Biografien-Datenbank: Frauen aus Hamburg

Annemarie Ladewig

(5.6.1919 – 21.4.1945 KZ Neuengamme)
Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus.
Blumenstraße 32 (Wohnadressse) Stolperstein
Namensgeberin für: Annemarie-Ladewig-Kehre (seit 1987)


3413 Annemarie Ladewig
Annemarie Ladewig, Bildquelle: KZ Gedenkstätte Neuengamme, media offenes archiv

Annemarie Ladewig war die Tochter von Hildegard Ladewig, geb. Bucka, und Rudolf Wilhelm Emil Ladewig, Architekt.
Hildegard Ladewig, deren Eltern jüdischer Abstammung waren, hatte Architektur und Kunstgeschichte studiert.
Die Familie Ladewig lebte zunächst in Neidenburg/Ostpreußen, wo Tochter Annemarie am 5. Juni 1919 geboren wurde. 1919 wurde
Rudolf Ladewig Stadtarchitekt in Waldenburg/Oberschlesien. Die Familie zog dorthin, Sohn Rudolf Karl wurde am 19. Februar 1922 geboren. Beide Kinder wurden als Einjährige evangelisch getauft. Von November 1925 bis September 1926 war der vom Bauhaus beeinflusste Rudolf Wilhelm Ladewig bei der Stadt Reichenbach im Vogtland als Erster Architekt angestellt und lebte dort mit seiner Familie. Laut des Berichts seiner Schwester Charlotte konnte Rudolf Ladewig ab 1934 aus „rassischen“ und politischen Gründen nicht mehr ungehindert seiner Arbeit nachgehen. Er verließ Deutschland und arbeitete kurzzeitig in Sofia/Bulgarien. Die Familie zog am 1. September 1935 nach Hamburg und wohnte in der Thielengasse 4, der heutigen Georg-Thielen-Gasse. Das Haus hatte Rudolf Ladewig mit erbaut. Er wurde Mitarbeiter der bekannten Architekten Professor Fritz Höger und Rudolf Klophaus. Außerdem war er für die Deutsche Akademie für Wohnungswesen in Berlin tätig. Sein Büro lag in der Armgartstraße 4. Die Tochter Annemarie Ladewig wurde 1934 konfirmiert und beendete in Reichenbach die Realschule. 1936 wurde ihr wegen der jüdischen Abstammung ihrer Mutter der Zugang zur Hansischen Hochschule verwehrt. Daher besuchte sie von November 1936 bis Januar 1939 die Kunstschule von Gerda Koppel, die nach deren Emigration von Gabriele Stock-Schmilinsky weitergeführt wurde. Annemarie Ladewig bildete sich bis zum 1. Dezember 1940 in freier Malerei und Gebrauchsgraphik aus, sie war eine sehr begabte Künstlerin. In der Werbeabteilung der Zigarettenfabrik Reemtsma fand Annemarie Ladewig 1940/41 eine erste Anstellung. Ihr Vorgesetzter Hans Domizlaff schützte sie durch Zurückhaltung ihrer Papiere. Obwohl sie dort sehr gerne arbeitete, versuchte sie sich im Oktober 1942 als Werbezeichnerin in ihrer Wohnung selbstständig zu machen. Da dies nicht gelang, arbeitete sie später als Reklamezeichnerin bei der Firma Montblanc-Simplo. Von Freunden wurde Annemarie Ladewig als charmant, warmherzig, fröhlich, mutig und – ebenso ihr Bruder – sehr verschwiegen in Bezug auf die aktuelle Politik beschrieben. 1941 verlobte sie sich mit dem Blankeneser Arzt Dr. Hermann Sartorius.
Rudolf Ladewig sen. galt als konservativer Sozialdemokrat und war seit einem unbekannten Zeitpunkt in der „KdF-Gruppe“ aktiv. Das Namenskürzel deckte sich absichtlich mit der nationalsozialistischen Parole „Kraft durch Freude“, stand aber für „Kampf dem Faschismus“. Ihr Ziel war die Bekämpfung des Nationalsozialismus, die Schaffung einer demokratischen Regierung und später die Beendigung des Krieges. Die KdF-Gruppe entstand bereits vor dem Krieg aus einem losen Freundeskreis in Hamburg, zu dem nach und nach weitere Gegner des NS-Regimes aus allen gesellschaftlichen Schichten stießen. 1939/1940 entstand eine Verbindung zu Widerstandskreisen in Leipzig, die neue Impulse nach Hamburg brachte und zur Bildung von Gruppen in den Betrieben, u. a. AEG und HEW, führte. Ab 1942 wurden auch Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene in die Gruppe integriert. Später kamen Luftschutzbeauftragte und Männer des Volkssturms dazu.
Aus konspirativen Gründen gab es untereinander meistens nur Kontakte zu wenigen Mitgliedern. Die Gruppe versteckte verfolgte Widerstandskämpfer ebenso wie jüdische Kinder, half Ausländern mit Lebensmittelkarten und verübte verschleierte Produktionssabotagen.
Familie Ladewig zog im August 1943 in die Blumenstraße 32. Laut Aussage seiner Schwester Charlotte fühlte sich Rudolf Ladewig im Sommer 1944 bedroht, weshalb er sich nach Ludwigslust absetzte und bei ihr arbeitete. Die Geschwister Annemarie und Rudolf Karl ließen ihre zärtliche, aber verängstigte und verwirrte Mutter Hildegard 1944 durch Hermann Sartorius in die Psychiatrische und Nervenklinik der Universität Eppendorf bei Prof. Bürger-Prinz einweisen. Da sie dort schwer erkrankte, kehrte ihr Ehemann nach Hamburg zurück. Ab dem 23. Oktober 1944 wurde er als Bauarbeiter bei einem Architekten arbeitsverpflichtet.
Hildegard Ladewig starb am 30. November 1944 in der Psychiatrischen Klinik Eppendorf. Offizielle Todesursache war Suizid, doch kann Euthanasie nicht ausgeschlossen werden. Rudolf Ladewig war zutiefst schockiert. Es gab heftige Auseinandersetzungen mit seinen Kindern, so dass er aus der gemeinsamen Wohnung auszog. Er lebte nun bei seiner Freundin Anna Elisabeth Rosenkranz in der Armgartstraße 4.
Annemarie Ladewig wurde in den Jahren 1944/45 aufgrund ihrer zunehmend schwerer werdenden Lage immer deprimierter, blieb aber lebensbejahend. Im Dezember 1944 wurde in die Wohnung in der Blumenstraße das Ehepaar Schacht, vermutlich zur Überwachung, einquartiert. Die Geschwister mussten ab Januar 1945 Zwangsarbeit auf der Howaldtswerft leisten. Rudolf Karl Ladewig musste im Freihafen Trümmer von Bombenangriffen räumen.
Rudolf Ladewig sen. und Elisabeth Rosenkranz wurden am 22. März 1945 verhaftet. Die Gestapo durchsuchte die Wohnung der Geschwister Ladewig, riss die Tapeten ab, schlitzte Möbel auf, fand nichts und verhaftete sie dennoch. Alle vier wurden in das Gestapogefängnis Fuhlsbüttel gebracht. Ihre Namen standen auf der so genannten Liquidationsliste, auf der 71 Menschen zur Vernichtung vorgemerkt waren. Sie wurden am 20. April 1945 aufgrund eines Räumungsplanes für den Fall der Annäherung alliierter Streitkräfte zusammen mit anderen Gefangenen der KdF-Gruppe in das Konzentrationslager Neuengamme überführt. Unter den dreizehn Frauen befanden sich auch Hanne Mertens und Erika Etter. Da es keinen Gerichtsbeschluss gab, dachten die Frauen, dass sie entlassen würden und freuten sich. Sie zeigten sich Familienfotos und richteten ihre Kleidung her. Annemarie Ladewig konnte an diesem Tag noch einen Brief an ihren Verlobten schreiben. Darin erwähnte sie, dass ihr Vater auf einen Spitzel hereingefallen war.
Im Gang des Häftlingsbunkers befand sich ein langer Balken unter der Decke, der als Galgen diente. In der Nacht vom 21. auf den 22. April 1945 wurden die Frauen dorthin geführt. Sie mussten sich nackt ausziehen, auf einen Stuhl steigen, die Schlinge wurde um den Nacken gelegt, der Stuhl weggezerrt. Es wurde 30 Minuten gewartet, dann wurde die nächste Frau gehenkt, die das Schicksal ihrer Vorgängerin hatte mit ansehen müssen.
Die 58 Männer, unter ihnen Vater und Sohn Ladewig, wurden zwischen dem 21. und 24. April 1945 ermordet.
Ob Annemarie und ihr Bruder Rudolf Karl tatsächlich Mitglieder der KdF-Gruppe waren, ist nicht geklärt. Da es das oberste Gebot der Gruppe war, Familienangehörige herauszuhalten, hatten sie eventuell keine Kenntnisse über die Aktivitäten ihres Vaters und Elisabeth Rosenkranz‘. Allerdings besuchte Annemarie häufig einen Buchladen in der Dammtorpassage, bei dem es sich um die „Fundgrube für Bücherfreunde am Dammtor“ gehandelt haben könnte. Der Besitzer Berthold Neidhard gehörte zur KdF-Gruppe.1)
Text: Maike Bruchmann, entnommen aus www.stolpersteine-hamburg.de