Biografien-Datenbank: Frauen aus Hamburg

Marie Glinzer Marie Glinzer, geb. Hartner

(3.12.1843 - 6.12.1921)
Lehrerin, Leiterin der von Emilie Wüstenfeld gegründeten Gewerbeschule für Mädchen
Großer Burstah 12/16 (Wirkungsstätte)
Garten der Frauen, Ohlsdorfer Friedhof, Fuhlsbüttler Straße 756 (historischer Grabstein)
Siehe auch: Christel Grimme (Christel-Grimme-Stiftung)


4217 Marie Glinzer2
Marie Glinzer, Foto: privat

„Meine Mutter Marie Glinzer, geb. Hartner, ist am 3. Dezember 1843 im Neuen Steinweg in Hamburg geboren. Es war ein Fachwerkhaus; steile, schmale Treppen führten zum 5. Stock, in dem meine Großeltern wohnten,“ schrieb Hanna Glinzer (siehe Portrait) 1943 in ihren Aufzeichnungen, die sie anlässlich des 100. Geburtstages ihrer Mutter Marie Hartner, verheiratete Glinzer, verfasste.
„Ihr Vater Wilhelm Hartner wurde 1819 geboren und lebte bis 1856; in diesem Jahr starb er 37-jährig an der Schwindsucht. Er war ein mittelgroßer Mann mit dunkelbraunem dichten Haupthaar und dunklen Augen; er trug einen Spitzbart. Ernst und streng war er; 1848 erlebte er als Demokrat lebhaft mit. Er war Steinmetz, Parlier, in dem großen Geschäft am Sirgerplatz,“ so Hanna Glinzer weiter.
„Meine Mutter erzählte gern, wie sie sich nie als ‚arme Leute’ vorgekommen seien. Sie hätten genug gehabt, ihre Mutter hätte nicht mitzuverdienen brauchen, sondern hätte alles gut zusammengehalten. Ihr Vater hätte immer auf ein gewisses Ansehen gehalten und nicht geduldet, dass sie sich mit gewöhnlichen Kindern herumtrieben. Er hätte seine Kinder früh in die Schule geschickt und hätte sie zu Hause streng gehalten.
Nach einem kurzen Schulbesuch in der Düsternstraße kam meine Mutter in einen der Kurse des ‚Frauenvereins zur Unterstützung der Armenpflege’, was für ihren späteren Lebensweg von großer Bedeutung war. Diese Kurse waren auch anderen Kindern zugänglich, deren Eltern nicht vom Frauenverein unterstützt wurden. Die freie Weltanschauung, in der sie geführt wurden, mag meinen Großvater dazu bestimmt haben, seine Marie dorthin zu bringen.
Als sich die böse Berufskrankheit bei meinem Großvater zeigte, veränderten sich die bis dahin so regelmäßigen und geordneten Verhältnisse. Nun war Hilfe nötig; und da meine Mutter durch ihre Begabung und durch ihre gute Erziehung und ihren Fleiß den leitenden Frauen des Vereins, Charlotte Paulsen und Emilie Wüstenfeld, aufgefallen war, ließ Frau Wüstenfeld sie nach der Schule zu sich kommen, damit sie ihrer einzigen Tochter Marie Gesellschaft leiste. Nach einiger Zeit nahm sie sie ganz zu sich, und nach ihres Vaters Tode blieb Marie Hartner dauernd im Wüstenfeldschen Hause und gehörte dort mit zur Familie.
Der Tod des Vaters traf sie sehr schwer; sie hat ihn sehr geliebt, ihn innig betrauert. Er war ihr stets gegenwärtig, sie verehrte ihn als das Muster der Rechtschaffenheit und Tüchtigkeit. Sie hat es nie verwunden, dass ihre Mutter sich mit ihrem gleichfalls verwitweten Schwager, dem Zimmermann Eduard Harms, wieder verheiratete. Sie hat den zweiten Mann ihrer Mutter nie Vater genannt, sondern blieb bei der gewohnten Anrede Onkel. Gerechterweise muss man zugeben, dass meine Großmutter durch diese Ehe ihren unversorgten Kindern und sich eine neue Heimat gab und zugleich den verwaisten Kindern der Schwester die neue Mutter. Harms war ein tüchtiger und gesuchter Handwerker und ein guter Mann und Vater.
Meine Mutter blieb ihrer Familie stets treu. Sie fühlte sich verantwortlich für das Fortkommen ihrer Geschwister, sparte für sie und versuchte, die Brüder zum Weiterstreben anzufeuern.
Aber wenn meine Mutter auch für die Ihrigen sorgte und sie zu sich heranzog, sie baute sich ihr Leben fortan auf ganz anderen Grundlagen auf und erfüllte sich mit ganz anderen Inhalten.
Die geistige Persönlichkeit unserer Mutter wurde unzweifelhaft auf das Stärkste von Emilie Wüstenfeld beeinflusst. Ohne Bruch, wie eine Fortsetzung und Erweiterung ihrer vorhandenen Anlagen setzte nun eine Entwicklung ein, die sie als im Sinne ihres Vaters empfand und die sie deshalb innerlich bejahte. Kritisch freilich war sie so manchem gegenüber, was sie neu kennen lernte; auch hatte sie ein starkes Streben nach Selbstständigkeit; wenn man ihr sagte, wie dankbar sie sein müsste, dass so viel für sie getan würde, bäumte sich ein Trotz in ihr auf.
Ihr ganzes Leben hat sie den Ideen Emilie Wüstenfelds gedient und hat ihren Dank heilig gehalten und durch die Tat bewiesen. Aber ein bloßes Wort zu sagen oder mit Unterwürfigkeit oder Schöntun sich klein zu machen, davon war sie weit entfernt. Ihre Natur hatte etwas Herbes, Schweres, und schon in ihren jungen Jahren muss sie wohl in manchem entscheidenden Augenblick zu stolz und abweisend gewesen sein.
Meine Mutter war klein und zierlich, die regelmäßigen Gesichtszüge waren von feinem Schnitt, die braunen Augen blickten lebhaft und damals, in den jungen Jahren, oft voll Übermut. Ihre Haut war damals gebräunt. ‚Tatermariken’ war sie oft genannt worden. Neben der 1½ Jahre älteren, schon weltklugen Marie Wüstenfeld war sie das ‚Lüttje’. ‚Lüttjes, lauf mal zu ‚Madame Paulsen’ und sie ging nach dem Holländischen Brook und machte bei Großmutter Paulsen ihre Bestellung. ‚Lüttjes, bring das mal zu meiner Schwester’ und sie lief nach dem großen Burstah zu Madame Kortmann, die ihr von vornherein eine mütterliche Freundin war. Deren Kinder Willi und Marie (Mimi genannt) [siehe Portrait: Marie Kortmann] waren Mutters gute Freunde.
Dazu kam Bertha Raf, die mit Marie Wüstenfeld und unserer Mutter zusammen in einem Kursus unterrichtet wurde. Deutsch und Geschichte gab ihnen der berühmte Pädagoge Dr. Anton Rée, ein geistvoller und jeden sozialen Fortschritt unterstützender Mann.
Ihre Ansichten über Religion als notwendige Bindung des Menschen, über Konfession als nutzlosen und irreführenden Ballast waren wohl in Emilie Wüstenfelds und Dr. Rées Anschauungen gegründet.
Dr. Rée war auch der Erzieher Anna Wohlwills [siehe Portrait: Anna Wohlwill, Vorgängerin Hanna Glinzers im Paulsenstift]; im Vorstand des Paulsenstifts und seiner Schule war er ihr Vorbild und Berater; dasselbe war er für meine Mutter in ihrer Arbeit an der Mädchengewerbeschule.
Im Winter wohnten Wüstenfelds in der Stadt, Alsterarkaden 13, mit dem schönen großen Balkon vor den nach der Kleinen Alster und dem Rathausmarkt gehenden vier Fenstern. Die hinteren Räume gingen nach dem engen Hof des Neuen Wall. Frau Wüstenfelds Mitarbeiter und -innen wohnten auch noch in der inneren Stadt. Man war schnell beieinander. Botschaften waren schnell hin und her getragen, täglich war Frau Wüstenfeld für sie und ihre Hilfesuchenden zu sprechen. Man regte sich gegenseitig an den offenen Abenden an, wo eine auserlesene Gesellschaft bei Emilie Wüstenfeld zusammenkam. Durchreisende Berühmtheiten verpassten diese Zusammenkünfte nicht. An materiellen Genüssen gab es nur das Allereinfachste, aber die Juristen, Kaufleute, Pädagogen, Schriftsteller, Senatoren, die sich hier mit den sozial arbeitenden Frauen trafen, hatten stets Wissenswertes zu sagen, und alle waren von tätigem Streben für Hamburgs Wohlergehen durchdrungen. Die Seele dieser Unternehmungen war Emilie Wüstenfeld; ihr zupackendes Wesen erfasste den Plan einer Hochschule, einer allgemein und einer gewerblich bildenden Schule für Mädchen und Frauen. Gegen alle Schwierigkeiten, die in der reaktionären Gesinnung der Senatsführungen jener Jahre begründet lagen, setzte sie sich durch.
Die beiden Marien, Kinder noch, saßen unter dem Schreibtisch, weil kein Platz in den nicht großen Räumen war; oder sie hockten irgendwo und hörten und sahen zu. In der eigenen Tochter fanden die humanitären Gedanken wohl Widerhall, aber nicht die begeisterte Nachfolge. Lüttjes aber sog sich voll davon und beschloss, sich für den Beruf der Volkserzieherin auszubilden und diesen Ideen zu dienen.
Im Frühjahr ging es hinaus auf den Hammer Deich. Da, den Ausschläger Weg entlang zwischen weiten Wiesen, über Brücken, immer den Graben neben sich, der die nassen, niedrigen Marschländereien entwässerte, kam man schließlich an die Ecke, wo links der große Garten mit dem schlichten Landhause lag, wo Campe seinen Robinson geschrieben hatte. Dort war man dicht an der Bille. Ein niedriger Deich schützte vor ihren Überschwemmungen.
Frau Wüstenfeld pflegte auf dem Deich immer irgend jemand heraus. In den vierziger und ersten fünfziger Jahren hatte sie dort auch politische Flüchtlinge verborgen. Noch als meine Mutter bei Wüstenfelds lebte, musste sie über manchen Gast schweigen, was sie gut konnte. Man kam aus dem Dänischen, von Altona her, zu Besuch. Oder man kam aus Preußen, um in Hamburg die Gelegenheit abzuwarten, zu Schiff nach England oder Amerika zu entweichen. Gegen Reaktion und bürokratische Enge, für Freiheit und menschenfordernde Regsamkeit lebte und strebte alles, was mit dem Wüstenfeldschen Kreis zu tun hatte.
Mit sechzehn Jahren sollte Mutter nun ihre Ausbildung zur Erzieherin beginnen. Ade die herrlichen Stunden, bei Dr. Rée, ade trautes Beieinander mit Bertha Raf. Während Marie Wüstenfeld in eine Pension in der französischen Schweiz geschickt wurde, sollte meine Mutter bei Bertha Ronge (siehe Portraits: Antonie Traun und Margarethe Meyer Schurz) in London einen Fröbelschen Kindergarten kennen lernen, dort in die Arbeit eingeführt werden und sich dann eine Stelle suchen. So fuhr sie 1860 mutig mit einem kleinen Dampfer hinüber, ganz erwärmt von der Freude, Bertha Ronge wiederzusehen und ihr nahe sein zu dürfen. Sie wurde enttäuscht, sie vermißte mütterliche Teilnahme, fühlte sich fremd.
Der Aufenthalt bei Ronges dauerte nicht lange. Mutter nahm eine Stellung bei fünf Kindern einer englischen Familie an, wo sie als German Governess mit ihren eben sechzehn Jahren keinen leichten Stand hatte.
Sehr bald aber kümmerten Kinkels und Malwida von Meysenbug 2) (Freundin von Frau Wüstenfeld) sich um sie. Malwida fand Gefallen an ihr. Malwida übernahm damals (1861) die Erziehung der jüngsten Tochter Alexander Herzens, des großen russischen Revolutionärs. Olga war neun Jahre alt, ein wunderhübsches, kluges Mädchen. Durch den frühen Tod der Mutter verwaist, war sie durch Frau Ogarew (Frau des Freundes Alexander Herzens und seine Geliebte) nicht gut beeinflusst und vor allem maßlos verwöhnt worden.
Malwida engagierte Mutter als Hilfe für die Erziehung des Kindes, da sie bei ihren schriftstellerischen Arbeiten und ihrem oft an Augen- und kopfweh leidendem Zustand nur die Oberleitung haben konnte. Mutter hatte ihre liebe Not mit Olgas stets wechselnden Einfällen und Unarten. Sie liebten sich aber doch.
Nun, etwa ein Jahr lang teilte Mutter das Leben dieser russischen Emigrantenfamilie. Was sie sah und hörte, war bunt und bedeutend. Die russische Kolonie in London lebte ein flottes, leichtes, geistig stark bewegtes und sittlich etwas lockeres Leben. Man lebte auf großem Fuß, man hatte Koch und Kutscher, Kammerdiener und Kammerzofe. Man verbrachte den Winter in Paris und den Sommer in Bournemouth an der englischen Südküste. Domizil war London.
Als sie 1862 ihren Wohnsitz nach Florenz verlegte, sorgte Malwida von Meysenbug dafür, dass meine Mutter als Governess in die Familie Pauer kam. Ernst Pauer war ein geachteter Pianist, ausübender Künstler und Lehrer, ein Wiener. Seine Frau Ernestine, geb. Andeae, stammte aus Frankfurt. Pauers hatten vier Töchter. Tina, damals neun Jahre alt, Clara, Cecil und Conny. Ein Sohn, Max, später Professor an der Musikhochschule in Stuttgart, wurde nach Mutters Fortgang geboren. Tina litt an einer skrophulösen Erkrankung der Augen, die dem Kinde viele Entbehrungen auferlegte. Lange musste sie im Dunkeln liegen, und Mutter las ihr vor.
Tina schloss sich sehr an Mutter an. Sie konnte der Augen wegen damals die Schule nicht besuchen und war auf Hausunterricht angewiesen. Mutter war also hauptsächlich für Tina da.
Unsere Mutter hat gute Jahre in diesem kerndeutschen Hause inmitten der englischen Umgebung verlebt. Deutsche und englische Freunde verkehrten im Hause. Ernst Pauer war ein freudiger und freundlicher Mann. Mutter schilderte das Familienleben als ausgeglichen und friedlich-froh. Frau Pauer war eine gute Hausfrau und eine verständnisvolle Mutter; es gab Meinungsverschiedenheiten über den Grad der Strenge und Konsequenz, der Kindern zuträglich war – unsere Mutter war spartanisch-römisch-puritanisch unbeugsam in ihren Anforderungen an den Willen. Aber das trübte die gute Freundschaft nicht, die Frau Pauer der blutjungen Governess entgegenbrachte. Sie wusste wohl, was sie an ihrer Marie Hartner hatte.
Einmal in den fast vier Jahren hatte Mutter Heimaturlaub, wie ich glaube, 1863. Ich meine mich zu erinnern, dass aus den Briefen danach hervorging, dass Frau Wüstenfeld eine weitere Ausbildung gewerblicher Art, besonders im Zeichnen, für sie ins Auge gefasst hatte. Das genaue Datum von Mutters Rückkehr nach Hamburg wusste ich. Ich meine, es wäre Herbst 1864 gewesen. Sie wohnte eine Zeitlang bei Kortmanns, dann wieder bei Wüstenfelds, fand ihren alten Kreis erweitert und zum Teil verändert vor und begab sich sofort an ihre Ausbildung zur Zeichen- und gewerblichen Lehrerin.
Ihre Pflegeschwester Marie verlobte sich damals mit ihrem Vetter Julius Rittershausen. Im Mai 1865 oder 1867 heiratete sie.
Bei ihrer Rückkehr fand meine Mutter ihre Pflegemutter stark mit der Vorbereitung des Paulsenstifts beschäftigt. Zum Andenken der 1862 verstorbenen Freundin Charlotte Paulsen sollte ein Gebäude erstehen, das dem Frauenverein zur Unterstützung der Armenpflege und seinen Schöpfungen, der Bewahranstalt und der Schule die nötigen Räume geben sollte. Auch eine sogenannte ‚Industrieklasse’ sollte der Schule angegliedert werden. Der Senat bewilligte einen Platz an den Pumpen; eine Sammlung brachte die Bausumme zusammen; Frau Wüstenfeld machte den Grundriss. (siehe auch Portraits: Hanna Glinzer und Anna Wohlwill)
Bei all diesen Überlegungen und Arbeiten war der große Freundeskreis beteiligt. Der Anteil meiner Mutter war die Vorbereitung auf den Unterricht. Sie arbeitete unter der Leitung von Otto Jessen und Adolf Stuhlmann geometrisches Zeichnen und Muster entwerfen, unter Leitung von Emil Wohlwill Physik und Chemie, hatte Klavierunterricht, lernte Buchführung, Stoffkunde und Schneidern. Manche dieser Studien haben sie mit Anna Wohlwill zusammengeführt (spätere Leiterin des Paulsenstifts), die ihr zeitlebens eine nicht intime, aber doch treu verbundene Freundschaft bewahrte.
In allerlei Bedrängnis geriet das Herz Emil Wohlwills, der meine Mutter gern zur Frau gehabt hätte, da er damit aber keinen Erfolg hatte, sich seiner Luise zuwandte, mit der er eine ganz wunderschöne, glückliche und liebreiche Ehe geführt hat. Der andere Lehrer, Dr. Adolf Stuhlmann, fasste eine stärkere und leidenschaftlichere Zuneigung zu meiner Mutter. Aber auch er erhielt eine Absage.
Unsere Mutter weihte am 3. November 1866 das Paulsenstift mit ein und unterrichtete an der neuen Industrieklasse. Es war eine erfahrene Leiterin von auswärts bestellt, die aber verspätet kam und nicht warm wurde. So wurde meine Mutter 1867 mit der Leitung der Klasse betraut, die sich im dritten Stock des Hauses Burstah 12 oder 16 zur ‚Mädchen-Gewerbeschule’ entwickelte. Eine große Aufgabe, viel Arbeit – man schonte sich damals nicht – und hatte nicht die Mittel, es sich bequem zu machen. Die aufbauende Tätigkeit unter Führung Emilie Wüstenfelds war eine Lust. Die Schülerinnen, z. T. ehemalige Frauenvereins- und Paulsenstiftsschülerinnen, gingen strebsam mit; sie verehrten unsere strenge, aber gerechte Mutter sehr. Die gedruckten Berichte mit den Stundenplänen und der Beschreibung der Fachklassen zeigen das allmähliche Wachsen der Anstalt.
Schneidertische und Nähmaschinen waren die erste Ausrüstung. Hand- und Maschinennäherei, Wäsche und Kleiderzuschneiden und -anfertigen waren die ersten Arbeiten, Musterentwerfen und Zierhandarbeiten, alle Ausbesserungen, Waschen und Plätten traten hinzu. Zeichnen, Körperzeichnen, Zeichnen nach Pflanzenmodellen und nach der Natur, Malen, Porzellan und Holzmalerei, Lithographie wurden eingeführt. Die Anfangsgründe der Physik und Chemie, Deutsch, Rechnen und Elementargeometrie, Buchführung und Schreiben traten hinzu. Man arbeitete für Kunden.Mutters ganze Zeit gehörte der Schule. Erholung fand sie auf dem Hammer Deich.
Im Oktober 1865 erschien unter den vielen Besuchern des Hauses ein junger Kasselaner, Dr. Ernst Glinzer, draußen am Hammer Deich. Jessens hatten ihren Gast mitgebracht. Man war heiter vergnügt miteinander, man machte eine Bootsfahrt auf der lieblichen, noch ganz industrielosen Bille und man vergaß sich nicht ganz.
Zwei Jahre später, im Herbst 1867, kam Dr. Glinzer nach Hamburg, um dort zu bleiben. Er hatte eine Lehrerstellung bei Dr. Lange, gab außerdem einige Stunden an der Gewerbeschule für junge Leute und Privatstunden. Bald löste er Dr. Emil Wohlwill auch an der Mädchen-Gewerbeschule ab. Er hatte eine sehr anstrengende Tätigkeit, gab bis zu zehn Stunden täglich, aber hatte doch noch Zeit, bei Jessens, Wüstenfelds, Rittershausens vergnügte Stunden zu verleben und dort Marie Hartner zu treffen. Ernst Glinzer fügte sich mit jugendlicher Begeisterung in den Jessen/Wüstenfeldschen Kreis ein.
Er machte einen tiefen Eindruck auf meine Mutter. Seine wohlgebildete Gestalt, der vornehme Schnitt seines Gesichts, sein dichtes langes Haar, der leichte, beschwingte Gang, seine Munterkeit, dazu vor allem das gleichgerichtete Streben, die gleichen strengen Rechtsauffassungen machten ihn ihr immer lieber. Auch die religiösen Auffassungen stimmten zu einander. Mein Vater suchte den festen Halt des Familienlebens.
Die Erinnerung des ersten Zusammentreffens wachte wieder auf, und allmählich wuchs die Sicherheit des Entschlusses. Dieser stand fertig da, nachdem ein Brand im Hause der Gewerbeschule, wo Mutter auch wohnte, ihn die Angst um sie hatte fühlen lassen. Am 29.6.1869 waren sie zusammen auf dem Deich gewesen. Sie gingen, wie schon öfter, den langen Weg zusammen nach Hause – mein Vater wohnte Bohnenstr. 1, Ecke Hahntrapp, gegenüber der Gewerbeschule – und auf der Brücke der Ernst-Merck-Straße verlobten sie sich. Meine Mutter hatte ihm gesagt, wie verpflichtet sie sich den Ihrigen gegenüber fühle. Sie müsse einmal für ihre Mutter sorgen und habe auch vor, ihren Geschwistern zu helfen. Es bestimmte ihn nur noch mehr in seiner Hochachtung.
Das Brautpaar machte sich bereit, in den großen Ferien zusammen nach Kassel zu fahren. Mutter gefiel meinem Großvater und ihren Schwägerinnen ausgezeichnet. Alles schien glatt geordnet. Die Kasseler Schwestern erörterten schon die Reise nach Hamburg zur Hochzeit. Da erhob sich ein unglückseliger Zwist zwischen Vater und Sohn.
Die erste Wolke stieg auf, als Vater mitteilte, dass sie beide darin einig wären, sich nur standesamtlich trauen zu lassen. Mein Großvater bedauerte es, schrieb erregt über den Wert der kirchlichen Form, aber fand sich mit ihrer Nichtachtung ab, wenn das Brautpaar verspräche, die etwa zu erwartenden Kinder taufen zu lassen. In diesem Punkte werde er nicht nachgeben; er versage seine Einwilligung zur Heirat, wenn Vater ihm diese Forderung nicht erfülle. Mein Vater erklärte kategorisch, seine Kinder sollten nicht getauft werden, er wolle keine Halbheiten. Seine naturwissenschaftlichen Einsichten stünden im Widerspruch zum christlichen Dogma, auf das er sich nicht verpflichten könne. Er erwarte, dass sein Vater ihn gut genug kenne, um zu wissen, dass diese Stellungnahme zum christlichen Dogma seine Religiosität nicht berühren. Mein Großvater geriet in eine seiner fliegenden Erregungen, die ihn zu einer ruhigen Betrachtung der Lage unfähig machten. In der Sache selbst war sie mit Vater einig. Dieser wies seines Vaters Unterstellung, als handle er nur im Auftrage seiner Braut, weit zurück und vertrat sein Recht zur Entscheidung nach seinen eigenen Ansichten. Wenn sein Vater ihm kein Verständnis entgegenbringe, sei er gezwungen, sich von ihm loszusagen. In letzter Stunde lenkte sein Vater ein und ließ ihn durch Frau Wüstenfeld wissen, dass er die Angelegenheit auf sich beruhen lassen wolle. Diese erregte Zwistigkeit füllte den Monat Mai 1870.
Vater musste nach damaliger Vorschrift den Heiratskonsens seines Vaters vorbringen; nur wenn er Hamburger Bürger war, brauchte er ihn nicht. Frau Wüstenfeld bat Senator Versmann, Vaters Gesuch um Zuerkennung des Bürgerrechts ohne Innehaltung der vorgeschriebenen Frist zur Entscheidung zu bringen. Vaters Bürgereid wurde nach meiner Erinnerung am 1.6.1870 abgelegt. So war es erst in den allerletzten Tagen möglich, den 2.6.1870 als Tag der Eheschließung festzusetzen. Demgemäß wurde die Hochzeit in der allereinfachsten Weise durch ein Festessen auf dem Hammer Deich gefeiert. Meines Vaters Familie fehlte, ob Mutters Angehörige dabei waren, weiß ich nicht.
Die kurzen Pfingstferien verlebte das junge Paar in Plön. Und dann ging es in die beide stark in Anspruch nehmende Schularbeit.
Mit allerhöchstem persönlichen Einsatz wurde diese geleistet. Wir Kinder haben es nie anders gewusst, dass die Arbeit unserer Eltern – sei es nun die beruflich oder die ehrenamtlich übernommene – allem anderen vorging. Das Behagen des arbeitsfreien Augenblicks, das mein Vater zu genießen noch immerhin Spannkraft genug besaß, wurde meiner Mutter meist durch große Müdigkeit geraubt, sie schlief eben einfach ein. Ihre Natur stellte so das Gleichgewicht wieder her, das sonst durch zu starke Beanspruchung gestört worden wäre. Denn es war eine ungewöhnliche Leistung, die in damaliger Zeit, als die Arbeitswelt noch nicht auf die berufstätige Ehefrau eingestellt war, von unserer Mutter erwartet wurde: eine aufblühende Anstalt leiten, selbst unterrichten, und dem eigenen Haushalt vorstehen. Es war freilich für letzteren zeitweilig ein Dienstmädchen da.
Bald nach des Stammhalters Geburt kam aus Kassel die älteste Halbschwester Vaters, Luise, für mehrere Wochen nach Hamburg.
Das Verhältnis zum Vater hatte sich wieder freundlich gestaltet. Wenn in den ersten Briefen nach der Heirat noch eine gewisse Vorsicht auf beiden Seiten obwaltete, war bald die überströmende Liebe aus jeder Zeile zu erkennen. Die Meinungsverschiedenheit wurde nie wieder berührt.
Am 28. März 1871, an einem kalten Schneetag, erschien mein Bruder Otto Wilhelm Glinzer, ein gesunder, weißblonder und blauäugiger Junge.
Als nun das Kind da war, das viel schrie und schwer satt zu machen war, handelten Mutters Briefe meist von ihm. Sie fuhr es in der Rathauskuhle spazieren (wo später das Rathaus gebaut wurde, waren damals tief liegende Anlagen). Die Ferien verbrachte sie auf dem Hammer Deich, während Vater durch den Schwarzwald wanderte.
Im Anfang des Jahres 1873 hatte meine Mutter eine längere Schonzeit nötig. Es war damals mehr denn je für sie zu tun. Die Schülerinnenzahl wuchs gewaltig und war zu groß für das kleine Lokal. Der Bau des neuen Schulgebäudes an der Brennerstraße schritt nicht so schnell wie geplant vorwärts. Frau Wüstenfeld hatte viel Mühe mit der Geldbeschaffung und holte sich damals durch Überanstrengung den Herzknacks, an dem sie zu Grunde ging. Meine Eltern mussten ihre Wohnung zur Bildung neuer Klassenzimmer hergeben und eine Interimswohnung am Glockengießerwall beziehen. Es war Wüstenfelds damalige Winterwohnung. Sie wohnten dort von April bis Herbst 1873.
Diese Zeit war eine besonders arbeitsreiche durch die Beschickung der Wiener Weltausstellung mit Schülerarbeiten. Mutter fuhr selbst hin, hatte dort Dienst in der Ausstellungshalle und lernte viele Interessenten kennen. Sie befand sich sehr wenig wohl, weil ich im Anzuge war. Im Februar 1874 kam das Schwesterchen, früher als erwartet. Meine Mutter erholte sich schnell von mir, und ich machte ihr wenig Sorgen, gedieh ohne Mühe, schrie nicht so viel wie Otto und war meist stillvergnügt.
Frau Wüstenfeld war damals leidend; der Arzt hatte eine einjährige Pause in ihrer außerhäuslichen Tätigkeit verlangt. Es nützte nichts; ein Herzkrampf raffte sie am 2. 0ktober 1874 plötzlich hinweg. Groß war die Trauer um diese außergewöhnliche Frau. Und viele haben ihr treue Nachfolge versprochen, nicht zum wenigsten meine Mutter. Und auch ich, die mit Stolz ihren Namen trage: Hanna Emilie. Erst 57 Jahre alt war sie. In Mutters Leben, wie auch in dem unsrigen, hat dieser Tod eine nie ausgefüllte Lücke bedeutet. Wenn er für uns nur bedeutete, dass wir ihre lebendige Gegenwart nie kennen lernten und ihre Liebe und Fürsorge entbehrten, so stand für Mutter mehr auf dem Spiel. Ihre Tätigkeit war nicht mehr dieselbe; sie war gewohnt, sich in die Gedanken ihrer Pflegemutter hineinzudenken und sie dann selbstständig auszuführen; denn Frau Wüstenfeld setzte die Leute in den Sattel, reiten mussten sie selbst.
Nun aber kamen im Vorstand der Schule Geister hoch, die in Mutter nur ein ausführendes Werkzeug ohne eigenen Willen sahen. Eine Frau Marie Meyer hatte alle möglichen Pläne, die unausgegoren sofort in die Wirklichkeit überführt werden sollten. Mutter widersetzte sich; die Zeichenkollegen und -kolleginnen reichten ihr Entlassungsgesuch ein. Die Änderungen wurden z. T. durchgesetzt, z. T. zurückgenommen. Ich habe die Einzelheiten noch nicht durchstudieren können, darum weiß ich nur, dass mein Vater, um Mutter und sich des Ärgers zu entheben, für Mutter die Kündigung des Anstellungsverhältnisses aussprach. Diese Eigenmächtigkeit hat Mutter einen schweren Stoß versetzt und sie tief gekränkt. Ich weiß nicht, wenn sie allein auf sich gestellt gewesen wäre, ob sie zu demselben Ergebnis gekommen wäre. Ihre Natur war mehr auf Durchhalten gestimmt. Frau Meyer, die übrigens Strohfeuer war und häufigen Wechsel liebte, gab bald nach Mutters Abschied ihren Platz im Vorstand auf. Mutter hat öfter gesagt, dass sie die Arbeit der Schulleitung besser vertragen hätte als die der Hauswirtschaft. Ich glaube, sie wäre lieber im Amt geblieben. Auch gab ihr dieses eine gewisse Selbstständigkeit ihrem Mann gegenüber. Sie hatte ihre freie Wohnung und 100 RM monatlich. Es war nun aber so, dass sie Ende 1875 mit einem ehrenden Zeugnis aus ihrer Stellung ausschied. Meine Mutter trug viel Leid um diese Entwicklung. Der Abschied von diesem Werk ist ihr zeitlebens nahegegangen. Es begann nun für sie eine andere Lebensführung, die ihrer Neigung nicht sonderlich entsprach.
Sie arbeitete sich in die Geheimnisse der Haushaltsführung ein. Sie hatte bis dahin geleitet, aber nicht selbst gekocht, gewaschen, gestopft und geflickt. Ihr nicht robuster Körper konnte dies alles nicht so leicht bewältigen, wie andere Frauen es konnten. Sie beschäftigte sich auch ganz und gar selbst mit ihren Kindern. Bisher war Otto im Kindergarten der Gewerbeschule gewesen, jetzt, wo auch ich heranwuchs, waren wir beide zu beschäftigen. Damit nahm Mutter es sehr genau. Wir sind mit allen Fröbelschen Arbeiten erzogen worden, hatten kleine Pflichten, die unabwendbar waren, mussten aufs Wort gehorchen, durften keinen Lärm machen – beide Eltern waren dagegen empfindlich
Am 3. August 1878 bekamen wir ein Schwesterchen, Dora Luise. Dora war für die Eltern und für uns eine große Freude. Sie war heiterer und zutulicher und menschenfreundlicher als ich, war ein sehr niedliches Baby, artig und gehorsam.
1879 zogen wir zum Strohhaus 46. Der Arzt riet Vaters und Doras wegen zu einer Wohnung auf der trockeneren Geest mit viel Sonne.
Wir haben uns als Außenseiter gefühlt, schon weil wir aus Aufrichtigkeit meiner Eltern nicht getauft waren. Das Bewusstsein dieser Sonderstellung erschwerte uns den Weg zu den anderen Menschen. Es lässt sich aus unserer Entwicklung nicht wegdenken. Otto und Dora haben es jeder wieder anders erlebt als ich, aber doch auch sehr intensiv. Wir wurden selbstständig dadurch; ich kann es wenigstens von mir sagen, dass ich früh den Gründen dieser Absonderung nachspürte; und als ich den Unterschied von Religion und Konfession in dem 14. und 15. Lebensjahr, den Jahren tiefschürfenden Unterrichts bei Pastor Klapp, erfasst hatte, war und blieb ich beruhigt. Ich war stolz auf meine Eltern und billigte ihren Standpunkt mit Begeisterung. Meine Gespräche mit Mutter zeigten mir, wie ehrfürchtig sie alles Religiöse in sich bewegte.
Mir scheint, dass das Jahr 1879 ein glückliches war. Die helle neue Wohnung, die Freude über das Baby, die Erfolge Vaters mit seinem geometrischen Lehrbuch und mit Vorträgen, neue Freundschaften mit den besonders lieben Schülerinnen Frl. Adelheid Soest (hat Mutter gemalt) und Susanne Mertens, die Einrichtung von Trio-Abenden mit Kollegen, Ottos gute Fortschritte am Klavier und bei Siemßen, die größere Freiheit der Kasseler Tanten nach den sehr schweren Jahren der Pflege ihres altersschwachen Vaters, die treue Beständigkeit der Kortmannschen und Jessenschen Familienfreundschaft nach dem Verlust des Hammer Deichs und der mit ihm verbundenen lieben Menschen – das alles beschwingte und beglückte. Unsere Mutter brauchte eine solche Atmosphäre sehr zu ihrem Wohlbefinden. Sie sorgte für eine gesundheitsfördernde Ernährung, ermöglichte durch große Sparsamkeit die beste Ausnutzung des nicht großen Gehalts (ca 5000 M jährlich) und erhielt uns Kinder gesund und widerstandsfähig durch frühes Zubettgehen, einfache, aber nahrhafte Kost, gleichmäßige Zeiteinteilung und tägliche kalte Abwaschungen in der Badewanne. Sie schaffte Vater Ruhe zwischen seinen Stunden und ermöglichte ihm eine häufigere Ausspannung auf seinen geliebten Wanderungen in schöner Natur, wenn Ferien waren. Alles ging seine guten Wege.
Da wurde Onkel Jessen (Vaters Direktor) nach Berlin berufen. Dies ist die Quelle vielen Ungemachs geworden, das zunächst meinen Vater, indirekt aber stark meine Mutter und uns Kinder traf; denn es verdüsterte sich das Gemüt meines Vaters, und seine durch jahrelange Überanstrengung gesteigerte Reizbarkeit nahm zu. Er war in seinem besten Streben gehemmt. Eine seiner Natur und seinen Anschauungen fremde Art ergriff Besitz von der Anstalt, für die er sein Leben einsetzte: nicht er, sondern Stuhlmann wurde Direktor. Bis dahin war ein geselliger Zusammenhalt des Kollegiums durch Jessen gepflegt worden. Mit Jessens Abschied war das alles aus. Vater hielt sich grollend fern von den Kollegen, die sein Gefühl durch einen Umschwung von dem alten zu dem neuen Direktor verletzten. Es konnte nicht ausbleiben, dass die Schule ihm nun eine Quelle starker Gemütserregungen wurde. Es kam eine Zeit tiefster Depression, die sich im Hause in Heftigkeit entlud.
Ostern 1881 brachte meine Mutter mich in Dr. Theodor Zimmermanns höhere Mädchenschule, ABC-Straße 56, gegenüber den Hohen Bleichen. Weit fort; eine Schule, deren Publikum nicht ganz unserer Art entsprach. Die Wahl ist charakteristisch. Nicht nach den Lebenskreisen der Kinder oder dem Schulweg, sondern nach den Anschauungen entschieden meine Eltern. Ich habe die Briefe gelesen, in denen sie auseinandersetzten, dass Frl. Ida Schönes Orthodoxie an der Klosterschule eine zu große Rolle spiele, um mich dahin zu geben, dass aber Dr. Zimmermanns Freisinn ihnen die Gewähr für eine ihnen entsprechende Erziehung gäbe. Rückschauend muss ich sagen, dass sie sich darin nicht geirrt haben.
Durch Pauline Kortmann blieb meine Mutter in ständiger Fühlung mit Emilie Wüstenfelds Schöpfung, dem ‚Frauenverein zur Unterstützung der Armenpflege’. Die Frauen unterstützten die öffentliche Armenpflege, d. h. sie arbeiteten ehrenamtlich in Fühlung mit den Armenpflegern der allgemeinen Armenanstalt. Damals hatte sie noch kein Amt und keinen Bezirk, half nur gelegentlich, regelmäßig aber jedes Jahr im November bei dem Verkauf der von den Armen angefertigten Arbeiten; da war sie vier Tage von früh bis spät in der ‚Expedition’ tätig, fertigte die Frauen ab, die die gekauften Waren ins Haus der Käuferinnen trugen und sorgte für die reibungslose Abwicklung dieses Geschäfts. Tante Kortmann gab ihr stets einen ganzen Teller herrlichsten Backwerks und duftender Pasteten mit. Das versöhnte Vater mit ihrer Abwesenheit und entzückte uns mit jenem Wonnegefühl, das nur so bescheiden gewöhnte Kinder, wie wir es waren, bei so etwas empfinden können. Mutter kam natürlich sehr müde nach Hause. Otto bereitete dann auf dem Sofa ein sehr schönes Lager für sie, und wir stopften die Wolldecke um sie fest, damit sie es schön warm hatte.
Hier enden Hanna Glinzers Aufzeichnungen.