Heidi Burmeister
(4.11.1944 Bad Doberan – 11.12.1999 Hamburg)
Hamburger Feministin
Geschwister-Scholl-Straße 11 (Wohnadresse von 1971 bis 1999)
Heidi Burmeister wurde am 4.11.1944 in Bad Doberan geboren – die Mutter war wegen der Bombardierungen aus Hamburg ausquartiert. Sie hatte eine jüngere Schwester und vom Krieg gebrochene Eltern.
Nach dem Zweiten Weltkrieg als Proletariertochter mit ihren Eltern und Geschwistern in Othmarschen einquartiert, lernte sie früh Diskriminierung kennen: sie musste zum Kaufmann gehen und anschreiben lassen, wenn der Vater mal wieder den Wochenlohn vertrunken hatte. Zu Hause war es eng, es gab viel Streit und sie suchte so oft wie möglich das Weite.
Obwohl Heidi Burmeister in der Schule gute Leistungen zeigte, kam für die Eltern eine höhere Schulausbildung für die Tochter nicht in Frage. Nach dem Hauptschulabschluss absolvierte Heidi Burmeister eine Lehre zur Einzelhandelskauffrau bei „Eier Schröder.“, wo sie sich wegen der dort vorherrschenden sehr traditionellen Weiblichkeitsvorstellungen und auch wegen der praktizierten Geschäftspolitik sehr unwohl fühlte.
So kam ihr das Leben bei den Pfadfinder-innen sehr entgegen mit Gruppenarbeit, dem Draußen sein, den Wochenendtouren und der Musik. Herkunft oder teure Kleidung spielten dort keine Rolle. Heidi wurde stellvertretende Stammesmeisterin in Othmarschen und leitete einen Mädchenchor, mit dem sie auch nach Südfrankreich zu einem Singe-Wettbewerb reiste. Dort traf sie zwei junge Männer, die sie sehr verehrten und so beschloss sie kurzerhand, anstatt sich mit ihrer Gruppe auf die Heimreise zu begeben, mit diesen beiden weiter durch Frankreich zu reisen. Als noch nicht Volljährige hatte das 1962 einen Skandal bei den evangelischen Pfadfindern zur Folge, sie wurde degradiert und musste sich peinlichen Verhören durch den Pastor stellen.
In dieser Lebensphase starben kurz nacheinander ihre Mutter und ihr Vater an Krebs und eben dieser Pastor wurde ihr Vormund.
Heidi hatte keine Tränen und hat sich in ihrem späteren Leben lange mit Schuldgefühlen herumgeschlagen, weil sie keine Trauer empfunden hatte.
In den 1960er-Jahren gründete sie mit vier jungen Männern in der Hochallee eine der ersten Hamburger Wohngemeinschaften. Alle Bewohner_innen waren in der Jugendbewegung aktiv, mit deren Schwestern und dem Umfeld gründete Heidi eine neue Mädchengruppe, die Mädchentrucht, mit der sie wieder an internationalen Singe-Wettbewerben teilnahm.
Nach erfolgreicher Sonderbegabtenprüfung studierte sie Pädagogik in Lüneburg und schrieb über diese Mädchengruppe auch ihre Examensarbeit. Sie wurde Vorsitzende des Rings Bündischer Jugend (RBJ) und organisierte internationale Solidaritätsarbeit für Geflüchtete aus Chile und Landarbeiter_innen aus Portugal, baute eine Monatszeitschrift für den RBJ auf, produzierte Schallplatten und leitete wieder einen großen Chor, der Mikis Theodorakis so gut gefiel, das er sie zum Gespräch einlud.
Die politische Nähe zum Kommunistischen Bund führte zum Ende städtischer Förderung, der RBJ wurde zerschlagen, Volker Tonnätt, ein enger Freund, der dort mitgearbeitet hatte, bekam Berufsverbot. Und Heidi Burmeister fiel nach dieser Hochphase politischer und kultureller Arbeit in ein tiefes, schwarzes Loch, erlitt einen Zusammenbruch und kämpfte mit Depressionen.
1974 wurden dann die Bildungsurlaubsgesetze von Hamburg und Niedersachsen verabschiedet und sie wurden für Heidi und Volker eine neue Lebensgrundlage: Beide boten Bildungsurlaubsseminare an, so z. B. für VW-Arbeiter_innen in Ostfriesland, Kurse über neue Winzer_innen in Südfrankreich oder zum Thema Hamburg als Tor zur Welt. Die Titel ihrer Frauen-Volkshochschulkurse wie „Uns geht die ganze Welt was an“ und „Frauen über 40 bleiben aktiv“ spiegelten ihre politische Grundauffassung.
Wieder, wie schon so oft, übernahm Heidi eine Führungsrolle. Sie initiierte mit anderen 1980 die „Hamburger Frauenwoche“, die über fast 20 Jahre ein Großereignis für die Neue Frauenbewegung wurde.
Sie gründetet den Verein „Frauen auf Reisen“, entwickelte zahlreiche Reiseangebote ins europäische Ausland wie z.B. „Mit Simone de Beauvoir im Gepäck in die Provence“. Ausspannen ohne abzuschalten war das Motto dieses Vereins, der bis 1999 existierte.
Zudem war sie sehr aktiv in der Anti-Atomkraft Bewegung in Whyl, Kalkar und in Gorleben und auch im Wendland gründete sie ein Frauenforum und organsierte zahlreiche Veranstaltungen.
Als sie auf einer ihrer Südfrankreichreisen Ende der 1970er-Jahre den Larzac-Kampf gegen die Errichtung eines großen Militärcamps mit Stationierung französischer Atomraketen kennenlernte, wurde sie sofort auch dort aktiv. Sie befreundete sich mit einem dort ansässigen Bauern, organisierte Austauschbesuche zwischen Aktivist_innen aus Gorleben und vom Larzac und schlug auf dem Larzac auch Wurzeln. Gemeinsam mit Volker Tonnätt interviewte und fotografierte sie die dort kämpfenden Bauern und Bäuerinnen und schrieb ein Buch darüber: „Zu kämpfen allein schon ist richtig“. Obwohl sie nur geringe Französischkenntnisse besaß, gelang es ihr auch dort sehr schnell, Anerkennung zu finden und eine wichtige Figur zu werden, an die sich viele auch Jahrzehnte später noch gern erinnern. Der Kampf war erfolgreich, das Camp wurde nicht errichtet und Heidi erwarb mit anderen in Les Homs auf dem Larzac ein Haus, das ihr bis zum Lebensende ein wichtiger Heimatort bleiben sollte.
Nach zahlreichen Männerbeziehungen verliebte sie sich im Alter von 40 Jahren während eines Frauenbildungsurlaubs in Paris in eine Frau, in Sonja Schelper, mit der sie dann bis zu ihrem Tod eine Liebesbeziehung lebte.
Es war die Verbindung zwischen zwei Frauenbewegungsaktivistinnen, etwas anderes wäre für sie auch nicht in Frage gekommen. Gemeinsam produktiv zu sein, sonst stirbt die Liebe, das war ihre (und meine) Überzeugung. Das nächste gemeinsame Projekt wurde dann die Gründung und der Aufbau der FrauenAnstiftung, die der Grünen Partei in langen Debatten als ein Teil ihrer politischen Stiftung abgerungen wurde. Damit begann eine weitere blühende Phase, in der Heidi ihre großen Stärken ausleben konnte: etwas anstiften, Frauen begeistern, vernetzen, internationale Verbindungen schaffen. Auch hier war sie eine Pionierin und hat die Osteuropaarbeit der FrauenAnstiftung gestaltet: Nach dem Mauerfall zunächst viele Reisen in die ehemalige DDR, Konferenzen zu Sozialismus und Feminismus, Begründung und Unterstützung von feministischen Projekten in ganz Osteuropa mit Mitteln der deutschen Entwicklungshilfe. Es ging ihr immer um Lernen, Austausch, gemeinsame Visionen. In einem Jahr gelang es ihr, alle europäischen Projektpartnerinnen der FrauenAnstiftung zu gewinnen, auf einen eigenen Förderantrag zu verzichten, um ein großes Gemeinschaftsprojekt zu realisieren – ein zweiwöchiges feministisches Sommercamp für alle in Slowenien. Davon schwärmen manche Aktivistinnen bis heute.
Heidi war radikal, feministisch, links und beeindruckte viele Frauen (und Männer) mit ihrer Würde und Gradlinigkeit.
Eine bekannte serbische Feministin, Lepa Mladjenovic, beschrieb ihre erste Begegnung mit Heidi 1993 so: Ich beobachtete sie beim Essen und hörte zu, wie sie sich in einer mir fremden Sprache mit anderen unterhielt und dachte „das ist die Königin einer lesbischen Nation, diese Energie, diese Vision, ihre Haltung, ihre Augen….das ist eine ganz besondere Frau“. Ähnliches habe ich auch von vielen anderen über Heidi gehört.
Auch außerhalb der Arbeit bei der FrauenAnstiftung blieb Heidi aktiv und so entwickelten wir z.B. gemeinsam eine Veranstaltung zu „Chancen und Fallstricke lesbischer Liebe“, die wir an verschiedenen Orten anboten und die auf überwältigendes Interesse stieß, weil dieses Thema sonst nirgends öffentlich besprochen wurde.
Sie wirkte im Frauenratschlag mit, gründete einen „Weltpolitischen Arbeitskreis“ im Buchladen „Gegenwind“, war kurzzeitig Gleichstellungsbeauftragte der GAL, machte Aktionen mit den „Frauen in Schwarz“ gegen den Jugoslawienkrieg.
Alljährliche Urlaube in Les Homs auf dem Larzac brachten Entspannung beim Wandern, Gärtnern und Lesen, aber auch dort fotografierte sie den sich entwickelnden Bauernmarkt und machte Fotoausstellungen, mischte sich in Diskussionen ein. Wenn wir dort (was häufig geschah) Gäste zum Essen hatten, überlegten wir vorher, zu welchen Themen wir sie in Gespräche verwickeln wollten, damit es kein nur banaler Abend à la „hmmm schmeckt lecker...“ werde.
1995 kam dann ein Lebenseinschlag, der Heidis Leben veränderte: Brustkrebs. Davor hatte sie sich immer schon gefürchtet. Mutter, Vater, Tante, Schwester – alle hatten Krebs und nun auch sie.
Eine Brust musste amputiert werden, ein Ringen um den passenden Weg der Behandlung begann, sie entschied sich für Misteltherapie und gegen klassische Schulmedizin.
Ein ziemlich radikaler Umbruch des Lebens begann: der Körper wurde wichtig, die Gefühle, die Auseinandersetzung mit dem eigenen Gewordensein. Die so disziplinierte und oft auch harte Heidi begeisterte sich für Tanztherapie und begann sich für spirituelle Wege zu interessieren. Es gab eine Annäherung an ihre Schwester, zu der sie Jahrzehnte keinen Kontakt mehr gehabt hatte, auch an meine Familie und andere Freundinnen wurden wichtig.
Nach zwei Jahren gab es einen Rückfall, Bestrahlung mit damals leider noch üblichen schlimmen Verbrennungen. Heidi hat alles in Frage gestellt, der jahrzehntelange Aktivismus hatte sie sehr erschöpft. Sie erwog als Weinbäuerin nach Südfrankreich zu gehen, ein Leben als Fotografin zu beginnen, einen Kriminalroman zu schreiben. Den hat sie auch begonnen, aber nie vollendet.
Zufrieden war sie besonders dann, wenn es ihr gelang, Tanztherapie – sie hatte zwischenzeitlich eine entsprechende Ausbildung absolviert – in ungewöhnliche Kontexte zu bringen. So gestaltete sie ein Treffen von Gleichstellungsbeauftragten und versuchte ihre zahlreichen osteuropäischen Freundinnen mit großem Erfolg für diese fremde Welt zu gewinnen.
Sie reiste bis nach Kasachstan, um dort Tanztherapiekurse anzubieten und eröffnete sich noch einmal eine ganz neue Welt. Eine stolze Anführerin sei sie geblieben und doch viel weicher geworden – so wurde sie oft beschrieben.
1999 begann sie wieder Zukunft zu denken, ihre Energie kam zurück, sie war voller Pläne und wollte auch erneut nach Kasachstan. Davor lag noch eine Konferenz der Heinrich Böll Stiftung in Prag. Es wurde ein großes Wiedersehen mit sehr vielen Feministinnen aus ganz Osteuropa: Sie tanzten alle mit ihr und folgten ihren Anweisungen „unterhaken, aufrecht gehen, Freude, Kraft…“. Das waren für alle erhebende Momente.
Danach setzten schwere Rückenschmerzen ein, eine Reise war nicht mehr möglich. Es folgten traurige Monate, ungeeignete Behandlungsversuche, verzweifelte Verdrängungsversuche bis zur Gewissheit, dass der Krebs zurückgekommen war, ihre Wirbelsäule bereits zersetzt hatte und erste Wirbel bereits eingebrochen waren.
Die letzten drei Wochen im Krankenhaus St. Georg: Auch hier schaffte sie es alle, Ärzte, Schwestern wie auch Mitpatientinnen zu beeindrucken. Eines Tages bat sie mich, in ihr Dreierzimmer heimlich einen guten kalten Weißwein mitzubringen und Prager Kristallgläser, damit sie alle noch mal anstoßen könnten, um ein kleines inneres Feuer haben.
Am 11. Dezember 1999 ist sie dann gestorben und hatte mich gebeten, alles in ihrem Sinne zu regeln:
Eine schöne Feier mit vielen Gästen und Musik auf dem Ohlsdorfer Friedhof und dann eine Urnenbeisetzung mit den französischen Freunden und Freundinnen in St. Sauveur du Larzac, nahe unserem Haus.
Dort liegt sie – und ihr Grab erregte noch Aufsehen, weil es das einzige ohne ein Kreuz war – das hätte nicht zu ihr gepasst.
Text: Sonja Schelper (langjährige Lebensgefährtin von Heidi)