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Julia Dingwort-Nusseck Dr. Julia Dingwort-Nusseck

(6.10.1921 Altona – 7.6.2025)
Wirtschaftsjournalistin, Präsidentin der Landeszentralbank Niedersachen


Julia Dingwort-Nusseck war immer die „erste Frau“. So fungierte sie von 1976 bis 1988 als erste Frau als Präsidentin der Landeszentralbank Niedersachsen. „In dieser Eigenschaft war sie auch die erste Frau im Zentralbankrat der Deutschen Bundesbank. Parteipolitisch engagierte sie sich für die CDU“1), heißt es in Wikipedia. 1970 war sie dort eingetreten.

Julia Dingwort-Nussecks Vater war selbstständiger Malermeister, ihre Mutter hatte als Kindergärtnerin gearbeitet.

Nach dem Abitur 1940 studierte sie auf Empfehlung ihres Vaters Wirtschaftswissenschaften. Eigentlich hatte sie Juristin werden wollen, doch ihr Vater meinte, dass sie in der NS-Zeit solch einen Beruf nicht ausüben könne. Sie studierte in Hamburg und Tübingen und die Wirtschaftswissenschaften wurden zu ihrem Traumberuf. Sie schloss ihr Studium 1943 mit dem Titel Diplom-Volkswirtin ab. 1944 erfolgte die Promotion.

Ihre erste Berufsstation fand sie in Hamburg als Vorstandssekretärin bei der Neuen Sparcasse von 1864. Doch schon 1946 wechselte sie zu Radio Hamburg (Vorläufer des NWDR, Nord West Deutscher Rundfunk, später NDR). Dort wurde sie zunächst beim Frauenfunk eingesetzt, „denn so das Hamburger Abendblatt (8.3.2013): ‚Etwas anderes konnten sich die Leitenden damals für Journalistinnen kaum vorstellen‘." 2) Doch bereits ein Jahr später übernahm sie die Leitung des Ressorts Wirtschaft, denn bei dem bisherigen Leiter war dessen NS-Belastung bekannt geworden, woraufhin er entlassen worden war.

„Wie steinig ihr Weg werden könnte, zeigte sich bereits, als sie ihre selbst recherchierten Wirtschaftsnachrichten im Radio nicht sprechen durfte. Ein Schauspieler wurde engagiert, statt Julia Nusseck, wie sie damals noch hieß, verstanden die Hörer vermutlich den Namen Julian Usseck. ‚Die Verantwortlichen im Sender dachten wohl, eine Frau wird nicht ernst genommen, wenn sie über die Wirtschaft spricht‘, sagte sie. Doch dann wurde der Sprecher plötzlich krank - und Julia Dingwort-Nusseck trug ihre Texte selbst vor. Aufgeregt darüber haben sich die Hörer kaum, nur die damalige Zeitung ‚Hamburger Freie Presse‘ hat das ‚Ungeheuerliche‘ thematisiert‘“, 3) heißt es in einem Hamburger Abendblatt Artikel von Daniela Stürmlinger.

1969 wurde Julia Dingwort-Nusseck stellvertretende Chefredakteurin der Hauptabteilung Zeitgeschehen/Fernsehen beim NDR und zugleich Leiterin der Wirtschaftsredaktion im NDR Fernsehen Hamburg. 1973 wurde sie Leiterin der Chefredaktion Fernsehen und Leiterin des Programmbereiches „Politik“. In all diesen Positionen war sie die erste Frau, die solch eine Tätigkeit übernahm. Ebenfalls 1973 erhielt sie den Karl-Bräuer-Preis und die Goldene Kamera. In seinem Nachruf schreibt Prof. Dr. Michael Göring: „Die Älteren unter uns können sich noch an ihre regelmäßigen Wirtschaftskommentare in der ARD erinnern, die – wie sie mir einmal erzählte – nicht unumstritten waren. ‚Kann denn eine Frau glaubwürdig ökonomische Fragen und Probleme kommentieren?‘, wurde unter den ARD-Verantwortlichen und Zuschauern anfangs gern diskutiert. Frau Dingwort-Nusseck hat alle schnell von sich überzeugt. Sie war eine starke Frau, die durch ihre Persönlichkeit in Deutschland viel verändert hat.“ 4)

Und in dem Nachruf der Bundesbank heißt es über Julia Dingwort-Nussecks journalistischen Beiträge: „Ihre Beiträge zeichneten sich dadurch aus, dass sie hierin wirtschaftliche und wirtschaftspolitische Zusammenhänge auf unterhaltsame Art präsentierte und sie für ein breites Publikum verständlich machte.“5)

1975 wurde Julia Dingwort-Nusseck der Adolf-Grimme-Preis verliehen. Die Position als Chefredakteurin füllte sie bis September 1976 aus.

Im Sommer 1976 nominierte „der niedersächsische Finanzminister Walther Leisler Kiep (…) [Julia Dingwort-Nusseck] mit Unterstützung durch Ministerpräsident Ernst Albrecht als niedersächsische Landeszentralbankpräsidentin. Der Zentralbankrat der Bundesbank lehnte sie mit zehn zu sechs Stimmen ab. Da der Zentralbankrat in dieser Sache nur ein Anhörungsrecht hatte, wurde sie am 1. Oktober 1976 niedersächsische Landeszentralbankpräsidentin und in dieser Funktion Mitglied des Zentralbankrates. Wegen ihres neuen Amtes musste sie ihr Aufsichtsratsmandat bei der Horten AG niederlegen. Später erhielt sie von den Mitgliedern des Zentralbankrats für ihre zweite Amtszeit eine einstimmige Nominierung. Sie schied 1988 aus dem Gremium aus,“ 6) ist in Wikipedia nachzulesen.

In einem Artikel der Süddeutschen Zeitung heißt es über die Nominierung zur Landeszentralbankpräsidentin: „Eine Frau! Eine Journalistin! ‚Warum die?‘, zitierte daraufhin - ausgerechnet - eine Spiegel-Redakteurin einen Frankfurter Währungshüter. Der gab vor, nichts gegen eine Frau im Amt zu haben. Aber eine Journalistin gefährde doch die fachliche Qualifikation des Landeszentralbankrats.

Dieser Rat war schließlich nicht irgendein Gremium, sondern das oberste Entscheidungsorgan der Bundesbank. Es bestand aus den Präsidenten der Landeszentralbanken, bis 2002 selbständige Institutionen der Länder, und dem Bundesbankpräsidenten. Damals noch unabhängig, entschied das Gremium über die Geldpolitik im Land. Eine Frau in diesem Gremium hatte es noch nie gegeben.

Dabei wäre es beinahe geblieben, denn an der entscheidenden Sitzung, auf der sie sich hätte vorstellen sollen, konnte sie wegen einer Reise nicht teilnehmen. Man hatte sie beruhigen wollen, das sei gar nicht nötig. Ihre Gegner machten derweil Front, der Zentralbankrat lehnte sie mit zehn zu sechs Stimmen ab. Der damalige Bundesbankpräsident Karl Klasen bat sie: ‚Sagen Sie doch bitte, dass Sie für dieses Amt nicht zur Verfügung stehen.‘ Das jedoch ließ sie sich nicht gefallen. ‚Da kam mein weiblicher Trotz durch: Wenn ich mir das zutraue, dann mach ich das auch!‘, sagt sie heute. Vom Bundesrat wurde sie dann zwar einstimmig gewählt. Die Wunde schloss sich aber erst, als ihr Vertrag acht Jahre später einstimmig verlängert wurde. ‚Da habe ich geheult vor Freude.‘“ 7)

Über ihre Zeit im Zentralbankrat und das, was sie dort tat, heißt es im Nachruf der Bundesbank: „Im Zentralbankrat der Deutschen Bundesbank entschied Dingwort-Nusseck mit über die deutsche Geldpolitik. Dort war sie die einzige Frau unter ihren männlichen Amtskollegen. Für die Herren war es eine gewöhnungsbedürftige Situation, sagte sie Jahre später, sie hatten noch keine Frau in ihrer Mitte gehabt. Für sie selbst war es das keineswegs: ‚Denn ich war in allen meinen Ämtern immer die erste Frau gewesen“.8)

In dieser Zeit war die seit 1951 mit dem Verleger Carl-Wolfgang Dingwort verheiratete Mutter von drei Kindern auch noch Vorsitzende des Verwaltungsrats des Norddeutschen Rundfunks (von 1981-1984, danach stellvertretende Vorsitzende). Eine Haushälterin besorgte die Notwendigkeiten im Haushalt.

1981 erhielt Julia Dingwort-Nusseck das große Bundesverdienstkreuz; 1987 die Dorothea-Schlözer-Medaille und 1988 das Große Bundesverdienstkreuz mit Stern.

1991 im Alter von 70 Jahren übernahm Julia Dingwort-Nusseck erneut den Vorsitz des Verwaltungsrates des NDR und hatte diesen Posten bis 1993 inne. Außerdem war sie von 1990 bis 1999 2. Vorsitzende des Bundesverbands Deutscher Stiftungen, dies auch hier als erste Frau - ab 1999 dessen Ehrenmitglied.

Julia Dingwort-Nusseck engagierte sich auch auf frauenpolitischer Ebene. So war sie Mitglied bei Zonta International und fungierte einige Jahre auch als Präsidentin des Zonta-Clubs Hamburg. Für ihr frauenpolitisches Engagement erhielt sie 2012 vom Landesfrauenrat Hamburg den Hammonia Preis.

Julia Dingwort-Nusseck wurde im Alter von 90 Jahren Witwe. Um mehr Gleichberechtigung zu erzielen, sagte sie einmal: „Wir müssen den Männern mehr Selbstbewusstsein vermitteln. Denn selbstbewusste Männer haben keine Angst vor Frauen." 9)