Amalie Sieveking
(25.7.1794 Hamburg – 1.4.1859 Hamburg)
Vorsteherin des Weiblichen Vereins für Armen- und Krankenpflege, gegr.: 1832.
Neuer Wall 4 (Wohnadresses)
Brennerstraße 77, Amalie Sieveking Stiftung
Hammer Friedhof, Horner Weg (Grabstein)
Namensgeberin für: Amalie-Sieveking-Weg, Sievekingdamm
Amalie Sieveking war eine Senatorentochter und -enkelin. Die Eltern starben früh, hinterließen Amalie kein Vermögen. Nach dem Tod der Eltern wurde Amalie von ihren beiden Brüdern getrennt und kam zu Verwandten, wo sie den kranken Sohn des Hauses pflegen und durch Handarbeiten und deren Verkauf zu ihrem Lebensunterhalt beitragen musste. In diesem Haushalt wurde sie mit Religion und Frömmigkeit vertraut gemacht.
Amalie Sievekings berufliche Laufbahn führte sie in die pädagogische Richtung. Sie beteiligte sich an der 1815 gegründeten Freischule für Mädchen und richtete selbst eigene Schulkurse ein. Durch sittliche und religiöse Erziehung wollte Amalie Sieveking die Mädchen zu tüchtigen Hausfrauen und Müttern erziehen.
„Umschreibend gestand sie sich im Tagebuch geheime Sehnsüchte ein, die glücklichste Erfüllung jeder Frau an der Seite eines geliebten Mannes zu erreichen. Später beteuerte sie, an Gelegenheit habe es ihr nicht gefehlt, es wird aber nicht klar, worin die Barriere bestand, ob in ihrem eckigen, schroffen Wesen und ihrer wenig charmanten Erscheinung oder in ihrer finanziellen Blöße? Darüber grübelte Amalie Sieveking nicht weiter, sondern rang sich die Disziplin ab, je länger desto entschiedener das Faktum der Ehelosigkeit anzunehmen und es ins Positive zu wenden. Als sie mit sich darüber im Reinen war, bekannte sie sich nachdrücklich zu dem allgemein verspotteten und gewiss nicht erstrebenswerten sozialen Stand der ‚alten Jungfer‘.“ [1] „Ihr Vetter Karl Sieveking [siehe: Sievekingdamm], der ihre Liebe nicht erwiderte, blieb zeitlebens ihr Freund und Berater.“ [2]
Religiös wurde Amalie Sieveking durch Pastor Rautenberg [siehe: Rautenbergstraße] und ihren Cousin Karl Sieveking in die Gemeinschaft der Erweckten (Erwecktenbewegung) eingeführt. „Die Elemente ihres ‚lebendigen‘ Glaubens waren Sünde, Buße, Versöhnung, Heilung, Erleuchtung. So sehr sich Amalie zur Gemeinschaft mit diesen Menschen hingezogen fühlte, so wach blieb ihre Kritik. Über die Erleuchtung schrieb sie: ‚Ist sie nicht nur der Schimmer einer trügerischen Aufklärung, die ihre Fackel nur gezündet am Licht der eigenen Vernunft ?‘“ [3]
Amalie Sievekings Hinwendung zur Armenpflege war die Folge ihrer Entscheidung, ehelos zu bleiben. So erwuchs der Plan, ähnlich den katholischen Frauenorden, eine Gemeinschaft von Protestantinnen zu gründen. Der Ausbruch der Cholera in Hamburg im Jahre 1831 gab den entscheidenden Ausschlag, auf dem Gebiet der tätigen Nächstenliebe zu arbeiten. Amalie Sieveking meldete sich als Pflegerin in der Cholera-Quarantäne des St. Ericus-Hospitals. Dort beließ sie es jedoch nicht beim Pflegen der Kranken, sondern machte sich sogleich an die Organisation des chaotischen Krankenhauswesens. Gleichzeitig entwarf sie die Statuten für einen zu gründenden Weiblichen Verein für Armen- und Krankenpflege. Armen, die unschuldig in Armut geraten waren, sollte geholfen werden. So genannte verwahrloste Arme erhielten keine Zuwendung.
Um sich über den Zustand der Armen ins Bild zu setzen, machte Amalie Sieveking als Vereinsvorsteherin – diese Position hatte sie 27 Jahre lang inne – den ersten Besuch bei der empfohlenen Armenfamilie.
Amalie Sievekings Helferinnen kamen aus dem gehobenen Bürgertum. Sie hatten genügend Zeit und auch die finanzielle Unabhängigkeit, sich unentgeltlich solch einer Tätigkeit zu widmen. Voraussetzung für die Aufnahme in den Kreis der Helferinnen war eine evangelische Glaubenshaltung und die Überzeugung, dass der Unterschied zwischen Arm und Reich gottgewollt sei. Arme sollten als Unmündige angesehen werden, denen durch Mitgefühl und Zuspruch geholfen werden sollte. Sie erhielten Naturalien, Kleidung, Haushaltungsgegenstände und es wurde ihnen Arbeit vermittelt. Finanzielle Unterstützung bekamen die Armen nur selten. Wer besonders fromm war, erhielt zusätzliche kleine Zuwendungen. „Die bestehende Kluft zwischen Armen und Reichen meinte sie [Amalie Sieveking] in persönlicher Zuwendung zu den Unterschichten überbrücken zu können, indem sie auf die Gleichheit aller Menschen vor Gott hinwies. Gleichwohl nahm sie ‚ihren‘ Armen gegenüber eine paternalistische Haltung ein, so wie sie auch den Verein für Armen- und Krankenpflege hierarchisch gliederte. Die ständisch verfasste Gesellschaftsordnung galt ihr als gottgewollt. Aus dieser sozialkonservativen Überzeugung heraus hielt sie alle demokratischen Ansätze und gar revolutionären Umstürze für friedensgefährdend.“ [4]
1840 gründete Amalie Sieveking ein Armenwohnstift, das Amalienstift, welches neun Wohnungen und ein Kinderkrankenhaus mit zwei Zimmern und vierzehn Betten enthielt. Die ehrenamtlichen Helferinnen kontrollierten die Stiftsbewohnerinnen und -bewohner. Hielten diese sich nicht an die strenge Hausordnung und besuchten z. B. nicht die täglichen Andachten, schickten ihre Kinder nicht regelmäßig zur Schule oder machten ihre Wohnung nicht genügend sauber, mussten sie mit Strafe rechnen.
„Das von ihr begründete Werk lebt bis heute fort in einer Stiftung, die ihren Namen trägt. Das Verwaltungsgebäude befindet sich in dem 1840 erbauten ‚Ersten Amalienstift‘ in der Stiftstraße 65. Hier und in drei weiteren benachbarten Häusern in St. Georg – Minenstraße 11, Alexanderstraße 28 und Brennerstraße 77 – wohnen 165 bedürftige Menschen zu den günstigen Bedingungen der Stiftung. (…) Die Trägerschaft lag bis 1978 beim ‚Weiblichen (Sievekingschen) Verein für Armen- und Krankenpflege‘ und ging dann auf die Nachfolgeeinrichtung, die ‚Amalie-Sieveking-Stiftung‘ über. Die Zweckbestimmung der Einrichtungen als Wohnstifte ist unter veränderten Zeitläuften erhalten geblieben.
Im Gedenken an die von Amalie Sieveking gegründete Krankenpflege ist auch das Krankenhaus in Volksdorf benannt worden,“ [5] schreibt die Historikerin Inge Grolle über Amalie Sieveking. Auch wird Amalie Sieveking mit einem Medaillon in der Rathausdiele geehrt.
Von der 1848 ausbrechenden bürgerlichen Revolution hielt Amalie Sieveking überhaupt nichts. Sie empfand es als völlig widersinnig, der Arbeiterschicht zu erklären, dass diese sich selbst aus ihrem Elend befreien solle. Demokratie bedeutete für Amalie Sieveking Anarchie.
Ebenso war Amalie Sieveking wenig begeistert von der sich im Zuge der bürgerlichen Revolution formierenden religiös-demokratischen Glaubensbewegung, die gegen Priesterherrschaft und engen Dogmatismus angingen. Diese Bewegung „erschien ihr in höchstem Maße verderblich. Denn die Anhänger beriefen sich auf eine Religion der Humanität, auf ein von traditionellen Dogmen gelöstes Christentum der Tat, das allein auf Mitmenschlichkeit im Hier und Jetzt baute und sich vehement gegen die Vertröstung auf ein ungewisses Jenseits richtete. (…) Mit Beklemmung beobachtete Amalie Sieveking, wie attraktiv für Frauen die deutsch-katholische Bewegung war. In deren Zukunftsentwürfen wurde der Weiblichkeit eine erlösende Funktion zugeschrieben; die Befreiung der Menschheit aus den Fesseln weltlicher und geistlicher Herrschaft sollte mit der Emanzipation des Weibes beginnen. In den neu gebildeten freikirchlichen Gemeinden erhielten Frauen volle Mitbestimmungsrechte.
Im Spätherbst 1846 entstand in Hamburg eine deutsch-katholische Gemeinde. Um ihr die Finanzierung eines Predigers und des Gottesdienstraums zu gewährleisten, bildeten Hamburger Frauen aus gutbürgerlichen Familien um Emilie Wüstenfeld und Bertha Traun einen Unterstützungsverein“ [6]
Amalie Sieveking verurteilte u. a. Bertha Trauns und Emilie Wüstenfelds Einstellung zur Ehe. Dass Bertha Traun sich scheiden ließ und Emilie Wüstenfeld diesen Schritt guthieß, sogar selbst Scheidungsabsichten hegte, stieß nicht nur bei Amalie Sieveking auf heftige Kritik.
Amalie Sievekings Armenverein wurde zu einer festen Institution der hamburgischen Armenpflege und von den wohlhabenden Bürgern Hamburgs mit reichen Spenden bedacht. Viele Städte in Deutschland und im Ausland gründeten ähnliche Vereine.
Seit 1957 gibt es in Hamburg Volksdorf einen Amalie-Sieveking-Weg.
Text: Dr. Rita Bake