Biografien-Datenbank: Frauen aus Hamburg

Magdalenenstift

Koppel (ehemals)
Heeskoppel 14: Heute: Abendroth-Haus für Mädchen, Frauen und Familien
Hammer Landstraße 204
Braamkoppelweg


3695 Magdalenenstift
Erstes Magdalenenstift in St. Georg, Bildquelle: Staatsarchiv Hamburg

Das 1821 von dem damaligen Leiter der Hamburger Polizeibehörde, Amandus Abendroth, gegründete Magdalenen-Stift nahm seinen Anfang mit 12 Zöglingen und den Aufseherinnen „Frau Professor M.E. Danzel“ und der Lehrerwitwe Frau L. Richter. Nachdem 1825 durch den Tod von Dr. med. Ludwig Hess dem Magdalenenstift ein großes Vermögen zugeflossen war, wurde an der Koppel ein großes Haus mit Garten gekauft, wo das Stift einzog. 1865 zog das Stift um in die Hammer Landstraße.
Sein Zweck war: „junge Mädchen, die das Unglück hatten, den Weg der Tugend zu verlassen, wieder auf denselben zurückzuführen. Wenn sie freiwillig Hülfe verlangen, so werden sie:
1. Während des zweijährigen Aufenthalts im Stifte von der übrigen Welt getrennt: sie sehen ausser den Vorstehern und Vorsteherinnen nur ihre Mitgenossinnen:
2. sie erhalten wöchentlich Belehrung und Unterricht von einigen Herren Predigern, die diese Mühe aus Menschenliebe übernommen haben;
3. die gewöhnlich leider ganz in der Erziehung vernachlässigten Mädchen werden zu häuslichen und Handarbeiten angehalten, um es ihnen möglich zu machen, bei ihrer Entlassung sich redlich fortzuhelfen.” (Hamburger Adress-Buch 1842).
Bis 1869 wurden 310 „Gefallene“ aufgenommen. Als „gebessert“ konnte knapp die Hälfte der Frauen bezeichnet werden.
Viele Frauen litten an Geschlechtskrankheiten, die stationär auf der Krankenstation behandelt werden mussten. Unter den Frauen waren besonders viele junge Frauen im Alter zwischen 14 und 18 Jahren, die sich zum ersten Mal bei einem Freier angesteckt hatten.
Zum Magdalenen-Stift gehörte auch das Weibliche Asyl. Es wurde 1869 von dem 1867 gegründeten Magdalenen-Hilfsverein errichtet.
„Das Weibliche Asyl bezweckt, noch nicht gefallenen, aber in Gefahr stehenden Mädchen eine Zuflucht zu gewähren, und gefallenen, welche anderweitig untergebracht werden sollen, eine vorläufige Unterkunft darzubieten.
Die Anstalt ist eine lutherische, steht aber Angehörigen aller Konfessionen offen. Die geistliche Unterweisung, an der alle Hausgenossen teilnehmen, ist jedoch nur lutherisch. Platz für 70 Mädchen. Aufgenommen werden Mädchen vom 14. Jahre an, auch von auswärts: sie müssen arbeitsfähig sein und dürfen nicht an Epilepsie leiden. Beschäftigung: Anfangs Handarbeit im Stricken, Nähen, Stopfen, sodann Haus- und Gartenarbeit, sowie Wäsche. Es wird für Privatleute in der Stadt gewaschen. Der Vorstand bestimmt die Zeit der Entlassung und verschafft tunlichst geeignete Dienste.” (Joachim, Hermann: Handbuch der Wohltätigkeit in Hamburg, 1909).
1929 wurde das Magdalenen-Stift in Abendroth Haus umbenannt.
Während der NS-Zeit wurden Prostituierte in das Magdalenen-Stift zwangseingewiesen.
Namensbegründung: In der Bibel ist Magdalena die Büßerin. Deshalb wurden solche Asyle/Stifte nach der biblischen Magdalena benannt.
Text: Rita Bake
Quellen:
Jubiläums-Bericht des Magdalenenstiftes 1821-1921. Hamburg
H. J. Bentfeldt: Geschichte im Brennpunkt. Frauenalltag im 19. Jahrhundert. Armen-, Frauen- und Erziehungshäuser in Hamm. Unterrichtsmaterialien zur Hamburger Regionalgeschichte. Stadtteilarchiv Hamburg. o. O., o. J.

Folgender Textauszüge aus: Gefährdete Mädchen. 175 Jahre soziale Arbeit mit Mädchen und jungen Frauen im Abendroth-Haus, Vorstand Stiftung Abendroth-Haus (Hrsg.), Münster 1997.
„1821 – 1898
Der Vorstand und die Finanzen

Das Stiftungskomitee bestand aus einer reinen Männerriege: Abendroth, von Beseler, de Dobbeler, von Faber, Hasperg, Kreep, Ross, Schlingemann, Schuback und Pastor Amsinck. Bis 1855 gehörte der Erste Polizeiherr (der Senator, der die Polizeibehörde leitete) laut einer Regelung immer zum Vorstand. Auch wenn er schon pensioniert war. Seit den 1830er Jahren gehörte oft der Hausarzt dem Vorstand an.
In den Statuten von 1885 wurde ausdrücklich vermerkt, dass sich der Vorstand nicht nur aus männlichen Mitgliedern zusammensetzen solle. Und so wurden zwei bis vier Damen damit betraut, die Leiterin des Hauses in ihrer Arbeit zu unterstützen und Aufsicht über die ‚innere Leitung der Anstalt‘ zu führen. Sie behielten auch die entlassenen Mädchen und Frauen ‚unter ihrer Aufsicht und Pflege‘. Die männlichen Vorstandsmitglieder befassten sich dagegen mit dem Kassenwesen und den Rechtsangelegenheiten der Stiftung. (…)
Das Leben der ‚Stiftsgenossen‘,‘ ‚Zöglinge‘ und ‚Pfleglinge‘
„(…)Der überwiegende Teil der Mädchen kam durch die ‚Vermittlung‘ der Polizei ins Magdalenenstift: Das sittenpolizeiliche Register stand im Eingang und im Ausgang des Bordells, die Polizeiärzte untersuchten den Gesundheitszustand der Prostituierten und wiesen gegebenenfalls in Krankenhaus ein. Die Polizei entschied aber auch über die Ausweisung aus Hamburg, die Einweisung ins Werk- und Armenhaus oder genehmigte die Aufnahme im Magdalenenstift. Andere Mädchen kamen auf Bitte ihrer Eltern, auf behördliche Anweisung oder auf eigenen Wunsch in den Stift.
Aus dem Rechenschaftsbericht von 1826 lässt sich entnehmen, dass die Mädchen und Frauen das Haus nicht verlassen durften, um äußeren Einflüssen vorzubeugen. Alle ‚unnützen Gespräche‘ waren verboten. Morgens und abends wurde gebetet und einmal wöchentlich gab es eine gemeinschaftliche Andachtsstunde, an der auch die Vorsteherinnen teilnahmen. Am Tage wurde Hausarbeit verrichtet: alles, was anfiel (kochen und reinigen), aber auch stricken, nähen, waschen, plätten. Später kam dazu die Arbeit im Garten (in Hamm und später wieder in Sasel). (…)

Veränderte Bedingungen im Magdalenenstift
1908 wurde das bisherige Haus des Magdalenenstifts um - und ausgebaut. Jedes Mädchen sollte ein eigenes Zimmer bewohnen können. Die Schlafkammern, mit Zentralheizung und Belüftungssystem ausgestattet, wurden allerdings nachts und in den Ruhezeiten verschlossen.
(…) 1920 kamen fast alle der 111 Mädchen aus Schleswig-Holstein, Kiel und Lübeck.
Das regelmäßig ein Psychiater zu Rate gezogen wurde, ist seit 1921 überliefert. Seit wann eine Heilpädagogin und eine Turnlehrerin stundenweise pro Woche beschäftigt werden, ist nicht genau bekannt, aber für 1926 ist dies belegt.

Die Zusammenarbeit mit dem Pflegeamt hat Folgen
(…)1922 wurde das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz verabschiedet Und erstmalig lässt sich belegen, dass auch Hamburger Behörden Mädchen in den Magdalenenstift einwiesen. (…)
Die beginnende Zusammenarbeit mit dem Jugendamt veränderte das pädagogische Konzept, wonach die Mädchen zwei Jahre im Stift verbleiben sollten. Die ‚Heilung körperlicher Leiden‘ sollte demnach eine Voraussetzung für die eigentliche Erziehungsarbeit darstellen. Nun bedurfte jedoch der Aufenthalt über den Zeitpunkt der Genesung hinaus einer besonderen Genehmigung. Außerdem sollten die überwiesenen Mädchen als ‚festgenommene Personen betrachtet werden, falls nicht auf dem Überweisungsschein steht, dass sie freie Kranke sind‘. Die Mädchen wurden von einem Polizeibeamten ‚zugeführt‘ und durften nur mit Einwilligung von Wohlfahrtspolizei/Pflegeamt oder seitens der Kripo/Sittenpolizei entlassen werden. Wobei sie wiederum einem Polizeibeamten übergeben wurden. Die ohnehin strengen Besuchsregeln wurden noch einmal verschärft. (…)

‚Psychopathenheim‘ und ‚Mütterheim‘
Mitte der zwanziger Jahre hielt der Gedanke in der Sozialarbeit Einzug, dass nicht nur das soziale Umfeld zu einer sittlichen Gefährdung und zu Verwahrlosung beitrugen, sondern dass Gründe in der Persönlichkeit, angeborene psychische „Defekte“ überhaupt Voraussetzung für so eine Entwicklung waren. Diese neue Theorie machte sich auch Pastor Lehfeldt, Vorstandsvorsitzender des Magdalenenstiftes und Pastor, zu Eigen. Sozial Schwache und ‚Psychopathen‘ wurden in einem Atemzug genannt, wobei mit ‚Psychopathen‘ eben auch Schwererziehbare, Lernbehinderte, Verhaltensauffällige usw. gemeint wurden.
1925/1926 wurden zeitweise mehr als zehn ‚psychopathische‘ Mädchen auf einer eigenen Station im Magdalenenstift untergebracht. Ihr Psychiater war Dr. Rautenberg. Dr. Rautenberg war nach 1933 mit seinen Kollegen Kreyenberg und Holm als Gutachter und Beisitzer im so genannten ‚Erbgesundheitsgericht‘ an den Entmündigungen und Zwangssterilisationen von Mädchen und Frauen beteiligt. (…)
Ein Mütterheim, ganz neu errichtet, nahm im Februar 1928 seinen Betrieb auf. Es bot 24 Einzel- und drei Zweibettzimmer, zwei Operationssäle, ein Untersuchungszimmer, die erforderlichen Wirtschaftsräume sowie einen Andachtsraum mit Kanzel, Altar, Taufstein und Harmonium.
Schwangere Fürsorgezöglinge sollten ihr Kind im Magdalenenenstift zur Welt bringen können. (…) 1927 wurde das Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten verabschiedet, und damit stieg auch der Bedarf des Wohlfahrtsamtes an Betten in der Krankenabteilung. Das Magdalenenstift wurde zunehmend mit Geschlechtskranken belegt. (…)
1928 ging man davon ab, die Mädchen des Nachts und zu den Ruhezeiten einzuschließen. Eine von der Berufsschulbehörde entsandte Lehrerin erteilte ‚Fortbildungsunterricht‘ und die Mädchen der Krankenabteilung wurden aus pädagogischen Gründen zur Hausarbeit herangezogen. Der Verkauf der Handarbeiten sollte den Mädchen selbst erarbeitetes Geld ermöglichen. Im Mütterheim wurde neben Küchen- und Hausarbeit Säuglingspflege gelernt. Die ledigen Mütter wurden weiterhin im allgemeinen Wissen und in Lebenshaltung und Lebenskunde unterwiesen. (…)
1928 stellten Pastor Lehfeldt und Rechtsanwalt Spiegelberg einen Antrag auf Namensänderung. Sie begründeten diesen vor dem Vorstand mit den Worten: ‚Seitdem zu Anfang dieses Jahres auch ein Mütterheim zur Aufnahme lediger Mütter eingerichtet ist, entspricht der Name Magdalenenstift in noch geringerem Maße den Zwecken, denen das Haus jetzt dient und ist für manche, die sich in dem Hause aufhalten resp[ektive] deren Angehörigen anstößig, so dass uns eine Änderung des Namens dringend geboten erscheint. Dafür wäre nach unserem Empfinden in Erinnerung an den Stifter die Benennung Abendroth-Haus wohl angebracht …‘ (…)

Balanceakt zwischen Amtskirche und NS-Staat
Es wurde versucht, den neuen Machthabern die althergebrachten Erziehungsprinzipien in einem Memorandum mit ‚zeitgemäßen‘ Versatzstücken nationalsozialistischer Terminologie schmackhaft zu machen. Die Angebote, die sie den Heiminsassen machten, Vorträge zur Weckung des Heimatbewusstseins als Aspekt zur nationalen Erziehung, Rundfunkgeräte in allen Zimmern, waren sicherlich im nationalsozialistischen Sinne. Aber durch die Ablehnung besonders angesetzter Unterrichtsstunden zur vertiefenden Behandlung der Angebote spricht wahrhaftig kein Eifer für den Nationalsozialismus. (…)
Ende 1934 bzw. Anfang 1935 kam es zwischen dem Hamburgischen Staat und dem Abendroth-Haus zu einem Vertragsabschluss der festlegte, dass das Fürsorgewesen das Abendroth-Haus als Durchgangsheim und als Bewahrheim belegte. Die Arbeit des Abendroth-Hauses sollte im engsten Einvernehmen mit der Gesundheits- und Fürsorgebehörde geschehen. Mit diesem Vertrag wurde das Abendroth-Haus in das Hamburger System zur ‚Behandlung‘ von Prostituierten‘ und ‚asozialen Frauen‘ integriert, in dem das Pflegeamt seit 1933 als zentrale Schaltstelle fungierte.
(…) Eine Prostituierte konnte sich bei Ergreifen einer Haftstrafe entziehen, wenn sie sich freiwillig unter die Schutzaufsicht des Pflegeamtes stellte und in ein Arbeitshaus einweisen ließ, welches auf dem Gelände des Versorgungsheimes Farmsen eingerichtet wurde. (…)

Einrichtung von Sammelpflegschaften zur Durchführung von Zwangssterilisationen
Es gab noch einen weiteren Bereich, in dem Sammelpflegschaften eingesetzt wurden, nämlich zur Durchführung von Zwangssterilisation aufgrund des ‚Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses‘ (14.7.1933).
Hier spielte nicht nur geringe Schulbildung, das Verhalten am Arbeitsplatz und Umgang mit Männern eine Rolle, sondern auch Beurteilungskategorien wie ‚liederlich, unordentlich, schmutzig, verlogen, diebisch, querulantisch‘ usw. (…)
Dass Mädchen und Frauen aus der Bewahrabteilung des Abendroth-Hauses zwangsweise unfruchtbar gemacht wurden, ist sicher. (…) Dass jugendliche Zwangsbewahrte psychiatrisch begutachtet wurden, um sie bei ihrer Volljährigkeit zu entmündigen, und auch die Anwendung des ‚Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses‘ war wenigstens der Heimleitung bekannt. (…)
Das Abendroth-Haus, Durchgangsheim und Bewahrabteilung, zogen im Januar 1944 in zwei Häuser in der Gurlittstr. 22/24, die nur leichte Kriegsschäden aufwiesen. Gleichwohl waren diese Häuser für ihren Zweck ungeeignet. (…)Für die Zeit von 1943 bis 1948 gibt es einen aufschlussreichen Bericht aus dem Abendroth-Haus, der nicht nur über die eingewiesenen Mädchen und Frauen aussagt, sondern auch über die Zusammenarbeit mit den Behörden, die Erziehungsprobleme und den ‚Geist‘ des Hauses.
Der größte Teil der Mädchen war über 18 Jahre alt und kam aus der Bewahranstalt Farmsen, wo sie meist schon mehrere Jahre als ‚Bewahrfälle‘ eingesperrt waren. Zwei Drittel von ihnen waren entmündigt und standen unter der Sammelvormundschaft Käthe Petersen. (…)In der Rückschau des Jahres 1949 berichtet die Oberin Genähr. Die ‚Bedingungslosigkeit dieser Jugend‘, die ‚ungescheut‘ die Brücke zum Elternhaus abbrach, sei ‚bedrückend.‘ ‚Die Lebenslust der meisten dieser Insassinnen war erfüllt von der Suche nach dem Mann als Partner, zum Teil im schlimmsten Sinn des Wortes‘ Vereinzelt stellten sich auch lesbische Neigungen heraus, was zur baldigen Entlassung aus dem Heim führte. Der ‚Gefahr einer Verseuchung (!) mußte so zeitig wie möglich begegnet werden.‘
Mit dem nahenden Kriegsende wurde das Abendroth-Haus konfrontiert mit Entwurzelung, Trennung von den Angehörigen, zweifelhafte Gesellschaft und Jugendkriminalität. Durch die beengten Räumlichkeiten zwangen sich große Unzulänglichkeiten in der pädagogischen Arbeit auf. Im Vordergrund stand immer noch, die Mädchen in Arbeitsstellen zu vermitteln, wobei jetzt allerdings mittlerweile Gewerbebetriebe und Gaststätten überwogen.
Von den Turbulenzen, die das Abendroth-Haus während der Nachkriegszeit im Innern wie Äußern erfassten, spiegelt der Bericht wenig. Die Bemühungen, in ein geeigneteres Quartier umzuziehen, scheiterten trotz Unterstützung der Behörden. (…)
Am 1. Aug. 1951 zog das Abendroth-Haus mit knapp 60 Zöglingen in die beiden Häuser auf der Anscharhöhe ein. (…)
Schon vor dem Umzug hatte sich die innere Struktur des Hauses wesentlich verändert. Nach anderthalb Jahrzehnten strikter ‚Bewahrung‘ konzentrierte man sich jetzt auf die pädagogische Arbeit, damit setzte sich das Abendroth-Haus von der Vergangenheit ab. Nach einigen Wochen strikter Trennung von der Außenwelt in der Aufnahmestation im Interesse eines intensiven erzieherischen Prozesses, war danach die Oberstufe zwar immer noch ein ‚geschlossenes Heim‘, bot aber größere Freizügigkeit. Danach im Übergangsheim wurden die Mädchen außerhalb des Hauses in Arbeit vermittelt und genossen je nach persönlicher Entwicklung eine Balance aus Normalität des Alltags und Lenkung durch das Heim. Lohn geht zwar an die Mädchen, um sie beim Arbeitgeber nicht bloßzustellen, wird aber im Heim sofort abgerechnet. Abendurlaub gibt es nur bei Bewährung. Gemeinsame Spaziergänge und Kinobesuche bringen Abwechslung. (…)

Mütterheim
Der Umzug auf die Anscharhöhe bot die Chance, nach langer Zeit wieder ein Mütterheim für ledige Mütter zu eröffnen und damit an die Struktur von 1928 anzuknüpfen. Im Karl-Ninck-Haus wurde Raum geschaffen für etwa 12 Mütter und deren Kinder. Ein Jahr später wurde ein viertes Säuglingszimmer eingerichtet, weil ein Teil der Mütter weiterhin im Wohnheim lebte, um neben der Arbeit in enger Verbindung mit dem Kind zu bleiben.
Die Arbeits- und Lebensbedingungen waren auch in diesem Quartier weit davon entfernt, ideal zu sein.
Die Mädchen wurden in der Hauswirtschaft , in der Nähstube und Wäscherei beschäftigt, wobei die Arbeit in der Näherei monatlich immerhin 200-300 DM einbrachte, d. h. die Beschäftigung erfüllte nicht nur pädagogische, sondern auch wirtschaftliche Zwecke. (…)
1953 beschließt der Vorstand, ein Areal in Sasel zu kaufen, um dort ein eigenes Haus zu bauen. Ende Februar 1956 zog das Abendroth-Haus in den Saselbergweg (später Bramkoppelweg) (…)
Trotz aller Veränderungen blieb die Pädagogik den Prinzipien von Disziplin, Ordnung und Sauberkeit verpflichtet. Es galten immer noch strenge Richtlinien für die Außenkontakte. In der Aufnahmestation trugen alle Mädchen noch immer dieselbe ‚schmucklose Tracht‘. Die Post stand unter Zensur der Heimleitung. Der Tagesablauf war genau geregelt. Jeden Tag darf eine Zigarette geraucht werden, sonntags zwei. (…) An Diskussionsabenden gibt es Meckermöglichkeiten und Aussprachen. Es gab 1967 noch allmorgendlich eine Andacht und Wochenschlussgottesdienste, deren Besuch den Mädchen aber freigestellt war. (…)
Bis sich ein traditionell geführtes Mädchenheim zu einem zeitgemäßen Jugendhilfe-Zentrum wandelte, vergingen Jahre. Durch die Veränderungen der Gesellschaft der BRD veränderten sich auch die Vorstellungen der Jugendhilfe. Man verabschiedete sich zusehends vom Gedanken des Bewahrens und der materiellen Versorgung. (…)
Die Einweisungsgründe waren meist sittliche Verwahrlosung, Schulschwänzerei, Obdachlosigkeit und Schwangerschaft. Der durchschnittliche Aufenthalt war ½ Jahr im geschlossenen Heim, anschließend Wohnheimunterbringung, auf Wunsch bis zur Volljährigkeit.
Von 1974 an vollzog sich ein großer Strukturwandel. Das Abendroth-Haus bot nun eine offene Unterbringung an. Die Zeit, in der nachts die Türen verriegelt wurden, war vorbei. Die Säuglingsstation wurde aufgelöst. Die Altersgrenze der Aufnahme wurde herabgesetzt jetzt von 14 bis 16 Jahre. Im Haus wurde für sie Nachhilfeunterricht eingerichtet. Die Gruppeneinteilung differenzierte vier Stufen: ‚Intensivpädagogik‘, ‚Stabilisierungsunterricht‘, ‚Übergangsphase‘ und ‚Ablösephase‘. (…)
Anstaltskleidung gab es nicht mehr. (…) Als pädagogische Ziele nannte Ingeborg Wirth: ‚Achtung der Persönlichkeit und Schaffung eines Vertrauensverhältnisses. Einübung von Übernahme kleinerer Pflichten, regelmäßiger Schulbesuch, soziales Verhalten, realistische Lebensplanung, Kritikfähigkeit.‘
Dieser pädagogische Stil wurde in der Zeit von Iris Sadek – Leiterin von 1981 – beibehalten. Sie thematisierte in ihrer Arbeit besonders das Problem des sexuellen Missbrauchs – ein gesellschaftlich bisher völlig tabuisierter Aspekt – und dessen Folgen für die Entwicklung der Jugendlichen. Die Mehrzahl der Betreuten hatte sexuellen Missbrauch erfahren. (…)
Was sollte aus dem Heim in Sasel werden? Der Vorstand nahm Abschied von einer langen Geschichte der Heimbetreuung. Darum Verkauf des Heimes, verkleinerte Wohngruppen und Umzug in Wohnungen oder Einzelhäuser in verschiedenen Stadtteilen. Die Mädchen sollten eigenständig leben lernen. Das hieß für die Mitarbeiterinnen Umstellung auf ein neues Betreuungskonzept.
1990 stand das erste Einfamilienhaus zum Einzug bereit für acht Mädchen. Weitere Häuser wurden gekauft. In zwei Häusern konnten wieder junge schwangere und allein erziehende Frauen mit Kleinkindern einziehen. (…).“[1]