Biografien-Datenbank: Frauen aus Hamburg

Sozialdemokratische Frauenbewegung Sozialdemokratische Frauenbewegung vor 1933

Große Theaterstraße 44/45 (alte Nummerierung) SPD-Parteizentrale von 1887-1933
Siehe auch: Alte Frauenbewegung
Siehe auch: Kommunistische Frauenbewegung


Die Historikerin PH Dr. Kirsten Heinsohn schreibt über die sozialdemokratische Frauenbewegung in ihrem Beitrag: Die Frauenfrage – ein Problem der Moderne, in: Rita Bake, Kirsten Heinsohn: „Man meint aber unter Menschenrechten nichts anderes als Männerrechte“. Zur Geschichte der Hamburger Frauenbewegung und Frauenpolitik vom 19. Jahrhundert bis zur Neuen Hamburger Frauenbewegung Ende der 1960er Jahre: „Die bürgerlichen Frauen sahen sich seit den 1860er Jahren einer erstarkenden Arbeiterbewegung gegenüber, in der sich auch Frauen engagierten. (…)
Zu Beginn der siebziger Jahre, als der Generationswechsel in der Frauenbewegung langsam einsetzte, war noch nicht eindeutig geklärt, welche Bewegung die Interessen der Arbeiterinnen besser vertreten würde: die Arbeiterbewegung oder die bürgerliche Frauenbewegung. Die aktive Gewerkschafterin Emma Ihrer (1857–1911) erlebte und gestaltete diese politische Streitfrage in Berlin. Ihre Mitarbeit in dem 1883 mit bürgerlicher Unterstützung gegründeten ‚Frauen-Hülfsverein für Arbeiterinnen‘ stellte sie schnell wieder ein, weil dort nur ‚kleinliche Reformarbeit‘ betrieben worden sei. Sie und viele Arbeiterinnen mit ihr, entschieden sich für die Gründung eigenständiger Arbeiterinnenvereine, (…)
Unter den Repressionen des preußischen Vereins- und des reichsweit geltenden Sozialistengesetzes wurden in der Regel alle noch folgenden Frauenvereine bis 1890 verboten. Die Sozialdemokratinnen beteiligten sich daher aktiv an der illegalen Arbeit der Partei. (…)1896 entstand (..) ein neues Modell der sozialdemokratischen Frauenarbeit, nämlich die Wahl von lokalen, regionalen und zentralen Vertrauenspersonen. Mit diesem Verfahren konnten die Frauen der SPD das Vereinsgesetz unterlaufen, da die gewählten Vertrauensfrauen private Treffen anboten bzw. als Einzelpersonen nicht belangt werden konnten. Insgesamt verfestigte die proletarische Frauenbewegung in diesen Jahren ihre Kooperation mit der Sozialdemokratie und wandte sich daher auch immer stärker gegen die bürgerliche Frauenbewegung. In einem Bericht über die Organisationen der Arbeiterinnen Deutschlands, von Emma Ihrer aus dem Jahre 1893, wird die Haltung der sozialdemokratischen Frauen deutlich herausgestellt: ‚Alle jene Forderungen und Projecte, mit denen die Frauen der besitzenden Klasse bisher an die Öffentlichkeit traten, als: die Einrichtung von Sonntags- und Haushaltungsschulen, Mädchenheimen, Vereinen zur Hebung der Sittlichkeit gefallener Mädchen u.s.w. erkennen wir nur als Palliativmittel der Gegenwart an, die nimmermehr geeignet sind, das Uebel dauernd und gründlich zu beseitigen; höchstens können damit die schlechten Wirkungen des Uebels ein wenig abgeschwächt werden.‘
In diesem Zitat kommt gut zum Ausdruck, worum es den SPD-Frauen ging: Sie prangerten die Lebens- und Arbeitsbedingungen des Proletariats radikal an und forderten umfassende Änderungen des Wirtschaftssystems. Für die Arbeiterinnen standen eine bessere Entlohnung sowie gesündere Arbeitsbedingungen ganz oben auf der Agenda, denn die krankmachende und sehr niedrig entlohnte Arbeit reichte in der Regel nicht aus, um den Lebensunterhalt der Familie angemessen und beständig zu bestreiten. Diesem ‚Uebel‘ konnte man durch reine Sozial- und Bildungsreform, wie sie von den bürgerlichen Frauen betrieben wurde, nach Meinung der Sozialdemokratie nicht beikommen. Den bürgerlichen Frauen wiederum ging es um Wege und Methoden, Mädchen und Frauen eine Ausbildung zukommen zu lassen, um ihnen Gelegenheit zur Selbsthilfe zu geben – dies jedoch war in den Augen der SPD nur ein ‚Palliativmittel‘, das der eigentlichen Ursache der Krankheit, dem kapitalistischen Wirtschaftssystem, nicht gefährlich werden konnte.
Dieser starke Gegensatz zwischen bürgerlicher und proletarischer Frauenbewegung blieb im Allgemeinen bis in den Weltkrieg hinein erhalten, solange die SPD-Frauen an ihrer sozialistischen Emanzipationsidee festhielten und die Bürgerlichen die gleichberechtigte Zusammenarbeit mit den Vertreterinnen der Arbeiterinnen scheuten. Im und durch den Krieg lösten sich die Fronten aber etwas auf: Auch bei den bürgerlichen Frauen waren inzwischen unterschiedliche Emanzipationskonzepte zwischen ‚Radikalen‘ und ‚Gemäßigten‘ heftig diskutiert worden. Ebenso hatte auf Seiten der Sozialdemokratie ein innerer Diskussionsprozess eingesetzt, der die reformorientierten Kräfte erstarken ließ und der in eine Spaltung der Partei zwischen Mehrheits-Sozialdemokraten und Unabhängige Sozialdemokraten, später die Kommunistische Partei, einmündete. All dies führte dazu, dass sich bürgerliche und sozialdemokratische Frauenbewegung annäherten – richtig überwunden wurde die Spaltung jedoch nicht.
Die Frauen in der SPD hatten aber im Vergleich mit den bürgerlichen Frauenvereinen einen großen Vorteil: Ihre Partei unterstützte das Verlangen nach gerechten Lohnzahlungen und nahm 1891 als erste politische Partei in Deutschland die Forderung nach Zulassung aller erwachsenen Frauen zum aktiven und passiven Wahlrecht in ihr Parteiprogramm auf. Wenn auch in der Praxis die Gleichberechtigung innerhalb der Partei nur begrenzt umgesetzt wurde, so war doch die Partei insgesamt bereit, eine veränderte gesellschaftliche und politische Stellung der Frau zu fordern – das war weit mehr als die liberalen Parteien, auf die die bürgerlichen Frauenvereine hofften, ihren Mitstreiterinnen in Aussicht stellten.
Die Situation der politisch aktiven Arbeiterinnen in Hamburg entsprach ganz dem Vorgehen im Reich: Auch hier wurde 1885 ein ‚Verein zur Vertretung der gewerblichen Interessen der Frauen und Mädchen Hamburgs‘ gegründet. Sein Hauptzweck war es, für die Mitglieder gerechtere Löhne und Arbeitsbedingungen zu fordern. 1892 wurde der Verein bereits wieder aufgelöst und durch eine neue Organisation, den ‚Zentralverein der Frauen und Mädchen Deutschlands‘ mit Zweigvereinen in den verschiedenen Stadtteilen und Vororten Hamburgs, ersetzt. Auch dieser Verein wurde scharf von der Politischen Polizei überwacht und musste 1895 seine Agitation einstellen.
Danach schlossen sich die sozialdemokratischen Frauen dem neuen System der ‚Vertrauenspersonen‘ an und die Hamburger Genossinnen bestimmten für die drei vorhandenen Wahlkreisvereine der SPD je eine Frau in diese Position. Als zentrale Vertrauensperson wurde Luise Zietz (1865–1922) gewählt, (…)
Die Einrichtung von weiblichen ‚Vertrauenspersonen‘ war allerdings in Hamburger Parteikreisen als ‚Sonderorganisation‘ umstritten und wurde bereits 1906 zugunsten eines festen Postens für eine Vertreterin der Frauen im Parteivorstand abgeschafft – damit legten die Hamburger das Partizipationsmodell für Frauen innerhalb der Partei fest, bevor es später von der gesamten Partei so übernommen wurde. Mit diesem Schritt war die sozialdemokratische Frauenbewegung endgültig in die Parteistruktur integriert.
Innerhalb der Partei engagierten sich die Frauenvertreterinnen zum einen für die ökonomischen Interessen der weiblichen Mitglieder und zum anderen für das demokratische Wahlrecht, das auch die Frauen erhalten sollten. (…)“ (Kirsten Heinsohn: Die Frauenfrage – ein Problem der Moderne, in: Rita Bake, Kirsten Heinsohn: „Man meint aber unter Menschenrechten nichts anderes als Männerrechte“. Zur Geschichte der Hamburger Frauenbewegung und Frauenpolitik vom 19. Jahrhundert bis zur Neuen Hamburger Frauenbewegung Ende der 1960er Jahre. Hamburg 2012, S. 50ff.)
„Nach der Einführung des Frauenwahlrechts war das zentrale Ziel der Frauenagitation der sozialdemokratischen Frauenbewegung, die Frau als Wählerin zu gewinnen. Zu diesem Zweck führte die SPD zunächst regelmäßig öffentliche Frauenversammlungen mit politischem Referat und anschließender Aussprache durch. Obwohl die Partei für diese Versammlungen durch Plakate und Flugblätter warb, war die Resonanz häufig wenig zufriedenstellend. (…).“ (Karen Hagemann, Jan Kolossa: Gleiche Rechte – gleiche Pflichten? Ein Bilder-Lese-Buch zu Frauenalltag und Frauenbewegung in Hamburg. Hamburg 1990, S. 154.)
Die konservativen Parteien waren mit ihren Veranstaltungen für die Frau wesentlich erfolgreicher, denn diese boten ihnen auf solchen Veranstaltungen auch Abwechslung und Entspannung. Deshalb überdachten die Sozialdemokratinnen ihr Agitationskonzept und boten ab 1924 den unorganisierten Frauen mit ihren „Frauenfeierstunden“ nun auch Film- und Lichtbildabende mit Musik und Gesangsvorträgen.
Höhepunkt der jährlichen Frauenaktivitäten der SPD-Frauen, aber auch der KPD-Frauen, war in der Weimarer Republik der Internationale Frauentag.
Ein zentrales Arbeitsgebiet der sozialdemokratischen Frauenbewegung war in der Weimarer Zeit die soziale Betätigung in der AWO (Arbeiterwohlfahrt).
Karen Hagemann und Jan Kolossa schreiben dazu: „Die Mitarbeit in der AWO war für sie [SPD-Genossinnen] ein Stück Selbsthilfe, das sie in ihrem Alltag häufig bereits spontan praktizierten, im sozialen Netz der weiblichen Familienangehörigen, Nachbarinnen und Freundinnen. In den Selbsthilfe-Aktivitäten der AWO wie z. B. der Einrichtung einer Nähstube, der Organisation einer Notspeisung oder der Mithilfe bei der Kindererholungsfürsorge waren zudem ihre spezifische Qualifikation als Hausfrauen und Mütter gefragt. Die Genossen überließen die freie Wohlfahrtspflege als ‚weiblichen Bereich‘ gern den Frauen. Sie waren froh, die Genossinnen, in denen viele zumindest unbewußt nur Konkurrentinnen sahen, auf dieses Tätigkeitsfeld ‚abschieben‘ zu können. Die Politik der AWO wurde von Männern bestimmt, die Genossen dominierten in der Leitung der AWO. (…).“
Und weiter schreiben die beiden AutorInnen über das Rollenverständnis sowohl bei der SPD als auch KPD: „In der sozialdemokratischen wie der kommunistischen Arbeiterbewegung wurde die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, die in Familie und Gesellschaft vorherrschte, fortgeführt. In ihrer Wirkung war diese Arbeitsteilung ambivalent: einerseits ermöglichte sie den Frauen ein befriedigendes und sinnvolles gesellschaftliches Engagement ohne die in anderen Bereichen der Arbeiterbewegung vorherrschende Konkurrenz mit den männlichen Genossen, andererseits beschränkte sie in der Praxis erheblich das gesellschaftspolitische Betätigungsfeld der Frauen. Die (Selbst-) Beschränkung der Frauen auf ‚spezifisch weibliche‘ Aufgabengebiete verstärkte langfristig das traditionelle Rollenverhalten und begünstigte die Diskriminierung der Frauen. Dies erkannte auch eine wachsende Zahl von Sozialdemokratinnen und Kommunistinnen. In den letzten Jahren der Weimarer Republik setzten sich die Genossinnen in beiden Arbeiterparteien für eine kritische Auseinandersetzung mit dem bürgerlichen Frauenbild ein, das der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung in der Arbeiterbewegung zugrunde lag. Sie verwiesen auf den Zusammenhang von konventionellen Vorstellungen über die Geschlechterrollen, Frauendiskriminierung und wachsendem Einfluß der frauenfeindlichen NSDAP.“ (Karen Hagemann, Jan Kolossa: Gleiche Rechte – gleiche Pflichten? Ein Bilder-Lese-Buch zu Frauenalltag und Frauenbewegung in Hamburg. Hamburg 1990, S. 160f.)