ragazza ragazza e.V.
Brennerstraße 19
Siehe auch: Prostitution vom 19. Jahrhundert bis in die 1950er-Jahre
„Das ragazza ist eine niedrigschwellige und akzeptierende Kontakt- und Anlaufstelle mit einem integrierten Gesundheitsraum/Konsumraum und bietet Hilfen für Frauen, die Drogen konsumieren und der Prostitution nachgehen“, heißt es heute (2018) auf der Website des Vereins: ragazza-hamburg.de
Der Verein wurde 1991 gegründet und befindet sich im Hamburger Stadtteil St. Georg. Über den Stadtteil und das Thema Prostitution schreibt der Verein auf seiner Website: „Die Räume von ragazza e.V. liegen im Hamburger Bahnhofsviertel St. Georg. St. Georg zeichnet sich seit jeher durch seine kulturelle und soziale Vielfalt aus: die typischen Eigenschaften eines großstädtischen Bahnhofsviertels vereinend, findet sich hier eine Mischung aus Wohn-, Gewerbe-, Büro, Einkaufs- und Vergnügungsquartier mit einer ausgedehnten Kneipen- und Cafészene. Außerdem wird dieser Stadtteil auch durch Armut, sichtbare Obdachlosigkeit, von einer offenen Drogenszene und Prostitution geprägt. Dabei ist St. Georg Sperrgebiet – d.h. die Straßenprostitution wird als Ordnungswidrigkeit mit einem Bußgeld geahndet. Trotzdem finden Sexarbeit und auch der Konsum legaler und illegalisierter Drogen teils für alle sichtbar auf der Straße und in den Hauseingängen statt. Gleichzeitig befindet sich St. Georg seit Mitte der 90-er Jahre in einem stadtteilpolitischen Aufwertungsprozess, der vorrangig durch ökonomische Interessen geprägt ist (…). Sichtbare Armut steht der Aufwertung des Stadtteils dabei scheinbar entgegen und die Tendenz, unerwünschte Bevölkerungsgruppen –
wie z. B. DrogengebraucherInnen und SexarbeiterInnen – systematisch aus ihrem Lebensraum zu verdrängen, steigt. So fühlen sich viele BewohnerInnen des Stadtteils durch Armutserscheinungen und Prostitution gestört und bedroht und neue Gewerbetreibende der ‚gehobeneren‘ Ökonomie fürchten um ihre Umsätze. Gleichzeitig verschärfen sich aber innerhalb dieses Prozesses die Problemlagen der Frauen, die der Straßenprostitution nachgehen: Straßenprostitution in diesem Quartier, die den drogengebrauchenden Mädchen und Frauen zur Geldbeschaffung auch für illegale Drogen dient, bedeutet ständige Gefahr. Die Gefahr von privaten Ordnungskräften oder der Polizei des Platzes verwiesen zu werden. Die Gefahr sich der Brutalität, Misshandlungen und Vergewaltigung durch Freier auszusetzen. Die Gefahr, aus der Not heraus auf Verlangen der Freier riskanten Sexualpraktiken (z.B. ungeschützter Sexualverkehr) nachzukommen. So werden durch den bestehenden Verdrängungsprozess und dessen Begleiterscheinungen soziale, psychische und gesundheitliche Risiken für die drogengebrauchenden und der Prostitution nachgehenden Frauen erhöht und auch ihre Doppelstigmatisierung manifestiert sich stetig.“ ragazza-hamburg.de/de/about-us/deutsch-der-stadtteil
Neben der Straßensozialarbeit des Projektes St. Georg macht der Verein jetzt auch aufsuchende Arbeit mobil mit einem Bus. Sexarbeiterinnen auf den Straßenstrichen in St. Georg, der Süderstraße und auf St. Pauli werden Beratungsangebote gemacht. Ragazza Kontakt sucht die Frauen an ihren Arbeitsplätzen in Bordellen und sogenannten Modellwohnungen auf und bietet den Frauen am ihrem Arbeitsplatz Beratung zu sozialen und rechtlichen, vor allem aber gesundheitlichen Themen an.
„Im Namen des Feminismus wird die Prostitution seit Beginn der Neuen Frauenbewegung kontrovers diskutiert: Autonome Feministinnen wie Simone de Beauvoir, Kate Millett oder Alice Schwarzer kritisieren das ‚System Prostitution‘ und die Behandlung der Frau als Ware als menschenunwürdig und solidarisieren sich gleichzeitig mit den Prostituierten." www.frauenmediaturm.de/themen-portraets/themen-debatten/prostitution/
An dieser Stelle sollen im Folgenden nur einige Beispiele zum „Thema Prostitution“ aus Hamburg in Zeiten der Neuen Frauenbewegung bis zum Ende der 1990-er Jahre gegeben werden. 1973 gründete sich auf St. Pauli die „Kaffeeklappe“, eine Beratungsstelle für Prostituierte, die vom Diakonischen Werk getragen wird. In den 1980- er Jahren versuchten dann im parlamentarischen Bereich die Hamburger Abgeordneten der GAL eine andere Sichtweise von Prostitution deutlich zu machen. Sie versuchten, die gesellschaftliche Diskriminierung der Prostituierten herauszustellen: Warum gelten eigentlich Frauen, die sich prostituieren, als unanständig, während es als Selbstverständlichkeit gilt, dass Männer Prostituierte brauchen und gebrauchen?
1981 beschloss die Mitgliederversammlung der „Arche e.V.“ ihr Haus – ein 1975 von christlich orientierten Menschen gegründetes Frauenhaus hauptsächlich für Prostituierte – in „4. Hamburger Frauenhaus e.V.“ umzubenennen, damit eine Gleichstellung mit den anderen Frauenhäusern stattfinde. Das „4. Hamburger Frauenhaus“ war das einzige Frauenhaus in der Bundesrepublik, das vorrangig Frauen Schutz bot, die aus der Prostitution aussteigen wollten.
Vier Jahre später, 1985, fand erstmals seit den reichsweiten Aktionen des radikalen Flügels der bürgerlichen Frauenbewegung im Kaiserreich ein großer Fachkongress zum „Thema“ Prostitution statt, der nicht die Sittlichkeitsfrage in den Vordergrund stellte, sondern die Diskriminierung und die Lebensverhältnisse der Prostituierten. Die Idee zu dieser Fachtagung kam von den Mitarbeiterinnen der „Kaffeeklappe“. Sie wurden unterstützt von den Frauen aus den Frauenhäusern und von der damaligen Leitstelle für die Gleichstellung der Frau. Dadurch konnte eine finanzielle Unterstützung durch die damalige Jugendbehörde erreicht werden. Die Tagung fand im Curio-Haus statt und kritisierte die staatlichen Repressionen gegenüber den Prostituierten sowie die Toleranz gegenüber Freiern. Ein Ergebnis des Kongresses war die Errichtung einer weiteren Beratungsstelle für Prostituierte, diesmal im Stadtteil St. Georg: das Café Sperrgebiet, ebenfalls unter der Trägerschaft des Diakonischen Werkes. Noch im selben Jahr konnte die Beratungsstelle, eine Anlaufstelle für junge Prostituierte, denen auch eine Übernachtungsmöglichkeit geboten wird, eröffnet werden, denn der Hamburger Mäzen Jan Philipp Reemtsma sorgte für eine Anschubfinanzierung in Höhe von 200.000 DM.
1987 gründete sich der gewerkschaftsähnliche Verband „Solidarität Hamburger Huren“ mit dem Ziel, sich für die Aufhebung der Diskriminierung, der rechtlichen Benachteiligung und für die Anerkennung der Prostitution als Beruf einzusetzen. Anlass für die Gründung dieses Verbandes war die Ermordung einer Prostituierten durch einen Freier, der annahm, er habe sich bei ihr mit AIDS infiziert. Noch im selben Jahr seiner Gründung veranstaltete der Verband den ersten bundesweiten Hurenkongress.
Auch auf staatlicher Seite tat sich im selben Jahr etwas: Die zwangsweise durchgeführten gynäkologischen Untersuchungen von Prostituierten wurden abgeschafft. Von nun an blieb es jeder Prostituierten freigestellt, sich bei der Zentralen Beratungsstelle des Gesundheitsamtes auf Geschlechtskrankheiten untersuchen zu lassen.
1991 wurde dann wie bereits oben erwähnt „ragazza“ gegründet, in deren Räumen es auch Essen, Trinken und Freizeitangebote sowie Möglichkeiten zum Wäschewaschen und Spritzen tauschen gibt. Domenica Niehoff, eine weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannte Prostituierte, war eine der Gründerinnen des Vereins.
Um die Modellprostitution zu bekämpfen, bot das Landeskriminalamt ab 1997 aussagewilligen Ausländerinnen eine spezielle Zeuginnenbetreuung an. Diese sah vor, dass aussagewillige ausländische, sich illegal in Hamburg aufhaltende Prostituierte bis zur Durchführung eines Strafverfahrens gegen ihre Zuhälter in Deutschland bleiben konnten. Im Koalitionsvertrag von 1998 zwischen SPD und GAL steht dazu: „Ein Zeuginnenschutz für aussagewillige Prostituierte wird bereits gewährt, die Zusammenarbeit mit der NRO (Nichtregierungsorganisation) ‚Amnesty for Women‘ soll verbessert werden. Es wird geprüft, inwieweit diese gesetzlichen und praktischen Änderungen zu einer Verbesserung der Lage führen oder weitere Initiativen erforderlich sind.“ Ab 1999 finanzierte das damalige Senatsamt für die Gleichstellung das Zeuginnenbetreuungsprogramm für aussagewillige Prostituierte und der Verein „Amnesty for Women“ führte dieses Programm durch.
Außerdem wurde damals, 1998, im Koalitionsvertrag eine verstärkte Bekämpfung des Frauenhandels und ein besserer Schutz der Opfer vereinbart, denn Schlepperbanden und Zuhälter verdienen Millionen in Hamburg mit dem Frauenhandel.
Text: Rita Bake