Biografien-Datenbank: Frauen aus Hamburg

Emilija Mitrović

(18.07.1953 Prokuplje (ehemaliges Jugoslawien, heutiges Serbien) - 21.07.2020 Hamburg)
Sozialwissenschaftlerin
Wohnprojekt Ret Marut, Soester Straße 45 (Wohnadresse)
DGB - MigrAr, Besenbinderhof 60 (Wirkungsstätte)


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Emilija Mitrović, Fotograf: Ryszard Majewski

Emilija Mitrović war bekannt für ihren mutigen, vielfältigen und lange währenden Einsatz für die Rechte von Frauen und Migrant*innen. Den verwirklichte sie vor allem durch ihre Forschung als Sozialwissenschaftlerin, als politische Aktivistin sowie durch ihre Arbeit bei der Gewerkschaft ver.di. Immer wieder sorgte sie durch ihre Arbeit und ihr Engagement für mediale Aufmerksamkeit, zugleich half sie auch in konkreten Einzelfällen Menschen in Not.

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Bereits früh engagierte sich Emilija Mitrović politisch und machte bereits als Schulsprecherin Schlagzeilen; Fotoquelle: privat

Die feministische Sozialwissenschaftlerin Emilija Mitrović wurde am 18. Juli1953 in Belgrad, Serbien (damals Jugoslawien) als Tochter einer donauschwäbischen Mutter und eines serbischen Vaters geboren. Nach dem frühen Tod der Mutter nahm ihre Tante sie als 6-Jährige mit nach Deutschland. Sie wuchs bei Iserlohn auf und ging dort zur Schule. Bereits früh zeigte sich ihr gesellschaftspolitisches Engagement als Landesschulsprecherin in NRW. Später studierte sie in Kassel Sozialwesen und Sozialwissenschaften und engagierte sich im Gründungsbeirat der Gesamthochschule. In den1980er Jahren entwickelte sie in der Hamburger Sozialbehörde den Fortbildungsschwerpunkt „Feministische Ansätze von Sozialarbeit und Sozialpolitik“.
Über 35 Jahren lebte sie in Hamburg-St. Georg, wo sie sich aktiv in die Stadtteilpolitik einbrachte. 1989 kam in Hamburg ihre Tochter Mirjana zur Welt. Als Autorin veröffentlichte sie mehrere wissenschaftliche Publikationen und lehrte u.a. an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW) zu den Themen Politische Ansätze von Sozialer Arbeit, Migration, Flucht und Sexarbeit. Ihre Forschung erstreckte sich über die Bereiche „Arbeitsplatz Prostitution“, „Partizipation von Migrant*innnen“ und „Leben in der Illegalität in Hamburg“.

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Emilija Mitrović (Mitte) mit ihren Freundinnen auf der Demonstration „Hände weg von Nicaragua“ am 03.11.1984 in Bonn; Fotograf: Ryszard Majewski

Seit 1988 war Emilija Mitrović Mitglied im Beirat des Bundes Demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi). Außerdem war sie Mitbegründerin und Leiterin der Anlaufstelle für Menschen ohne Papiere beim DGB Hamburg. Für ver.di führte sie Frauenprojekte zu Themen wie „Gewalt gegen Frauen am Arbeitsplatz“, „Emanzipation im Islam“ und „Altersarmut von Frauen“ durch und vertrat im Tchibo-Aufsichtsrat die Interessen von ArbeitnehmerInnen. 2015 wurde sie stellvertretende Vorsitzende im Bundesmigrationsausschuss von ver.di.
Ihr Engagement vereinte somit stets verschiedene Bereiche zwischen Wissenschaft, gewerkschaftlichen Tätigkeiten bis hin zur Kulturarbeit – national wie international und immer eng an soziale Protestbewegungen angebunden.
Ein zentraler Punkt im Wirken von Emilija Mitrović war der Themenkomplex Prostitution. Jahrzehntelang setzte sie sich für die Rechte von Sexarbeiterinnen ein und ging gegen die bestehende Doppelmoral in der Gesellschaft an. Dieser Schwerpunkt ihrer Arbeit zeigte sich bereits Ende der 1980er/Anfang der 1990er-Jahre u.a. bei der Organisation von Wandbildern im Hamburger Hafen. 1994 entwickelte sie zusammen mit der Malerin Hildegund Schuster und der Museumswissenschaftlerin Elisabeth von Dücker das Konzept „FrauenFreiluftGalerie Hamburg“. Das Anliegen war die künstlerisch-historische Spurensicherung von hafenbezogener Frauenarbeit. Die Wandbilder waren inspiriert vom muralismo in Mexiko – eines der Länder, in denen Emilija Mitrović immer wieder für den politischen Austausch insbesondere mit Frauenbewegungen eintrat und beispielsweise die aufkommende Näherinnengewerkschaft der „Costureras“ unterstützte. Zuletzt 2017 ging es um das Ausstellungsprojekt Enlaces | Links, bei welchem sie mit ihrer langjährigen mexikanischen compañera Concepción Alvarez von ihrer länderübergreifenden feministischen Solidarität und Zusammenarbeit berichtete.
Nachdem 2002 in Deutschland ein neues Prostitutionsgesetz in Kraft trat, welches die rechtliche und soziale Situation der freiwillig tätigen Prostituierten verbessern sollte – und damit zu hitzigen Diskussionen führte –, beschäftigte sie sich auch auf der akademischen Ebene intensiv mit der Lage der Betroffenen. Beim Hamburger VSA-Verlag brachte sie 2006 die Publikation „Prostitution und Frauenhandel. Die Rechte von Sexarbeiterinnen stärken! Ausbeutung und Gewalt in Europa bekämpfen!“ heraus. Der Verlag beschreibt es wie folgt: „Was die Boulevardpresse in einen Topf wirft – ‚Prostitution = Frauenhandel = Zwangsprostitution‘ – wird in diesem Buch differenziert und parteilich aus der Sicht der betroffenen Frauen und Männer diskutiert.“ Im folgenden Jahr war Mitrović zudem Herausgeberin der Publikation „Arbeitsplatz Prostitution - ein Beruf wie jeder andere?“, erschienen im LIT-Verlag Münster. Durch diese Arbeit sorgte sie für Aufmerksamkeit für die Lage der Sexarbeiterinnen und konnte auch im medialen Diskurs ein Gegengewicht zu weit verbreiteten konservativen Meinungen schaffen. Da sie eine der wenigen öffentlichen Stimmen war, die sich in der Presse für die Rechte der Sexarbeiterinnen einsetzte, wurde sie immer wieder als Expertin herangezogen und stellte sich Streitgesprächen (www.taz.de/!5101872/). Auch bei dieser Arbeit zeigte sich ihr Einsatz für den internationalen Austausch und dass Emilija Mitrović ihr Handeln nie auf das Akademische beschränkt hat, sondern immer aktivistisch und in direkter Solidarität mit den Betroffenen agierte.
Emilija Mitrović’s zweites Schwerpunktthema wird unter anderem durch ihre Rolle als Autorin in der der 2010 im BdWi-Verlag erschienenen Publikation „Leben ohne Papiere in Hamburg“ deutlich: Rechte für Migrant*innen. Eine ihrer größten Errungenschaften in diesem Bereich ist die 2008 von ihr initiierte erste gewerkschaftliche Beratungsstelle „Migration und Arbeit“ (MigrAr), deren Projektleiterin sie bis zu ihrem Tod war. Die Stelle unterstützt Menschen, die ohne Papiere in Deutschland leben, bei der schwierigen Einforderung ihrer Arbeitsrechte. MigrAr geht somit gegen Ausbeutung vor und sorgte schon wiederholt für mediale Aufmerksamkeit für das Thema. Kai von Appen beschrieb im November 2011 in der „tageszeitung“ (taz) einige der großen Erfolge der Beratungsstelle folgendermaßen:
„Spektakuläre Erfolge konnte die Beratungsstelle 2009 verbuchen, als sie für einen Arbeiter ohne Papiere vorm Arbeitsgericht Celle durchsetzte, dass ihm sieben Jahre lang vorenthaltene Lohnbestandteile in Höhe von 25.500 Euro nachgezahlt wurden. Auch ein Au Pair-Mädchen in Hamburg bekam vorenthaltene Vergütungen nachträglich erstattet. Auch soziale Hilfe steht auf der Agenda der Beratungsstelle. So erwirkte sie für eine osteuropäische Mutter ohne Papiere in Hamburg, dass ihre Kinder auf eine fachgerechte Schule gehen können.“ (www.taz.de/LOHNKLAU-/!5106446/)
Dass diese Arbeit auch gerade jetzt in Bezug auf die nach Deutschland migrierten Geflüchteten wichtig ist, zeigt beispielhaft ein Artikel des „Hamburger Abendblatt“ von 2018, in welchem Emilija Mitrović als Leiterin der Beratungsstelle wegen des Falles eines Migranten aus Afghanistan interviewt wurde. (www.abendblatt.de/hamburg/article213311015/Kein-Lohn-fuer Ahmed.html).

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Emilija Mitrović (Mitte) im Sommer 2020 auf einer Demonstration in Hamburg; Fotoquelle: privat

Die zwei Schwerpunkte Migration und Frauen blieben für Emilija Mitrović jedoch keinesfalls getrennt. Immer wieder verband sie beide Themen in ihrer Arbeit. Bei ihren Frauenprojekten für die Gewerkschaft ver.di organisierte sie beispielsweise Veranstaltungen wie „Frauen - Migration - Flucht“ oder schaffte eine öffentliche Plattform für muslimische Feministinnen. Auch außerhalb der Gewerkschaft brachte sie ihr kämpferisches Engagement für die Rechte von Frauen und Migrant*innen international aber auch lokal ein. So beispielsweise 2016 bei der Initiative „Safe Space“ bei der sie u.a. mit ihrer langjährigen Freundin und Nachbarin Peggy Parnass, Schauspielerin und Gerichtsreporterin, vor einem leerstehenden Hotel in St. Georg für dessen Beschlagnahmung zur Schaffung von Schutzräumen für geflüchtete Frauen protestierte.

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Während einer Aktion des DGB zum 1. Mai 2020 solidarisierte Emilija Mitrović sich mit Geflüchteten. #LeaveNoOneBehind; Bildquelle: privat

„‘Wir verzichten nicht auf unser Demonstrationsrecht, nur weil ein Hotel um seinen Ruf fürchtet‘, sagt Emilija Mitrovic von der Gewerkschaft Ver.di und zeigte auf die Fenster der Fassade: Die Aktivistinnen hatten erste Flüchtlingsfrauen bereits symbolisch in das Gebäude einziehen lassen – indem sie gemalte Bilder von Frauen auf Plakaten hochhielten.“ (www.taz.de/!5266183/)
Im Rahmen des „Frauenratschlags“ engagierte sie sich vor allem für die Kommunikation zwischen den Frauen aus den verschiedenen Ländern Ex-Jugoslawiens. Während der Jugoslawienkriege initiierte sie auf dem Hamburger Rathausmarkt Anti-Gewalt-Aktionen unter dem Titel „Frauen in Schwarz“. Nach dem Krieg setzte sie sich mit dem Projekt „Wege nach Bosnien – Frauenperspektiven in einem zerstörten Land“ für die Entscheidungsfreiheit der geflüchteten Frauen im Hinblick auf eine Rückkehr bzw. auf ein Bleiberecht in Deutschland ein.
Ihr Mut und Einsatz für Frauen und Migrant*innen wird gerade in heutigen Zeiten von Anti Feminismus, Rassismus und erstarkenden neurechten Tendenzen in der Gesellschaft fehlen.
Text: Margret Hauch und Mirjana Mitrovic