Biografien-Datenbank: Frauen aus Hamburg

Ortrud Gerda Ursula Westphal

(25.6.1906 - 5.5.1944 Heil- und Pflegeanstalt Wien „Wagner von Jauregg“ (Steinhof))
Opfer der NS-Euthanasie
Große Theaterstraße 22 (alte Nummerierung) (Wohnadresse)
Stolperstein: Ecke Gustav Mahler Platz/Große Theaterstraße: Betriebsgebäude der „Hamburgischen Staatsoper“, vor dem Eingang zum Ballett
Bestattet Friedhof Hamburg Bergedorf, August-Bebel-Straße, Abteilung 14 bei Kapelle 1 (Gedenkstein)


Ursula Westphal kam im Sommer 1906 während eines Urlaubs des Ehepaares Otto (1876–1946) und Friederike (Frieda), geb. Bruns, auf der Nordseeinsel Spiekeroog zur Welt. Sie war das zweite Kind des Ehepaares, welches 1904 in Mühlhausen im Elsass geheiratet hatte. Ursulas Vater war Zahnarzt und hatte die Praxis seines Vaters in der Großen Theaterstraße in Hamburg übernommen sowie das dazugehörige Etagenhaus, in dem die Familie lebte. Ursulas Großvater, Karl Bruns, war Schriftsteller und arbeitete für den „Hamburger Correspondenten“.
1919 starben zwei von Ursulas jüngeren Schwestern, Ruth und Christa. Gleichzeitig erwartete ihre Mutter das achte Kind.
Ursula Westphal besuchte die Klosterschule am Holzdamm, ein Realgymnasium für Mädchen. Ihre Nichte Roswitha Klau-Westphal berichtete 1998 auf einem Symposion „Zur Geschichte der NS-Euthanasie in Wien“ über den Leidensweg ihrer Tante Ursula und beschrieb sie als eine schöne junge Frau mit vollen roten Haaren, die wie eine Löwin um Selbstbestimmung und persönliche Freiheit kämpfte.
Zu Hause wurden Ursula viele Hausfrauenpflichten übertragen, so hatte sie mit ihren kleineren Geschwistern an der Alster spazieren zu gehen oder ihrer Mutter bei der Hausarbeit zu helfen. Dagegen rebellierte Ursula. Sie sah es nicht ein, dass immer nur sie und nicht etwa auch ihre Brüder im Haushalt mithelfen sollte. Warum sollte sie z. B. ihrem älteren Bruder, der im Hinterzimmer über seinen Büchern saß, einen Teller mit Butterbroten bringen, sie hatte doch selber Schularbeiten zu machen. Für ihre Aufmüpfigkeit wurde Ursula hart gezüchtigt.
Nach der Mittleren Reife besuchte Ursula die Berufs­schule und begann 1924 mit dem Studium an der Kunstgewerbeschule am Lerchenfeld.
1929 mietete der Maler und Graphiker Karl Kluth (1898–1972), einer der führenden Köpfe der Hamburgischen Sezession, das Atelier im Dachgeschoss von Ursulas Elternhaus. Hier malte er ein Bild von ihr, als Akt, auf einem roten Sofa liegend. Dieses Gemälde, Öl auf Leinwand, befindet sich heute in der Hamburger Kunsthalle und galt nach nationalsozialistischer Auffassung als „Entartete Kunst“. Es war mit einer der Gründe, warum die 12. Sezessionsausstellung 1933 abgebrochen wurde.
Vielleicht hat Ursula sich zum ersten Mal frei und unabhängig gefühlt, als sie als junge Frau nach Düsseldorf ging, um zur Probe in einem graphischen Betrieb zu arbeiten, doch die Anstellung kam nicht zu­stande. Sie geriet in finanzielle Not und wurde wegen einer psychischen Erkrankung in die Anstalt Grafenberg eingewiesen und kam anschließend im Sommer 1932 in die Staatskrankenanstalt Friedrichsberg. Ihr eigentlicher Leidensweg aber begann in der Silvesternacht 1932, in der sie nach einer erneuten Erkrankung in die Alsterdorfer Anstalten ein­ge­wiesen wurde. Von dort wurde sie zehn Jahre später, am 16. August 1943, zusammen mit 228 Frauen und Mädchen mit Behinderung im Rahmen der „Aktion Brand“ in die Wiener Euthanasieanstalt am Steinhof verbracht. Dieser letzte große Transport fand nach den schweren Luftangriffen auf Hamburg statt. Ca. acht Monate später verstarb Ursula angeblich an einer Lungenentzündung.
Dr. Michael Wunder, Historiker und heute leitender Mitarbeiter der „Evangelischen Stiftung Alsterdorf“, erwähnte in seinem Vortrag auf dem oben genannten Symposion 1998 in Wien, nachzulesen in der Publikation „Spurensuche Irma“ von Antje Kosemund: „Sie [Ursula] galt in Alsterdorf immer als lebenslustig, aber auch als wild und unruhig, was wahrscheinlich auch der Grund ihres Abtransportes war. Sie wog 45 Kilo, als sie in Alsterdorf selektiert wurde. Wenige Monate später heißt es in der Wiener Akte: liegt im Bett, ängstlich, unrein, zupft Wäsche. Ein halbes Jahr später: ganz pflegebedürftig, spricht nichts, liegt immer unter der Decke, immer ruhig. Kurz vor ihrem Tod liest sich der Eintrag: reagiert nicht auf Ansprache. Gewicht 33 Kilo.“
Die Tötungsmethode in der Wiener Anstalt war eine rasche Entkräftung durch „Verhungernlassen“, gezielte Unterkühlung und Verabreichung von Medikamenten wie z. B. Luminal. Stets wurde ein „natürlicher Tod“ wie Lungenentzündung als Todesursache angegeben.

3247 Grabstein Ursula Westphal
Gedenkstein Ursula Westphal, Friedhof Hamburg Bergedorf; Foto: Helmuth Sturmhoebel

Durch die Bemühungen ihrer Mutter konnte Ursulas Urne im Familiengrab auf dem Friedhof in Hamburg-Bergedorf beigesetzt werden. Dort wurde am 8. Mai 2001 auf Initiative von Roswitha Klau-Westphal und mit Unterstützung der „Evangelischen Stiftung Alsterdorf“ sowie der „Geschwister-Scholl-Stiftung“ ein Gedenkstein aufgestellt, der an das Schicksal Ursula Westphals erinnert.
Ursula Westphal wurde auf dem Friedhof Hamburg Bergedorf (August-Bebel-Straße) Abteilung 14 bei Kapelle 1 beigesetzt. Auf dem Friedhof erinnert seit 2001 ein Gedenkstein an die Euthanasieopfer.
Text: Susanne Rosendahl