Peggy Parnass
(11.10.1927 Hamburg – 12.3.2025 Hamburg)
Autorin, Gerichtsreporterin, Kolumnistin, Schauspielerin
Lange Reihe 84, Haus 5
Bestattet: Jüdischer Friedhof Ilandkoppel, Grablage: F2
Nachruf von Maike Schiller, Ressortleiterin Kultur, FUNKE Medien Hamburg GmbH:
„Der Gedanke an Peggy ist auch der Gedanke an ihre Höhle. An dieses olivgrüne Nest, ihren geschützten Bau, ein paar alte Treppen hoch, oder vielleicht war es doch eher eine Lichtung, wie sie selbst ihre Wohnung einmal genannt hat. In einem Hinterhof an der Langen Reihe in St. Georg, in dem noch immer die große Rotbuche steht und sich an Peggy Parnass erinnert, es kann gar nicht anders sein. Auch wenn sie in ihren letzten Jahren in einem Seniorenstift ganz in der Nähe lebte, in Gedanken bleiben diese grünen Wände, der grüne Teppich, darauf die Bücherstapel, Mengen davon. Bücher, Gemälde, Fotos, Theaterplakate, Briefe, Zeichnungen. Kaum etwas gekauft, fast alles geschenkt, jedes Ding ein Liebesbeweis. So hat sie es immer verstanden, so war es gemeint.
Sie war so schmal, so klein, wie sie da in einem dünnen schwarzen Flatterstoff etwas konfus durch die Räume wuselte, einen Tee in der Küche aufgoss, diese zierliche Person mit ihrer unerwartet tiefen Stimme, wild entschlossene rote Locken. ‚Eine Menge Mund‘, hat sie einmal über ihre eigene Mutter geschrieben, und das galt für sie selbst genauso, in jeder Hinsicht.
‚Ich hatte überhaupt keine glückliche Kindheit‘
Küche und Bad der grünen Lichtung waren auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten, ein fester Partner war nicht mehr eingeplant (‚Manchmal war es schwer. Die großen Männer in die kleine Wanne zu stopfen‘), aber es gab ein riesiges, immer dunkel bezogenes Bett. Ihr Bett war Peggys Zentrum, ihr ‚konzentrierter Ort des Glücks‘. Alles was ihr wichtig war, tat sie dort. Freunde und Liebhaber und Reporterinnen empfangen, schreiben, telefonieren, diktieren, auch Interviews gab sie vollkommen selbstverständlich im Bett. Als Journalistin setzt man sich daneben, wurde ab und zu durch die Wohnung geschickt, um eine Widmung zu suchen, auf die sie aufmerksam machen wollte, ein Buch aufzuschlagen, ein Bild zu holen, eine Schachtel, eine Postkarte. Wer Peggy zu einem Gespräch traf, musste den Tag blockieren. Für sie war ein Interview kein Termin, sondern eine Verabredung. Eine Begegnung. ‚Schön, dass du endlich da bist.‘
In ihrer Wohnung konnte sie gut allein sein. Aber lieber, sehr viel lieber war sie von Menschen umgeben, von möglichst vielen ‚Sorten Mensch‘, weshalb sie sich im bunten St. Georg immer besonders aufgehoben fühlte. Unter Menschen, die ihre Eigenwilligkeit bestaunten und ihr erlagen, die ihren pointensicheren Witz und ihre Originalität schätzten, ihre Unbeirrtheit und schonungslose Ehrlichkeit, diese unbedingte, kindliche Zugewandtheit, die Klugheit, die Empfindsamkeit und Verletzlichkeit. Peggy schenkte sich ihrer Umgebung und ihrem jeweiligen Gegenüber immer ganz, Dünkel und Misstrauen waren ihr verblüffend fremd. ‚Meine Freunde haben alle gemeinsam, dass sie jung sind. Egal wie alt sie sind‘, hat sie einmal gesagt. Für sie selbst galt das umso mehr: ‚Einerseits nie Kind, andererseits nie erwachsen.‘
Beides hatte Gründe. Geboren wurde sie an einem 11. Oktober – vielleicht 1928, vielleicht früher oder später – auf St. Pauli, wo sie in einfachen Verhältnissen und zunehmend bedroht aufwuchs. Zwischen Herzlichkeit und Todesangst. ‚Ich hatte überhaupt keine glückliche Kindheit. Das konnte kein jüdisches Kind haben.‘ Ihre Mutter: Hertha Parnass, geborene Emanuel, die dachte, sie sei nicht schön (‚Dabei ist sie wunderschön. Nur auf Fotos sieht man das nicht so. Weil man sie nicht hört und nicht riecht dabei.‘) Ihr Vater: der 30 Jahre ältere Simon, genannt Pudl, ein jüdischer Pole und ein Zocker: ‚Er war klein, schlank, mit vielen schwarzen Locken. Und einem eleganten Schnurrbart. Nicht wie Hitler, sondern die ganze Mundlänge lang‘, schrieb Peggy in ihren Kindheitserinnerungen. Die Parterrewohnung war klein, feucht, gemütlich – und, das betonte Peggy mit stets hell geschrubbtem Fenstersims: ‚Von wegen dreckige Juden.‘
Ihre Kindheit endete spätestens 1939, auf dem Bahnsteig am Hamburger Hauptbahnhof, auf dem sich ihre Mutter verabschiedete von Peggy und ihrem kleinen Bruder Gady. Mutti mit der duftenden Haut, ‚weil sie sich immer wusch‘, winkte wie wild und lachte. Sie komme bald schon nach! Es ist das Letzte, was die Geschwister sahen: dieses Winken und dieses Lachen. Peggy und der vierjährige ‚Bübchen‘ wurden mit einem Kindertransport ins sichere Stockholm geschickt, organisiert von der jüdischen Hamburger Kaufmannsfamilie Warburg. Mutti und Pudl wurden von den Nazis ins Vernichtungslager Treblinka gebracht und ermordet, wie mehr als 100 weitere verwandte ihrer großen Familie. Peggy sah ihre Eltern nie wieder. Heute ist in Hamburg ein Platz nach ihnen benannt, ihre Stolpersteine liegen in der Methfesselstraße 13 in Eimsbüttel, davor ein dritter Stein: ‚Die Liebenden‘, steht darauf.
In Stockholm erzählte das Mädchen, was die Deutschen mit den Juden machten: ‚Nur, das wollte mir keiner glauben.‘ Sie lernte rasant Schwedisch, kam kurz vor Kriegsende mit ihrem Bruder zu einem Onkel, der in London überlebt hatte. Ihr Bruder blieb, wurde Brite, Peggy kehrte nach Schweden zurück und erhielt den schwedischen Pass. Sie studierte in Stockholm, London, Paris und Hamburg, arbeitete als Sprachlehrerin, Dolmetscherin, Schauspielerin, Autorin. Berühmt aber – vermutlich anfangs durchaus auch: berüchtigt – wurde sie als entschieden moralische Gerichtsreporterin.
Peggy sammelte Geschichten. Über Halunken und Schmuggler, Mörder und Vergewaltiger, Trinker und Süchtige, ungewollt Schwangere und ungerecht behandelte, Huren, arme Teufel und abgrundtief Böse, über den ‚Dollar-Drucker von Barmbek‘, über den Frauenmörder Fritz Honka (‚Er war sehr adrett‘).
Die meisten ihrer Geschichten waren ihr so wichtig, dass sie in der Redaktion um jede Silbe kämpfte. Als später ihr Buch ‚Prozesse‘ erschien, wo sich all diese Figuren ihrer Zeit noch einmal versammelten, habe sie das Buchpäckchen mit in ihre Stammkneipe genommen, erzählte sie in einem Fernsehinterview, habe es ungeduldig aufgerissen (‚mit den Zähnen!‘) – und den Einband abgeleckt. Über die Zustände, über Alltäglichkeiten und so manche Unerträglichkeiten in den bundesrepublikanischen Gerichtssälen lernte man bei der Lektüre eine Menge, weil Peggy es sich zur Aufgabe machte, ‚nicht in Distanz zu erfrieren‘, wie sie es selbst mal formulierte.
Sie war grundsätzlich mittendrin, sie schaute zu, hörte hin, fieberte mit, notierte. Bei einem Vergewaltigungsprozess, bei dem das minderjährige Opfer aussagen musste und im Minirock ‚hereinschlendert‘, kommentierte auf der Pressetribüne jemand: ‚Da würde ich ja auch mal gerne …‘ Peggy hielt auch solche Ungeheuerlichkeiten für die Leser und Leserinnen fest.
Mehrfach wurde sie von Verhandlungen ausgeschlossen – ‚aber angedroht noch viel öfter‘, erinnerte sie sich 2017 in einem großen Abendblatt-Interview. ‚Weil ich Angeklagte umarmt habe, zum Beispiel, wenn sie mir leidtaten. Sie allein, so ausgeliefert uns Voyeuren.‘ Kaum ein Prozess aber ging ihr so nah wie der, in dem der einstige SS-Standartenführer und Gestapo-Mann Ludwig Hahn Anfang der 1970er-Jahre in Hamburg vor Gericht stand. Dr. Ludwig Hahn, Volljurist, Sicherheitspolizeikommandeur in Krakau, Himmlers Beauftragter in Preßburg, während seiner Zeit in Warschau waren Hunderttausende ins Vernichtungslager gebracht worden. Hahn war mitverantwortlich für die endgültige Räumung des Warschauer Ghettos. ‚Immer, wenn ich anfangen will, über Hahn zu schreiben, wird mir schwarz vor Augen und speiübel. Mal vor Trauer, Mal vor Wut.‘
Schon, dass sie bei Gericht mit einer großen Tasche einfach so eingelassen wird, ohne Kontrolle, irritierte sie: ‚Ganz recht: Man befürchtet hier kein Attentat. Weder auf den Angeklagten noch auf das Gericht. Weder von jüdischer noch kommunistischer, noch polnischer, ganz zu schweigen von anarchistischer Seite.‘ Sie beobachtete, wie die Fotografen und Kameraleute sich vor der Verhandlung auf jeden älteren Mann stürzten, der das Gebäude betritt: ‚Ungefähr zwanzigmal, bis es wirklich Hahn ist. So wird uns klar: Jeder konnte es gewesen sein.‘ Dass sie ‚nicht eine Sekunde Entsetzen‘ in den Gesichtern von Hahns Ehefrau und seinen erwachsenen Kindern ausmachen konnte, beschäftigte sie noch Jahrzehnte später. Ebenso wie das Verhalten des Richters: ‚Der Vorsitzende hat sich immer bei ihm entschuldigt. ‚Herr Doktor, bitte entschuldigen Sie, wenn ich das so frage…‘.
Der ‚Stern‘ nannte sie, die wiederholt und nachdrücklich auf alte Nationalsozialisten in der Justiz hinwies, einmal die ‚Richterin der Richter‘, und der ‚Spiegel‘, durchaus mit Hochachtung, eine ‚vorsätzlich hemmungslose Person‘: ‚Es gibt kaum eine Figur des deutschen Journalismus, die sich so bockig allen Gepflogenheiten des Gewerbes widersetzt, die da lauten: Objektivität, Ausgewogenheit, Distanz.‘ Natürlich! Hat man da sofort ihre empörte, dunkle Stimme im Ohr. Wäre sie ausgewogen und distanziert gewesen, hätte sich ja nichts geändert. Peggy Parnass aber wollte nicht vor allem schön schreiben oder klug oder süffisant. Sie wollte vor allem wirkmächtig schreiben.
Für eigene Belange zu kämpfen, fiel ihr schwer
Dabei war ihr eigentlicher Berufswunsch ein anderer: Schauspielerin hatte sie werden wollen. Wurde es auch, drehte in den 1960er-Jahren mit Roland Klick, spielte in Jürgen Rolands ‚Stahlnetz‘, später auch in der ‚Lindenstraße‘. Ihre lange Karriere als Gerichtsreporterin war gewissermaßen Notwehr: ‚Ich versuchte, immer andere dazu zu bringen, ins Gericht zu gehen und für richtige Reportagen zu sorgen. Es ging mir vor allem um die NS-Prozesse. Alle möglichen Leute haben mich interviewt, als Schauspielerin, und ich habe jedem und jeder gesagt: Ist doch völlig überflüssig! Geh ins Gericht! Da läuft die Musik! Und alle haben geantwortet: Das ist doch ein anderer Beruf, ich schreibe fürs Feuilleton. Dann habe ich Ulrike Meinhof gefragt, die war ja auch Journalistin, aber die hatte auch genug zu tun mit ‚Panorama‘ und solchen Dingen. Ines Stosch von der ‚Frankfurter Rundschau‘ hat schließlich gesagt: Peggy wenn’s dir so wichtig ist, geh doch selber hin! Hab ich dann gemacht.‘
Bei der ‚Frankfurter Rundschau‘ allerdings hielt es sie lediglich eine einzige Woche: ‚Ich hab schnell gemerkt, dass die nicht wollen, was ich will‘, ihre wertende, emotionale, autobiografische Art zu schreiben, passte nicht. Peggy Parnass wechselte zur linken Monatszeitschrift ‚Konkret‘ – und blieb 17 Jahre lang. Eilte im langen Flatterkleid, meist schwarz, und mit offenem Wuschelhaar in die Verhandlungen. Auch als sie ernüchtert feststellte, dass es viel weniger NS-Prozesse gibt, als nötig gewesen wären. Mehr als 500 Prozesse begleitete Peggy Parnass schreibend – nur drei davon gegen Nationalsozialisten. ‚Ich habe im Gericht nicht einen von den Massenmördern gesehen, der bereut hätte‘, erzählte sie später. ‚Keinen Anflug von Bedauern. Nur um sich selber.‘
Leidenschaftlich schrieb sie gegen den Abtreibungsparagrafen 218 an, nahm (gemeinsam mit dem Kiez-Fotografen Günter Zint und mit Otto Waalkes) an einer verbotenen Großdemonstration in Brokdorf teil. Sie kämpfte in Texten und meinungsstarken Talkshow-Auftritten gegen Aufrüstung, gegen Antisemitismus, gegen Atomkraft und für die Rechte Homosexueller: Sie dokumentierte Ungerechtigkeiten, unermüdlich, ‚immer, was gerade fällig war‘. Sie schonte sich nicht, exponierte sich. ‚Die ganzen Jahre ging ich nie an einer Anklagebank vorbei zur Pressebank, ohne das Gefühl zu haben: reiner Zufall, dass ich nicht dort sitze.‘
Immer wieder nahm Peggy Parnass auch Kontakt zu den Familien von verurteilten auf, zu Frauen und Kindern: ‚Die sind ja immer mitverurteilt. Datum habe ich so viele schöne Häkelstolas. Die wollten sich ja immer revanchieren. Ich habe Häkelstolas in Mengen.‘ Einmal. Mitte der 1970-er Jahre, ohrfeigte sie einen Polizisten – und landete selbst als Angeklagte vor Gericht. Beleidigung, Widerstand gegen die Staatsgewalt, Körperverletzung. Es war ein weiteres traumatisches Ereignis, zwar wurde sie freigesprochen, aber ein ihr wohlgesonnener psychologischer Gutachter beschrieb die Situation anschaulich: ‚Es ist eindeutig – mit ihrer Arbeit begibt sie sich in das Milieu ihrer Kindheit zurück. Stellt sich den Feinden, obwohl das ihrem Seelenfrieden überhaupt nicht bekommt.‘ Für andere konnte sie sich bedingungslos einsetzen, für eigene Belange zu kämpfen, fiel ihr schwer.
Das übernahmen Freunde für sie. Und Peggy hat einen Haufen davon: Freunde, Freundinnen, Begleiter, Gefährten, Familie (was nach den Massenmorden der Nazis davon übrig ist) und Wahlfamilie, Liebhaber – dass es die immer gab, darauf legte sie auch im hohen Alter Wert. Als sie sich einen Lendenwirbel brach, verkündete sie offensiv, es sei ‚im Liebesrausch‘ passiert. Da war sie längst weit über 80.
Sie habe immer ‚sehr drauflos gelebt‘, sagte sie einmal. Peggy dürstete geradezu nach Zuneigung. Fast immer führte sie jemanden an der Hand. Mit Peter Rühmkorf und Klaus Rainer Röhl gründet sie an der Uni eine Theatergruppe. Mit Ralph Giordano ging sie bis zu seinem Tod chinesisch essen und zu den Premieren der Stadt. Georg Stefan Troller, der sie mit Giordano gemeinsam überredete, 2008 das Bundesverdienstkreuz anzunehmen, obwohl ihr das eigentlich widerstrebte (‚weil ich ja weiß, wer das noch alles bekommen hat‘). Rainer Neumann, der sie bis zum Schluss zu Veranstaltungen begleitete, ihren Rollstuhl schob, in ihrem Namen herzliche Mails verschickte. Die brasilianische Künstlerin Tita do Rego Silva, die sie kennenlernte, weil sie, Peggy immer splitternackt ihre Balkonblumen goss.
Tita wohnte gegenüber und wurde zu einer engen Freundin. Sie gestaltete ihr das großformatige Künstlerbuch ‚Kindheit‘, voller eigenwilliger Farbholzschnitte und Peggy-Erinnerungen – an den Verlust der Eltern, an die Kinderschwester, die sie zwang, ihr Erbrochenes zu essen, an erste Küsse und die Gräueltaten der Nazis, an ihre Abendgebete: ‚Lieber Gott, mach mich dumm, Denken tut so weh.‘
Tita do Rego Silva gehörte zum Kreis jener, die sich nach einem schweren Unfall 2004 kümmerten und die auch später, als Peggy ihre geliebte Wohnung aufgeben und in ein Seniorenstift umziehen musste, für sie da waren. Wie Peggys Sohn Kim und seine Frau Maria, wie die Theaterintendantin Isabella Vértes-Schütter, die Autorin Doris Gercke, die kurz vor ihr verstorbene Schauspielerin Hannelore Hoger, Anke und Knut Terjung, manche riefen regelmäßig an, andere brachten Obst oder Zeitschriften. Der Budni-Unternehmer Cord Wöhlke wurde von Peggy mit den Worten: ‚Du bist ein sehr guter Junge‘ bedacht, so wie andere Weggefährten, so wie auch der Erste Bürgermeister Hamburgs, den Peggy einen ‚Lieblingsmenschen‘ nannte: ‚Dass du da bist!‘, freute sie sich einmal über Peter Tschentscher in einer Matinee am Ernst Deutsch Theater. Sie duzte alle, alle duzten sie, Hierarchien spielten keine Rolle.
Auch das eigene Alter war Peggy egal, höchstens war es lästig, wenn sie die Stufen zu einer Bühne nicht mehr ohne Hilfe gehen konnte oder wenn sie wieder ihr Hörgerät vergessen hatte und nicht verstehen konnte, was gesagt wurde. Aber Zahlen? Peggy hatte nie verstanden, warum es jemand wichtig finden konnte, wie alt sie nun tatsächlich war. Vielleicht, weil sie selbst nie daran geglaubt hatte, dass sie ein solch hohes Alter überhaupt je erreicht. Mehr als 25 Jahre zu schaffen – schon das hatte sie als ein Geschenk begriffen. ‚Alle paar Jahre gratuliert mir einer zu einem runden Geburtstag, den ich gar nicht habe. Vielleicht bin ich älter, vielleicht bin ich jünger.‘ Am 11. Oktober 2022 organisierten Freunde ihr ein kleines Fest, vielleicht zum 95., im Café Koppel in St. Georg. Angst hatte sie vorm Alleinsein, nicht vorm eigenen Alter. ‚Nee. Ich will nur nicht sterben. Das stört mich wirklich sehr.‘
Als sie in der letzten Premiere, die sie vor wenigen Wochen noch im Ernst Deutsch Theater besuchte, vor der Vorstellung im Foyer in ihrem Rollstuhl saß und von so vielen, vielen begrüßt und über die schon ganz pergamentzarten, weichen Hände gestreichelt wurde, lächelte sie liebevoll und dankbar. Am 12. März ist Peggy Parnass in Hamburg gestorben.
Sie hatte sich immer gewünscht, dass ihr Vater Pudl und ihre Mutti, die so irrsinnig verrückt nacheinander waren, wie Peggy nie müde wurde zu schwärmen, noch ganz zum Schluss eng umschlungen waren. Dass sie im Vernichtungslager Treblinka nicht auseinandergerissen wurden. ‚Die Vorstellung, dass die beiden küssend gestorben sind, ist tröstlich.‘
So wie die Vorstellung, dass sie jetzt gemeinsam warten, um Peggy zu empfangen. Küssend. Lachend. Da bist du ja.“
Text von Maike Schiller, abgedruckt im Hamburger Abendblatt vom 13. März 2025 unter dem Titel: Peggy Parnass ist tot: „Nur nicht sterben. Das stört mich wirklich“. „Einerseits nie Kind, andererseits nie erwachsen‘, sagte sie über sich selbst. Mit Peggy verliert Hamburg eine herzenswarme, mutige Weltbürgerin – und eine kämpferische Journalistin.
Text hier wiedergegeben mit freundlicher Genehmigung von Maike Schiller.