Anneliese Scheder-Bieschin Anneliese Scheder-Bieschin, geb. Kadelbach
(25.7.1935 Cammin/Pommern (vermutlich Bistum Cammin, ehem. Hinterpommern, jetzt Kamień Pomorski/Polen) – 13.2.2013 Hamburg)
Glaskünstlerin
Mühlenberger Weg 64 A – Marktkirche Blankenese
Nienstedtener Marktplatz 19a, Grablage: Friedhof Nienstedten, Grabstätte der Familie Scheder-Bieschin in Abt. 16 B Nr. 128 – 129 + 136 – 137 (1)
Große Elbstraße 138: MACS Maritime Carrier Shipping, Sitz des Familienunternehmens
„... so ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung, Römer 13.10“. Mit diesem Bibelvers verabschiedete sich die Familie in der Traueranzeige. Denn „meine liebe Frau, unsere Mutter und Großmutter“ sei „ganz unerwartet“ von ihnen gegangen (2).
Laut ihrer damaligen Website schuf die Künstlerin Anneliese Scheder Bieschin 1984 „erste Glasbilder in Kupferfolientechnik und mit Bleiprofilen“ (vgl. dazu die Tiffany-Technik).
Vier Jahre später besuchte sie die Bundesfachlehranstalt für Glaser und Fensterbauer, Karlsruhe (3), und belegte dort den Sonderfachkurs „Bleifeld für Fensterbauer“. In den folgenden beiden Jahren entwarf sie „drei große Fenster für einen argentinischen Auftraggeber“ und erhielt den Auftrag zur Gestaltung der Fensterpartie für „eine Bar in Punta del Este, Uruguay“. 1991 entstanden die Portalfenster für die Galerie Kramer, Hamburg. Drei Fenster für einen Andachtsraum der Seemannsmission Kiel-Holtenau schuf die Künstlerin 1992. 1993 folgten drei Glasfenster für das schwimmende „Theater Zeppelin“ auf einem alten Schiff, das am Kaiser-Friedrich-Ufer 27 liegt. 1995 gestaltete sie die Fenster für einen Andachtsraum in der Senioren-Einrichtung Probst-Becker-Haus, Kiel.
Anneliese Scheder-Bieschin bildete bis 2012 zahlreiche kleinere Glasbilder aus dem Glasverschnitt früherer Auftragsarbeiten und experimentierte mit geschmolzenem Glas. Für den Andachtsraum im Gemeindehaus Blankenese gestaltete sie 2000-2001 die Schmuckfenster. 2003 folgte der Entwurf für vier Chorfenster der Stiftskirche des Klosters Heiligengrabe in Brandenburg.
Zwischen 2007 und 2012 entstanden mehrere kleinere Glasbild-Arbeiten, darunter Details aus den Kirchenfenstern der Blankeneser Kirche, außerdem das Glasbild „Ordnung“ für die (eigene Familien-)Reederei MACS sowie das Motiv „Leuchtturm“, zuletzt ein Glasbild „Vogelschwarm“ 2012.
Mit der Anschaffung eines großen Glas-Brenn-(Fusing-)-Ofens hatte Anneliese Scheder-Bieschin seit 1995 ihre kreativen Möglichkeiten erweitern und eigene Arbeiten selbst herstellen können. Daraufhin beteiligte sie sich an der Ausschreibung für das Rosettenfenster über dem Portal der Marktkirche Blankenese. Ihr Entwurf wurde 1998 fertiggestellt. Anneliese Scheder-Bieschin vermittelte ihre Kunst an Interessierte in Seminaren für Glasmalerei (4).
In einem Gemeindebrief, Ausgabe 70, November 2011 schrieb Frau Inga Schröder zu den Motiven des Rosettenfensters der Marktkirche Blankenese:
„Die Blankeneser Kirche, sozusagen eine kleine neugotische Schwester dieser großen Kathedralen, greift dieses Motiv neben vielen anderen Stilelementen der Gotik auch mit dem Motiv des Rosettenfensters über dem Eingang auf. Und auch hier am Blankeneser Markt übt es seine Anziehungskraft auf den Vorbeigehenden aus, zwar nicht durch seine Größe oder als ein mächtiges Rad mit prächtigem Maßwerk, aber doch auf seine ganz entschiedene eigene Art. Mit vielen Glasfenstern in der Westfassade einer Kirche teilt diese Rosette das Schicksal, dass sie von innen gar nicht zu sehen ist, weil die Orgel davor steht. – Darum wurde hier ein teilweise reflektierendes Glas verwendet, sodass die Bilder der Fenster auch von außen erkennbar sind.
Erkennbar? Gibt es da etwas zu erkennen in diesen kleinen Glasscheiben? – Ja, das gibt es. Aber – wie bei sehr vielen Glasfenstern in den Kirchen – erschließt sich der Bildinhalt oft erst bei genauem Hinsehen, weil die Glasbilder in den hohen Fenstern meist zu weit vom Betrachter entfernt sind. Bei längerer Betrachtung wird in jedem Blütenblatt der ‚kleinen Rose’ eine menschliche Figur sichtbar. Es ist vielleicht sogar auszumachen, dass eine (rechts oben) ermattet auf dem Erdboden liegt und eine andere (rechts unten) sich gekrümmt auf einen Stock gestützt fortbewegt. Da die Künstlerin Anneliese Scheder-Bieschin bewusst abstrahierend gearbeitet hat, ist es gut zu wissen, welches Bildprogramm hier aufgerufen wird.
Wie schon in den vielen Darstellungen an den Eingangsportalen der mittelalterlichen Kirchen geht es auch hier um das Weltgericht, in diesem Fall um die Erklärungen, die Christus seinen Jüngern am Ende des Matthäus Evangeliums über die Kriterien gibt, nach denen das Leben der Menschen beurteilt werden wird:
„Ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben,
ich war durstig, und ihr habt mir zu trinken gegeben,
ich war fremd, und ihr habt mich bei euch aufgenommen,
ich war nackt, und ihr habt mir Kleidung gegeben,
ich war krank, und ihr habt für mich gesorgt,
ich war im Gefängnis, und ihr habt mich
besucht.“
Wie beruhigend das alles klingt. Gar nicht nach Gericht und Bestrafung oder Drohung. – Aber die Darstellungen im Rosettenfenster sind gar nicht so beruhigend. Es sind in jedem Fenster nämlich immer nur die hilflosen Menschen allein dargestellt, die helfenden fehlen.– Eine Aufforderung an die Vorübergehenden? Könnte das im oberen rechten Fenster wohlmöglich der Elbstrand und im unteren eine Treppe am Elbhang sein? – Ja, der Betrachter findet sogar noch mehr Hinweise darauf, dass er sich hier mitten in Blankenese befindet.
Der Hungrige (links unten) steht auf dem Markt, der Nackte (in der Mitte rechts) wartet am Eingang des Bahnhofs, der mit den Händen auf dem Rücken gefesselte Gefangene (in der Mitte links) befindet sich vor dem Amtsgericht und der Anklopfende (links oben) vor dem Turm auf dem Süllberg. Eine Aufforderung an die Vorübergehenden?
Wenn das Fenster abends von innen beleuchtet wird, sind nicht nur die einzelnen Bilder klarer erkennbar, sondern man sieht auch besonders deutlich, dass jeweils ein Lichtkegel aus dem Glanz des Sterns im mittleren Fenster auf jede einzelne Figur fällt. Wie tröstlich und beruhigend! – Oder? – Haben wir uns durch die zurückhaltende, abstrakte Gestaltung der Bilder zu genauem Hinsehen einladen lassen? Die Kreisform der Rosette hat eine starke meditative und suggestive Wirkung. Man kann sich ihr mit seinen Gedanken hingeben.“ (5)
Text: Dr. Cornelia Göksu