Biografien-Datenbank: Frauen aus Hamburg

Liselotte Lenz Liselotte Lenz, geb. Liselotte Helene Lindau

(4.8.1918 Hamburg – 5.2.2006 Hamburg)
Malerin und Zeichnerin; Gattin von Siegfried Lenz (1926-2014)
Isestraße 88 (Wohnadresse, erste gemeinsame Wohnung mit Siegfried Lenz , vgl. Quelle 1)
Preußerstraße 4 (oder 6 ?), Othmarschen (Wohnadresse zusammen mit ihrem Mann Siegfried in Hamburg, seit 1963/64; seit Herbst 2017: Abriss genehmigt; auf dem Gelände sind Neubauten geplant, vgl. Quellen 10 +11)
Stiller Weg 28, Ev. Friedhof Groß-Flottbek (Grablage: Quartier AA, Reihe 15, Nummer 4 = Gemeinschaftsgrab der Eheleute Liselotte und S. Lenz) (2)


Ihre erste Begegnung umrankt eine paradiesische Legende: „Lilo“, wie Liselotte Lenz von ihrem Mann und den Freunden genannt wurde, war für ihn nicht nur die Lebensgefährtin. Sie war zugleich seine unentbehrliche Ratgeberin und, im unmittelbaren Wortsinn, seine erste Leserin, denn sie diskutierte die Manuskripte mit ihm, und sie tippte seine mit der Hand geschriebenen Texte, „und zwar in eine Schreibmaschine, die aus den Beständen der untergegangenen deutschen Kriegsmarine stammte“ (3). „Das tat sie, die Hamburgerin und Malerin, schon in den ersten Nachkriegsjahren als Redaktionssekretärin bei der WELT. Damals, 1948, begegnete ihr ein junger Volontär mit Namen Siegfried Lenz, dem es zeitbedingt nicht gut ging. Er hatte den Krieg als blutjunger Marinesoldat nur knapp überlebt, er hatte im Katastrophenwinter 1946/47 ein Gastspiel beim Nordwestdeutschen Rundfunk gegeben, und nun wollte er eine ordentliche journalistische Ausbildung in dieser Zeitung absolvieren. Aber, wie gesagt, es ging ihm nicht gut, und so fiel der Volontär Lenz eines Tages um. Die Redaktionssekretärin Lilo sorgte dafür, dass er auf eine Liege gebracht wurde, und gab ihm einen Apfel. So begann diese Partnerschaft, aus der im Jahr darauf eine Ehe wurde, die länger als ein halbes Jahrhundert gehalten hat“(4). In anderen Versionen sei Siegfried Lenz seiner Muse zuerst begegnet, habe dann sein Studium abgebrochen und sich bei der WELT um ein Volontariat bemüht.
Sie schrieb alle Manuskripte und Korrekturen ihres Mannes, des Nobelpreisträgers Siegfried Lenz, auf der manuellen Schreibmaschine eigenhändig ab: „Das – wie gewöhnlich und bis zum Schluss – handschriftliche Manuskript wird von Lilo Lenz mit mehreren Durchschlägen getippt“ (5). Sie führte auch große Teile seiner (offiziellen) Korrespondenz. Somit liegt der unschätzbare Ertrag ihres Lebenswerkes, die Roman-Typoskripte – neben den von ihrem Gatten säuberlich und Papier-ökonomisch von Hand geschriebenen Heften als Vorlage – heute im Deutschen Literaturarchiv Marbach (Bericht unter www.zeit.de/2017/21/siegfried-lenz-literaturarchiv-marbach: "Er benutzte liniertes Papier, das er ausfüllte, ohne auch nur den kleinsten Rand zu lassen").
So bescheiden das Ehepaar lebte, so ist nur spärlich Verstreutes zu finden von den Spuren der Frau, die 56 Ehejahre an der Seite von Siegfried Lenz gewiss auch mitverantwortlich war für seinen Erfolg, schriftstellerisch wie als Managerin. Über ihr Leben vor der Begegnung mit ihrem Gatten erfahren wir: „Liselotte Lenz hätte gern eine Kunstschule besucht, doch die Verhältnisse erlaubten es nicht, und so begann sie auf Geheiß des Vaters, der in Hamburg mit Tabakwaren handelte, eine kaufmännische Ausbildung. Nebenher hat sie stets gezeichnet und gemalt (...) und während Siegfried Lenz über die unauffälligen Dinge der Welt schrieb, hielt seine Frau mit dem Zeichenstift fest, was sie mit gesenktem Blick an Unscheinbarem am Strand und am Waldboden entdeckte: Vertrocknete Blätter, eine zerbrochene Flasche, Reste einer Fahrradkette, einen toten Vogel“ (6). Und was die künstlerische Symbiose von „Philemon und Baucis“ anbetrifft: Die Geschichte der von Liselotte Lenz gemalten Fundstücke, etwa die Reste einer Reuse, sind beispielsweise in den Roman „Arnes Nachlass“ (1999) eingeflossen.
Charakteristisches über ihre Mentalität skizzierte eine Art sentimentaler Nachruf, in dem Dr. Reinhard Tschapke, Leiter der Kulturredaktion der Nordwestzeitung, unter dem harmlosen Titel „Kaffeeklatsch mit Siegfried Lenz“ seine Begegnung mit dem Künstler-Ehepaar nachvollzog. Dort taucht auch das Motiv „Apfel“ wieder auf. Die Episode erinnert an Lenz’ berühmte Schilderung der „Jütländischen Kaffeetafel“. Redakteur Reinhard Tschapke war im Begriff, „seinen alten Bekannten Siegfried Lenz in Hamburg nur zu einer Lesung nach Oldenburg“ abzuholen: „’Wir müssen noch Kaffee trinken!’ Lenz winkte mit der Pfeife ins Wohnzimmer. Seine Frau (...) lächelte herzlich. Widerspruch war zwecklos. Wenn einer der größten Dichter einlädt, einer, der in seinen Romanen und Erzählungen immer ein Herz für die Zarten, Freundlichen hatte, lehnt man nicht ab. Der Tisch bog sich unter gekauften Tortenstücken der größten Art. Eingeschenkt wurde dem Besucher, einem passionierten Teetrinker, der schwärzeste Kaffee, den es je gab.
Lenz und Frau qualmten ohne Unterlass. Schmeckt’s? Beide lächelten (...) Schwarzer Kaffee wurde in riesige Tassen nachgeschenkt. Wir waren extra beim Bäcker, sagte Liselotte Lenz, die eine wunderbare Zeichnerin und Künstlerin war und sich selbst in den Schatten immer zugunsten ihres Mannes zurücknahm. Es gibt einen Band, der Zeichnungen von ihr sammelt, und zu dem Lenz einen wunderbaren Text geschrieben hat.
Aber dieses Wissen half jetzt nicht im wunderschönen Altbau der Familie Lenz in Hamburg. Ein zweites Teil war fällig. Kuchen ohne Ende. Es versteht sich fast von selbst, dass Herr und Frau Lenz keinen Kuchen nahmen. Wir haben schon gegessen. Der ist extra für Sie gekauft! Wir haben extra für Sie Kuchen gekauft, betonte Frau Lenz noch einmal, wie man etwas so betont, das Folgen haben muss. Die Folge war ein weiteres, dickes großes Stück auf dem Teller. (...) Und der Kaffee wurde schwarz und schwärzer.
Die Szene löste sich absurderweise erst bei der Debatte um Regenwürmer auf. Da könnte man en passant den Aufbruch einleiten, noch einmal viel zu ausführlich durch den großen Garten gehen (ich schäle Ihnen schnell noch einen Apfel von unserem Baum – was dann gar nicht schnell war) und schließlich und endlich völlig befreit losfahren – um gleich um die Ecke in Othmarschen schon bei der Auffahrt auf die Autobahn in einen Megastau zu gelangen. Lenz lächelte, Frau Lenz saß ruhig da. Sie waren das liebste Ehepaar der Welt“ (7).
Auf dem rückwärtigen Klappentext einer ihrer raren Veröffentlichungen „Waldboden“ mit sechsunddreißig Farbstiftzeichnungen zum Text von Siegfried Lenz (Albrecht Knaus, Hamburg 1979) lesen wir: „Liselotte Lenz lebt in Hamburg. Sie ist seit 1949 mit Siegfried Lenz verheiratet. 1958 wurde sie auf der ‚Ausstellung Hamburger Laienkünstler’ mit dem ersten Preis ausgezeichnet. Soweit Familie und Arbeit es zulassen, pflegt sie ihr Hobby, Zeichnen und Malen“. Das war Ende der 1970er Jahre.
Acht Jahre später, 1986 (im Jahr des 60. Geburtstags von S. Lenz) legte der Verlag Hoffmann & Campe nach mit einem größerformatigen Künstlerbuch „Kleines Strandgut“: 48 Farbstiftzeichnungen von Liselotte Lenz, umrahmt mit Betrachtungen aus der Feder ihres Schriftstellergatten. Die Motive für diese Veröffentlichungen fanden die beiden auf ihren Feriensitzen, die sie zu Sommer-Aufenthalten nutzten, einem Bungalow in Tetenhusen zwischen Rendsburg und Schleswig sowie auf der Ostsee-Insel Als(en) im Süden Dänemarks. Der fehlende Text über die Künstlerin findet sich auf dem Internetportal des Hoffmann & Campe Verlages unter einem Porträt-Ausschnitt der älteren Dame: „Liselotte Lenz war Malerin und Illustratorin und mehr als ein halbes Jahrhundert mit Siegfried Lenz verheiratet. Sie war seine Ratgeberin und erste Leserin. Ihre Zeichnungen entstanden bei gemeinsamen Aufenthalten in ihrem Strandhaus am Meer. Liselotte Lenz starb 2006 in Hamburg. (www.hoffmann-und-campe.de/autoren-info/liselotte-lenz)

4369 Grabstein Lenz
Grabstein von Liselotte Lenz auf dem Friedhof Groß Flottbek; Foto: kulturkarte.de/schirmer

Nach zwei Schlaganfällen verstarb Liselotte Lenz 2014. Sie hinterließ viele Zeichnungen, ein Großteil dieses Oevres ist im Besitz der Siegfried-Lenz-Stiftung (8). Die bescheidene schöne Grabstätte des Ehepaares Liselotte und Siegfried Lenz liegt sich nicht etwa auf dem Friedhof Nienstedten, sondern auf dem volkstümlicheren Friedhof Groß Flottbek, Grablage: AA-15-4, Quartier AA = Reihe 15, Nummer 4. Ihr Name Lilo Lenz ist auf dem glatt polierten, unbehauenen herzförmigen Granit mit Geburts- und Sterbejahr über dem Namen ihres Mannes eingraviert (9).
Text: Dr. Cornelia Göksu