Biografien-Datenbank: Frauen aus Hamburg

Höhere Töchterschule Dr. Loewenberg Höhere Töchterschule Dr. Loewenberg (jüd-orthodox)

Johnsallee 33 (ehemals)


Am Wohnhaus Johnsallee 33 befindet sich eine Gedenktafel, die an diese Schule erinnert. Folgende Lehrerinnen dieser Schule wurden während der Zeit des Nationalsozialismus deportiert und ermordet:
Elisabeth Kassel (28.9.1891, am 11.7.1942 deportiert nach Auschwitz), Lehrerin
Rosa Löwy (29.9.1888, emigrierte 1938 nach Belgien, umgekommen), Lehrerin
Elsbeth Platz (17.31884, am 6.12.1941 deportiert nach Riga), Lehrerin

Über Elisabeth Kassel gibt es ein Portrait, welches in der Datenbank www.stolpersteine-hamburg.de nachzulesen ist. Für sie liegt ein Stolperstein vor ihrem Wohnhaus in der Grindelallee 21/23.
Pia Hilger hat das Portrait verfasst, welches hier wiedergegeben wird: „Die ausgebildete Lehrerin Elisabeth Kassel war – wie es die Standesregeln für weibliche Lehrer forderten - ledig und kinderlos. Sie lebte zuletzt mit ihrer jüngeren Schwester Margarethe in der Grindelallee 21/23 zusammen. Dorthin mussten die Schwestern am 8. November 1941 ziehen.
Margarethe Kassel, geb. am 9.4.1893, hatte ebenfalls ein Lehrerinnenseminar besucht und eine Ausbildung als Hauswirtschaftslehrerin absolviert. Als die Schwestern in die Grindelallee zogen, arbeitete sie nicht, sondern führte ihrer Schwester den Haushalt.
Die Frauen besaßen Vermögen, das zum Teil aus der Erbschaft von ihrer Mutter stammte. Während der NS-Zeit stellte die Behörde des Oberfinanzpräsidenten dies unter Sicherungsanordnung. Das heißt, die Besitzerinnen durften nicht mehr frei über ihr eigenes Geld verfügen. Generell begründet wurde diese Maßnahme damit, dass der Verdacht bestünde, Juden wollten auswandern und ihr Vermögen ins Ausland verschieben. Auf Elisabeth Kassel traf dies zu, sie hatte tatsächlich vor auszuwandern und besuchte bereits einen Spanischsprachkurs zu diesem Zweck.
Verfügungen von solchen gesperrten (gesicherten) Konten durften nur mit Genehmigung des Oberfinanzpräsidenten erfolgen. Während der Staat Steuern und Abgaben direkt abbuchen konnte, mussten die betroffenen Juden ihre regelmäßigen Kosten für den Lebensunterhalt detailliert nachweisen und sich eine monatliche Pauschalsumme bewilligen lassen. Sonderausgaben – wie sie im Falle von Elisabeth Kassel durch den angeordneten Umzug in die Grindelallee entstanden - mussten extra beantragt werden. Die Beamten bewilligten der Lehrerin, die ihre Schwester unterhielt, eine monatliche Verfügung über 350 RM. ‚Meine Schwester führt unseren Haushalt, erhält aber dafür kein Gehalt noch sonstige Einnahmen. Als Entgelt bestreite ich sämtliche Ausgaben für uns beide gemeinsam von meinen Einnahmen. Da ich mich meiner Schwester gegenüber moralisch verpflichtet fühle, für ihren Haushalt standesgemäß und vollkommen zu sorgen, sie mir als Gegenwert ihre ganze Arbeitskraft und Zeit gibt‘, so machte Elisabeth Kassel ihre finanzielle Notlage deutlich.
Jahre zuvor war Elisabeth Kassel als Lehrerin im Zuge des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums aus dem Staatsdienst entlassen worden. Sie erhielt eine Rente von etwa 135 RM. Seit dem 1. Januar 1936 unterrichtete sie in der Israelitischen Töchterschule elf Stunden in der Woche und verdiente damit weitere 226 RM. Zwar hatte sie dadurch wieder (Teilzeit)Arbeit und ein Einkommen, teilte jedoch auch das Schicksal der jüdischen Kollegen, beispielsweise als das gesamte Kollegium in der Reichspogromnacht im November 1938 inhaftiert wurde.
Die Mädchenschule, an der Elisabeth Kassel lehrte, wurde im April 1939 mit der Talmud Tora Schule zusammengelegt, im Gebäude am Grindelhof unterrichteten die Lehrer fortan koedukativ. Ab dem 15. November 1938 durften jüdische Kinder keine öffentlichen Schulen mehr besuchen, was zur Folge hatte, dass sich die Schule mit konfessionslosen oder christlichen Kindern füllte, die nach den Kriterien der Nürnberger Gesetze wegen ihrer Abstammung als jüdisch galten. Die Schulleitung entschied, all diese Kinder aufzunehmen und auf Wunsch vom Religionsunterricht zu befreien. 1940 wurde in der inzwischen letzten Schule für Juden in Hamburg das letzte Mal die Reifeprüfung von zwei Schülern durchgeführt – sie bestanden. Elisabeth Kassel selbst unterrichtete dort bis zum Dezember 1941, wurde danach in einem jüdischen Altenheim eingesetzt. Sie hatte bereits im November 1941 befürchtet, dass sie und ihre Schwester deportiert würden. Deshalb beantragte sie jeweils 300 RM für sich und ihre Schwester, damit sie Anschaffungen für die ‚Evakuierung‘ machen und Reisegeld mitnehmen könnten. Wie viele Juden erwarteten wohl auch die Schwestern aufgrund der euphemistischen Betitlung ‚Evakuierung‘ eine Ansiedlung in östlichen Gebieten und bereiteten sich auf ihr ‚neues Zuhause‘ mit entsprechenden Einkäufen (wie warme Winterkleidung u.a.) vor. Umso schockierter waren sie bei der Ankunft im Ghetto.
Am 11. Juli 1942 wurden Elisabeth und Margarethe Kassel dann tatsächlich nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.
Über das Schicksal der anderen Familienmitglieder - die Lehrerin hatte immerhin sechs Geschwister - kann nur gemutmaßt werden. Ihr Vater besaß eine Firma, in der auch ihre beiden älteren Brüder Reinold (*04.07.1885) und Walter (*05.07.1882) arbeiteten. Letzterer wurde am 08. November nach Minsk deportiert und kam dort ums Leben. Reinhold hingegen heiratete die christliche Hertha Leutz (*13.04.1888). Sehr wahrscheinlich hat er in der Mischehe außerhalb Hamburgs überlebt. Ihre ältere Schwester Anita verzog nach ihrer Heirat ebenfalls, ihr Schicksal ist nicht bekannt. Auch ihre Schwester Rosa verzog, ist entweder frühzeitig emigriert oder hat anders überlebt. Ihr Bruder Ernst war bereits im ersten Weltkrieg gefallen.
Für Elisabeth wurde ein Stolperstein in der Grindelallee 21/23 gelegt, anonym gespendet. Ein weiterer für Margarethe wird folgen.
Text: Pia Hilger, aus: www.stolpersteine-hamburg.de