Biografien-Datenbank: Frauen aus Hamburg

Hamburger Rathaus

Rathausmarkt
Siehe auch unter: Altes Rathaus
Siehe auch: Hamburgische Bürgerschaft
Siehe auch: Senatorinnen


Szenischer Rundgang: "Von machtvollen Frauen und weiblichen Körpern", Sprecherinnen: Rita Bake, Beate Kiupel, Herma Koehn, Dieter Schmitt, Thomas Karallus)

Als das Rathaus 1897 gebaut werden sollte, plante der Rathausbaumeister Martin Haller das Gebäude als Abbild der damals gültigen Hamburger Verfassung von 1860/79. Senat und Bürgerschaft bestanden ausschließlich aus Männern. Und die Bürgerschaft (eine Versammlung von Bürgern) durfte nur von Männern gewählt werden, die das Bürgerrecht der Stadt Hamburg besaßen. Dazu mussten sie über 25 Jahre alt und in der Lage sein, Einkommenssteuer zu zahlen. Frauen hingegen bekamen erst gar nicht die Möglichkeit, das Bürgerrecht und damit auch das Wahlrecht zu erlangen. In allen Fragen der rechtlichen Gleichstellung hatte sich das Bürgerrecht der Stadt Hamburg als der eigentliche Hemmschuh erwiesen.

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An der Hauptfassade des Rathauses, dort im 1. Stock an den Fenstern sehen Sie 28 Sandsteinplastiken von Vertretern der Hamburger Arbeitswelt: Bäcker, Schiffern Pastor, Gärtner, Lehrer. Jedoch sind keine erwerbstätigen, mithelfende Ehefrauen oder Töchter zu sehen, denn Frauen waren als das Rathaus gebaut wurde, noch nicht wahlberechtigt. Zeichnungen: Birgit Kiupel

Erst nachdem die bürgerliche und proletarische Frauenbewegung lange Jahre für ein Frauenwahlrecht gekämpft hatte – Hamburg war damals eine Hochburg des Kampfes um das Frauenwahlrecht – , setzte sich die Einsicht durch, dass auch Frauen nicht von der politischen Teilhabe auszuschließen sind. Frauen der radikalen bürgerlichen Frauenbewegung wie die Hamburgerin Lida Gustava Heymann, ermöglichten mit ihrem Verein „Frauenwohl“ 1902 die Gründung des „Deutschen Vereins für Frauenstimmrecht“. Und auch die gemäßigte bürgerliche sowie die proletarische Frauenbewegung verlangten konsequent die Zulassung der Frauen zum Bürgerrecht. 1919 war es endlich so weit. Am 16. März 1919 fand die erste demokratische Wahl zur Hamburgischen Bürgerschaft statt. Seit dieser Zeit sind in der Bürgerschaft nicht nur Männer, sondern auch Frauen vertreten.

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Plenarsaal des Rathauses nach 1919, Bild: Staatsarchiv Hamburg

Der Geist der alten Verfassung von 1860/79 ist im Gemäuer und Interieur des Hamburger Rathauses nach wie vor konserviert, trotz der vielen weiblichen Gestalten in Öl und in Stein, die hier zu finden sind. Doch welche Funktionen wurden ihnen überlassen bzw. zugewiesen? In nahezu sämtlichen Repräsentationsräumen und an der Fassade des Rathauses wurden sie als idealisierte weibliche Körper, als Allegorien (griechisch: allegorein = etwas auf andere Weise sagen) oder mythologische Figuren aufgenommen. Denn weibliche Körper gelten als besonders geeignet, abstrakte Begriffe zu veranschaulichen, weil der ideale weibliche Körper als „unbeschrieben“, „rein“, nicht „befleckt“ von ökonomischen und staatlichen Konkurrenzen und Kämpfen gilt, in die Männer eingebunden sind und die das bürgerliche Gemeinwesen gefährden. Frauen sollen da nicht als handelnde Individuen eingreifen und befrieden und auch nicht in politischen Strukturen mitwirken, sondern lediglich als weibliche fleischgewordene Projektionsflächen für Ideale dienen wie z. B. Tugenden.[1]

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Senatstreppenhaus vor dem Eingang zum Senatsgehege: Die Figuren Gnade (links) und Gerechtigkeit (rechts); Foto: Ulli Nebel

Damals, beim Bau des Rathauses vor rund 120 Jahren, sollten diese weiblichen Körper die vom Bürgertum beanspruchten Werte und Ideale wie z. B. Gnade, Gerechtigkeit, Sittlichkeit, Weisheit, Tapferkeit oder Fleiß verkörpern. Mit diesem Bildprogramm wird auch eine Abgrenzung zu allem, was diesen Werten nicht entspricht, artikuliert: Hygiea triumphiert über den Drachen, die Göttin Athene über die furchtbare mythologische Gestalt der Medusa und nach dem Schiedsspruch Salomons (altes Testament) die „echte“ Mutter über die „falsche“. Und schließlich werden durch die Allegorien gesellschaftliche Ideale als vermeintlich zeitlos gültig etabliert, denn die überwiegend weiblichen Körperbilder erscheinen zeit- und „alterslos“, nicht historisch wandelbar, sondern als „natürlich“ gegeben.

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Über dem Haupteingang zum Rathaus trohnt Hammonia., Foto: Insa Härtel/Birgit Kiupel

Doch wenn wir uns diese weiblichen Allegorien und mythologischen Gestalten genauer ansehen, sind sie keineswegs „unbeschrieben“. So erzählen Sagen und Legenden von der Macht und Kompetenz von Göttinnen und Stadtpatroninnen.
Eine der allegorischen weiblichen Gestalten im Rathaus ist Hamburgs Stadtgöttin Hammonia. Sie thront über dem Eingang zum Rathaus. Als Mosaik ziert sie die Fassade des Turms über dem großen Fenster des Turmsaales in der Lünette des Hauptgeschosses. Sie trägt eine Mauerkrone und hält in ihrer rechten Hand einen Lorbeerkranz und in der Linken ein Steuerrad. [2]

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Brautpforte im Rathausinnenhof; Quelle: Bildarchiv Staatsarchiv Hamburg

Nachdem in Folge der Reformation Hamburgs Schutzpatronin, die heilige Maria, entthront worden war, sah sich Hamburg ohne Schutzpatronin. „Ein unsicheres Tasten und Suchen beginnt und setzte sich durch mehrere Menschenalter fort, bis die neue Göttin der Stadt gefunden ist, Hammonia. Wie Athena aus dem Haupte Zeus’, so ist Hammonia aus dem Haupte des Hammon entsprungen, (...). Wir müssen nochmals auf jene Frühhumanisten des endenden 15. Jahrhunderts zurückgreifen, die mit Jubel den Hammon auf den Thron gehoben hatten. Sie bildeten aus dem Namen des neugewonnenen Patrons einen für ihre Hexameter und Pentameter passenden poetischen Namen für die Stadt: Dieser Name lautete Hammonia“, [3] heißt es in Heinrich Reinckes Aufsatz über die Schutzpatrone der Stadt Hamburg.

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Adam (links) und Eva (rechts) in der Nische zur Brautpforte; Quelle: Bildarchiv Staatsarchiv Hamburg

Allegorisch erstmals als Frau dargestellt wurde Hamburg im Jahre 1624. Doch ihren Durchbruch als Stadtgöttin hatte sie zwei Jahrhunderte später, als der Dichter und Ratsherr Barthold Heinrich Brockes (1680–1747) ihr durch seinen Kantatentext große Verehrung zollte. Als die Nazis an die Macht kamen, entmachteten sie die in früheren Jahrhunderten mit Mauerkrone, Merkurstab und dem auf einer Stange getragenen Freiheitshut dargestellte Hammonia. Ihr Freiheitssymbol passte nicht in die braune Ära. Bis heute wird ihr zu Ehren das Hamburg Lied „Stadt Hamburg an der Elbe Auen“ mit der Textzeile „Hammonia, oh wie herrlich stehst du da“ angestimmt.

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In der Rathausdiele gibt es eine Säule mit Medaillons von Frauen, alle anderen Säulen tragen Portraits von Männern. Foto: Ulli Nebel
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Die "Frauensäule". Bild: Ulli Nebel

Keine Allegorien, sondern reale Gestalten der Hamburgischen Geschichte sind an Wänden und Säulen der Rathausdiele durch Medaillons verewigt worden. Die Erbauer des Rathauses würdigten damit 59 Männer und fünf Frauen. Die Medaillons von vier Frauen wurden an einer Säule, die sich auf der linken Seite des Aufganges zum Senatsgehege befindet, angebracht: Mathilde Arnemann, Charlotte Paulsen, Amalie Sieveking und Emilie Wüstenfeld. Den vier Frauen wurde später eine „Nachrückerin“ hinzugefügt: Elise Averdieck. Weil an den Säulen kein Platz mehr frei war, wurde dieses Medaillon an der Wand zum Innenhof befestigt. Alle Frauen waren Wohltäterinnen im 19. Jahrhundert.
Mit der Entscheidung, eine „Frauensäule“ für die Wohltäterinnen als einziger weiblicher Berufsgruppe zu stiften, kamen andere Frauen für die „Ehrenrunde“ im Rathaus nicht mehr in betracht. So auch nicht die gerühmte Schauspielerin Charlotte Ackermann, obwohl Bürgermeister Johann Georg Mönckeberg ihren Namen vorgeschlagen hatte. Doch als es um die endgültige Vorschlagsliste ging, kamen ihm doch Bedenken, eine Schauspielerin „auf diese Weise zu verewigen“. Das gleiche galt für die gefeierte Opernsängerin Wilhelmine Schröder-Devrient.
„Die ins Rathaus gewählten Wohltäterinnen sollten Vorbilder für die weibliche Lebensgestaltung in Gegenwart und Zukunft sein. Die verantwortlichen Männer, welche die Auswahl von Frauen der ‚streng christlichen‘ (Amalie Sieveking, Elise Averdieck) und der ‚freieren Richtung‘ (Emilie Wüstenfeld, Charlotte Paulsen) getroffen hatten, wollten mit der Frauensäule ihre Anerkennung der gemeinnützigen und ‚unpolitischen‘ Arbeit von Hamburgerinnen zum Ausdruck bringen. Fast vergessen war, wie radikal die einstige 48-erin Emilie Wüstenfeld sich gegen die reaktionäre Staatsmacht aufgelehnt hatte. Im Gedächtnis gegenwärtig war dagegen die staatstragende Gesinnung, welche Emilie Wüstenfeld im Alter bewies. Von daher hatte auch die von den Frauen beider Richtungen (gemäßigte und radikale) der bürgerlichen Frauenbewegung angestrebte Emanzipation des weiblichen Geschlechts für den Hamburger Staat nichts Bedrohliches an sich, sofern sie sich im Rahmen sozialer und kultureller Entfaltungsmöglichkeiten vollzog“, [4] schrieb die Historikerin Inge Grolle.

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Bilderfries an der Wand entlang im Treppenhaus der Hamburgischen Bürgerschaft. Der Fries soll den Lebenslauf eines Handwerker/Kaufmanns darstellen. Seine Frau befindet sich stets im Hintergrund. Bild: Staatsarchiv Hamburg, Bildarchiv

Bilder idealer Männlichkeit und Weiblichkeit werden uns im Treppenhaus der Bürgerschaft präsentiert. Auf Hermann de Bruyckers Wandfries durchläuft ein idealer Handwerker und Bürgersmann die Lebensstationen von der Wiege bis zum Grab; auf einigen wenigen Bildern, eher im Hintergrund erscheint auch die ideale Gattin des Handwerkers oder Kaufmanns, als zarte Braut und treusorgende Mutter.

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Ratsstube mit Wandbehang, gestiftet vom Damecomités um Toni Petersen, Bild: Uli Nebel

Obwohl Frauen vor über hundert Jahren kein politisches Mitspracherecht besaßen und damit im Rathaus auch nicht präsent waren, haben sie sich dort dennoch nachhaltig eingebracht. So überreichte zur Einweihung des Rathauses ein „Damen-Comité“ des gehobenen Bürgertums dem Senat und der Bürgerschaft ein Geschenk mit politischem Kalkül: bestickte Wandbehänge für die Zentren der Macht, unübersehbar und dennoch im traditionellen Rahmen von denen spendiert, die kein Mitwirkungsrecht in Ratsstube und Bürgerschaft hatten.

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Das Waisenzimmer im Hamburger Rathaus; Bild: Ulli Nebel
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Die Waisenkinder, die die Kerbholzschnitzereien für das Waisenzimmer im Rathaus erstellt hatten; Bild: Staatsarchiv Hamburg

Aber auch die Frauen der unteren sozialen Schichten fanden über verschlungene Wege Einlass ins Rathaus. In die Kerbschnitzereien – ein Geschenk des Waisenhauses – sind Schicksalsspuren von achtzig Waisenhausknaben eingegraben. Oft waren sie keine Waisen, sondern Söhne alleinerziehender berufstätiger Frauen, die aus Armut ihre Kinder ins Waisenhaus gegeben hatten.
Siehe mehr zu den Frauen im Hamburger Rathaus in der Broschüre: Rita Bake, Birgit Kiupel: Einsichten. Von realen und idealen Frauen im Hamburger Rathaus. Hamburg 2016. Kostenlos erhältlich im Infoladen der Landeszentrale für politische Bildung und als pdf unter: www.hamburg.de/contentblob/7084458/ca9bfb4029cc80ba7c77be488d9aea89/data/einsichten-rathaus-frauenrundgang.pdf
Text: Rita Bake und Birgit Kiupel