Gewerbeschule für Mädchen
Mädchenbildung
Großer Burstah 16 (ehemals)
Brennerstraße 77 (ehemals)
In dieser schon damals lebhaften, mit Geschäfts- und Kontorhäusern dicht bebauten Straße eröffnete Emilie Wüstenfeld 1868 in einem Gebäude, das heute nicht mehr steht, die erste Gewerbeschule für Mädchen. Ein Jahr zuvor hatte sie in ihrer Paulsenstiftschule bei den Pumpen eine Fortbildungsklasse für Mädchen eingerichtet, die auf solch große positive Resonanz gestoßen war, dass schon bald nach größeren Räumlichkeiten gesucht werden musste. Diese fanden sich am Großen Burstah 16. Um die Finanzierung der Gewerbeschule zu gewährleisten, hatte Emilie Wüstenfeld bereits 1865 den Verein zur Förderung weiblicher Erwerbsthätigkeit ins Leben gerufen, dessen Vorsitzende sie wurde.
Aber auch die Räume am großen Burstah reichten bald nicht mehr aus. Emilie Wüstenfeld konnte den Senat von der Nützlichkeit und Notwendigkeit der Schule überzeugen, so dass er ihr für den Bau eines größeren Schulgebäudes einen Bauplatz an der Brennerstraße Nr. 77 in St. Georg zuwies.
Heute steht hier ein Neubau der Amalie Sieveking Stiftung (das “vierte Amalienstift”). 1873 wurde an dieser Stelle vom Verein zur Förderung weiblicher Erwerbstätigkeit die Gewerbeschule für Mädchen errichtet.
Die Protagonistinnen der bürgerlichen Frauenbewegung sahen in der Möglichkeit der Frauenerwerbsarbeit einen emanzipatorischen Ansatz. Allerdings sollten die Frauenberufe die „natürliche” Bestimmung der Frau widerspiegeln. Deshalb wurden die sozialen, haushälterischen und die dem Manne zuarbeitenden Berufe favorisiert. Der Schulzweck der Gewerbeschule für Mädchen war die „Gewährung von Gelegenheit für junge Mädchen, welche nicht mehr im schulpflichtigen Alter stehen, sowie auch für Frauen, eine lückenhaft gebliebene Schulbildung zu vervollständigen, sich zu einem selbständigen Erwerbe als Kontoristinnen, Buraubeamtinnen, Buchhalterinnen und Korrespondentinnen, als Kindergärtnerinnen und Kinderpflegerinnen, als staatlich geprüfte Zeichen- oder Handarbeitslehrerinnen, ferner als Lehrerinnen in der Kunststickerei, Zeichnerinnen vorzubereiten, sich zu einer nützlichen Tätigkeit im Hause zu befähigen und den Geschmack und den Kunstsinn durch Zeichnen und kunstgewerbliche Arbeiten zu fördern.
Diesen Zwecken dienen folgende Schulen und Kurse: [die unter Punkt 2 angeführte Handelsschule und unter Punkt 3 dargestellten Kurse für Fröbelsche Kindergärtnerinnen gab es in der Schule an der Brennerstraße. Die Schule am Großen Burstah bestand nur aus der Fortbildungsschule.]
1. Fortbildungsschule: Der Unterricht ist auf die Dauer eines Jahres verteilt. Unterricht in deutscher Sprache und Literatur, Schönschreiben, Rechnen, einfacher Buchführung, Haushaltungsbuchführung, Geographie, Gesundheitslehre, Handarbeiten, Putzmachen, Waschen und Plätten. Ferner wird in der französischen und englischen Sprache, in Zeichnen, Maschinennähen, Kunststicken, Zuschneiden und Schneidern, Handarbeiten, Putzmachen, Waschen und Plätten unterrichtet.
2. Handelsschule: Eine Unter- und eine Oberstufe mit je einjährigem Kursus. Die Unterstufe hat die Aufgabe, ihren Schülerinnen eine Ausbildung zu geben, die zur verständnisvollen Erledigung sämtlicher kaufmännischer Lehrlingsarbeiten erforderlich ist. Unterricht in Deutsch, deutsche Korrespondenz, Französisch, Englisch, kaufmännisches Rechnen, Buchführung, Wirtschaftsgeographie, Schreiben, Maschinenschreiben, Stenographie, Handelslehre. Die Oberstufe bezweckt, den jungen Mädchen solche Kenntnisse und Fertigkeiten zu vermitteln, die ihnen ermöglichen, eine höhere praktische kaufmännische Tätigkeit erfolgreich auszuüben. Der Unterricht erstreckt sich außer auf die angeführten Fächer der Unterstufe auf Handelskunde, Volkswirtschaftslehre und spanische Sprache.
3. Kurse für Fröbelsche Kindergärtnerinnen bzw. Erziehungsgehilfinnen und Kinderpflegerinnen: Anderthalbjährige Kurse für Kindergärtnerinnen bzw. Erziehungsgehilfinnen. Aufnahmebedingung: Erfolgreicher Besuch einer Mittelschule oder einer höheren Töchterschule. Schulgeld. Unterrichtsfächer: Fröbelsche Erziehungslehre und Kindergartenlehre, Erziehungslehre, Gesundheitslehre, Naturkunde, Raumlehre, Anschauung, Deutsch, fremde Sprachen, Zeichnen, praktische Handarbeiten, Bewegungsspiele und Freiübungen, Singen, Anfertigen von Kinderzeug. Einjährige Kurse für Kinderpflegerinnen. Bedingung: Gutes Schulzeugnis“, hieß es 1909 in Joachim Hermanns „Handbuch der Wohltätigkeit in Hamburg“.
Text: Rita Bake