Biografien-Datenbank: Frauen aus Hamburg

Hertha Kahn

(29.1.1901 Hamburg – 9.10.1957 Sao Paulo)
Geigerin, Geigenlehrerin
Isestraße 6 (Wohnadresse)


Bettina Frankenbach hat eine sehr informative und lesenswerte Biografie über Hertha Kahn verfasst. So schreibt sie über die Künstlerin: „Mit fünf Jahren erhielt sie Klavierunterricht und wechselte, musikalisch sehr begabt, mit neun zur Geige. Sie nahm Unterricht bei Richard Hartzer, Konzertmeister im Philharmonischen Orchester, und hatte im Rahmen eines Prüfungskonzerts des Vogtschen Konservatoriums schon mit zwölf Jahren einen öffentlichen Auftritt. Im großen Saal des Conventgartens spielte sie ein Violinkonzert von Wolfgang Amadeus Mozart. Ab 1917 studierte sie bei Heinrich Bandler, Erster Konzertmeister des Hamburger Philharmonischen Orchesters, ein Jahr später wechselte sie auf dessen Empfehlung zu dem renommierten Violinpädagogen Carl Flesch in Berlin, bei dem sie fünf Jahre studierte (…).Bereits mit 17 Jahren konzertierte Hertha Kahn in Hamburg. 1918 spielte sie im Thalia Theater Max Bruchs Violinkonzert in g-Moll, und im Januar 1920 hatte sie in der Großen Musikhalle an einem Abend gleich drei Konzerte im Programm (Pietro Nardini, Felix Mendelssohn Bartholdy und Antonín Dvořák). (…)
Am 16. Febr. 1927 spielte sie z. B. die Hamburger Erstaufführung von Ernst Kreneks Konzert für Violine und Orchester Nr. 1 und bekam auch für diese Darbietung eine hervorragende Kritik. Edith Weiss-Mann [siehe Eintrag: Edith Weiss-Mann. Ihr Grabstein steht im Garten der Frauen auf dem Ohlsdorfer Friedhof] schrieb über das Konzert: ‚Ein starker Zusammenhang mit dem Heute springt den Hörer an aus dieser Musik, die grenzenlose Anforderungen an Geistesgegenwart und Orientierungsvermögen des Solisten stellt, die zart, auch gegen das Tutti nie grob gespielt werden will und sich mit einer glasklaren Kletterlinie solo verflüchtigt in klanglose Übersphäre. Hertha Kahn zeigte mit der spielenden Bewältigung (ohne Notenstütze!), daß sie zu den Geigern allerersten Ranges zählt.‘ (….)
Neben ihrer regelmäßigen Konzert- und Kammermusiktätigkeit unterrichtete Hertha Kahn. Sie war (…) eine gefragte Lehrerin und übernahm 1925 eine Ausbildungsklasse am Krüss-Färber-Konservatorium. Im Januar 1927 heiratete sie den sieben Jahre älteren Kaufmann Alfred Kahn, und Ende des Jahres kam ihr gemeinsamer Sohn Bernd-Dieter zur Welt. (…)
Bereits im Gründungsjahr 1924 hatte Hertha Kahn für die Nordische Rundfunk AG (NORAG) gespielt. Gemeinsam mit dem Pianisten Erich Schönsee engagierte die NORAG sie später auch für die Einspielung der zehn Violinsonaten Ludwig van Beethovens. (…).
Bald nach dem Machtantritt der Nazis konnte Hertha Kahn als Solistin nicht mehr öffentlich auftreten. 1935 wurde sie aufgrund von Paragraph 10 der ‚Ersten Durchführungsverordnung des Reichskulturkammergesetzes‘ aus der Reichsmusikkammer ausgeschlossen und verlor ihre Stelle am Krüss-Färber-Konservatorium sowie ihre nicht-jüdischen Schülerinnen und Schüler. Auch in der Firma ihres Mannes kamen die Geschäfte zum Erliegen. Bis zu ihrer Auswanderung beteiligte Hertha Kahn sich vielfach am jüdischen Musikleben. Sie war Solistin und Konzertmeisterin im Jüdischen Kammerorchester Hamburg, konzertierte mit dem Kulturbund-Orchester Berlin unter Leitung Joseph Rosenstocks, ging mit Werner Singer auf Tournee für die Kulturbünde in Süd- und Mitteldeutschland, spielte mit John Mandelbrot in Kassel und Hannover, mit Edvard Moritz in Lübeck und Bremen (…)), trat aber auch bei Hamburger Hauskonzerten und Bunten Abenden auf. Ihren letzten solistischen Auftritt hatte sie am 24. März 1936 im Hamburger Tempel in der Oberstrasse. Mit dem Kulturbundorchester Rhein-Main spielte sie zum Abschied noch einmal Ludwig van Beethovens Violinkonzert. Am 30. Apr. 1936 ging Hertha Kahn schließlich mit ihrem Mann und ihrem neunjährigen Sohn ins Exil nach Brasilien.
Auf ihre Anfangszeit in Brasilien zurückblickend, schrieb Hertha Kahn 1957 verbittert an das Amt für Wiedergutmachung: ‚Hier konnte ich meine Karriere nicht einfach fortsetzen. Ich wurde zwar für Konzerte verpflichtet, die mir jedoch ausser Ruhm nichts einbrachten. Brasilien ist kein Land, in dem man Karriere machen kann. Da wir uns keine Hausangestellte leisten konnten in den ersten Jahren und wir ausserdem eine Familie von 3 Personen mit in unsere Wohnung aufnahmen, war ich den ganzen Tag hauptsächlich mit Kochen und Aufräumen usw. beschäftigt. Die Musik, die bei mir in meinem ganzen Leben an erster Stelle stand, rückte bei mir an die letzte Stelle.‘ (…) 1945 gründete sie mit der Cellistin Cecilia Zwarg, später Stimmführerin im Philharmonischen Orchester São Paulos, und der Pianistin Iracema Barbosa das Trio Bandeirante. Trotz zahlreicher Auftritte in São Paulo und vielen Städten Brasiliens kämpfte das Trio beständig mit finanziellen Schwierigkeiten. Das ‚Wiedergutmachungsverfahren‘ Hertha Kahns ist ein erschütterndes Dokument angeblicher Ungereimtheiten, ihr unterstellter Falschaussagen und fragwürdiger Zeugenangaben.“[1] Siehe dazu weiter bei der Autorin Bettina Frankenbach, die diese Ausführungen über Hertha Kahn verfasst hat, unter: www.lexm.uni-hamburg.de/object/lexm_lexmperson_00003102