Biografien-Datenbank: Frauen aus Hamburg

Eva Wulle Dr. Eva Wulle, geb. Josephson, später Jansen

(22.8.1902 Hamburg – 16.4.1990 Hamburg-Blankenese)
Ehrenamtlich für die Belange der Frauen engagiert
Blankeneser Hauptstraße 56/58 (Wohnadresse)


Maike und Ronald Holst schreiben über die Familie Jansen, aus der Eva Wulle stammte: „Familie Jansen war eine gut integrierte Familie mit jüdischen Wurzeln. Anfang des 20. Jahrhunderts hatten sie sich taufen lassen und mit der Taufe statt des jüdischen Familiennamens Josephson den Namen Jansen angenommen. 1912 war die Familie mit ihren zwei Söhnen und zwei Töchtern nach Blankenese gezogen. Dr. Carl M. Jansen war ein erfolgreicher Rechtsanwalt mit Kanzlei am Neuen Wall. Er verstarb schon 1916. Seine Witwe Sophie erwarb kurz nach dem 1. Weltkrieg das Haus in der Blankeneser Hauptstraße 56 - 58.
Mit dem Kriegsbeginn von 1914 begann Sophie Jansens soziales Engagement. Unermüdlich setzte sie sich für Menschen in Not ein. 1915 wurde sie zur 1. Vorsitzenden des Norddeutschen Frauenvereins, Ortsgruppe Blankenese/Dockenhuden, gewählt. Teile ihrer Aufgaben endeten mit dem Waffenstillstand. 1932 legte die siebzigjährige Sophie Jansen ihre letzten Ehrenämter nieder.
Am 23.12.1939 wurde Frau Jansen durch die NS-Gesetzgebung gezwungen, ihr Haus zu verkaufen. Andernfalls wäre es enteignet worden. Der Mieter ihrer Erdgeschosswohnung, Prof. Berthold Carstens, kaufte es und versprach: ‚Frau Jansen, wenn sich die Zeiten mal wieder ändern, bekommen Sie Ihr Haus natürlich zurück.‘ Ab Herbst 1941 traute sich Sophie Jansen nicht mehr auf die Straße, weil sie einen Judenstern hätte tragen müssen. Die Rückübertragung ihres Hauses hat sie leider nicht mehr erlebt. Sie wurde 1942 in den Selbstmord getrieben, als sie den Deportationsbescheid erhielt.“[1]
Tochter Eva Wulle studierte nach dem Abitur 1922 Jura mit dem Abschluss Promotion, arbeitete von 1927 bis 1929 als Praktikantin bei der Arbeits- und Sozialbehörde in Hamburg und von 1946 bis 1967 als Angestellte in der Rechtsabteilung derselben Behörde. Als sie 1929 heiratete, musste sie aufhören zu arbeiten, denn es galt das Verbot des Doppelverdienertums, von dem allerdings nur erwerbstätige Frauen betroffen waren, wenn sie einen Mann heirateten, der ebenfalls im Staatsdienst war. Eva Wulles Ehemann war Lehrer. Das Paar hatte ein Kind. Durch diese Ehe war Eva Wulle, die aus einem jüdischen Elternhaus stammte, in der NS-Zeit geschützt. So berichtete sie dem Hamburger Frauenring: „ich hatte in der Nazizeit nicht die nötigen arischen Großmütter – ganz und gar nicht. Ich war nur dadurch, daß ich mit einem arischen Mann verheiratet war und von ihm ein Kind hatte, geschützt, obwohl ich nachher geschieden war.“[2] Nach der Scheidung zog sie mit ihrer Tochter zu ihrer Mutter in die Blankeneser Hauptstraße 56.
Auf ihrer Arbeitsstelle in der Arbeits- und Sozialbehörde gehörte zu ihren Aufgaben: „die Genehmigung von Sammlungen und Wohltätigkeitsveranstaltungen nach dem Sammlungsgesetz zu erteilen, sowie die Überwachung der privaten milden Stiftungen. Wir mussten die Stiftungsvorstände, die die Abrechnungen der Stiftungen vorzulegen hatten, fragen, was sie mit den Geldern gemacht hatten, und ich musste aufpassen, daß der Pastor nicht Gesangsbücher kaufte, wenn er Konfirmanden unterstützen sollte und ähnliches.
Ich hatte dann sehr viel damit zu tun, den Stiftungen behilflich zu sein, ihre Wiedergutmachungsansprüche durchzusetzen.“[3]
„Im Oktober 1944 bekam Frau Wulle die Aufforderung, sich als Arbeitslose auf dem Arbeitsamt zu melden. Nachdem sie ihre Kennkarte (Personalausweis) mit dem ‚J‘ vorgelegt hatte, teilte ihr der zuständige Beamte mit, dass man keine Beschäftigung für sie habe. Dieser Beamte, ein alter Bekannter oder früherer Kollege von ihr, sagte sinngemäß: ‚Ich übergebe Ihnen hiermit alle Akten, die es von Ihnen gibt. Melden Sie sich damit auf unserer Außenstelle in Blankenese. Weitere Akten gibt es nicht! Haben Sie verstanden? Von Ihnen gibt es keine weiteren Akten!‘
Eva Wulle vernichtete zu Hause die ihr überlassenen Papiere nach Beratung mit ihrer Tochter und ihrem Neffen. Damit hatte sie aktenmäßig aufgehört zu existieren.
So gelang es ihr, auch die letzten sieben Monate des Dritten Reichs zu überleben“, schreiben Maike und Ronald Holst.[4]
Seit 1947 arbeitete Eva Wulle ehrenamtlich als Pflegerin im Blankeneser Sozialamt, wofür sie 1972 vom Senat die Medaille für treue Arbeit im Dienste des Volkes verliehen bekam. Auch nahm sie von 1968 bis 1980 ehrenamtlich in der Hamburger Verbraucherzentrale Beschwerden entgegen. Etwa 20 Jahre war sie Kassenführerin des Deutschen Akademikerinnenbundes Hamburg. Jahrzehntelang kümmerte sich Eva Wulle um die Belange der Frauen. In einer Laudatio anlässlich ihres 70. Geburtstages zitierte die Hamburger Morgenpost am 23.8.1972 die Jubilarin: „Trotz der Gleichberechtigung auf dem Papier müssen sich die Frauen für ihre Rechte stark machen. Auf die Wahllisten zum deutschen Bundestag müssen mehr Frauen!“ Eine Forderung, die auch heute noch nicht ihre Dringlichkeit und Aktualität verloren hat.