Elsbeth Weichmann Dr. Elsbeth Weichmann, geb. Greisinger
(20.6.1902 in Brünn - 10.7.1988 in Bonn)
First Lady der Stadt Hamburg, Bürgerschaftsabgeordnete (SPD)
Ohlsdorfer Friedhof, Fuhlsbüttler Straße 756 : Grab-Nr.: AA 15, 66
Hamburger Rathaus, Rathausmarkt (Wirkungsstätte)
Am Feenteich 8 (Wohnadresse)
Der 26.6.1902 ist Dr. Elsbeth Weichmanns offizielles Geburtsdatum. In Wirklichkeit wurde sie jedoch bereits zwei Jahre zuvor geboren. Das falsche Geburtsjahr wurde versehentlich 1940, als sie sich auf der Flucht vor der Gestapo in Frankreich befand, bei der Ausstellung neuer Papiere eingetragen. Eine sofortige Korrektur hätte die tödliche Gefahr einer Verzögerung der Abreise gebracht und eine Richtigstellung in den USA die dortige Aufenthaltsgenehmigung gefährdet.
Die Tochter eines Sparkassendirektors wurde hauptsächlich von ihrer Mutter geprägt. In einem Interview für die "Welt am Sonntag" sagte Dr. Elsbeth Weichmann: "Ich habe nie eine unselbständige Frau erlebt. Meine Mutter hatte immer ihren eigenen Schreibtisch."
Im Alter von 25 Jahren (1927) promovierte Elsbeth Weichmann in Graz zur Volkswirtin. 1928 heiratete sie Herbert Weichman, den ehemaligen Chefredakteur der "Kattowitzer Zeitung" und frischgebackenen Staatssekretär des preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun. Nachdem er diesen Posten erhalten hatte, konnten sie schließlich nicht mehr "in wilder Ehe leben", so Elsbeth Weichmann in dem Interview.
1933 floh Dr. Elsbeth Weichmann mit ihrem jüdischen Mann nach Paris und wurde Wirtschaftsjournalistin. Nach eigener Aussage lernte sie von Herbert Weichmann den Journalismus und soll sogar Berichte in seinem Namen geschrieben haben: "Ich schrieb sogar seine Meinung, auch wenn ich gar nicht damit übereinstimmte. Aber ich wußte ja, wie er dachte." 1940 ging die Flucht weiter über Spanien und Portugal in die USA, denn Präsident Franklin Roosevelt hatte an besonders gefährdete Politiker Sondervisen erteilen lassen. Dr. Elsbeth Weichmann studierte Statistik an der New Yorker Universität. Ihren Lebensunterhalt bestritt sie mit dem Anfertigen von Stoffpuppen, die sie in Kaufhäusern verkaufte. Herbert Weichmann arbeitete als Wirtschaftsprüfer.
Über ihre Jahre im Exil schrieb Dr. Elsbeth Weichmann später ein Buch, welches unter dem Titel "Zuflucht" 1983 im Todesjahr ihres Mannes erschien.
1949 kehrte das Ehepaar nach Deutschland zurück und zog nach Hamburg. Max Brauer, der sich in New York mit dem Ehepaar befreundet hatte, hatte sie nach Hamburg geholt.
Das Ehepaar Weichmann nahm den Neffen Herbert Weichmanns als Adoptivsohn an. Seine Eltern waren im Konzentrationslager umgebracht worden, während er sich in Holland versteckt gehalten hatte. Er wurde später Professor für Physik in Kanada.
Dr. Elsbeth Weichmann engagierte sich hauptsächlich im Verbraucherschutz. 1957 gründeten zwölf Hamburgerinnen vom Verein Hamburger Hausfrauen, den Arbeitskreis für Verbraucherfragen e.V., der später in Verbraucherzentrale umbenannt wurde. Frauen vom Club berufstätiger Frauen, und der Hanseatin (alle Mitglieder im Landesfrauenrat) kamen dazu. Die Staatsbürgerliche Erziehung der Frauen war das entscheidende Argument für den Senat, den Arbeitskreis finanziell zu unterstützen. Die Vorsitzende wurde Elsbeth Weichmann. Unter ihrem Vorsitz entwickelte sich die Verbraucher-Zentrale Hamburg zu einer viele Bereiche umfassenden Institution. Dr. Elsbeth Weichmann wurde Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände in Bonn und 1964 Präsidentin des Brüsseler Büros der Verbraucherverbände der EWG-Länder. Außerdem war sie zweite Vorsitzende des Bureau European des Consommateurs und Mitglied des mit den europäischen Behörden in Verbindung stehenden Kontaktkomitees der Verbraucherorganisation.
Neben ihrer Arbeit als Verbraucherschützerin beschäftigte sie sich mit kulturpolitischen Fragen: "Sie setzte sich mit Nachdruck dafür ein, neue breitere Kreise für die Kultur zu gewinnen. Die Tatsache, dass im Mai 1969 die `Arbeitsgemeinschaft zur Kulturförderung` ins Leben gerufen werden konnte, ist zu einem beträchtlichen Teil den Anregungen und der Mitwirkung von Frau Dr. Weichmann zu verdanken.
Nachdem es für die Arbeitsgemeinschaft zunächst darum ging, wichtige praktische Aufgaben zu erfüllen, erkannte Frau Dr. Weichmann bald die Notwendigkeit, in einem Kulturbericht die Situation, Entwicklung und Problematik der Kulturarbeit und -politik in Hamburg aufzuzeichnen. Auf ihre Initiative hin wurde in Zusammenarbeit mit der Behörde für Wissenschaft und Kunst ein Studienkreis der `Arbeitsgemeinschaft zur Kulturförderung` gebildet, der 1975 eine Broschüre unter dem Titel `Zur Kulturpolitik in Hamburg - Anregung und Empfehlungen eines unabhängigen Studienkreises` der Öffentlichkeit vorlegte. Diese Bestandsaufnahme stellte für alle am kulturellen Leben Hamburgs beteiligten Personen und Institutionen eine wichtige Diskussions- und Arbeitsgrundlage dar." (Mitteilung des Staatsarchives Hamburg anlässlich der Verleihung der Bürgermeister-Stolten-Medaille für Dr. Elsbeth Weicmann, 1984.)
Dr. Elsbeth Weichmann hatte den Kuratoriumsvorsitz im Pressezentrum, den Vorsitz des neuen literarischen Vereins und war im Aufsichtsrat des Deutschen Schauspielhauses tätig. Für ihre Verdienste auf dem Gebiet der Kultur erhielt sie 1978 die Senator-Biermann-Rathjen-Medaille und 1974 für ihre herausragenden Verdienste um Hamburg die Bürgermeister-Stolten-Medaille.
Sie agierte außerdem als Mitglied der Verwaltungsausschüsse des Amtes für Wirtschaft, des Amtes für Ernährungswirtschaft und des Amtes für Marktwesen. Darüber hinaus war sie Mitglied der Deputation der Behörde für Ernährung und Landwirtschaft, Vorsitzende des Fachausschusses der Gesamtleitung "Programmausschuß" der IGA (Internationale Gartenbauausstellung) 1973 und Aufsichtsratsmitglied der Hamburg-Altonaer-Fischmarkt GmbH, und von 1957 bis 1974 übte sie das Amt einer Abgeordneten (SPD) der Hamburgischen Bürgerschaft aus. Dort beschäftigte sie sich hauptsächlich mit Kulturpolitik, aber auch mit Frauenpolitik. Selbst war sie in mehreren Frauenverbänden der etablierten Frauenbewegung nach 1945 tätig. Als es 1959 in der Bürgerschaft um das Thema Frau und Familie ging, äußerte Elsbeth Weichmann, dass sie die „Frauenfrage“ „aus der ‚nebulösen, geistig-ethisch-psychologischen Atmosphäre‘ herauslösen wolle, in der sich die Bundesrepublik darum drücke, praktische Konsequenzen aus der veränderten Wirtschaftsstruktur zu ziehen. (Stenographische Berichte, 9. Sitzung vom 23.3.59, S. 354). Nach Meinung von Elsbeth Weichmann war es notwendig, die gegenwärtige Situation von Frauen systematisch zu erfassen. Mit geschultem Blick analysierte sie die Zahlen anhand der ihr zugängigen, beklagenswert unvollständigen Statistik. Daraus ergaben sich folgende Hauptpunkte:
Der Prozentsatz weiblicher Beschäftigter war seit 1948 – in einem Jahrzehnt – von 28,4 Prozent auf 34,5 Prozent im Bundesdurchschnitt angestiegen, in Hamburg sogar auf 38,3 Prozent. Das Durchschnittsalter der beschäftigten Frauen hatte sich seit dem Ersten Weltkrieg von 20 auf 40 Jahre erhöht. Eine ständig wachsende Zahl von erwerbstätigen Frauen war verheiratet und hatte kleine Kinder.
Frau Weichmann beschrieb die unterschiedlichen Wege der Frauenpolitik in Ost und West: Dort hatte man die Familie auf ein Minimum reduziert, um Frauen für das Erwerbsleben freizusetzen, hier die Frauenerwerbstätigkeit abgebaut und die Frauen diskriminiert, indem man sie ‚für ein Zigarettengeld‘ arbeiten ließ. Entstanden war bei der Jugend der Bundesrepublik ein ‚Gartenlaubenideal‘: ‚Das Röschen, das am rauhen Stamme des Mannes blüht.‘ Resigniert klingt der Stoßseufzer der älteren Politikerin: ‚Für uns Ältere ist es nicht leicht, mitansehen zu müssen, daß alle die Probleme, durch die wir uns hindurchgekämpft haben, heute in der jungen Generation in ganz derselben Form wiedererstehen und daß wir ihnen nichts mitgeben können, um ihr Leben leichter zu machen,‘“ (Inge Grolle, Rita Bake: „Ich habe Jonglieren mit drei Bällen geübt“. Frauen in der Hamburgischen Bürgerschaft 1946 bis 1993. Hamburg 1995, S. 105f.)
Zum Thema "Geschlechterkampf" gibt es von ihr ein fast schon geflügeltes Wort, das vor ihr bereits die Schriftstellerin Marie von Ebner-Eschenbach im 19. Jhd. ähnlich formuliert hatte: "Jede kluge Frau hat Millionen natürlicher Feinde ... nämlich alle Männer, die nicht so klug sind wie sie selbst."
Während der Amtszeit ihres Mannes als Erster Bürgermeister von Hamburg fungierte sie sechs Jahre lang als First Lady. Sie begnügte sich nicht mit der Funktion der "Frau an seiner Seite", sondern sah sich und ihren Mann als Team an: "Wir sind beide in einem Geschäft tätig gewesen. Mein Mann als Bürgermeister. Ich bin in der Bürgerschaft und in den Ausschüssen."
Diese Haltung wird auch in dem Doppelportrait des Ehepaares Weichmann deutlich, das im Hamburger Rathaus hängt. Das von der Künstlerin Almut Heise (geb. 1944) gemalte Portrait des ehemaligen Ersten Bürgermeisters Prof. Dr. Herbert Weichmann mit seiner Frau Dr. Elsbeth Weichmann ist das einzige Gemälde im Rathaus, welches einen Bürgermeister mit seiner Gattin darstellt.
Es war der Erste Bürgermeister Dr. Klaus von Dohnanyi, der sich nach dem Tod von Prof. Dr. Herbert Weichmann an die Künstlerin wandte.
Almut Heise übernahm keine leichte Aufgabe. Um sich in die Person Weichmann hineinzudenken, seinem Charakter, seinem Denken und Fühlen auf die Spur zu kommen, reichte das Beschauen von Photos nicht aus. Almut Heise trat in Kontakt mit der noch lebenden Dr. Elsbeth Weichmann und befragte sie nach ihrem Mann. Ihre dabei gewonnenen Eindrücke und die Tatsache, dass Herbert Weichmann auf Photos nie ohne seine Frau abgebildet ist, führte bei der Malerin zu dem Entschluss, ein Doppelportrait zu malen.
Klaus von Dohnanyi unterstützte dieses Vorhaben, war das Ehepaar Weichmann doch stets als Duo aufgetreten, als Politiker-Ehepaar. Doch Elisabeth Weichmann war mit ihrem Portrait nicht einverstanden und wollte die Präsentation des Bildes verhindern. Ein Jahr nach der Einweihung des Bildes starb sie (gest. 1988) im Alter von 86 Jahren in Bonn an den Folgen eines am 20. Juni erlittenen Gehirnschlages. Im März 1988 war ihr noch die Ehrensenatorwürde der Hamburger Universität verliehen worden.
Text: Dr. Rita Bake