Paulinenstift
Waisenhaus für israelitische Mädchen
Laufgraben 37 (ehemals)
Für israelitische Jungen gab es schon seit 1766 ein Waisenhaus und einen Waisenpflegeverein. Verwaiste israelitische Mädchen wurden dagegen zu einzelnen Familien in Pflege gegeben, die dafür von der Gemeindekasse bezahlt wurden.
Knapp 100 Jahre nach der Gründung eines Waisenhauses für Knaben wurde der Wunsch nach einem ebensolchen Haus für Mädchen immer stärker. 1856 erwarben die Kaufleute Isaac J. Jaffé und Daniel J. Jaffé ein Haus in der damaligen 2. Marktstraße und schenkten es der jüdischen Gemeinde zur Gründung eines Waisenhauses für Mädchen.
Das Haus wurde auf Wunsch der Stifter in Erinnerung an deren verstorbene Mutter Pauline, geb. Goldschmidt „Paulinenstift“ genannt und 1857 eröffnet. An der Vorderfront des Hauses war zu lesen „Paulinenstift Waisenhaus für israelitische Mädchen“.
Im Stift wurden völlig verwaiste oder vater- oder mutterlose Mädchen Hamburger israelitischer Gemeinden aufgenommen. Sie sollten bei der Aufnahme nicht jünger als 5 ½ Jahre und nicht älter als 12 ½ Jahre sein. Den Mädchen wurde unentgeltlich Verpflegung und Erziehung bis nach vollendetem 16. Lebensjahr gewährt. Nach Beendigung der Schulzeit blieben die Mädchen noch ein bis zwei Jahre im Stift und wurden in einem Beruf ausgebildet. Bei ihrer Entlassung erhielten sie eine gewisse Ausstattung.
1883 wurde das Haus an den Hamburger Staat verkauft, weil es nicht mehr zweckdienlich war und es wurde vom Staat ein größerer Bauplatz am Laufgraben 37 erworben.
1884 wurde hier das neue Israelitische Mädchen-Waisenhaus eröffnet. Eine Gedenktafel am Haus erinnert daran: „1884 eingeweiht. 1857 war zu Ehren der Frau des Stifters Isaac J. Jaffé das Paulinenstift in der Neustadt eröffnet worden. 20 Mädchen des Paulinenstiftes wurden ab 1941 in Ghettos und KZ’s deportiert, dann war das Haus jüdisches Alters- und Pflegeheim. 25 Erwachsene wurden 1942 und 1943 von hier in das Ghetto Theresienstadt deportiert.”
Es lebten ca. 30 Mädchen im Waisenhaus. Im Parterre des Hauses lagen die Wohnräume der Waiseneltern, ein großes Esszimmer, Spielzimmer, Sitzungsraum und Garderobenräume. Im ersten Stock lagen die Schlafsäle und im Keller die Wirtschaftsräume. Hinter dem Haus gab es einen Garten zum Spielen.
1929 wurde ein zweites Stockwerk auf das Haus gesetzt. Hier befanden sich die Zimmer der 8 bis 12 bereits schulentlassenen Mädchen, die die im Haus vorhandene Schule für „rituellen Haushaltungsunterricht“ besuchten. Diese Hauswirtschaftslehrlinge übernahmen auch alle häuslichen Arbeiten im Haus.
Ab 1931 waren auch Kleinkinder, die bisher in Wilhelminenhöhe betreut worden waren, im Haus am Laufgraben untergebracht.
Die schulpflichtigen Mädchen besuchten die Israelitische Töchterschule in der Karolinenstraße.
Um die Mädchen zu selbstdenkenden, und selbstentscheidenden freien Menschen zu erziehen, erhielten diese gewisse Freiheiten, aber auch Verpflichtungen. Die älteren Mädchen übernahmen die Verantwortung für die jüngeren. Die Mädchen durften in kleinen Gruppen in die Stadt gehen, auch Theater und Konzerte besuchen.
Die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten bekamen auch die Waisenmädchen zu spüren. Einige Lehrerinnen des Paulinenstiftes emigrierten, und 1941 befanden sich dann auch die ersten Namen von Mädchen aus dem Paulinenstift auf den Deportationslisten.
Ende November 1941 mussten die noch im Waisenhaus verbliebenen Mädchen das Haus räumen. Sie kamen im Jungenwaisenhaus am Papendamm 3 unter. Das Haus wurde bei Bombenangriffen 1943 zerstört.
Hildegard Cohen, die letzte Leiterin des Paulinenstiftes, wurde mit 14 Kindern des Waisenhauses am Papendamm 3, die jüngsten unter ihnen waren noch nicht einmal drei Jahre alt, ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert.
Unter diesem Link: www.stolpersteine-hamburg.de/dateien/Doku_Waisenhaeuser.pdf gibt es eine Dokumentation über das Paulinenstift. Hier sind auch die Namen der deportierten Kinder aufgeführt.
Text: Rita Bake