiden zwang die 20-Jährige, die Arbeit zu unterbrechen und von 1912 bis 1914 eine Kur in Davos zu machen. Doch diese Krankheit war nicht der erste Schatten, der auf die zunächst so ungezwungene und zugleich behütete Kindheit Anna-Marie Voglers fiel, und es sollten noch viele Schicksalsschläge folgen. Als Anne-Marie zehn Jahre alt war, erkrankte die Mutter psychisch so schwer, dass sie irgendwann nicht mehr zu Hause leben konnte. 1912 kam der älteste Bruder, Friedrich, beim Untergang der Titanic ums Leben, 1916 wurde der Bruder Kurt als Soldat im Ersten Weltkrieg an der Somme getötet. Sein Tod war ein solcher Schock für die Schwester, dass sie nie wieder Klavier spielte. Sie wandte sich der bildenden Kunst zu.
Von 1916 bis 1918 besuchte sie die graphische Klasse des Graphikers und Bildhauers Carl Otto Czeschka an der Kunstgewerbeschule (heute Hochschule für bildende Künste). Eine der von Czeschka angeregten Arbeiten, die sie besonders faszinierten, waren Schattenspiele, zu denen die Schülerinnen die Figuren selbst entwarfen und anfertigten. Für das finnische Spiel „Kalewala“, das in einer Schneelandschaft spielte, schienen Anne-Marie Vogler die üblicherweise aus schwarzer Pappe gefertigten Figuren zu düster, so schnitt sie sie aus Schweinehaut und erzielte damit eine Wirkung, als ob sie aus Schildpatt wären. Die Figuren verkaufte sie nach Jahrzehnten, 1980, an das Hamburger Museum für Völkerkunde. Von Czeschka kam am Ende ihres Studiums auch die Anregung, in Elfenbein zu arbeiten, einem Material, an dem sie ihre Geduld schulte. Sie schnitt Tiere, Becher, Schalen, Griffe, Handspiegel und Bürsten aus Elfenbein. Eine Reihe dieser Arbeiten wurden vom Altonaer Museum angekauft, sind aber heute nicht mehr aufzufinden. Als mit der Inflation der Verkauf dieses aus teurem Material hergestellten gehobenen Kunstgewerbes immer schwieriger wurde und auch das Material selbst kaum noch zu bekommen war, suchte sie nach anderen Möglichkeiten.
Sie entdeckte das nicht so schwer zu bearbeitende Holz, das ihr in seiner Lebendigkeit und Wandlungsfähigkeit für Plastiken besonders geeignet schien. Da sie sich ohne Schulung jedoch nicht an größere plastische Arbeiten herantraute, nahm sie von 1922 bis 1925 Unterricht bei dem Holzbildhauer August Henneberger an der Handwerker- und Kunstgewerbeschule in Altona. Im Wintersemester 1925/26 ging sie nach München, das damals als künstlerisches Zentrum galt, und wurde Schülerin von Karl Killer an der Gewerbeschule in der Luisenstraße.
Für das folgende Wintersemester 1926/27 bewarb sie sich an der Akademie der bildenden Künste und besuchte dort die Klasse für Architektur und Christliche Kunst von Karl Killer. Zum einen reizte sie die christliche Thematik, zum anderen die Verbindung von Architektur und Plastik als eine ihr angemessenere Gestaltungsmöglichkeit als die freistehende Plastik.
1929 ging Anne-Marie Vogler nach Berlin. Sie arbeitete in einem eigenen Atelier und war Schülerin von Georg Kolbe, mit dem sie bis zu seinem Tode im Jahr 1947 freundschaftlich verbunden blieb. „Ich glaub wir haben gute Augen für einander“,[1] notierte sie am 02. Dezember 1929 in ihr Tagebuch. Die Berliner Jahre bei Kolbe wurden für Anne-Marie Vogler zur entscheidenden Lehrzeit, seine Anregungen und sein Urteil wiesen ihr den weiteren künstlerischen Weg und gaben der von inneren Kämpfen zutiefst Bedrängten, die nach außen immer strahlend wirkte, einen gewissen Halt. Ihr Tagebuch gibt einen Eindruck von den Schwankungen zwischen Schwermut, Selbstzweifeln, Arbeitshemmungen einerseits und Gefühlen von Kraft und Selbstsicherheit andererseits. Eintragungen wie „Könnt’ ich noch ohne Bildhauerei sein? Nein! und wird’ so glücklich in diesem Bewußtsein...“ (25. Dezember 1929)1 oder wie „...Zutrauen, daß ich Kraft gewonnen hab im letzten Jahr! Und das ist es immer, immer wieder ganz allein was mir not tut – dann steht man mitten drin in Allem und nichts ist dann verkehrt“ (01. Januar 1930)1 wechseln mit Ausbrüchen wie: „Alles so hoffnungslos. Alt werden, arm, einsam, unfähig – und jeder denkt (heute noch): dieses strahlende Mädchen!“ (07. März 1930)[1]
Einer der zentralen Gegenstände, mit denen sie sich in dieser Zeit beschäftigte, war der Akt, wobei es ihr weniger um die Gestaltung des Themas ging, als darum, Natur in eine andere, eine künstlerische Form zu verwandeln: „Lass die Figur nun doch giessen, kann sie event. In Gips mal ganz fertig machen. Das Eigentliche ist nicht drin, nicht gesteigert. Leider, leider noch nicht angesichts von Natur ‚gesiegt’. Aber auch das kommt noch. Schade nur, dass mir sonst einfach garnichts einfällt – oder wenn, die Frische und Unbekümmertheit fehlt, es einfach zu machen, wurscht ob schlecht oder gut. Und die geht mir eben flöten am andererseits so sehr wichtigen Naturstudium! Es muss sich abwechseln und Hand in Hand gehen. Das kann und soll es auch ab nun. Ich will kein Aktbauer werden. Nie. Aber könne muß man’s – für alles Andere. Nahrung für d. Formenreichtum und eben halt: Natur.“ (Tagebuch vom 19. Dezember 1929).[1] Kolbes Urteil knapp drei Monate später zu ihrer Eva: „Will nichts mehr sagen, weiss garnichts mehr – denn wenn sie die giessen (die Eva) und ausstellen mit ‚Matisse’ darunter – so ist das eine fabelhafte Plastik!“ (Tagebuch vom 09. März 1930)[1]
Doch trotz mancher Anregungen wurde Anne-Marie Vogler in Berlin nicht heimisch, und als die durch den Konkurs des Vaters verursachten finanziellen Sorgen immer drückender werden, kehrt sie im Januar 1931 nach Hamburg zurück. Von April bis Dezember 1933 machte sie mit der Freundin Anita Warburg, Tochter aus der Hamburger Bankiersfamilie, eine Studienreise nach Florenz.
Nach ihrer Rückkehr richtete sie sich ein eigenes Atelier im Mittelweg ein und versammelte einen Kreis geistig interessierter Menschen um sich, der sich zunehmend erweiterte.
Die Malerinnen Anita Rée und Gretchen Wohlwill, die Maler Fritz Kronenberg und Karl Kluth, die Bildhauerkollegen Hans Martin Ruwoldt und Karl August Ohrt, der Senatsdirektor der Kulturbehörde Hans Stock und seine Frau Gabriele, der Verleger Henry Goverts, die Schriftsteller Horst Lange und Peter Gan (alias Richard Moering) und der Chirurg Paul Sudeck und seine Frau waren ihre Freunde. Besonders nah standen ihr die Schauspielerin Maria Wimmer und der Altphilologe Bruno Snell, mit dem sie eine über 50 Jahre währende Freundschaft verband.
In der Zeit des Nationalsozialismus gehörte sie zu der Gruppe von Gegnern und Gegnerinnen des NS-Regimes um den Buchhändler Felix Jud, die sich in seiner Buchhandlung in den Collonaden traf. Übereinstimmend charakterisieren die Freunde Anne-Marie Vogler bis ins hohe Alter als lebendige, geistreiche und warmherzige Persönlichkeit, als gute Zuhörerin und kluge Ratgeberin, die mehr nach Vervollkommnung ihrer Gaben als nach Ruhm und Anerkennung strebte. Maria Wimmer schrieb am 09.12.1980, nach einem Besuch bei der 88-jährigen Künstlerin: „Es war alles wie früher, bei Ihnen zu sitzen und zu reden und zuzuhören, Ihre Frische und Anteilnahme an allem zu bewundern, Sie haben die ewige Jugend des Herzens, die können Sie gar nicht verlieren.“[1]
Eine andere Wegbegleiterin, die Verwandte, Freundin und Nachlassverwalterin Emma Vogler bestätigt diesen Eindruck. In der Tatsache, dass Anne-Marie Vogler nie geheiratet hat, sieht sie eine bewusste Entscheidung der Künstlerin: „Sie war bildschön, sie war vermögend als junges Mädchen und war intelligent und hochbegabt. Sie hätte es nicht ausgehalten. Sie wäre keine Hausfrau gewesen. Ich halte das für unmöglich.“ Doch auch zu diesem Thema zeigt das Tagebuch eine andere Anne-Marie Vogler als die, die ihre Umwelt sah. Und in einem Brief an den Freund Bruno Snell anlässlich des Besuches von dessen offenbar frisch verheirateter Tochter geht sie sogar so weit, in der dauerhaften Liebesbeziehung das eigentliche Bedürfnis der Frau zu sehen: „Ich mußte immer an Dich denken wie sie so vor mir saß – ganz offenbar erfüllt von ihrer Liebe. Es hätte Dich so froh gemacht sie so zu sehen – denn diese Erfüllung des Aus-Liebe-Zusammengehörens ist doch für eine Frau das Lebensglück und alles Andere dagegen Nebensache, nicht wahr?“ (Brief vom 05. September 1952)[1]
Die ersten Aufträge, die Anne-Marie Vogler erhielt, waren Türreliefs für eine Fliegerschule bei Dresden, Intarsien für die spanische Botschaft in Berlin, Kaminplatten und Brunnenwände für Privathäuser bzw. –gärten, Grabmale, vor allem aber Plaketten und Portraitbüsten. Sie nehmen einen Scherpunkt in Anne-Marie Voglers Schaffen ein. Die ersten arbeitet sie aus Holz und Ton, die späteren nach dem Krieg wurden aus Bronze gegossen. Die Köpfe von Marie Wimmer und Bruno Snell standen bis zuletzt in ihrer Wohnung in den Grindelhochhäusern, wohin sie 1954 gezogen war. Sie befinden sich heute in der Elsbeth-Weichmann-Gesellschaft. Als mit dem Krieg das Holz knapp wurde, waren Schiefertrümmer, die Anne-Marie Vogler beim Einkaufen auf der Straße aufsammelte, eine zeitlang ihr Hauptmaterial. So entstand beispielsweise ein Pferderelief.
Auch wenn die Einnahmen nach dem Krieg aufgrund der kümmerlichen Auftragslage und der niedrigen Preise, die für Kunst zu erzielen waren, nur spärlich flossen, war Anne-Marie Vogler von der Notwendigkeit der Kunst als „bindender und ordnender Kraft“ gerade in dieser Zeit überzeugt, weil „sie wichtige Seiten im Menschen anrührt die in der Not und Unsicherheit unserer Tage zu verkümmern drohen. ...Man sollte heute ebenso wenig darauf verzichten, mit Kunst zu leben wie etwa in Preussens ärmster Zeit, als man die unerschwinglich teure Bronce durch herrliche Plastiken in Gusseisen ersetzte. Haben wir nicht schönes modernes Material, das noch weitgehend erschlossen werden kann in seiner Verwendungsmöglichkeit? Wenn man sieht, wie technisch vollendet heute die Wohnungen gebaut werden, kann man sich kaum der Erkenntnis verschliessen, dass jetzt der Zeitpunkt da ist, wo durch die Kultur des Zimmers den Bauformen durch Plastik und Bild wieder eine menschliche Wärme gegeben werden sollte, wie sie sich aus der heutigen Lebensform ergibt“,[1] sagte Anne-Marie Vogler 1951 in einem Interview des NWDR.
1947 erhielt sie den ersten größeren Auftrag, der in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit erregte. Eine von den sechs Glocken des Limburger Doms, die wie viele andere im Zweiten Weltkrieg zum Einschmelzen hatten abgeliefert werden müssen, war zufällig am Hamburger Hafen zwischen Bergen anderer Glocken entdeckt worden. Das Bischöfliche Domkapitel wollte nun die anderen fünf nachgießen lassen und erteilte Anne-Marie Vogler den Auftrag, sie mit Schrift und Bildschmuck zu versehen. Anne-Marie Vogler arbeitete in einer überlieferten, doch seit Jahrhunderten nicht mehr angewendeten Technik, indem sie vor dem Guss Figuren, Ornamente und Schrift von innen in den Ton ritzte, was bedeutete, dass sie in das Innere der Glocke kriechen und seitenverkehrt arbeiten musste. Bei einem späteren Werk, einer Äolsharfe für die Kinderspielterrasse der Chirurgie im Allgemeinen Krankenhaus Barmbek, versuchte sie ebenfalls, auf alte Techniken zurückzugreifen. Sie konnte jedoch nichts über die Herstellung von Windharfen in Erfahrung bringen, obwohl sie ihre Spuren bis nach Griechenland verfolgte. So probierte sie so lange, bis das komplizierte Gebilde aus Metall und Wind tönte.
Die Äolsharfe gehörte bereits zu den Aufträgen, die Anne-Marie Vogler erhielt, als Anfang der 50er-Jahre die „Kunst-am-Bau“-Verordnung erlassen wurde. Sie bestimmte, dass 5% der Bausumme öffentlicher Gebäude für Kunst aufgewendet werden müsse, eine Maßnahme, die nicht nur der Verschönerung diente, sondern den Künstlerinnen und Künstlern zu Einnahmemöglichkeiten verhalf. Bei diesen Arbeiten kam Anne-Marie Vogler stufenweise zu immer kühneren Lösungen. Stand am Anfang ein Flachrelief, „Sommerruhe“, das sie 1952 für den Rosengarten im Botanischen Garten „Planten und Blomen“ schuf, so arbeitete sie 1959 ihre erste lebensgroße Vollplastik „Mutter und Kind“ für einen Schulhof in Dockenhuden. Das Gipsmodell dieser Plastik steht heute in imponierender Weise den Raum füllend in der Wohnung von Emma Vogler. Für sie beinhaltet diese Figurengruppe in so hohem Maße Harmonie und Musikalität, dass sie sich das Hören klassischer Musik ohne sie nicht mehr vorstellen kann. Ein weiteres Werk, das wohl jede Hamburgerin und jeder Hamburger kennt, ist der Marmortrinkbrunnen im Hauptbahnhof-Süd. Die meisten ihrer großen, als „Kunst am Bau“ entstandenen Arbeiten führte die inzwischen über 60-jährige Anne-Marie Vogler nicht selbst aus. Sie lieferte die Entwürfe und ließ sie unter ihrer Anleitung und Korrektur vom Steinmetz verwirklichen.
1978 hatte Anne-Marie Vogler anlässlich ihres 85. Geburtstags im Kunstverein ihre erste und bisher einzige Einzelausstellung in Hamburg. Besondere Aufmerksamkeit erregte eine Gruppe von Fußballspielern, die um 1970 entstanden war und die der Freund und Kollege Karl August Ohrt als Thema aufgriff, als er für die am 30.Mai 1983 im Alter von 91 Jahren verstorbene Freundin und Kollegin eine Grabplatte aus schwarzem Granit schuf. Zwei junge Männer fanden Anne-Marie Voglers Plastik so lebendig, das sie sich nur einen jungen Menschen als deren Schöpfer denken konnten. Als die Künstlerin, die der Unterhaltung gelauscht hatte, sich zu erkennen gab, waren die beiden fassungslos. Auf das Thema Fußballspieler war Anne-Marie Vogler aufmerksam geworden, als sie, di ein ihrem Leben viele schwere Krankheiten zu bestehen hatte, wieder einmal für längere Zeit in Lübeck im Krankenhaus lag und aus ihrem Fenster auf einen Fußballplatz schaute. Was sie an den Sportlern faszinierte, waren ihre Bewegungen und die Aufgabe, sie in eine künstlerische Form zu bringen. Dem Formproblem galt Anne-Marie Voglers Hauptinteresse zeit ihres Lebens. Die sich nach dem Zweiten Weltkrieg entzündete Debatte um gegenstandslose Kunst trat davor in den Hintergrund: „Bei allen meinen Arbeiten – seien es freie oder durch Aufträge gegebene Vorhaben – geht es mir darum, die zum jeweiligen Thema adäquate materialgerechte Lösung zu finden. Die Frage, ob mehr Betonung des Abstrakten oder naturnahe figürliche Lösung, war keine erstrangige Frage für mich, denn: der Übersetzungsgrad ergibt sich meistens nach Thema und Material der gegebenen Aufgaben, angefangen beim Entwurfsstadium bis hin zur Fertigstellung. Das gilt für meine Grafiken ebenso wie für die Plastiken, Hauptsache, es stimmt als angestrebte Wahrheit, als Wahrhaftigkeit des Bemühens, in Form und Ausdruck.“[1]
Text: Brita Reimers