Grete Albrecht Dr. med. Grete Albrecht, geb. Hieber
(17.8.1893 Hamburg – 5.8.1987 Braunlage)
Neurologin, Psychotherapeutin, Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes
Heilwigstraße 12 (Wohn – und Praxisadresse)
Ihr Grabstein steht im Garten der Frauen auf dem Ohlsdorfer Friedhof, Fuhlsbüttler Straße 756
Elfriede Margarete „Grete“ Albrecht war die Tochter von Charlotte Emilie Hieber, geb. Kammann und des Brauereidirektors Albert Friedrich Hieber. Wenn in ihrer Kindheit über die zukünftigen Berufe der Geschwister gesprochen wurde, dann hieß es vom Vater: „Mädchen heiraten oder werden Lehrerin.“ Grete Hieber wollte aber weder Lehrerin werden, noch hatte sie als Kind den Wunsch, später einmal zu heiraten.
Als Grete Hieber ungefähr zwölf Jahre alt war, verkündete sie ihren Eltern, später Medizin studieren zu wollen. Ihr Vater nannte diese Absicht einen „Spleen“ und äußerte: „Mädchen können gar nicht Arzt werden.“[1]
Als Grete Hieber fünfzehn Jahre alt war, starb der Vaters und Grete konnte ihre Mutter überreden, sie Abitur machen zu lassen. Da es damals noch keine Mädchengymnasien gab, besuchte Grete Hieber eine Privatschule des Vereins für Mädchenbildung und Frauenstudium. 1913 legte sie als Externe das Abitur an einem Realgymnasium für Jungen ab – und noch immer hatte sie den Wunsch, Ärztin zu werden. Um sie davon abzubringen, schickte ihre Mutter sie zu ihrem alten Hausarzt, damit dieser ihr ins Gewissen rede. „Er bestellte mich in seine Sprechstunde und sagte: „Deine Mutter hat mir von Deiner blödsinnigen Idee erzählt. Stimmt es wirklich, dass Du Medizin studieren willst?“ Er wartete gar keine Erklärung ab, sondern schloss kurz und bündig: „Das ist Unsinn! Ein Mädchen wie Du heiratet.“ Dann schickte er mich zum Nachdenken ins Wartezimmer. Schließlich rief er mich wieder herein: „Na, hast Du Dir’s überlegt? Was willst Du machen?“ „Medizin studieren.“ Ehe ich ausweichen konnte, hatte er mir eine kräftige Ohrfeige verpasst. „Dummes Gör …“ murmelte er vor sich hin.“[1]
Schließlich durfte Grete Hieber Medizin studieren, was sie bis 1918 in München, Freiburg i. Br., Kiel und Berlin tat. In Freiburg gehörte sie einer studentischen Wanderbühne an und trat mit ihr im sozialistischen Arbeiterverein auf. Mit Skiern, Kulissenteilen und Kostümen auf den Rücken geschnallt, fuhr die Theatergruppe in die Schwarzwalddörfer. Sie spielten Hans-Sachs-Stücke und den „Jedermann“. “Unsere Hoffnung, auf diese Weise bessere Beziehungen zu Menschen zu bekommen, denen wir sonst kaum begegnet wären, erfüllte sich nur teilweise. Aber ich habe Erfahrungen gesammelt und Lebensformen kennengelernt, die mir bis dahin fremd gewesen waren“,[1] so Grete Albrecht in ihren privaten Aufzeichnungen.
Als sie nach ihrem Medizinalpraktikum, das sie in einem Berliner Krankenhaus absolvierte, einen praktischen Arzt, der als Soldat eingezogen war, in dessen Praxis vertrat, wurde ihr klar, warum sie Medizin hatte studieren wollen. So schreibt sie in ihren privaten Aufzeichnungen: „Die Arbeit in der großen Kassenpraxis, die in einem Arbeiterviertel lag, mit fünfzig bis sechzig Patienten an einem Nachmittag, war neu und aufregend für mich. Zum ersten Mal war ich allein verantwortlich für alles was ich tat oder nicht tat. Noch heute denke ich mit einer gewissen Beklemmung daran, wie ich in der Küche einer Arbeiterwohnung eine stark blutende, junge Frau auf dem Küchentisch curettieren musste, während ihr Ehemann die Szene mit einer Petroleumlampe beleuchtete.“ In dieser Zeit in Berlin wurde Grete Albrecht auch die „Rote Grete“ genannt.
Am Ende ihres praktischen Jahres heiratete Grete Hieber im April 1919 den Juristen Siegfried Ludwig Hermann Albrecht (1890-1967). Im selben Jahr machte sie ihr Staatsexamen und erhielt ihre Approbation. 1920 wurde ihr erster Sohn geboren. Im selben Jahr promovierte Grete Albrecht. 1922 kam dann der zweite Sohn zur Welt. Zwei Jahre später übernahm Grete Albrecht zweimal wöchentlich Beratungsstunden in einer Beratungsstelle der Säuglings- und Kleinkinder-Fürsorge. Doch immer stärker wurde der Wunsch, sich mehr der Medizin widmen zu können. So fing sie in einem Hamburger Krankenhaus als Volontärärztin an und arbeitete auf der Inneren Abteilung und später auf der Abteilung für Haut- und Geschlechtskrankheiten.
Doch Ihr Interesse galt zunehmend den seelischen und neurologischen Erkrankungen. Deshalb absolvierte sie zwischen 1928 und 1929 eine Weiterbildung bei Ernst Kretschmer in Marburg. Ihre beiden Kleinkinder hatte sie nach Marburg mitnehmen müssen. Dort blieb sie zwei Jahre. Weil sie keine Stellung als Assistentin bekam, musste sie sich mit einer Volontärstellung begnügen.
Ende 1929 kehrte sie mit ihren Kindern nach Hamburg zurück und vervollständigte ihre Fachausbildung bei Prof. Nonne in der Neurologie der Universitätsklinik Hamburg Eppendorf. 1931 ließ sie sich dann als Neurologin nieder. Auch wurde sie Mitglied des Deutschen Ärztinnenbundes, dessen Geschäftsführerin sie 1935 wurde. Über die Vereinbarkeit von Beruf und Familienpflichten äußerte sie: „Nachdem ich die Kassenzulassung hatte, wuchs die Zahl der Patienten derart, dass die Arbeit neben Familie und Haushalt schwer zu schaffen war.“[1]
Doch dann übernahmen die Nationalsozialisten die Macht und damit trat der Erlass des Doppelverdiener-Gesetzes in Kraft, wonach u.a. Ärztinnen keine Kassenpraxis führen durften, wenn der Ehemann verdiente. Grete Albrecht verlor 1936 ihre Kassenzulassung, weil ihr Ehemann nach den Nürnberger Rassengesetze als „Jüdischer Mischling ersten Grades“ galt. Im selben Jahr verließ sie auch den Deutschen Ärztinnenbund. Noch 1934 hatte sie sich dort gegen die Diskriminierung verheirateter Ärztinnen eingesetzt. 1942 wurde ihr zweiter Sohn im Alter von zwanzig Jahren als Soldat getötet.
Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus nahm Grete Albrecht 1945 ihre Praxis in ihrer Privatwohnung wieder auf. Zwei Jahre später wurde die Ehe geschieden.
Neben ihrer ärztlichen Tätigkeit baute sie nach dem Krieg die Hamburger Ärztekammer wieder mit auf. 1945 wurde sie in deren Vorstand gewählt und gehörte ihm bis 1962 an. Auch beteiligte sie sich an der Neugründung des Deutschen Ärztinnenbundes. Auch hier war sie ab 1945 im Vorstand tätig und von 1955 bis 1965 dessen Präsidentin sowie bis 1969 dessen Ehrenpräsidentin. Während dieser Zeit war sie auch von 1958 bis 1962 Vize-Präsidentin des Internationalen Ärztinnenbundes. Grete Albrecht wollte durch diese ehrenamtlichen Aktivitäten die Stellung der Frau als Ärztin in der Öffentlichkeit festigen und fördern.
1962 wurde Grete Albrecht mit der Paracelsus-Medaille der deutschen Ärzteschaft ausgezeichnet, weil sie auch in „schwerster Notzeit unbeirrt trotz ihr persönlich drohender Gefahren am Leitbild des Arztes als Helfer der sich ihm anvertrauenden Menschen festhielt“.
Im 2017 von der Kassenärztlichen Vereinigung eröffneten neuen Ärztehaus wurde im Erdgeschoss des Hauses ein Saal nach Grete Albrecht benannt.
Text: Rita Bake