Biografien-Datenbank: Frauen aus Hamburg

Anna Andersch-Marcus Anna Andersch-Marcus, geb. Nagel

(29.5.1914 Kiel – 114.2005 Yeruham /Israel)
Malerin, Grafikerin, Kunsthandwerkerin
Kap-Horn-Weg 8 (Wohnadresse)


Geboren wurde Anna Nagel in Kiel als Tochter von „Anna Friederike Nagel, geb. Peters und Christian Henry Nagel. Dieser war der Sohn einer Französin – und Jude. Die Literaturwissenschaftlerin Brita Reimers schreibt über den Geburtsort, dass dieser eher ein zufälliger Geburtsort gewesen war, „denn die Familie wohnte in Hamburg, später in Mannheim und Karlsruhe.“[1] Über die familiäre Bindung von Anna Nagel äußert Brita Reimers: „Eine wesentlichere Rolle als die Eltern spielten die Großväter im Leben des jungen Mädchens. Schon während des I. Weltkrieges mit der Mutter oft bei deren Eltern in Kiel zu Gast, zog sie mit 16 Jahren endgültig zum Großvater nach Kiel. Er finanzierte ihr Studium an der Kieler Kunstgewerbeschule, sensibilisierte sie für politische Fragen und schärfte als Geologe, der seine Enkelin gerne als seine Nachfolgerin gesehen hätte, ihren Blick für die Topographie von Landschaften, was später für ihre Landschaftsmalerei sehr wichtig werden sollte. Auch der zweite Großvater, en Maler, der lange in Südfrankreich im Kreis von Impressionisten gelebt hatte, sah in der jungen Anna seine Erbin. Er übergab ihr, die Malerin werden wollte, seitdem sie denken konnte, seine Pinsel, Farben und Leinwände quasi als Vermächtnis und forderte sie auf, seine Bilder ‚zu Ende zu malen‘.“[2]

4056 Andersch Marcus
Anna Andersch Marcus, Quelle: The Israel Museum, Jerusalem

Die ‚Halbjüdin‘ „Anna Nagel beteiligte sich als Kunststudentin in Kiel, danach in Berlin, an Aktionen gegen den Nationalsozialismus, weigerte sich, in den NS-Studentenbund einzutreten, fiel wegen eines Vortrags über Demokratie auf und wurde 1935 mit einem Studien- und Arbeitsverbot belegt. Die SS konfiszierte 20 ihrer expressiven Holzschnitte und vernichtete sie, als ‚bolschewistische‘ Kunst Der Deutsche Künstlerbund schloss sie aus,“ so Maike Bruhns.[3] Der Historiker und Lehrer Ralph Busch (†) beschrieb Anna Andersch-Marcus‘ Lebensweg in seinem Aufsatz „Auch nach Finkenwerder habe er sich nicht getraut. Anmerkungen zum Novemberpogrom 1938 auf Hamburgs ‚Elbinsel‘ Finkenwerder“ außerdem wie folgt: „Dennoch konnte sie sich bis 1938 in Berlin mit Unterstützung von Freunden und anderen Künstlern mit Arbeitsaufträgen durchschlagen, unter anderem auch für die Organisation Todt und selbst für die SS, deren ‚Hausvisitation‘ sie andererseits bedrohten und einzuschüchtern versuchten.
Inzwischen hatte Anna [Nagel] die Bekanntschaft des Sohns von Finkenwerders ‚Dichterhelden‘ Johann Kinau (Gorch Fock) gemacht: Karl-Adolf Kinau (1910-19??) 1937 heirateten sie. Als Anna Kinau 1938 Berlin überstürzt verlassen musste, zog sie zu ihrem Mann nach Dessau, wo dieser als Maler und Bühnenbildner am Theater arbeitete. Im September 1939 bezog sie eine leere Wohnung im Kinau-Haus in Finkenwerder. 1939 und 1941 wurden die Kinder Anna und Jan geboren. Karl-Adolf Kinau wurde dann zum Kriegsdienst einberufen, in der Folgezeit brach die Ehe auseinander.
Als verfemte Künstlerin, als NS-Gegnerin und ‚Halbjüdin‘ war Anna Kinau dreifach gefährdet. Lebensbedrohlich wurde ihre Lage im weiteren Verlauf des Jahres, wie Maike Bruhns ermittelte: ‚1941 kam ihre Akte mit der Auflistung ihrer anti-nazistischen Studentenaktivitäten von Berlin nach Finkenwerder, worauf sie von Familie Kinau im Dezember 1941 mit ihren Kindern auf die Straße gesetzt wurde. Sie bezog dann eine primitive Notwohnung, lebte unter Polizeiaufsicht und durfte Finkenwerder nicht verlassen. Dass sie sich dennoch einleben konnte, verdankte sie den Fischern, die sie vor Übergriffen schützten, indem sie sie als verrückte Künstlerin ausgaben und tolerierten.‘[4]
Die weitere Zeit bis zur Befreiung im Mai 1945 erlebte Anna Kinau nach der Darstellung von Maike Bruhns folgendermaßen: ‚Nach den Bombardierungen (in Finkenwerder ab 1940) wurde sie zu Aufräumarbeiten und zum Feuerlöschen verpflichtet, gemeinsam mit russischen Kriegsgefangenen, die in Finkenwerder Lagern hausten. 1943 verbrannten ihre in Hasselbrook deponierten Möbel, Haushaltsgegenstände und Bilder. Das ererbte Geld wurde konfisziert, ihre Papiere verschwanden. Bei Kriegsende stand sie vor dem Nichts.‘“[5]
1949 ging Anna Kinau eine zweite Ehe mit dem Graphiker M. Andersch ein. „1950 Geburt des Sohnes. Über den Schwager Alfred Andersch Kontakt zur 'Gruppe 47'. Fortsetzung des Studiums der Kunstgeschichte. Beitritt zur Gedok."[6]
Brita Reimers schreibt über den weiteren Berufsweg der Künstlerin: „In ihrer eigenen Arbeit konzentrierte sich die Künstlerin zunächst aufs Drucken. Zusammen mit Johannes Schulz, der die Klasse für Buchdruck und Schriftsatz geleitet hatte, räumte sie die vollkommen verwüstete Druckerei in der Landeskunstschule auf und arbeitete, bald auch für Kollegen wie die Povorina und Gerhard Marcks. Als Richard von Sichowsky kam, musste sie gehen. Dass sie weiterarbeiten konnte, verdankte sie der Offizin Hartung, die ihr nach Feierabend ihre Werkstatt zur Verfügung stellte und später sogar eine große Holzschnittpresse in Finkenwerder aufbaute. (…) Während sie spätabends bei hartung druckte, arbeitete sie tagsüber für die britische Besatzungsmacht. Sie beschriftete die Entwürfe der Architektenarbeitsgemeinschaft Grindelberg, für die die Engländer die Grindelhochhäuser baute. Durch die Zusammenarbeit mit den Architekten eröffnete sich für Anna Andersch ein neues Betätigungsfeld, in dem sie ihre starke und vielseitige Kreativität entfalten konnte.“![7]
Anna Andersch begann nun Bildglasfenster zu gestalten. So fertigte sie In den 50er und 60er Jahren des 20. Jhds. gestaltete sie Bildglasfenster für Hamburger Kirchen, so für die Heiligengeistkirche in Hamburg Barmbek und die St. Nikolai-Kirche in Finkenwerder.
„Neben der Tätigkeit für Architekten entwarf Anna Andersch in den 50er Jahren Bühnenbilder für die sehr engagierte ‚Junge Bühne‘ in Hamburg und nähte Kostüme. Sie arbeitete für Axel Springer, Rowohlt und andere Verlage als Zeitungs- und Buchillustratorin und gestaltete Bucheinbände. (…) 1954 begann ihre 14jährige Tätigkeit für die Esso, eine Arbeit, die ihr viel Spaß machte und ihr künstlerisches Selbstverständnis in keiner Weise tangierte. (…) Die Malerei hat Anna Andersch trotz der vielseitigen anderen künstlerischen Aufgabe nie vernachlässigt. Nach dem Krieg widmete sie sich ganz der Ölmalerei. Später kam die Gouachemalerei hinzu.“[8]
1969 wanderte Anna Andersch nach Israel aus. Dort heiratete sie 1970 mit Shlomo Marcus. „Als Beweis für die Möglichkeit fruchtbaren Zusammenlebens wohnten sie unter der arabischen Bevölkerung am Ölberg. Doch Brandstiftung und tätliche Angriffe setzten der Utopie 1988 ein Ende. Seitdem lebt das Ehepaar in Yeruham im Negev.
In Israel konzentrierte sich die Künstlerin auf die Fortsetzung ihrer liebsten Ausdrucksformen – Glasarbeiten und Malerei. Sie schuf Glaswände und Kirchenfenster für Synagogen und Kirchen. Eine ihrer größten und schönsten Arbeiten sind die 29 Fenster für die evangelische Erlöserkirche in Jerusalem (…).“[9]
"Vielseitige künstlerische Arbeit. Expressive Landschaftsaquarelle neben früher Konzentration auf graph. Techniken (Holzschnitte). (...) Ihre Doppelbegabung für Kunst und Technik kam bei der Entwicklung der Stiftmosaike für Applikationen auf eine Backsteinwand zum Tragen. Gestaltung einfacher Motive, Experimente mit Glasverarbeitung im Sandwichverfahren, das das konventionelle Verbindungsmittel Blei ersetzt. (...) In den 1950er-Jahren Bühnenbilder für die 'Junge Bühne'. Gestaltung von Bucheinbänden für den Springer- und Rowohlt-Verlag. Ab 1954 Illustrationen für das Esso-Magazin und Werbungsentwürfe für Raffinerien. In Israel Fortsetzung der Beschäftigung mit baubezogener Kunst, Entwürfe für Glaswände und Fenster für Synagogen und Kirchen mit kirchl. Motiven in abstrakten Formen." [5]
Text zusammengestellt von Rita Bake