Biografien-Datenbank: Frauen aus Hamburg

Helga Wullweber

(1947 – 28.9.2017 Berlin)
Rechtsanwältin, Politikerin (GAL), Abgeordnete der Hamburgischen Bürgerschaft
Rathausmarkt (Wirkungsstätte Hamburger Rathaus)


„Geboren in Berlin-Pankow, wuchs sie mit ihrer Schwester in Hildesheim auf, und schon früh beschäftigte sie sich mit der Frage nach dem Entstehen des Faschismus in Deutschland und den Ursachen und der Verantwortung dafür, was zu erheblichen Auseinandersetzungen auch mit ihrer eigenen Familie, besonders mit ihrem Vater, führte.
Auf diesem Hintergrund entschied sie sich für das Jura-Studium, zunächst in Göttingen, dann in Berlin, stand dem SDS nahe, orientierte sich dann nach dem Zerfall der Studentenbewegung vorübergehend in der maoistischen KPD, an deren Auflösung sie später mitwirkte. Ab 1973 war sie Anwältin, zunächst in zwei Büros im Wedding und später in verschiedenen Konstellationen in Büros in Berlin und Hamburg. Ihre Anwaltsarbeit begriff und praktizierte sie Zeit ihres Berufslebens als politische Arbeit. Helga war in den ersten Jahren ihres Berufslebens auch als Strafverteidigerin tätig, verteidigte während des Deutschen Herbstes 1977 ein Mitglied der Bewegung 2. Juni, erlebte dabei im laufenden Prozess vor dem Kammergericht die Verabschiedung und konkrete Anwendung des – die Verteidigung massiv behindernden – ›Kontaktsperre-Gesetzes“,[1] schreibt der Rechtsanwalt Rüdiger Jung und Mitglied im RAV (Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e.V.) in seinem Nachruf zu Helga Wullweber.
In Helga Wullwebers Wikipedia Eintrag steht: „Sie arbeitete als Rechtsanwältin in Hamburg und Berlin und spezialisierte sich auf Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht. Sie engagierte sich unter anderem im Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein, wo sie Mitglied des Bundesvorstands war, und der Berliner Rechtsanwaltskammer. Wullweber war eine der Gründerinnen und mehrjährige Redakteurin der Fachzeitschrift Recht & Psychiatrie.
Wullweber veröffentlichte verschiedene Artikel zu juristischen Themen. So setzte sie sich 1993 in Kritische Justiz mit den ersten beiden Mauerschützen-Urteilen auseinander und kritisierte, dass die konkrete Situation der Grenzsoldaten durch das Abweichen von Wortlaut und Sinn des Schießbefehls nicht hinreichend beachtet worden wäre. Sie publizierte außerdem zu dem Thema Vergewaltigungen als Kriegswaffe und Kriegsvölkerrecht. Wullweber war darüber hinaus Vorstandsmitglied der International Association of Lawvers against Nuclear Arms (IALANA). (…).“[2]
Helga Wullweber gehörte zu den wenigen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten in Deutschland, die sich für die Rechte von PsychiatriepatientInnen einsetzte. Peter Lehmann und die Planungsgruppe der „Psychexit – Expertenrunde zur kompetenten (Selbst-) Hilfe beim Absetzen von Antidepressiva und Neuroleptika“ Berlin schrieb am 13. 4. 2018 in einem Nachruf auf Helga Wullweber: „1988 arbeitete sie am Entwurf für ein alternatives Unterbringungsgesetz mit. In seinen Behandlungsparagraphen integrierte sie die sogenannte starke Version des Psychiatrischen Testaments: Danach soll eine Behandlung ohne Einwilligung nur nach vorheriger Willenserklärung möglich sein, analog der Situation in der Körpermedizin. Wie klar sie schon vor 30 Jahren für die Gleichheit Psychiatriebetroffener vor dem Recht eintrat, zeigt die nach wie vor hohe Aktualität des damals formulierten Behandlungsparagraphen (nachzulesen im Internet unterwww.peter-lehmann-publishing.com/info/jelpke.htm). Leider wurde der Entwurf vom Hamburger Parlament nicht angenommen.“[3]
Helga Wullweber, Mutter von zwei Söhnen und verheiratet mit dem Politologen Jürgen Hoffmann, initiierte den ersten Berliner „Babyladen“. In ihrer politischen Arbeit stand sie außerhalb und in Opposition zu traditionellen Institutionen. Sie arbeitete mit Arbeitern, BetriebsrätInnen und der Berliner Frauengruppe „Brot und Rosen“ sowie mit dem Friedensfrauennetzwerk Scheherezade zusammen.
Von 1989 bis 1991 war sie, die 1984 mit ihrer Familie nach Hamburg gezogen war, Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft (Wahlperiode 13), ab dem 9.4. Mitglied der GAL-Frauenfraktion.[4] Bis zum März 1990 gehörte sie der GAL-Fraktion an. Am 4. Oktober 1989 brachte ihre Partei eine Gesetzesvorlage für ein Quotierungsgesetz ein, das die schrittweise Anhebung des Frauenanteils bei Stellenbesetzungen, ein Mitbestimmungsrecht für gewählte Frauenbeauftragte und Sanktionen bei Nichterreichen der Quote vorsah. Wullweber hielt eine Rede, in der sie für die Annahme des Gesetzesentwurfs plädierte. Die Quotierung von Erwerbsarbeitsplätzen und Bevorzugung von Frauen bei gleicher Qualifikation wäre ihrer Meinung nach nötig, bis das Ziel der Gleichstellung der Geschlechter erreicht sei. Berufstätige Frauen sollten der Maßstab für die Organisation des Arbeitsalltags sein. Sie argumentierte: ‚Weil für Frauen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie heute das dringlichste Problem ist, ist nur eine Politik zukunftsweisend, die auch die Frau aus der Enge der bürgerlichen Familie befreit und beiden, Frauen und Männern, das volle Spektrum des gesellschaftlichen Lebens erschließt‘. Der Gesetzesentwurf wurde jedoch vom Ausschuss für Gleichstellung der Frau abgelehnt. Stattdessen trat 1992 ein weniger tiefgreifendes Gleichstellungsgesetz in Kraft. Wullweber äußerte sich enttäuscht, es hätte sich für Frauen wenig geändert und je näher die Verwirklichung einer frauenpolitischen Maßnahme rücke, desto größer werde der Widerstand der Männer.“[2]
In einem Artikel vom 9.3.1990 unter dem Titel „Mama drin, Kind draußen. Ein Plädoyer für die Würde der Frauen im Parlament“ machte sich die damalige Abgeordnete Helga Wullweber Luft über die Reaktion des damaligen Präsidenten der Hamburgischen Bürgerschaft zum Thema „Dürfen Kinder von Abgeordneten mit in die Parlamentssitzung“. Helga Wullweber schrieb dazu: „Das Kind einer Abgeordneten will nicht, wie die Mutter will. Das Kind will nicht, wie abgemacht, bei seinem Freund schlafen. Das Kind will nach Hause, jedenfalls zur Mutter, auch wenn diese gar nicht zu Hause, sondern in einer Bürgerschaftssitzung im Rathaus sich befindet. Ein Kurier fährt das Kind ins Rathaus. Dort darf es auf dem Gang zum Plenarsaal spielen. Während die Mutter auf ihrem Platz sitzt, drückt sich das Kind die Nase an der Glasscheibe der Schwingtür zum Plenarsaal platt. Die Mutter findet, das muß doch nicht sein. Warum soll sie sich mit dem Kind nicht nebeneinander auf zwei hintere leere Plätze setzen? Der guten Ordnung halber fragt sie den amtierenden Parlamentspräsidenten. Der Parlamentspräsident ist ob dieses Ansinnens sehr erschrocken. Das hat es noch nie gegeben, ist sein erstes Argument. Erkennend, daß dieses Argument in Wahrheit keines ist, versucht er zu argumentieren, dann würde am Ende jede Abgeordnete – nicht ‚jeder‘, dies erscheint ihm wohl doch zu fernliegend – ihre Kinder mitbringen, und dann ... Der Parlamentspräsident blickt sehr besorgt. Offensichtlich tobt vor seinem inneren Auge eine Kinderhorde über Tische und Bänke des Plenarsaals, selbst den Lärm der geschwätzigen Abgeordneten übertönend. Er liebe Kinder, erklärt er schließlich – die Frau hat ihre Zweifel, macht der Parlamentspräsident doch nicht den Eindruck, daß er Wilde, mit denen er anscheinend Kinder gleichsetzt, liebe –, aber in seiner Vorstellung sei das Parlament ein Ort der Würde. Mit dieser Würde vertrage es sich nicht, daß Kinder anwesend seien. Die Frau ist verblüfft. Er meine also, daß die Anwesenheit von Kindern im Parlament würdelos sei? Nein, nein, schwächt der Parlamentspräsident ab, so habe er das nicht gemeint. Auch er liebe Kinder, beteuert er erneut. Es sei nur so, daß die Anwesenheit von Kindern der Würde des Parlaments nicht entspreche. Auch wenn es wahrhaftig drängendere Probleme als das des Zugangs von Kindern von Abgeordneten zum Plenarsaal gibt – weil weder für die Kinder noch für die Eltern das Zusammensein dort attraktiv ist und, hätten Kinder Zugang, diese Möglichkeit höchst selten wahrgenommen werden würde –, so muß doch die Verweigerung des Zugangs für Kinder unter Berufung auf die Würde des Parlaments heftigen Widerspruch provozieren. Diese Verweigerung zeigt, wie ungebrochen die patriarchalische Kultur in diesem gesellschaftlichen Bereich noch ist. Die Frauen-Abgeordneten haben Zugang nur, wenn sie sich aller familiären Verpflichtungen entledigen und ihren Alltag – wie die Männer das tun – so organisieren, daß Beruf und politische Arbeit nicht durch Überlappungen mit dem familiären Bereich beeinträchtigt werden. (…)
Das Parlament ist nur dann ein Ort der Würde, wenn Frauen als Frauen dort anwesend sein können. Auch den Männern würde es Würde verleihen, wenn sie in der Öffentlichkeit nicht andere Dimensionen ihres Lebens ausklammern müßten. Oder kann Würde denn teilbar sein?
Es gibt keinen sachlichen Grund dafür, daß Kinder im Parlament nicht anwesend sein können. Es stimmt nicht, daß sich im Parlament nur abstimmungsberechtigte Personen aufhalten dürfen. Fraktionsgeschäftsführerlnnen und Referentinnen dürfen durchaus die Abgeordneten im Plenarsaal aufsuchen. Hochgestreckte Kinderhände dürften sich ohne Schwierigkeiten erkennen lassen, so daß nicht die Gefahr besteht, Kinder könnten eine Abstimmung durcheinanderbringen.“[5]
1993 zog sie mit ihrer Familie zurück nach Berlin. „2009 verstarb ihr Mann, sie selbst erkrankte schon vor 18 Jahren an Krebs, dachte jedoch nicht daran, ihren Beruf aus gesundheitlichen oder Altersgründen aufzugeben.“ [1]