Deutscher Juristinnenbund e.V., Landesverband Hamburg
[Bild:4567_djb|left]1. Die ersten Jahre: 1928 bis 1945
Die Geschichte des ältesten Landesverbandes im Deutschen Juristinnenbund e.V. (DJB), des Landesverbandes Hamburg, reicht zurück bis in das vorige Jahrhundert. Der Landesverband Hamburg des DJB wurde 1928 als Ortsgruppe des im Jahre 1914 in Berlin gegründeten Deutschen Juristinnen-Vereins (DJV), einem Vorläufer des DJB mit 25 Mitgliedern von einer der ersten Juristinnen Hamburgs gegründet.[1] Mathilde Möller-Bing (*13.2.1889 † unbekannt), Tochter des jüdischen Hamburger Kaufmanns Jonas Simon Bing und seiner Frau Merel Emilie (geb. Wolff)[2]. Mathilde Möller-Bing studierte nach der Hochschulreife (1908) Volkswirtschaft, Rechtswissenschaften und wurde an der Universität Heidelberg mit dem Thema „Das Verhältnis von Stadt und Staat in Hamburg“ promoviert (1915).[3] Frauen wurden zu damaliger Zeit zu den 1. und 2. Staatsexamina noch nicht zugelassen. Nur die besten Studentinnen konnten ausnahmsweise promovieren, wenn sie in der ausschließlich männlichen Professorenschaft einen Betreuer für ihr wissenschaftliches Thema fanden.[4] Gleichwohl ohne Berufsberechtigung für die Rechtspflege, ersetzte Mathilde Möller-Bing, wie viele erste promovierte Juristinnen, während des ersten Weltkriegs (1914-1918) die an die Front einberufenen männlichen Juristen in Wirtschaft und Verwaltung. Später war Mathilde Möller-Bing Generalagentin der Hamburger Agentur „Hinrich Wilhelm Kopf“ für die Schweizerische Lebensversicherung und Rentenanstalt Zürich. (Ihr Büro hatte sie bis 1931 in der Hochallee 16. 1934, in der Zeit des Nationalsozialismus, wird im Hamburger Adressbuch die Adresse Rothenbaumchaussee 75 angegeben; in den Jahren danach finden sich keine Einträge mehr.) .In dieser Funktion unterbreitete sie dem Bund deutscher Frauenvereine (BDF), dem zur Weimarer Zeit führenden Dachverband der deutschen Frauenbewegung, einen Vorschlag für die Alterssicherung für Frauen, der auch aus heutiger Sicht fortschrittlich und zukunftsweisend ist (1930).[5] Nachdrücklich hatte Mathilde Möller-Bing gemeinsam mit der Abgeordneten (Deutsche Demokratische Partei) der Hamburgischen Bürgerschaft und, Oberschulrätin Emmy Beckmann, ein Jahr zuvor die Einstellung von Frauen in den Hamburger Justizdienst gefordert, nachdem das Gesetz auf Zulassung von Frauen zu den Berufen der Rechtspflege (1922) den ersten deutschen Juristinnen reichsweit uneingeschränkt die juristischen Staatsexamina und damit erstmals die Berufsberechtigung eröffnete.[6] Die erste Hamburgerin, die 1922 das 1. Staatsexamen bestand und zwar mit der Note „Auszeichnung“, war die Jüdin Emilie Melchior-Braun.[7] Allerdings ignorierte die Hamburger Landesjustizverwaltung das juristische Berufsrecht für die Frau in der juristischen Praxis, indem sie „als Gründe für die bisher unterlassene Beschäftigung von Assessorinnen die (im Vergleich zu Preußen) sehr viel stärkere Geschäftslast hervorhob, die besondere Anforderungen an die Leistungsfähigkeit stellen würde“, heißt es in einem nicht datierten und auch nicht mit Namen der Autorin versehenen Manuskript zur Geschichte des Juristinnenbundes, welches sich im Landesfrauenrat Hamburg befindet. Es könne die bisherige Beschäftigung von Juristinnen in den öffentlichen Rechtsauskunftsstellen und Gütestellen für den Richterdienst nicht ausreichen. Darüber hinaus sei eine Beschäftigung von Hilfsrichtern in Hamburg gesetzlich nicht zugelassen.[8] Hamburg verweigerte den ersten Juristinnen die Chance, einer Bewährung im Richterdienst auf Probe. Mit der Intervention der ersten weiblichen Reichstagsabgeordneten, Marie-Elisabeth Lüders und dem Reichsminister des Innern, wurde das Staatsamt für auswärtige Angelegenheiten der Freien und Hansestadt Hamburg darauf hingewiesen, dass nach Artikel 128 Abs. 1 und Artikel 109 Abs. 2 RV ein Unterschied zwischen Frauen und Männern bei der Zulassung zur Justizlaufbahn nicht gemacht werden dürfe.[9]
Erst am 1. März 1931 wurde Cläre Meyer als erste Assessorin in den Hamburger Justizdienst eingestellt, obgleich sie bereits seit einem Jahr die 2. Staatsprüfung bestanden hatte. Bereits 6 Monate später, am 30. September 1931, wurde Cläre Meyer wegen der Budgetkürzungen im Staatsdienst wieder entlassen. Mathilde Möller-Bing erreichte die Wiedereinstellung Cläre Meyers zunächst in der Wohlfahrtsbehörde (1.4.1932-30.4.1932) und ab dem 1.5.1932 in der Vormundschaftsabteilung im Amtsgericht. Cläre Meyers juristische Tätigkeit endete endgültig in nationalsozialistischer Zeit mit dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums im Jahre 1933.[10] Dieses Gesetz erlaubte, jüdische und aus Sicht der nationalsozialistischen Diktatur politisch unliebsame Beamt*innen und Richter*innen zu entlassen. Frauen wurden aus dem Justizdienst verdrängt und schließlich 1936 auch nicht mehr als Rechtsanwältinnen zugelassen.[11] Der DJV und damit auch sein erster Landesverband, die Ortsgruppe Hamburg, „verschwanden“ aus den Augen der Öffentlichkeit, weil viele erste deutsche Juristinnen aus Politik und Beruf verdrängt wurden, oder wegen ihrer jüdischen Herkunft aus Deutschland ausreisten, wie ein Dankesbrief an die erste Berliner Rechtsanwältin und Mitbegründerin des DJV, Margarete Berent, stark vermuten lässt.[12] Doch die ersten Juristinnen in Hamburg während der 1930er Jahre gaben nicht auf: Karola Fettweis studierte im geisteswissenschaftlichen Studium das Nebenfach Recht an der Hamburger Universität.[13] Clara Klabunde bestand am 25. März 1933 ihr Assessorexamen mit der Note „gut“ und wurde am 13. Mai 1933 als Rechtsanwältin in Hamburg zugelassen. Sie folgte ein Jahr später ihrem Ehemann nach Berlin.[14] Ebenfalls nach Berlin zog es Lilly Elkan (später verh. Melchior), die ihr Assessorexamen am 18. Dezember 1931 mit „gut“ in Hamburg bestanden hatte und der von fortschrittlichen Kollegen das Richteramt empfohlen wurde.[15] Im Einklang mit den Bestrebungen der nationalsozialistischen Diktatur wirkte Käthe Petersen, die nach ihrer Promotion zum Dr.iur. und ihrem Assessorexamen im Mai 1932 in die Wohlfahrtsbehörde als einzige Juristin in den Staatsdienst übernommen wurde und 1937 in die NSDAP eintrat. Ab 1934 hatte sie die Funktion einer Sterilisationspflegerin der Wohlfahrtsbehörde inne und 1936 wurde sie Leiterin des Pflegeamtes für gefährdete Mädchen und Frauen. Käthe Petersen trieb systematisch Entmündigungen, Zwangsterilisationen und Zwangseinweisungen der vom Pflegeamt “betreuten” und kontrollierten Frauen voran. Um das Sterilisationsverfahren reibungslos zu gestalten, wurden die Frauen entmündigt und zum Großteil Petersens Mündel. Ein Teil der zwangssterilisierten Frauen wurden 1942 in KZ-Lager-Bordelle gezwungen.
Allerdings kehrte die Mehrzahl der ersten Hamburger Juristinnen dem Nationalsozialismus den Rücken zu und traten für internationale Beziehungen, Freiheit und Völkerverständigung ein. Magdalena Schoch, die erste habilitierte Juristin an der Hamburger Universität und in Deutschland überhaupt, arbeitete bis zu ihrer Ausreise in die U.S.A. gemeinsam mit ihrem Doktorvater Albrecht Mendelssohn Bartholdy an dem von ihr mitbegründeten „Institut für Auswärtige Politik“.[16] Ihren Namen trägt heute ein Hörsaal und das Mentoring Programm der Universität Hamburg.
2. Nach dem Zweiten Weltkrieg: Die Jahre 1945 bis 1949
Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus durften Juristinnen, die in der Zeit des Nationalsozialismus nicht hatten arbeiten dürfen, wieder tätig werden.
Auch der Juristinnenverein gründete sich wieder neu. In seiner Chronik geht der Deutsche Juristinnenbund u. a. auf seine Forderungen, Aktivitäten und Erfolge bei der Umsetzung des Gleichberechtigungsartikels des Grundgesetzes (ab 1949) in die Deutschen Gesetze ein.
3. Beruflicher Neuanfang für Juristinnen in Deutschland: 1950 bis 1953
In seiner Chronik schreibt der Juristinnenbund: „Die ersten Bemühungen gelten der Abschaffung zahlreicher Benachteiligungen von Frauen im Beamtenrecht (…). Das Bemühen um die Durchsetzung der Gleichberechtigung von Mann und Frau im Beamtenrecht des Bundes bleibt zunächst erfolglos: § 63 Abs. 1 des Vorläufigen Deutschen Beamtengesetzes i.d.F. des Bundespersonalgesetzes vom 17. Mai 1950 enthält die sogenannte Zölibatsklausel, nach welcher eine Frau ohne Rücksicht auf Lebensalter oder Dienstzeit im Falle ihrer Eheschließung entlassen werden kann, wenn ihre wirtschaftliche Versorgung dauernd gesichert ist. Zahlreiche Proteste und Eingaben führen aber schon bald zur Abschaffung der Zölibatsklausel. Bereits das Bundesbeamtengesetz von 1953 sieht in der Verheiratung einer Beamtin keinen Entlassungsgrund mehr.“ [17]
4. Die Reformen im Ehe- und Familienrecht: 1958
Dazu heißt es in der Chronik des Juristinnenbundes: „Bei der Ausarbeitung von Reformvorschlägen für das neue Familienrecht stehen zunächst Fragen des ehelichen Güterrechts und der elterlichen Gewalt in und außerhalb der Ehe im Vordergrund. Während der Entwurf des Bundesjustizministeriums bei der Regelung des neuen Güterstands der Zugewinngemeinschaft dem Ausgleichspflichtigen ein Viertel des Zugewinns vorab zugesteht, fordert die Juristinnenvereinigung die hälftige Teilung des Zugewinns. Auch mit der minderen Rechtsstellung der Mutter im Rahmen der vorgesehenen Regelungen der elterlichen Gewalt und des Vertretungsrechts, insbesondere mit dem Letztentscheidungsrecht (sog. Stichentscheid) des Vaters, können sich die Juristinnen nicht zufrieden geben und verlangen eine Änderung der maßgeblichen §§ 628, 1629 BGB des Entwurfs. (…) Längst nicht alle Vorschläge der Juristinnen finden in diesem Jahrzehnt [1948-1958] Eingang in die entsprechenden Gesetze; so enthält zum Beispiel das 1958 in Kraft getretene Gleichberechtigungsgesetz unter anderem noch die heftig bekämpfte Regelung des Entscheidungsprivilegs des Vaters, den sogenannten Stichentscheid. Mit den in den ersten Jahren erarbeiteten Positionen zu wesentlichen Fragen der Gleichberechtigung ist jedoch ein Grund gelegt, auf den man in den nächsten Jahren immer wieder und letztlich oft doch noch erfolgreich zurückgreifen kann. (…)“ [18]
5. Die Jahre 1958 bis 1967
Hierzu schreibt der Juristinnenbund in seiner Chronik: „Im Vordergrund der rechtspolitischen Arbeit steht zu Beginn dieses Jahrzehnts [1958-1968] die Unterstützung der Verfassungsbeschwerden von vier Müttern – darunter das Mitglied Rechtsanwältin Dr. h.c. Müller-Lüthgenau – gegen den durch das Gleichberechtigungsgesetz von 1957 noch nicht beseitigten Stichentscheid des Vaters. Aufgrund eines Vorstandsbeschlusses wird mit der Vertretung der beschwerdeführenden Mütter in dieser für alle Frauen so wichtigen Frage Prof. Dr. Dr. Müller-Freienfels beauftragt, der seinerseits noch den Staats- und Verfassungsrechtler Prof. Dr. Ridder hinzuzieht. (…) Das Bundesverfassungsgericht stellt 1959 die Verfassungswidrigkeit von § 1628 und 1629 Abs. 1 BGB fest. Bis zur Verbannung des Stichentscheids des Vaters aus dem Gesetz müssen jedoch noch 20 Jahre ins Land gehen, denn eine Reaktion des Gesetzgebers erfolgt erst mit dem Gesetz zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge vom 18. Juli 1979. Der Juristinnenbund befasst sich in dieser Zeit auch mit dem Höferecht, welches in einigen Ländern bei der gesetzlichen Hoferbfolge wegen des Vorzugs des männlichen Geschlechts dem Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau widerspricht. Auch hier bedarf es zunächst einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, damit der Gesetzgeber dann 1964 durch Änderung der Höfeordnung Abhilfe schafft. Die Mitgliederversammlung 1965 in Dortmund nimmt sich des Problems der Staatsangehörigkeit von Kindern deutscher mit Ausländern verheirateter Mütter an und beschließt eine Empfehlung, das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht durch eine Bestimmung zu ergänzen, nach der das eheliche Kind die Staatsangehörigkeit der Mutter unter den gleichen Voraussetzungen erwirbt wie die des Vaters. Aber erst Ende 1974 wird das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz – nach erneutem Drängen des Juristinnenbundes – entsprechend novelliert. Breiten Raum nehmen die grundsätzlichen Arbeiten zum Unehelichenrecht ein. Als einer der ersten Verbände mahnt der Juristinnenbund bereits im Jahre 1961 Gesetzesänderungen zur Verwirklichung des Verfassungsgebots des Art. 6 Abs. 5 und 6 GG an und erarbeitet eine ausführliche Stellungnahme zu dem erst 1966 vorgelegten – und auch hinsichtlich der darin vorgesehenen Regelungen enttäuschenden – Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums. Im Mittelpunkt der Kritik steht insbesondere die automatische Zwangsbeistandschaft des Jugendamts, die schließlich nach zähen Auseinandersetzungen zwar nicht ganz aufgehoben, aber immerhin in eine gesetzliche Pflegschaft umgewandelt wird. Zahlreiche weitere Forderungen des Juristinnenbundes zur Stärkung der Rechtsstellung lediger Mütter finden in späteren Jahren Eingang in die Gesetze und tragen insgesamt zu einer grundlegenden Wandlung der Stellung der nichtehelichen Kinder und ihrer Mütter in der Gesellschaft bei. (…)“ [19]
6. Die Jahre 1968 bis 1977
Über diese Zeit wird in der Chronik des Juristinnenbundes folgendes berichtet: „Mehrere familienrechtliche Themen bestimmen wesentlich die weitere Arbeit des Verbandes in diesem Jahrzehnt [1968-1978]: Aus Anlass der seit 1967 geführten Diskussion über eine Reform des Ehe- und Scheidungsrechts beschäftigt sich die 1968 gebildete Familienrechtskommission – ausgehend davon, dass während und nach der Scheidung die wirtschaftliche Frage für die Frau meist von entscheidendem Gewicht ist – speziell mit der Frage der Neuordnung des Geschiedenenunterhalts. Die Vorschläge der Kommission sehen eine Loslösung des Unterhaltsanspruchs vom Scheidungsverschulden, die grundsätzliche finanzielle Eigenständigkeit der Partner nach der Scheidung, aber zugleich eine wirtschaftliche Mitverantwortung der geschiedenen Ehegatten in Form von Unterhaltsbeziehungen aufgrund von fest umrissenen Unterhaltstatbeständen vor. Dazu gehört entgegen den Vorschlägen der Bundesregierung, dem Ehegatten, der keine nach Alter, Vorbildung und bisherigen Lebensverhältnissen zumutbare Erwerbstätigkeit finden kann – meist ist dies die Frau –, einen klaren eigenen Unterhaltsanspruch zuzubilligen. (…) Auch mit dem im ersten Eherechtsreformgesetz geplanten Namensrecht kann man sich nicht zufriedengeben. Zwar kann nach dem Entwurf auch der Name der Frau gemeinsamer Ehename und Familienname werden, jedoch nur, wenn der Ehemann zustimmt und auf seinen Namen verzichtet. Die Mitgliederversammlung beschäftigt sich im Jahre 1971 mit dem Thema und greift die bereits 1957 entwickelten Vorschläge – Möglichkeit der Weiterführung des Mädchennamens generell oder in Form eines Berufsnamens ohne Standesfolge – wieder auf. In einem Schreiben an alle Bundestagsabgeordneten kritisiert der Juristinnenbund die vorgesehenen Reglungen als unzureichend. Er äußert die Befürchtung, dass angesichts der langen Tradition, nach der der Mannesname Familienname war, die Frau nur sehr schwer ihren Mädchennamen als gemeinsamen Familiennamen werde durchsetzen können. Die verbleibenden Möglichkeiten zur Bildung eines Doppelnamens und zur Anfügung des Geburtsnamens reichten in vielen Fällen nicht aus, um die insbesondere für berufstätige Frauen wichtige Identität mit dem im Zeitpunkt der Eheschließung geführten Namen zu wahren. Die Benachteiligungen für berufstätige Frauen könnten nur vermieden werden, wenn die Ehefrau nach der Eheschließung ihren Mädchennamen entweder generell oder aber als Berufsnamen (ohne Standesfolge) im Bereich der beruflichen Tätigkeit weiterführen könne. Zu diesem Zeitpunkt bleiben die Bemühungen des Juristinnenbundes allerdings ohne Erfolg. Erst 20 Jahre später (1991) wird die Gleichberechtigung der Frau auf namensrechtlichem Gebiet durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts durchgesetzt. (…) Nachdem bereits im Jahr 1969 die Mitgliederversammlung in Travemünde auf die Notwendigkeit der Anpassung von Regelungen des Rentenrechts an die Neuregelungen des Ehe- bzw. Scheidungsrechts hingewiesen hatte, beschäftigt sich in der zweiten Hälfte der 70er-Jahre zunächst ein Unterausschuss Rentenrecht der Familienrechtskommission – ausgehend von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1975, die dem Gesetzgeber die Beseitigung der unterschiedlichen Behandlung des Witwers und der Witwe von Rentenversicherten bis Ende des Jahres 1984 aufgegeben hatte – mit dem Problem der Neuregelung des gesamten Hinterbliebenenrechts. Die ersten Arbeitsergebnisse werden von Vors. Richterin am LSG Dr. Annelies Kohleiss im Rahmen eines Referats‚ Überlegungen zur eigenständigen sozialen Sicherung der Frau‘ anlässlich der 22. Arbeitstagung 1977 in Mainz vorgestellt. Ihnen liegen die folgenden Thesen zugrunde: Die Hinterbliebenenrente ist durch eine eigenständige Sicherung der Hausfrau bzw. des nicht erwerbstätigen Haushaltsführers zu ersetzen. In den Kreis der versicherungspflichtigen Tätigkeiten ist die hauptberufliche Haushaltsführung einzubeziehen. Die Beiträge sind von dem zu tragen, dessen Haushalt geführt wird. Zeiten der Kindererziehung sind mit drei Jahren je Kind als Ausfallzeiten grundsätzlich mit Werten anzurechnen, die den Durchschnittseinkommen aller Versicherten entsprechen. Die während der Ehe erworbenen Anwartschaften werden aufgeteilt, sobald auch beim zweiten Partner der Versicherungsfall des Alters eintritt, oder wenn ein Ehegatte stirbt. Diese Thesen bilden den Einstieg in die grundsätzliche, bis in die 90er-Jahre fortdauernde Auseinandersetzung mit der rentenrechtlichen Problematik durch eine 1978 unter dem Vorsitz von Dr. Annelies Kohleiss eingesetzte Rentenkommission – eine weitere große Kommission, die grundsätzliche Bedeutung für das Selbstverständnis des Verbandes erlangen soll. Die Ende der 60er Jahre einsetzende öffentliche Diskussion über eine Änderung des § 218 StGB ist Anlass für die Bildung der ersten großen Strafrechtskommission, die sich seitdem immer wieder mit dem Recht auf Schwangerschaftsabbruch befassen muss. Sie schlägt eine Liberalisierung des § 218 vor. Wegen der Bedeutung der Problematik wird 1971 eine außerordentliche Mitgliederversammlung einberufen. Diese befürwortet mehrheitlich eine Fristenlösung und fordert ausdrücklich die Einrichtung von Beratungsstellen im ganzen Bundesgebiet und in ausreichender Zahl, spricht sich aber dagegen aus, den Besuch einer Beratungsstelle als Voraussetzung für die straflose Schwangerschaftsunterbrechung zu normieren. Das 1974 beschlossene 5. Gesetz zur Reform des Strafrechts sieht ebenfalls eine Fristenlösung vor, wird allerdings vom Bundesverfassungsgericht als nicht verfassungskonform verworfen, so dass § 218 StGB 1976 durch das 15. Strafrechtsänderungsgesetz an die verfassungsgerichtlichen Vorgaben angepasst wird und die Diskussion für ein gutes Jahrzehnt nahezu verstummt. (…)“ [20]
7. Die Jahre 1978 bis 1987
Und weiter heißt es in der Chronik des Juristinnenbundes über die jahre 1978 bis 1987: „Die 1986 eingesetzte Strafrechtskommission erarbeitet zunächst einen Gesetzentwurf zur Reform der sexuellen Gewaltdelikte und der Nötigung. Über eine Reform der §§ 177 ff. StGB hinaus sieht sie angesichts des bedrückenden institutionellen Umgangs mit misshandelten und sexuell missbrauchten Frauen Handlungsbedarf auch im Bereich der Strafverfolgungspraxis und des Angebots von Beratung und Hilfe für Frauen. 1988 wird die Strafrechtskommission durch den Entwurf eines Schwangerenberatungsgesetzes des BMJFFG genötigt, sich erneut mit Fragen des Schwangerschaftsabbruchs zu befassen. Der Entwurf wird heftig kritisiert. In der Stellungnahme heißt es u.a.: ‚Das Gesetz trägt zwar den Namen 'Beratungsgesetz', will aber Frauen bevormunden und das geltende Strafrecht verschärfen. Die bisher schon schwer verständliche gesetzliche Regelung der §§ 218 ff. StGB wird durch den neuen Gesetzentwurf so unverständlich, dass sie unter dem Gesichtspunkt der Normklarheit verfassungswidrig ist. Wegen der Unübersichtlichkeit der geplanten Regelung ist zu befürchten, dass Frauen wieder verstärkt den Weg ins Ausland suchen oder in die Illegalität gehen. ...‘
Der Sachverstand der Mitglieder der Rentenkommission ist in den 80er-Jahren immer wieder – und sehr häufig mit gutem Erfolg – bei Stellungnahmen und Anhörungen beim Bundesverfassungsgericht gefragt. Längst nicht so erfreulich ist die Wirkung der Stellungnahmen und Argumente des djb in Politik und Gesetzgebung. 1983 – ein Entwurf zu der dem Gesetzgeber vom Bundesverfassungsgericht bis Ende 1984 auferlegten Neuordnung der sozialen Sicherung der Frau und der Hinterbliebenen liegt noch nicht vor – konzentrieren sich die in der Öffentlichkeit geführten Diskussionen immer stärker auf eine ausschließlich zu Lasten von erwerbstätigen Frauen gehende Lösung. Im Hinblick auf die ebenfalls erkennbar gewordenen finanziellen Schwierigkeiten der gesetzlichen Rentenversicherung, die eine Ausweitung des Gesamtvolumens der Ansprüche verbieten, erarbeitet die Rentenkommission insbesondere Vorschläge zu Umschichtungen zugunsten der bis dahin unberücksichtigt gebliebenen Leistung ‚Kindererziehung‘, weil sie nur darin noch eine Chance für eine gerechtere und gleichzeitig finanzierbare Neuordnung sieht. Nach Inkrafttreten der Neuordnung der Hinterbliebenenreform am 1. Januar 1986 muss die Vorsitzende der Rentenkommission, Dr. Annelies Kohleiss in ihrem Bericht bei der Mitgliederversammlung 1987 in Hannover jedoch feststellen: ‚... unsere Vorschläge hatten ... einen wesentlichen Fehler: auch Ansprüche von Männern wären dadurch berührt worden. Männer hätten etwas zugunsten ihrer Ehefrauen abgeben müssen. ... Aus einem Vorhaben, das einmal groß als Neuordnung der sozialen Sicherung der Frauen und der Hinterbliebenen angekündigt worden war, ist eine Neuregelung ausschließlich zu Lasten von Frauen geworden. Das Mehr an Witwerrenten, das in Zukunft anfällt, wird durch Abstriche an den bisher vorgesehenen Leistungen für erwerbstätige bzw. erwerbstätig gewesene Witwen finanziert. ... Die Notwendigkeit einer weiteren Reform - einer sogenannten Strukturreform ist unbestritten.‘ Mit der Einsetzung einer Gleichstellungskommission kann bereits Ende der 80er Jahre die beginnende Diskussion über Möglichkeiten zur Verbesserung der Chancengleichheit von Frauen und Männern – insbesondere auch über Sinn und Zulässigkeit von geschlechtsbezogenen Quoten – beeinflusst werden. Bei der 27. Arbeitstagung 1987 in Hannover findet eine erste Meinungsbildung zu diesen Fragen statt. Unter den Teilnehmerinnen eines Arbeitskreises zum Thema ‚Mittel zur Durchsetzung des Gleichberechtigungsgebotes im öffentlichen Dienst‘ besteht Einigkeit darüber, dass – so der abschließende Bericht –‚ bezüglich der Zugangsvoraussetzungen für in Betracht kommende Bewerber und Bewerberinnen vom Merkmal der Qualifikation auszugehen sei. Angesichts des Begabungspotenzials von Frauen sind hier keinerlei Nachteile zu befürchten.‘ Der Arbeitskreis befürwortet, mit den Merkmalen bestqualifiziert oder gleichqualifiziert im Sinne einer Mindestqualifikation zu arbeiten, gerade auch im Hinblick auf die bestehende Missbrauchsgefahr. Dazu wird u.a. auf den sog. Fall ‚Wassermann‘ hingewiesen. Im Februar 1986 hatte der SPIEGEL über Äußerungen des OLG-Präsidenten von Braunschweig, Rudolf Wassermann berichtet, durch Herabsetzung der formalen Zeugnisqualifikation männlichen Bewerbern mit schlechteren Noten die Tür zum höheren Justizdienst öffnen zu wollen, weil, wenn man weiter am Erfordernis eines vollbefriedigenden Examens festhalte, das dazu führen würde, dass in Bälde überwiegend Frauen in der Justiz tätig seien. (…)“ [21]
8. Die Jahre 1988 bis 1998
Über diese Jahre kann in der Chronik des Juristinnenbundes u. a. nachgelesen werden: „Die Gleichstellungskommission befasst sich in den ersten Jahren [des Zeitraums von 1988-1998] hauptsächlich damit, mit sorgfältiger verfassungsrechtlicher und europarechtlicher Begründung die Quotenforderung abzusichern. Darüber hinaus gibt sie Stellungnahmen ab zum Gleichberechtigungsgesetz des Bundes und zu allen Landesgleichstellungsgesetzen. Hier zieht sich wie ein roter Faden die Forderung nach einer Koppelung der öffentlichen Auftragsvergabe mit Maßnahmen der Frauenförderung in der Privatwirtschaft durch die Argumentation; mit einer Stellungnahme zur Neuregelung des Vergaberechts im Rahmen der GWB-Novelle 1998 wird schließlich immerhin erreicht, dass entsprechende gesetzliche Regelungen der Länder möglich bleiben und werden. Ein weiterer Schwerpunkt ist der Kampf gegen den ‚Portoparagraphen‘ (§ 611 a BGB) auf nationaler und europäischer Ebene. Ab Ende 1989 werden die Themen von der Deutschen Einheit vorgegeben. Noch vor dem formellen Abschluss des Einigungsvertrages kämpfen Juristinnen der Bundesrepublik und der DDR – teils schon unter dem Dach des djb – gemeinsam um ein einheitliches und liberales Recht des Schwangerschaftsabbruchs. "§ 218" wird für kurze Zeit zum beherrschenden Thema der Verhandlungen über den Inhalt des Einigungsvertrages, und der Kampf wird in einem ersten Schritt gewonnen: Art. 31 Abs. 4 des Einigungsvertrages bestimmt für eine Übergangszeit die Fortgeltung des jeweiligen Rechts (Fristenlösung in der DDR und Indikationenmodell in der BRD) in beiden Teilen Deutschlands und verpflichtet den gesamtdeutschen Gesetzgeber, bis zum 31. Dezember 1992 eine Neuregelung zu schaffen. Nachdem sich 1990 in einer Umfrage rund 75 % der Mitglieder für eine der zur Abstimmung gestellten Modifikationen einer Fristenlösung aussprechen, erarbeitet die Strafrechtskommission den Entwurf eines Schwangerschaftskonfliktgesetzes. Der djb schaltet sich ab Januar 1991 in zahlreichen Anhörungen mit diesem Entwurf in die Diskussion ein. Die Arbeit endet allerdings nicht mit dem Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens im Jahre 1992, als aufgrund eines Gruppenantrags insbesondere der weiblichen Abgeordneten des Bundestages eine Fristenlösung mit Beratungspflicht verabschiedet wird, sondern setzt sich fort, weil das Bundesverfassungsgericht das Inkrafttreten des Gesetzes zunächst durch einstweilige Anordnung aussetzt und 1993 teilweise für nichtig erklärt. Die zur Herstellung eines verfassungskonformen Rechts erforderlichen Regelungen bestimmen noch bis 1995 die Arbeit der Strafrechtskommission. (…) 1991 beschließt die Mitgliederversammlung die Einsetzung einer Verfassungskommission, die sich mit eigenen Stellungnahmen und Vorschlägen an der Diskussion über die Überarbeitung des Grundgesetzes beteiligt. Die Kommission beschränkt sich insoweit mit Erfolg auf frauenpolitisch relevante Vorschläge zu den Art. 2, 3, 6 und 20a GG. Außerdem empfiehlt der djb eine Volksabstimmung und setzt sich für eine geschlechtsneutrale Fassung des GG ein. Weitere Themen in diesem Jahrzehnt sind die Neuregelung des Namensrechts, nachdem das Bundesverfassungsgericht 1991 (endlich) die Regelung für verfassungswidrig erklärt, nach der der Mannesname von Gesetzes wegen Ehename wird, wenn die Ehegatten keinen ihrer Geburtsnamen zum Ehenamen bestimmen (§ 1355 II S. 2 BGB), und die Reform des Kindschafts- und Unterhaltsrechts, die zu einer Herausforderung für den Verband wird. (…) Die Strafrechtskommission kann sich nach Abschluss der Debatte um § 218 mit weiteren wichtigen Themen befassen. Sie erarbeitet Gesetzentwürfe für ein rationales Sexualstrafrecht, Stichwort: ‚Vergewaltigung in der Ehe‘, und wirkt auch durch Teilnahme ihrer Mitglieder an zahlreichen Sachverständigenanhörungen erfolgreich daran mit, dass ein Gesetz verabschiedet wird, das ohne diskriminierende Sonderregelungen (‚Versöhnungsklausel‘ ,Widerspruchslösung‘) für Vergewaltigungen innerhalb wie außerhalb einer (ehelichen) Beziehung gleichermaßen gilt.“ [22]