Thalia Theater
Erbaut 1843, Abriss 1913, neu erbaut auf der gegenüberliegenden Straßenseite 1911/12 von den Architekten Lundt & Kallmorgen, teilweise zerstört 1945
Alstertor 2
Das Thalia Theater, ursprünglich gegenüber der Front des heutigen Gebäudes gelegen, ist das älteste Sprechtheater Hamburgs. Nach dem Stadttheater war es die zweite Bühne der Stadt. Direktor des Hauses war der Sohn des französisch-jüdischen Likörfabrikanten Charles Schwartzenberger alias Chéri Maurice, der an dem von der Witwe Handje geleiteten so genannten Steintortheater erheblich zur Anhebung des Niveaus beigetragen und nach ihrem Tod ihre Konzession mit der Auflage erhalten hatte, das Theater am Steintor durch einen Neubau zu ersetzen. Der grandiose Aufstieg, der das Thalia Theater schnell weit über die Grenzen Hamburgs hinaus berühmt machte, war vor allem sein Verdienst. Wohl auch auf Grund seiner französischen Herkunft verstand es Chéri Maurice, das heitere Theatergenre ernst zu nehmen. Mit den Possen, Vaudevilles und kurzen Lustspielen der Anfangsjahre traf er den Nerv einer in politischer und technischer Aufbruchsstimmung befindlichen Zeit. Konzessioniert als Lust- und Singspielhaus, erntete das Theater Gelächter bereits vor der ersten Premiere, als das mit 1.700 Plätzen und drei Rängen ausgestattete Haus durch den Teileinsturz der Vorderfront vorzeitig „eröffnet“ wurde. Die eigentliche Eröffnung fand dann am 9. November 1843 statt.
Mit der Gründung des Schauspielhauses im Jahre 1900 erhielt das Thalia Theater eine empfindliche Konkurrenz. Der aus Wien stammende Direktor des Schauspielhauses, Alfred von Berger, sicherte sich durch Exklusivverträge alle interessanten Textautoren und zog einige der besten Schauspielerinnen und Schauspieler vom Thalia Theater an sein eignes Haus. Unter ihnen war zum Beispiel Adele Doré (9.4.1859 Wien – Februar 1918 Berlin), die seit 1896 am Thalia Theater gewirkt hatte.
Doch das Thalia Theater reagierte prompt. Mit Leopold Jeßner, einem der bedeutendsten Regisseure des ersten Jahrhundertdrittels, gelang der Sprung in die Moderne. Von jetzt an gehörten Autoren wie Ibsen, Maeterlinck und Wedekind selbstverständlich ins Repertoire. Realistische Darstellung und psychologische Durchdringung kennzeichneten zunehmend das Spiel.
Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus gab es am 29. Juni 1946 für das in der Nacht vom 13. Auf den 14. April 1945 bei einem Bombenangriff zerstörten und seither teilweise wiederaufgebauten Haus einen Neuanfang.
Der neue Intendant war der Thalia-Schauspieler Willy Maertens. Zum neuen Ensemble gehörte u. a. seine Frau Charlotte Kramm (15.3.1900 Berlin – 21.11.1971 Hamburg), die seit 1932 engagiert war, 1935 aber auf Grund ihrer jüdischen Abstammung Auftritts- und Hausverbot erhalten hatte. Mit einem Auftrittsverbot war 1933 auch Lotte Klein-Fischer geb. Klein (13.6.1882 Hamburg – 24.7.1962 Garmisch-Partenkirchen) belegt worden. „Doch Königin des Hauses war sie, die große und halbvergessene Gisela von Collande“, rühmte der Theaterkritiker Werner Burkhardt
Während viele Bühnen sich dem Regietheater verschrieben, setzte Boy Gobert, der ab 1969 das Thalia Theater leitete, ganz im Sinne seines Gründers Chéri Maurice auf das Schauspielertheater. Für die Eröffnungsspielzeit bot er Paula Wessely geb. Orth (20.1.1907 – 11.5.2000 Wien) die Rolle der Frau Alving in Ibsens „Gespenster“ an – und „die größte lebende Schauspielerin“ (Laurence Olivier) kam.
In der ersten Spielzeit kam auch Friedel Schuster (12.5.1904 – 20.1.1983 Mending bei Andernach) ans Thalia Theater. Eine weitere Schauspielerin der ersten Saison war Ruth Stephan (27.10.1926 Hamburg – 7.8.1975 Berlin).
Und dann war da auch noch Sabine Sinjen (18.8.1942 Itzehoe – 18.5.1995 Berlin) wurde zunächst als Filmschauspielerin bekannt. Anfang der 60-er Jahre verlegte sie ihren Schwerpunkt auf die Theaterarbeit. Boy Gobert verpflichtete sie 1976 ans Thalia Theater, um sie als charmante und kokette Komödiantin einzusetzen. Ihre Lieblingsrollen waren die Weiber in Hacks „Jahrmarktfest in Plundersweiler“. Mit ihnen demonstrierte sie allabendlich ihre Wandlungsfähigkeit im „tik“, der Experimentierbühne, die das Thalia Theater für einige Spielzeiten in einem Gebäude der Hamburger Kunsthalle unterhielt. Sabine Sinjen folgte Boy Gobert nach Berlin.
Nach wie vor bei vielen Menschen in Erinnerung ist auch Elisabeth Flickenschildt. „Sag dem Theater nichts, sie sollen trotzdem spielen.“ Diese letzten Worte Elisabeth Flickenschildts (16.3.1905 Blankenese – 26.10.1977 Stade), gerichtet an ihren Lebensgefährten Rolf Badenhausen, galten dem Thalia Theater, das sich mit hundertköpfigem Ensemble auf dem Weg nach Brüssel befand, wo Elisabeth Flickenschildt neben Boy Gobert in der Titelrolle die Volumnia in Shakespeares Stück „Coriolan“ in der Inszenierung von Hans Hollmann hätte spielen sollen. Am 1. Oktober 1977 hatte dieses Stück Premiere in Hamburg gehabt, und trotz eines Autounfalls hatte Elisabeth Flickenschildt hier auf der Bühne gestanden. „Sehr charmant und sehr begabt“ hatte die Schauspielerin in der „Welt am Sonntag“ vom 19.1.1969 den neuen Intendanten des Thalia Theaters genannt. Die Kapitänstochter vom Krähenhorst 5 in Blankenese, die unter allen großen Regisseuren ihrer Zeit wie Otto Falckenberg, Heinz Hilpert, Jürgen Fehling und Gustav Gründgens gearbeitet hatte, empfand sich seit dem plötzlichen Tod Gründgens 1963 als künstlerisch heimatlos. Ein Engagement nahm sie seitdem nicht wieder an. Aber trotz des Gefühls, ständig Mittelmäßigkeit zu begegnen, konnte sie sich nicht von der Bühne trennen: „Ach, schon das Schminken ist so herrlich für mich. Diese Erregung vor dem Auftritt.“ Unvergessen und im Film festgehalten bleibt, wie sie als Marthe Schwertlein neben Gustav Gründgens als Mephisto durch den Garten spaziert. – Das aber hatte auf einer anderen Bühne stattgefunden, auf der des Schauspielhauses.
Text: Brita Reimers
Siehe zu Schauspielerinnen am Thalia Theater unter: Julie Herrmann; Zerline Würzburg; Marie Seebach; Friederike Goßmann; Marie Geistinger; Anna Schramm; Charlotte Wolter; Amalie Kraft; Helene Schneeberger; Antonie Janisch; Ernestine Wegner; Klara Heese; Marie Barkany; Anna Rossi; Karli Bozenhard; Lotte Witt; Käthe Frank-Witt; Clara Horn; Centa Bré; Philine Leudesdorff-Tormin; Maria Eis; Charlotte Schellenberg; Freca-Renate Bortfeldt; Hanne Mertens; Elke Lang; Fiete Krugel-Hartig.