Biografien-Datenbank: Frauen aus Hamburg

Elisabeth Ostermeier Elisabeth Ostermeier, geb. Gottschalk

(9.5.1913 Kanzlerhof/Landkreis Harburg - 6.12.2002 Hamburg)

Verkäuferin, Hausfrau, Sachbearbeiterin für Frauenfragen und Hausgehilfinnen, Mitglied im Bundesvorstand der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten. Mitglied der ersten frei gewählten Bürgerschaft nach dem Ende des Nationalsozialismus, Oktober 1946 bis Oktober 1949 und in den Wahlperioden WP 2, Oktober 1949 bis November 1953; WP 3, November 1953 bis November 1957; WP 4, November 1957 bis November 1961; WP 5, November 1961 bis März 1966; WP 6, März 1966 bis März 1970; WP 7, März 1970 bis März 1974; WP 8, März 1974 bis Juni 1978

Handweg 48d (Wohnadresse)
Friedhof Harburg, Bremer Straße 236 (Grabstätte)
Hamburger Rathaus, Rathausmarkt (Wirkungsstätte)
Namensgeberin für: Elisabeth-Ostermeier-Weg (2024) 


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Elisabeth Ostermeier, Foto: privat

32 Jahre war Elisabeth Ostermeier Bürgerschaftsabgeordnete und schied im Alter von 65 Jahren nur deshalb aus, um – wie sie sagte – „etwas mehr Freizeit zu haben“. Doch auch nach ihrer aktiven Zeit im Parlament war sie weiterhin politisch engagiert. Noch als 81-Jährige war sie ständig auf Achse, machte weiter örtliche Parteiarbeit und war in der Seniorenarbeit höchst aktiv.
Als Elisabeth Ostermeier im Alter von 33 Jahren in die Bürgerschaft eintrat, waren ihre Kinder sechs und acht Jahre alt (geb. 1938 und 1940). Neben ihrer Arbeit als Hausfrau und Mutter war die gelernte Verkäuferin 20 Jahre als Sachbearbeiterin für Frauenfragen und Hausgehilfinnen für das Bundesgebiet bei der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten tätig und 16 Jahre (1954-1970) geschäftsführendes Bundesvorstandsmitglied dieser Gewerkschaft im Zuständigkeitsbereich Frauen, Jugend, Berufsausbildung.
Eine berufliche Karriere, die sich finanziell später auch auf ihre Rente auswirken würde, war bedingt durch ihren jahrzehntlangen Einsatz für die Bürgerschaft nicht möglich. Da die Honorierung für die geleistete Arbeit in der Bürgerschaft eine reine Aufwandsentschädigung war, musste Elisabeth Ostermeier später mit einer geringen Rente auskommen.
Elisabeth Ostermeier entstammte einer sozialdemokratischen Arbeiterfamilie. Nach ihrem Vater Rudolf Gottschalk wurde 1971 der Gottschalkring in Hamburg-Eißendorf benannt. Der Zimmerpolier war Aufsichtsratsvorsitzender des Zimmereiverbandes und der Baugenossenschaft „Eigenheim“ sowie Vorsitzender des Eisenbahnbauverbandes in Harburg gewesen.
Elisabeths politischer Weg begann im Alter von 13 Jahren, als sie Mitglied der Falkenbewegung und der SAJ (Sozialistische Arbeiterjugend) wurde. Mit 18 Jahren (1931) trat sie der SPD bei.
In ihrem beruflichen Werdegang widerfuhr Elisabeth Ostermeier ein typisches Mädchenschicksal: Mit 14 Jahren verließ sie die Schule und wurde in den „nächstbesten Beruf gesteckt“. Geld für eine Ausbildung war nur für ein Kind vorhanden – für den Bruder. Elisabeth Ostermeier wäre gern Lehrerin geworden. Stattdessen absolvierte sie eine Lehre zur Verkäuferin in einer Schlachterei der Produktionsgenossenschaft, in der sie bis zu ihrer Entlassung 1933 durch die Nationalsozialisten arbeitete.
„Im Dezember 1933 fand Elisabeth Ostermeier wieder eine Anstellung in der Allermöher Bäckerei des ehemaligen Redakteurs des sozialdemokratischen Harburger Volksblattes, Ernst Tessloff. (…) Von der Bäckerei aus organisierte Ernst Tessloff den sozialdemokratischen Widerstand im Bereich Harburg. Elisabeth Ostermeier berichtete: ‚Ich machte dann mit Hilfe meines Vaters – das heißt mit dem bißchen Geld, das er noch hatte – einen Führerschein und begann, die sozialdemokratische Kundschaft aufzusuchen, die Brot von Tessloff kaufte. Zwei Tage in der Woche lieferte ich in Veddel aus, zwei Tage in Wilhelmsburg und zwei Tage in Harburg. So hielten wir untereinander Kontakt. Einer sagte immer, ‚geh doch mal zu dem und dem‘. Manchmal hatte ich dann ein Paket mit Parteimaterial dabei, das wie Brot eingepackt war. Ich wusste sehr wohl, dass Flugblätter, Informationen drin sein mussten. Gesagt hat es mir niemand. Ich sollte auch nicht wissen, wer alles mitarbeitete. Das war damals Grundsatz: Die jungen Helfer, besonders die Mädchen, sollten sich nicht selbst (und auch nicht andere) belasten können. Bald darauf wurde ich dann auch gewarnt: ‚pass auf, der und der ist verhaftet.‘“[1]

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Elisabeth Ostermeier, Foto: privat


1935 zog Elisabeth Ostermeier, die im selben Jahr geheiratet hatte, mit ihrem Mann nach Minden. Ein Jahr später, am 18. Dezember 1936, wurde sie von der Gestapo verhaftet. „Elisabeth Ostermeier wurde nach Hildesheim ins Gefängnis gebracht und musste monatelang allein in einer Zelle sitzen.“[2]
Als Hamburg 1946 als erstes Bundesland wieder ein Parlament einberief, war Elisabeth Ostermeier mit dabei. Sie war zwar an Politik interessiert, doch in der parlamentarischen Arbeit ein Neuling. „Das war der Zeitpunkt, wo Frauen alle Chancen hatten. Ich glaube, wir Frauen hatten damals sogar ungeheuren Mut, denn was in unserem zerstörten Land wieder herzustellen war, verlangte die Kraft von Sisyphus-Wesen, die nicht zu erschüttern sind, immer und immer wieder von vorn anzufangen.“
Die Wiederaufbauphase begann auch für die Bürgerschaftsabgeordneten unter schwersten Bedingungen. Sie saßen im eiskalten Rathaus, waren hungrig, wussten selbst nicht, wie sie ihre Familien ernähren sollten, waren aber von der großen Hoffnung durchdrungen, mit vereinten Kräften etwas Neues zu schaffen. „Da fragte keiner, ob Frauen logisch genug und beständig genug fürs politische Handwerk seien – wir waren da, und wir packten mit zu. Wir lernten, weil wir mitdachten, mithalfen, mitredeten.
Aber dann kamen die Männer wieder nach Hause. Und viele Frauen traten bescheiden zurück, weil sie sich sagten: Nur so helfen wir dem seelisch zerstörten Heimkehrer. Hat er seinen Job zurück, fühlt er sich wieder als Mann. Doch letztlich habe ich nie akzeptiert, dass es nicht Aufstände gab, wenn auch die leitenden Positionen so mir nichts, dir nichts zurückgefordert wurden.“
Dieses damalige lethargische Verhalten der Frauen erklärte sich Elisabeth Ostermeier folgendermaßen: „Die Frauen vertrauen nicht wirklich auf ihre eigenen Fähigkeiten. Für sie verbindet sich mit dem Manne die Vorstellung von Sicherheit. Ohne ihn flattern sie. Der Mann schafft Beruhigung - als Vater, als Bruder und auch als Meister im Betrieb. Eine Frau an der Spitze wollten sie noch nicht; deren Ängste kennen sie zu gut.“
Auch für die damals wenigen Frauen in der Politik wusste Elisabeth Ostermeier eine Erklärung: „Dies komplizierte Nebeneinander von Beruf, Familie und Abgeordnetendasein schaffen die meisten nicht. Da bleibt den Frauen am Ende nur Zorn, weil die Männer kaum helfen, die Dreifachkombination zu erleichtern. Sie erwarten, dass wir genauso oft in Parteiversammlungen sitzen, den Kassierer spielen, als Hausfrau nicht versagen und auch als Frau noch was hermachen. Da müssen die Männer noch Fairness lernen.“
Elisabeth Ostermeier hat mit ansehen müssen, wie wenige Frauen den Weg in die Politik schafften oder politische Laufbahnen durchhielten. „Wenn Frauen was schaffen, sind Männer empfindlich. Im Nachhinein denke ich manchmal, man hätte sie überrennen sollen mit der eigenen Tüchtigkeit. Bei Sitzungen abends stöhnten die Herren, dass sie seit morgens um acht aus dem Haus seien. Das war ich auch. Nur da hatte ich bereits vorher den ganzen Haushalt versorgt. Trotzdem dachte ich stets, halt den Mund, lass ihnen die Rolle der Geplagten.“
Elisabeth Ostermeiers Hauptinteressen lagen auf den Gebieten der Sozialpolitik und des Arbeitsrechts. Mehrere Jahre hindurch war sie Deputierte der Arbeits- und Sozialbehörde, bis die Deputiertentätigkeit für Bürgerschaftsabgeordnete eingestellt wurde. Auch gehörte sie dem Bauausschuss an, musste dieses Amt aber wegen Überlastung aufgeben. Im Zentrum ihrer parlamentarischen Arbeit standen jedoch vor allem Jugendfragen, ein Bereich, den sie auch beruflich berührte: Mit fast 60 Jahren war sie noch im Vorstand der Gewerkschaft NGG hauptamtlich für die Jugend tätig.
Elisabeth Ostermeier schaffte die parlamentarische Arbeit nur deshalb, weil sie einen Mann hatte, „der alles voll unterstützte; ohne ihn wäre nichts“. Er kümmerte sich um den Haushalt und versorgte die Kinder, wenn sie unterwegs war.

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Grab Elisabeth Ostermeier, Quelle: kulturkarte.de/schirmer

Als Elisabeth Ostermeier ihr Bürgerschaftsmandat wegen Alters niederlegte, hatte sie sich keine Pfründe in diesen Jahren geschaffen. Sie besaß keinen Aufsichtsratsposten, kein lukratives Amt – im Gegensatz zu ihren Kollegen Abgeordneten, mit denen sie gemeinsam 1946 in die Bürgerschaft eingetreten war: „Eigentlich sollten wir Frauen es auch niemals lernen – dies Pokern um materielle Vorteile. Wir sollen bei den Werten bleiben, die wir für richtig halten.“ Einmal – 1974- fragte sie der damalige Bürgermeister Peter Schulz, ob sie Senatorin werden wolle. Dies wäre nicht nur Anerkennung ihrer politischen Laufbahn gewesen, sondern hätte auch ihre Rente verdoppelt. Doch Elisabeth Ostermeier entschied sich nach dem Ausscheiden aus der Bürgerschaft für ihr Privatleben.[3]
Für ihre Verdienste erhielt sie 1980 die Medaille für treue Arbeit im Dienste des Volkes in Silber.
Text: Rita Bake