Hilde Sicks
(25.11.1920 Hamburg – 31.7.2007 Hamburg)
Bundesweit bekannte Volksschauspielerin und Hörspielsprecherin; mit über 250 Rollen Star am Hamburger Ohnsorg-Theater sowie viele Gastspiele und Fernsehübertragungen des Theaters im NDR
Große Bleichen 23 – 27 (Wirkungsstätte, Ohnsorg-Theater 1922-2011)
Goldbekufer 19 (Wohnanschrift, vgl. z.B. Hamburger Adressbuch 1964, II, 1/1990)
Fuhlsbüttler Straße 756, Ohlsdorfer Friedhof Bm 58 (2164): Grabstätte
Hilde-Sicks-Weg, benannt Mai 2017
Als Hamborger Deern wurde Hilde Sicks in den 1920er Jahren geboren. Von Kindesbeinen auf hat sie das Hamburger Missingsch und Plattdütsch wohl förmlich mit der Muttermilch aufgesogen. Vor allem ihr Vater sei gerne ins Niederdeutsche verfallen, und die Familie besuchte Theaterabende der „Niederdeutschen Bühne“, die an wechselnden Spielstätten wie dem Bugenhagen-Saal in Barmbek, der „Schiller-Oper“ auf St. Pauli oder dem Hamburger Thalia-Theater gastierte.
Dennoch zeigten sich die Eltern wenig begeistert, als ihre Tochter den Wunsch äußerte, Schauspielerin zu werden. Also lernte Hilde Sicks etwas „Anständiges“ und schloss eine kaufmännische Lehre ab. Anschließend nahm sie heimlich Unterricht ab: Ab 1943 besuchte sie die private Schauspielschule, die Eduard Marks mit seiner Frau Annemarie Marks-Rocke in Eimsbüttel gegründet hatte.
Erst als Hilde Sicks verkündete, dass Richard Ohnsorg sie an seine „Niederdeutsche Bühne Hamburg“ engagiert habe, kehrte wieder familiärer Frieden ein. Die Idole ihrer Jugend waren Richard Ohnesorg, Heidi Kabel oder Aline Bußmann (1). Eine Gruppe literarisch Interessierter hatte 1902 im Restaurant Kersten am Gänsemarkt die „Dramatische Gesellschaft Hamburg“ ins Leben gerufen. Hauptinitiator war Dr. Richard Ohnsorg, Philologe, Bibliothekar an der Patriotischen Gesellschaft und Schauspieler. Er leitete die „Gesellschaft für dramatische Kunst“, später als „Niederdeutsche Bühne“ bekannt. 1909 hatte die Gesellschaft ihr erstes plattdeutsches Stück aufgeführt. 1922 erhielt sie eine erste feste Spielstätte: das Wandsbeker Stadttheater, ehemals Schloßstraße 45, war mit der Straßenbahn, obwohl damals noch außerhalb Hamburgs Stadtgrenzen gelegen, leicht zu erreichen. Zehn Jahre später wurde dort Heidi Kabel beim Vorsprechen „entdeckt“. 1936 konnte die Niederdeutsche Bühne das verwaiste ‚Kleine Lustspielhaus’ an den Großen Bleichen beziehen, wo bis 2011 das Ohnsorg-Theater zu Hause war. Auf dem Spielplan der dreißiger Jahre standen Stücke wie „Wenn de Hahn kreiht“ von August Hinrichs, „Stratenmusik“ und „Snieder Nörig“ von Paul Schurek sowie „Twee Kisten Rum“ von Alma Rogge. Stücke, die in den 1950er und 1960er Jahren wieder aufgenommen wurden und längst zu den Klassikern des Theaters zählen. Damit erfüllte sich die „Gesellschaft für dramatische Kunst“ ihren eigenen Anspruch. Weitab von den Possenspielen und Schwänken des 19. Jahrhunderts: „In ihrer Vorstellung sollte das neue niederdeutsche Theater gleichberechtigt neben dem hochdeutschen stehen.“ (2)
Schon am 6. Oktober 1945 stand Hilde Sicks mit 24 Jahren in dem Stück "De politische Kannengeter" von Paul Schurek das erste Mal auf der Niederdeutschen Bühne, dem späteren Ohnsorg-Theater. Erst Anfang Mai war Hamburg durch die Briten vom Nationalsozialismus befreit und der Zweite Weltkrieg beendet worden. Der Theaterbetrieb wurde allmählich wieder aufgenommen. Ganze sechs Sätze hatte Hilde Sicks in dem Stück zu sprechen. Damals konnte sie nicht wissen, dass sie bereits ein Jahr später in ihrer ersten Hauptrolle glänzen würde. Das Publikum war „von dem frischen Talent begeistert“ und so war „Hilde Sicks bald einer der Stars des Hauses“ (3). Seitdem „entzückte sie zumeist in Rollen, in denen sie sich ‚austoben konnte (...). Soubrettenrollen, die Tratschmäuler, die dominanten Ehefrauen, Weibsbilder mit Herz und Schnauze. Daß sie auch anders, ernster konnte, bewies sie in ‚Hannes und Martha’ zu ihrem 50jährigen Bühnenjubiläum. Die ‚Mutter Mews’, sagt sie, hätte sie gern gespielt und noch die eine oder andere tiefergehende Frauenfigur. Daß sie mit dem Gedanken gespielt hat, ans hochdeutsche Theater zu wechseln, räumt sie ein. ‚Ich habe aber damals das Gefühl gehabt, daß ich als Ohnsorg-Schauspielerin nicht ernst genommen werde. Es herrschte doch früher die Ansicht, dort spielten nur Laien.’"(4)
Nach der Währungsreform, mitten im Wiederaufbau und mit der Einführung des Schwarz-Weiß-Fernsehens hatte man sie am 13. März 1954 schon in der ersten TV-Übertragung aus dem Ohnsorg-Theater in Seine Majestät Gustav Krause neben Walter Scherau, Heidi Kabel und Otto Lüthje auf dem Bildschirm. Auch später wirkte sie in zahlreichen Fernsehproduktionen mit, wie z. B. in den Fernsehserien Hafenpolizei mit Lothar Grützner (1964) und Hafenkrankenhaus mit Anneli Granget (1968) in der Hauptrolle oder im selben Jahr als Mrs. Weber in Otto und die nackte Welle mit Otto Lüthje, Heidi Kabel, Henry Vahl, Heidi Mahler, Erwin Wirschaz, Heini Kaufeld, Ernst Grabbe und Heinz Lanker. Besonders beliebt waren ihre Rollen als Wirtin in der NDR-Fernsehserie Haifischbar an der Seite ihrer Ohnsorg-Kollegen Ernst Grabbe und Günter Lüdke und als Oma Anni in der Fernseh-Comedy Die Ohnsorgs (NDR 1996-1999, die 45-minütigen Folgen wurden vor Publikum im Ohnsorg-Theater aufgezeichnet).
Für die meisten Darstellerinnen und Schauspieler war die Theaterbühne längst zum Hauptberuf geworden. Neben ihrer Arbeit für Ohnsorg konnten sie sich bei der „Niederdeutschen Funkbühne, dem Rundfunk in Hamburg, etwas hinzu verdienen“ und ein eher sicheres Einkommen erzielen (vgl. hierzu Anm. 2, pdf „Richard Ohnsorg, S.3).
Außerhalb Hamburgs spielte sich die erste Begegnung mit den unverwechselbaren Stimmen der Ohnsorg-Stars über den Schulfunk ein: Am 11. November 1955 startete die Hamburger Schulfunkreihe „Neues aus Waldhagen“. Die in den drei Jahrzehnten zwischen 1955 und 1985 ausgestrahlte Sendereihe wurde für Generationen zu einer der bekanntesten Programm-Marken in der Geschichte des Norddeutschen Rundfunks NDR – und gilt heute als Radio-Kult. In über 300 Folgen spielten sich die Bewohnerinnen und Bewohner eines Modelldorfes – gedacht in der Nähe von Schwarzenbek – in die Herzen und in das Stimmen-Gedächtnis des damals noch vorwiegend und konzentriert Radio hörenden Publikums. Es waren Geschichten aus einer kleinen überschaubaren Welt, nichts anderes als ein vereinfachtes Abbild des Alltags. In einer fiktiven, überschaubaren Gesellschaft mit deutlich konturierten Charakteren entstanden Konflikte, die jeweils mit einem augenzwinkernden Kompromiss gelöst wurden. „So schuf sich die langlebige Reihe über all die Jahre in Klassenzimmern und an den heimischen Geräten ein treues Publikum. Kinder wurden zum Nachdenken über die Waldhagener Probleme angeregt, Erwachsene ließen sich bereitwillig in den Bann der amüsanten Alltagsgeschichten ziehen. (...) Dabei waren von Beginn an die Sprecherrollen hervorragend besetzt. Allen voran mit Heinz Reincke, der dem Erzähler über 30 Jahre hinweg seine sympathische norddeutsche Stimme lieh. (...) Ein großes Gespür für die norddeutsch gefärbten Charaktere zeigten aber auch die weiteren Sprecher: Heidi Kabel als Emma Piepenbrink, Rudolf Beiswanger als Paul Piepenbrink, Otto Lüthje als Dorfschuster Emil Ziesemann und Aline Bußmann als Käthe Ziesemann, Henry Vahl als Opa Negenborn und Ernst Grabbe als Schnack, der Krämer, Heinz Lanker und Hilde Sicks als Herr und Frau Grothe sowie Karl-Heinz Kreienbaum als Landarzt Dr. Kraus und Carl Voscherau als Bürgermeister Kienappel. Die Sprecherinnen und Sprecher waren vielfach dem Ensemble des Hamburger Ohnsorg-Theaters eng verbunden." [5] Zwischen 1946 und 2002 erklang die besondere Stimme von Hilde Sicks in zahllosen Hörspielen, produziert in der legendären Hörspiel-Redaktion des Norddeutschen Rundfunks NWDR/NDR. [6]
1977 gab Hilde Sicks ein Gastspiel am Volkstheater Frankfurt, gegründet 1971 von Liesel Christ. Ähnlich wie beim Ohnsorg-Theater, so spannte sich auch dessen Repertoire von Goethes „Urfaust“ über beliebte Stücke des traditionellen lokalen Mundarttheaters hin zu zeitgenössischen, sozialkritischen Werken [7]. In einer Inszenierung des Schwanks Alt-Frankfurt (von Friedrich Stoltze) verkörperte Hilde Sicks die zweite Hauptrolle, nämlich die der Gattin des Firmeninhabers, Euphrosine Muffel. Sie ist die einzige Person des Stückes, die nicht Frankfurter Dialekt spricht, sondern hochdeutsch. Diese Produktion wurde vom Hessischen Rundfunk für das Fernsehen aufgezeichnet.
Für ihre künstlerischen Verdienste um die Stadt Hamburg ehrte der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg die prominente Volksschauspielerin Hilde Sicks am 7. Januar 2001 zu ihrem 80. Geburtstag mit der Biermann-Ratjen-Medaille. Diese Auszeichnung wurde ihr nach der Premiere der Uraufführung „eenmol Camping, jümmer Camping“ (von Bodo Schirmer) zuteil, in der sie in der Hauptrolle der resoluten Besitzerin des Campingplatzes ihren trockenen Humor und ihre Schlagfertigkeit einmal mehr zum Glänzen bringen brachte [1] + [8].
Bis dahin hatte sie an die 250 Rollen gegeben: „Menschen mit Herz und Schnauze, Menschen, die auch mal schön biestig sein durften“, solche Charakterrollen waren ihr immer die liebsten. „Aus Liebe zur Sache, aus Freude am Plattdeutschen“ sei sie „ihrem“ Haus treu geblieben. Langweilig, sagte sie, wars nie. „Die Rollen sind mit zunehmendem Alter immer interessanter geworden’.“ [1]. So wurde sie auch zum dienstältesten aktiven Ensemblemitglied. In dem Stück De Queen von Quekenbüttel konnte sie im Februar 2006 mit 85 Jahren ihr 60. Bühnenjubiläum am Ohnsorg-Theater feiern. Da plagten sie bereits Beschwerden mit den Stimmbändern [4]. Drei Monate später stand sie zum letzten Mal auf der Bühne.
Den Abschied des Theaters von den Großen Bleichen im Jahre 2011 hat sie nicht mehr erlebt. Ende Juli 2007 starb Hilde Sicks im Alter von 86 Jahren nach langer schwerer Krankheit in Hamburg und wurde auf dem Friedhof Ohlsdorf beigesetzt. Eine schlichte Grabplatte markiert die Urnengrabstätte [9]. Im Mai 2017 beschloss der Hamburger Senat die Benennung eines Verbindungswegs zwischen der Ifflandstraße und dem Mühlendamm im Stadtteil Hohenfelde in Hilde-Sicks-Weg [10].
Text: Dr. Cornelia Göksu