Friederike Klünder Friederike Klünder (Charlotte Friederike Amalie, auch: Friederika Amalia, geb. Grupen)
(28.1.1776 Neustadt am Rübenberge – 6.6.1848 Hamburg)
Engagierte Wohltäterin; praktische christliche gesundheitliche Aufklärerin
Oesterleystraße 22, ehemalige Klünder-Villa nach Modernisierung jetzt Hessehaus mit Bugenhagenschule im Hessepark
Friederike-Klünder-Weg, Blankenese seit 2019
Engagierte Wohltäterin; praktische christliche gesundheitliche Aufklärerin
Am 18. März 2014 erreichte ein Antrag das Bezirksamt Altona. An Frau Bezirksamtsleiterin Dr. Liane Melzer schrieb der „Förderkreis Historisches Blankenese“ unter dem Betreff: „Benennung von Verkehrsflächen in Hamburg. Vorschlag nach Friederike Klünder (1776 - 1848), engagierte Wohltäterin in Blankenese“ folgende Begründung: „Hiermit beantragen wir, eine engagierte Wohltäterin des 19. Jahrhunderts, Frau Friederike Klünder, durch die Benennung einer Blankeneser Straße zu würdigen und der Bevölkerung in Erinnerung zu bringen.
Frau Klünder führte um 1800 in Blankenese und umliegenden Dörfern die Pockenimpfung ein, indem sie 2.168 Kinder und Erwachsene eigenhändig gegen Pocken impfte. Zur Zeit der großen Arbeitslosigkeit der Fischer – verursacht durch die Kontinentalsperre – versorgte sie die Frauen mit Flachs, ermunterte sie zum Spinnen und Weben, vermarktete die gewebte Leinwand und verschaffte den Frauen damit eine eigene Erwerbstätigkeit. Sie gründete eine Armenhilfe und sammelte immer wieder Geld für die Not leidende Bevölkerung, z.B. auch nach mehreren Brandkatastrophen.
Gemeinsam mit ihrem Mann erwarb Frau Klünder das Gelände, das heute unter dem Namen Hessepark geführt wird. Das Paar schuf den Park und baute auf seinem höchsten Punkt das Landhaus, das heute Hessehaus heißt. Hesse war ein späterer Eigentümer und Bewohner des Landhauses.
Damit das Wirken dieser großartigen Frau nicht vollends in Vergessenheit gerät, beantragen wir, eine Straße – möglichst in Blankenese – nach Friederike Klünder zu benennen. Ein Vorschlag ist, die kleine Straße ‚Hessepark’ oder die ‚Bulckestraße’ umzutaufen. Carl Bulcke gehörte zu den 88 Unterzeichnern des Treuegelöbnisses für Adolf Hitler vom 26.10.1933 (s. wikipedia unter "Gelöbnis treuester Gefolgschaft").
(...) Unser Anliegen stößt in Blankenese auf eine breite Zustimmung von Seiten der Bevölkerung (...) Wir würden es begrüßen, wenn Sie sich, sehr geehrte Frau Dr. Melzer, für unser Anliegen erwärmen könnten“ (1). Sowohl die Hamburger Senatorin Jana Schiedeck, von 2011-2015 Präses der Behörde für Justiz und Gleichstellung, das Staatsarchiv Hamburg, der Blankeneser Bürgerverein, der Förderkreis Gosslerhaus sowie die Blankeneser Kirche unterstützen diesen Antrag (1).
Eine der diesem Schreiben beigefügten Anlagen ist das Gutachten des Hamburger Staatsarchivs vom 10.3.2014. Darin heißt es unter anderem: „Ihre Vorschläge zur Umbenennung der Straßen ‚Hessepark’ oder ‚Bulckestraße’ sind (...) zunächst dem Grunde nach unzulässig“. Gemäß der einschlägigen Fachliteratur (...) seien Neubenennungen der Änderung von Straßennamen vorzuziehen, da Umbenennungen mit Kosten verbunden seien (2). Am 12. März 2014 schlug das Bezirksamt Altona jedoch offiziell die Umbenennung vor (3).
Anschaulich haben Maike und Ronald Holst 2013 in ihrem materialreichen Buch mit Porträts von „Blankeneser Frauen“ geschildert, was sie über das philanthropische Wirken von Friederike Klünder herausgefunden haben: „Wegen ihres sozialen Engagements und nicht zuletzt auch wegen ihrer Schönheit wurde Frau Klünder von den Blankenesern (im Tal) ‚die schöne Frau auf dem Berge’ genannt. Sie scherte sich nicht um Standesunterschiede. Für sie stand immer nur der Mensch als Gottes Geschöpf im Vordergrund, dem geholfen werden musste. Charlotte Friederike Amalie war in einem christlich geprägten Elternhaus aufgewachsen“ (4:13).
Ihr Vater war Superintendent Johann Friedrich Gottfried Grupen, ernannt 1784, zum Generalsuperintendenten nach Neustadt am Rübenberge (liegt zwischen Bremen und Hannover) (5). Näheres zu ihrer Mutter konnte leider nicht ermittelt werden. Unterstützt wurde Friederike Klünders Engagement von ihrem Ehemann Rütger Heinrich Klünder, mit dem sie drei Kinder hatte. Über die Herkunft von Rütger Heinrich Klünder (17.3.1763 - 6.6.1848, vermutlich Hamburg) gibt es unterschiedliche Versionen: Laut der einen Quelle stammte er aus Hamburg. Laut einer anderen Literaturangabe kam der aus Braunschweig stammende „Bankierssohn (...) schon in jungen Jahren nach Hamburg“ (6_A). Beruflich machte er in der Firma „Peter Godeffroy Söhne & Comp“ sehr bald Karriere (7). Über die Geschäfte des Kaufmanns und Bankiers Peter Godeffroy ist nichts Genaues bekannt. Vielleicht betätigte er sich, ähnlich wie sein Bruder Cesar, erfolgreich in der Finanzierung des Überseehandels.
Zurück zu Friederike Klünder: Die beiden Ehegatten lernten sich standesgemäß kennen. Friederike Grupen hatte eine Schwester, Maria Elisabeth Dorothea Grupen, die mit dem Hamburger Kaufmann John Thornton verheiratet war (8). Eng waren die Verwandtschaftsverhältnisse unter den bedeutenden Hamburger Kaufmannsfamilien: Der englische Kaufmann Thornton lebte 1764 - 1835 und besaß die Remise „Halbmondhaus“ an der Elbchaussee 228 sowie einen Sommersitz gegenüber mit Blick auf die Elbe; zur Zeit der Kontinentalsperre vermittelte er englische Unterstützungsgelder an die Kontinentalmächte, welche gegen Napoleon kämpften. Sein Kontor befand sich in seinem Stadthaus am Neuen Wandrahm 1; bei ihm verkehrte u.a. der Herzog v. Braunschweig (vgl. Quelle 6, Hoffmann: 300, Anm. 466). John Thornton war der Bruder von Catharina Godeffroy, geb. Thornton, der Gattin von Peter Godeffroy. Eine ihrer Töchter war Charlotte, verheiratete Paulsen (vgl. z.B. die Kurzbio über die Sozialreformerin und Frauenrechtlerin Charlotte Paulsen in dieser Datenbank).
Auch Rütger Heinrich Klünder war als Kaufmann sehr erfolgreich. Vermutlich kurz nach der Eheschließung mit Friederike erwarb er 1799 das Gelände Schäferkamp, um an seiner höchsten Stelle (später genannt der „Kiekeberg“) ein Landhaus (das heutige Hessehaus) zu errichten und die baumlose Weidefläche, auf der die Blankeneser von alters her ihre Schafe weideten, zu einem Park umzugestalten. Wie damals üblich, zogen Hamburger Kaufleute im Sommer aus der Stadt in ihre meist von namhaften Baumeistern entworfenen und eingerichteten Elbbesitzungen um.
Das Hauptverdienst Friederike Klünders ist ihr persönlicher Einsatz im Kampf gegen die damals grassierende Kuhpocken-Epidemie. Hierzu schrieben Maike und Ronald Holst: „Die feine Frau vom Kiekeberg hielt selbst die Ansteckungsgefahr nicht davon ab, die armseligen Hütten in ihrem Umkreis zu betreten. Wie oft hatte sie Kinder aus der Nachbarschaft entsetzlich leiden sehen. Wie oft hatte sie hilflos zusehen müssen, wie meist Kinder, aber auch Erwachsene von hohem Fieber geschüttelt, Gesicht und Körper mit eitrigen Beulen übersäht, unter entsetzlichen Qualen starben. Die Virenkrankheit Pocken, auch Blattern genannt, war hoch ansteckend und endete meist tödlich. Wer aber überlebte, behielt lebenslang entstellende Pockennarben - auch im Gesicht. Das Leiden der armen Kinder, ihre eigene Unfähigkeit, Abhilfe zu schaffen, ließen Frau Klünder keine Ruh. Eines Tages erfuhr sie, dass zwei (...) Ärzte in Altona ein Institut gegründet hatten, in dem ein wirksames Serum gegen die Pockenkrankheit bereitgehalten wurde“ (4:13).
Ein englischer Arzt namens Edward Jenner hatte 1796 einen zuverlässigen Impfstoff entwickelt, indem er Flüssigkeit aus Kuh-Pockenblasen verwendete – die sogenannte „Vaccination“ (dt. „Vakzination“ von lat. vacca = Kuh). Zwei Jahrzehnte zuvor hatte bereits die Schriftstellerin Mary Wortley Montagu diese im damaligen Osmanischen Reich/Türkei praktizierte Therapie nach England gebracht und zusammen mit dem Botaniker Jan Ingenhousz propagiert und angewendet (de.wikipedia.org/wiki/Mary_Wortley_Montagu). Am 2. Juli 1804 war in Kiel ein „Vaccinationsinstitut“ für den damals dänischen Verwaltungsbezirk, die Herzogtümer Schleswig und Holstein sowie die Stadt Altona zuständig, errichtet worden. In dem Erlass heißt es unter Paragraf 2, dass arme Kinder unentgeltlich vacciniert werden sollten (Vgl. „Die Schleswig-Holsteinische Medicinalverfassung in einer systematischen Reihe von Verordnungen dargestellt und mit einer kritischen Einleitung versehen von N. Dohrn, Dr. und Physicus in Heide. Für Ärzte, Apotheker und Juristen. Heide 1834; Digitalisat im Internet vorhanden, abgerufen 26.6.2018 CG). Also nahm Friederike Klünder Kontakt mit dem in Altona frisch gegründeten Institut auf und bewarb sich als Assistentin bei den Ärzten Johann Heinrich de Chaufepie und Georg Kerner. Sie ließ sich über die Wirksamkeit des Serums aufklären, lernte mit dem Impfstoff umzugehen und selbst Impfungen vorzunehmen. Das war im Jahre 1805 (vgl. 4:13).
Schließlich wurde sie selbständig aktiv in der entschiedenen Bekämpfung der Seuche. Zuerst impfte sie sich und ihre Familie. So wird etwa im Godeffroyschen Familienarchiv ein Impfzeugnis von Johan Cesar Godeffroy verwahrt, der 1816 als Baby von Friederike Klünder geimpft worden war (freundlicher Hinweis von Kai Deecke, E-Mail an CG v. 25.5.2018).
Immer wieder galt es für die Akteure der Aufklärung, Vorbehalten von Medizinern, Theologen oder der Landbevölkerung gegen die Impfungen durch praktisch überzeugendes Handeln entgegenzutreten (9): „Dann suchte Friederike die Vorurteile der Dorfbewohner gegen Blatternimpfungen zu entkräften, indem sie in den Dörfern Dockenhuden, Blankenese, Sülldorf und der umliegenden Gegend von Tür zu Tür ging, den Fischern und Landleuten ihre eigenen geimpften, blühend gesunden Kinder zeigte und anbot, Kinder unentgeltlich selbst zu impfen. ‚Einer der interessantesten Augenblicke ist, diese wohltätige Frau, von einer Schar Bäuerinnen und Kindern umgeben, Schutzblattern impfen zu sehen !’, hieß es über Friederike Klünder 1817 im schleswig-holsteinischen Provinzialbericht. Zwischen 1805 und 1832 nahm Friederike Klünder 2.168 Impfungen vor, wie ihr gewissenhaft geführtes ‚vaccinationsbuch’ belegt. Sie muss etwa 80 Kinder pro Jahr geimpft haben. Augenzeugen zufolge verfuhr Friederike Klünder dabei so geschickt, dass es nur selten zu Tränen kam. Nur zwei Jungen im Alter von sieben Monaten und eindreiviertel Jahren überlebten die Behandlung nicht 4:13).
Von Anfang an hatte sich die junge Kaufmannsgattin als aufmerksam und kreativ-wohltätig erwiesen. Dabei überschritt sie die strengen gesellschaftlichen Normen. Ein Rückblick liefert Beispiele: „Schon bald nach ihrem Einzug (in das Gartenhaus auf dem ‚Kiekeberg’, CG) erkundete die junge Frau ihre Umgebung. Täglich wanderte sie mit ihren Kindern hinunter zum Strand, beobachtete das Treiben der Frauen und Kinder und sprach mit ihnen. Es war die Zeit der Kontinentalsperre (1806 - 1813). Die französische Blockade traf die Blankeneser Fischer ins Mark. Französisches Militär einerseits wie andererseits die englische Flotte verhinderten das Auslaufen ihrer Boote. Damit war es Blankeneser Fischern (die unter dänischer Flagge fuhren) unmöglich, vor Holland auf Fang zu fahren und erst recht, ihre Fische auf den lukrativen holländischen Absatzmärkten zu verkaufen“ (4: 14). Sie durften nur noch in der Elbe, vor Amrum, Sylt und vor der süddänischen Insel Röm fischen, „hatten vor allem aber keine Märkte mehr. Alle Elbfischer von Altona bis Cuxhaven waren in der gleichen schlimmen Situation. Frau Klünder erfuhr von den Nöten. Jetzt fiel ihr auch auf, wie viele Boote auf dem Strand lagen, wie viele Fischer an ihren trocken liegenden Booten oder ihren Netzen herumwerkelten. Sie liefen gar nicht mehr aus. Es lohnte sich nicht. Jetzt verstand sie. Die abgerissene Kleidung der Bevölkerung war schließlich unübersehbar. Manche Kinder bettelten um einen Kanten Brot. Wie mager sie waren! Sie sah Hungerödeme, vereiterte Augen bei den Kleinen. Da musste etwas geschehen. Was konnte sie tun? Wie konnte sie ihren armen Nachbarn helfen?
Gemeinsam mit ihrem Mann überlegte sie. Mit milden Gaben konnte die Not nur vorübergehend gelindert werden. Hilfe zur Selbsthilfe wäre der richtige Weg. Frau Klünder hatte mehrfach beobachtet, dass Blankeneser Frauen am Spinnrad saßen. Spinnräder waren also vorhanden. Daraus müsste man etwas machen können. Schon hatte sie eine Idee: ‚Sie ließ für mehrere tausend Taler Flachs von den Arbeitslosen in Blankenese und Umgebung spinnen (...) und vergalt die Arbeit nach Güte des Gespinstes. Auf diese Weise regte sie zum Nacheifern an, zum Streben nach Vervollkommnung. Sie teilte die Arbeit an jeden selbst aus, nahm sie von jedem wieder entgegen, sortierte Fäden, ließ Garn bleichen und sorgte für das Weben.’ So schrieben die ‚Provinzialberichte’ von 1817 weiter über Friederike Klünder.
Mit drei Frauen, die sie für ihre Idee begeistern konnte, war sie angefangen. Als diese tatsächlich für geleistete Arbeit entlohnt wurden, gab es kein Halten mehr. Immer mehr Frauen wollten von der unverhofften Verdienstmöglichkeit profitieren. Wie die gute Frau es geschafft hat, den Andrang zu bewältigen, das Material zu beschaffen, es persönlich auszuteilen, die Arbeit zu bewerten und die Frauen zu entlohnen, wird ein Rätsel bleiben. Zusätzlich mussten die fertigen Garne und Tuche vermarktet werden, die Transportfrage war zu lösen. Wir können nur hoffen, dass Frau Klünder einsatzfreudige Helfer hatte. Auch Rütger Klünder, Friederikes Ehemann, machte sich Sorgen um die vielen Arbeitslosen. Er hatte vom Blankeneser Vogt Diedrich Struve verschiedene Grundstücke erworben. Die meisten lagen brach.
Eigentlich könnte er auf dem oberen Abschnitt des Kahlkamp eine Ölmühle bauen, entschied er. Gutes Öl war gefragt, Arbeitskräfte reichlich vorhanden. Gleichzeitig könnte er Blankeneser Fischern die dringend nötigen Verdienstmöglichkeiten bieten. Gesagt, getan. Zusätzlich gründete Friederike eine Armenhilfe. Alte, Kranke und Behinderte, Waisenkinder, alle, die ihrer Hilfe bedurften, versuchte sie zu unterstützen. Doch auch ihre Mittel waren nicht unbegrenzt. Deshalb suchte sie Verbündete, z.B. auch unter ihren Besuchern. So erfahren wir, dass der französische Marschall Bernadotte anlässlich eines Besuchs bei den Klünders, Friederike zweihundert Louisdor für ihre Armenhilfe schenkte (Vergleichswert: je nach Gewicht ist ein 22-karätiger Louisdor heute 500-1000 € wert, Stand 2018 CG).
Als Blankenese in den Jahren 1826 und 1827 von schlimmen Brandstiftungen heimgesucht wurde, entstand abermals große Not. Eine Zündelei hatte besonders schwere Folgen und nahm ihren Ausgang im heutigen Sagebiels-Fährhaus. Dessen knochentrockenes Reetdach stand sofort in hellen Flammen. Ein starker Nordostwind fegte Feuerfunken ins tiefere Tal, sodass bald zahlreiche Häuser lichterloh brannten. Über zwanzig Wohngebäude wurden eingeäschert. Etwa doppelt so viele Familien wurden obdachlos. Der Landdrost von Pinneberg, E. A. von Döring, erließ deshalb einen Aufruf um Hilfe für die Abgebrannten.
Natürlich setzten sich die Klünders sofort tatkräftig ein, nahmen Obdachlose auf, versorgten Geschädigte mit Sachspenden und Essen. Dazu gelang es Frau Klünder, die Not der Blankeneser so eindringlich zu schildern, dass vielen das Herz geöffnet wurde. (...) Bis ins hohe Alter sorgte die wohltätige Frau Klünder für ihre Blankeneser und blieb dabei eine schöne Frau von ‚großem persönlichen Liebreiz’“ (4:16).
Rütger Klünder war mittlerweile „Direktor“ (6:246), also vermutlich Generalvertreter der Gothaer Versicherung für den Raum Hamburg. In dieser Region lag um 1842 – also fünf Jahre vor seinem Tod – das Hauptgeschäftsgebiet der Gothaer Feuerversicherung. Nach dem Großen Hamburger Stadtbrand, der zwischen dem 5. und 8. Mai 1842 große Teile der Hamburger Altstadt zerstörte, „hatte die Versicherung so viele Gelder aufgrund ihrer Feuerversicherungen auszuschütten, dass ein bewaffnetes Schiff die Totalsumme aller Gothaer Versicherungsnehmer nach Hamburg bringen musste.“ (Zitat von Ronald Holst, in: E-Mail an CG v. 22.3.2018). Es ist anzunehmen, dass sich Rütger Klünders neue Tätigkeit ab ca. 1806 entwickelte, da nach dem Beginn der Kontinentalsperre die Geschäftstätigkeit seiner bisherigen Firma Peter Godeffroy Söhne & Comp erlosch.
Zwischen 1820 und 1830 kaufte Rütger Klünder – in Erweiterung seines bisherigen Besitzes – „eine östliche, fast dreimal so große Fläche hinzu, die den späteren, zum Teil noch heute bestehenden Hesseschen Park bildet. Auf den kargen Boden ließ er fuderweise Muttererde aus dem Alten Land ausbringen. Südlich der bogenförmig verlaufenden Straße (heute: Am Kiekeberg) befand sich ein weiterer Teil des Klünderschen Parks, bei dem es sich um ein besonders aussichtsreiches Gartengrundstück handelt, das durch eine den Weg überspannende Brücke mit dem Hauptbesitz verbunden war. Wegen der wunderschönen Aussicht nannte man es nach 1928 "Kiekeberg". Klünders Landhaus war auf der Höhe des Parks so platziert, dass der Blick nach Süden von seiner Hauptfront am vorspringenden Kiekeberg vorbei auf die Elbe möglich war. Bei der Baumbepflanzung bemühte man sich natürlich, diese Sichtachse frei zu halten.“(4:16).
Die Klünders hatten drei Töchter. Von der ältesten, Elise (1799-1867), ist bekannt, dass sie seit 1819 mit dem Hamburger Rechtsanwalt, Notar und Senator August Meier verheiratet war (6: 248). Von den beiden anderen ist in den erreichbaren Quellen nichts überliefert.
Das Ehepaar Friederike und Rütger Klünder konnte im Januar 1848 das Fest der Goldenen Hochzeit mit Kindern und Enkelkindern in Blankenese und Hamburg feiern. Kurz darauf starben beide, sie noch im selben Jahr, er ein Jahr darauf. Über ihre genauen Sterbedaten sowie Grablegung ist leider nichts bekannt (6: 250).
Die Erben verkauften den Besitz, Grundstück und Villa, die geteilt wurden. Die Besitzungen grenzten ursprünglich etwa im Norden an die „Oesterleystraße“, umfassten das Gelände des heutigen „Hesseparks“, im Süden reichte es bis zur Straße „Op’n Kamp“ (parallel zur Blankeneser Hauptstraße) und erstreckte sich im Westen bis an die Straße „Kiekeberg“. In den 1850er Jahren „erwarb der Hamburger Syndikus Dr. Carl Hermann Merck (1809-1880; Stiefbruder des Unternehmers und Politikers Ernst Freiherr von Merck) die Besitzung und bewohnte sie mit den Seinen im Sommer fast ein viertel Jahrhundert.“
Der einflussreiche Staatsmann gehörte zur Großfamilie, denn er war mit der Tochter Peter Godeffroys, Luise Susette Godeffroy (1821-1875), verheiratet (6: 251). „Als seine Frau in Blankenese gestorben war, verkaufte Merck im darauffolgenden Jahr 1876 dem gesamten Besitz an den Kaufmann George Heinrich Hesse (1815-1909)“ (6: 252); das Ehepaar Hesse hatte den Besitz nahezu 50 Jahre inne. Georg Heinrich Hesse war Mitinhaber von Hesse Newman & Co., einem Bankhaus, gegründet von seinem Großvater Isaac Hesse, mit der Adresse Erste Elbstraße Nummer 49. Zusammen mit dem Sohn des damaligen englischen Konsuls, Henry Newman, war er auch Mitbegründer der 1870 in Hamburg errichteten Commerzbank (Quelle: Hesse Newman Capital_Pressespiegel. Ingmar Behrens: 230 Jahre hanseatische Werte. Hesse Newman Capital: Start-up mit Geschichte. In: Polis, Januar 2012.pdf). 1926 wurde das Anwesen von der Gemeinde Blankenese erworben und größtenteils parzelliert. Den Rest machte sie als „Hessepark“ der Öffentlichkeit zugänglich (vgl. Hamburg.de/Hessepark).
Kehren wir zurück zu dem Wunsch, die „Buhlckestraße“ in „Friederike-Klünder-Straße“ umzubenennen: Ein Artikel mit dem Titel „Bulckestraße oder Friederike-Klünder-Straße?“ fasste das kontrovers diskutierte Thema so zusammen:„ Bis zur Umbenennung hieß sie Luisenstraße, nach der Frau des Apothekers und Gemeindeverordneten Carl Adolf Hoffmann, der die Luisenstraße vor seinem Tode 1907 veranlasst hatte. Aber 1949 musste Luise dem Juristen und Schriftsteller Dr. Carl Bulcke (1875 Königsberg – 1936 Berlin) weichen, der als junger Mann einige Jahre u.a. in Altona und Blankenese lebte. Danach war er im Berliner Innenministerium als Oberregierungsrat und Leiter der Film-Oberprüfstelle tätig. Im Oktober 1933 unterzeichnete er mit weiteren 87 Schriftstellern das „Gelöbnis treuester Gefolgschaft“ für den „Führer“ Adolf Hitler (Ernst Klee, Kulturlexikon zum Dritten Reich, 2009, S. 79).
Die gleiche Gelöbnis-Unterschrift des Heimatschriftstellers Gustav Frenssen (1863-1945) war 1986 ein wesentlicher Grund für die Umbenennung der Frenssenstraße in Anne-Frank-Straße.
Deshalb hat der Förderkreis Historisches Blankenese e.V. mit breiter örtlicher Unterstützung kürzlich vorgeschlagen, auch die Bulckestraße umzubenennen, und zwar nach der Blankeneser Wohltäterin Friederike Klünder (1776-1848).
Aber das Bezirksamt Altona hat dem Förderkreis inzwischen mitgeteilt, dass eine Straßenumbenennung an enge Voraussetzungen geknüpft sei, die hier nicht vorlägen. Wieso bei Gustav Frenssen? Damit bleibt die Frage: Berliner Nazi oder Blankeneser Wohltäterin? Bulckestraße oder Friederike-Klünder-Straße?“ (10).
Zum aktuellen Stand teilte Ronald Holst mit: „(...) meine Frau und ich haben Friederike Klünder ein Kapitel in unserem Buch "Blankeneser Frauen" gewidmet. Weiter haben wir die FHH (Freie und Hansestadt Hamburg) vor drei Jahren ersucht, dieser bedeutenden Frauengestalt der Blankeneser Geschichte eine Ehrung im öffentlichen Blankeneser Raum zuteil werden zu lassen. Indem z.B. eine Straße o.ä. nach ihr benannt wird. (...) Immer wieder haben wir uns nach dem Stand der Umbenennungs-Angelegenheit bei der Behörde im Technischen Rathaus (Altona) erkundigt, stets wurden wir vertröstet (E-Mail von Ronald Holst an CG mit freundlichen Auskünften vom 22.1.2018). Das Staatsarchiv hatte in seinem Gutachten 2014 auch die Variante einer Straßen-Neu-Benennung durch das Bezirksamt Altona einkalkuliert – möglicherweise im Rahmen der Planung der „Neuen Mitte Altona“ (2). Bei der Benennung von Straßen in der Neuen Mitte Altona wurde jedoch keine Straße nach Friederike Klünder benannt.
Im Amtlichen Anzeiger vom 15. November 2019 wurde unter „Bekanntmachungen, Benennung von Verkehrsflächen“ nun ein Friederike-Klünder-Weg angezeigt. Dazu wurde keine Straße umbenannt, sondern „ein bisher namenloser Wegeteil“ neu benannt und zwar der „etwa 215 m lange, von der Ostgrenze des Hesseparks – in Höhe Blankeneser Bahnhofstraße – nach Westen – mit einer leichten nördlichen Welle – zum Weg Am Kiekeberg führende, bisher namenlose Wegeteil (…)“ (Amtlicher Anzeiger Nr. 91, Freitag, den 15. November 2919, S. 1589.)
Text: Dr. Cornelia Göksu