Eleonore Rudolph Eleonore Rudolph, geb. Schröder
(12.12.1923 Hamburg - 14.7.2021 Hamburg)
Abgeordnete (CDU) der Hamburgischen Bürgerschaft, Frauenpolitikerin
Hohenzollernring 31 (Wohnadresse)
Seit 1966 Mitglied der CDU; viele Jahre stellvertretende Landesvorsitzende und Vorsitzende der Frauen-Union. Von 1974 bis 2001 Abgeordnete der Hamburgischen Bürgerschaft. Von 1999 bis 2007 Landesvorsitzende und Ehrenvorsitzende des Evangelischen Arbeitskreises der CDU Hamburg. Trägerin des Bundeverdienstkreuzes erster Klasse.
Autobiographische Notizen von Eleonore Rudolph aus dem Jahre 1995 für das Buch von Inge Grolle und Rita Bake: „Ich habe Jonglieren mit drei Bällen geübt“. Frauen in der Hamburgischen Bürgerschaft 1946 bis 1993. Hamburg 1995.
„Die Sensibilität der Frauen, ihre andere Sichtweise und größere Praxisbezogenheit sind bei der Lösung der immer komplexeren gesellschaftlichen Aufgaben unverzichtbar.“ (E. Rudolph)
Die Wege in die Politik sind so unterschiedlich wie die Menschen, die sie beschreiten. Für mich war mein Elternhaus prägend, auch das Geschichtsstudium, und später hatte die Mitarbeit in Frauenverbänden einen gewissen Einfluss, schließlich waren es die Erfahrungen mit der Hamburgischen Schulpolitik der SPD, die mich geradezu zur oppositionellen CDU führten.
Ich bin 1923 in Blankenese geboren und habe den größten Teil meiner Schulzeit sowie einige Semester während der nationalsozialistischen Diktatur verbracht. Mein Vater war Sozialdemokrat, war in der Weimarer Republik politisch aktiv und den religiösen Sozialisten sehr verbunden. Er wurde – als Altphilologe und Geschichtslehrer am Christianeum – 1933 in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Hartnäckige Schüler- und Elternproteste bei Parteiinstanzen und beim Reichskulturministerium erreichten nach mehreren Monaten seine Wiedereinstellung. Er blieb „ein freier und unabhängiger Mann“, wie ihn mir später eine Mutter ehemaliger Schüler beschrieb, der durch seinen Unterricht, seine unerschrockene Haltung und seine Zivilcourage für die einen Vorbild, für andere Ärgernis war. Zu Hause lebten wir in ständiger Angst vor Denunziation und erneuter Entlassung.
Dass es ein Privileg war, während der NS-Herrschaft in einem Elternhaus mit einer klaren oppositionellen Haltung und starker christlicher Verwurzelung aufgewachsen zu sein, dessen wurde ich mir erst später dankbar bewusst. Hierin lag auch eine Verpflichtung.
Nach Kriegsende folgten zunächst Studium, Familiengründung und Kindererziehung. Unmittelbar mit Politik konfrontiert wurde ich als Elternvertreterin in den Schulen meiner beiden Töchter. Ständig hatten wir uns mit Reformen oder Experimenten der sozialdemokratischen Schulpolitik auseinanderzusetzen, die viel Unruhe in die Schulen brachte; es ging u. a. um die Förderstufe, die Beobachtungsstufe und die Gesamtschule. Meine letzten Aktivitäten als Elternratsmitglied an der Klosterschule Ende der 1960er Jahre bestanden in den Protesten gegen die 5-Tage-Woche und die Frühjahrsferien, die den Kindern wohlhabender Eltern und den Lehrern Skiferien ermöglichten, während die meisten Schüler bei schlechtem Märzwetter zu Hause bleiben mussten. So ist es bis heute, aber Eltern beginnen erneut sich dagegen zu wehren.
Als meine Kinder „aus dem Gröbsten“ heraus waren, ging ich 1965 in die CDU. Von Parteiorganisation und Mitwirkungsmöglichkeiten wusste ich damals wenig, auch kannte ich niemanden in der Partei. Aber ich war der Meinung: Kritik üben genügt nicht, Demokratie fordert verantwortliches Mitmachen. Die Forderungen der Frauenverbände, in denen ich aktiv war, ließen sich auch nur durch konkrete Politik umsetzen.
Zur selben Zeit begannen meine kirchlichen Ehrenämter, die ich bis heute ausübe: 1965 wurde ich in den Kirchenvorstand der Kreuzkirche Ottensen gewählt, 1972 zusätzlich in die Synode und den Kirchenkreisvorstand Altona.
Neben meinen Familienaufgaben entwickelten sich parallel drei Tätigkeitsfelder: Kirche, Frauenverbände und Politik. Voraussetzung für außerhäusliches Engagement ist das Einverständnis der Familie. Ernsthafte Konflikte gab es nicht. Mein Mann war Universitätsprofessor und arbeitete an den Abenden und Wochenenden, wie es in Berufen, die zugleich Hobby sind, so üblich ist. Gemurrt wurde schon mal, denn natürlich entstanden hier und da hauswirtschaftliche Defizite, die meine Familie nicht gewohnt war, da ich in meinen frühen Hausfrauenjahren, die ich nach wie vor als kreative Phase bezeichne – ohne die weniger schöpferischen Tätigkeiten vergessen zu haben -, einige Jahre hauswirtschaftliche Berufspraktikantinnen beschäftigt hatte.
Verbindung zur Frauenverbandsarbeit bekam ich in einem Kreis jüngerer Frauen mit gleichen Erfahrungen: Studium, Ausbildung, Haushalt, Kindererziehung. Bei monatlichen Zusammenkünften reaktivierten wir unsere geistige Beweglichkeit, indem wir reihum über das politische Geschehen in Europa und in der Welt berichteten. Die Zeitungslektüre wurde bald ergänzt durch spezielle Sachliteratur zu den verschiedenen Ländern; es entwickelte sich eine Runde von Expertinnen mit höchst anregenden Referaten und Diskussionen. Die Idee dazu kam von Vilma Mönckeberg, einer bekannten Hamburger Rezitatorin und Märchenforscherin, die zu jener Zeit Vorsitzende der W.O.M.E.N. (Weltorganisation der Mütter aller Nationen), einer internationalen Frauen-Friedens-Organisation amerikanischen Ursprungs war.
Eine Engländerin unter uns warb einige aus diesem Kreis für einen deutsch-englischen Frauenclub e. V. (Anglo-German-Women-Association), der auf Initiative der Frau des damaligen britischen Generalkonsuls, Mrs. Oakshott, entstand. Es ging um deutsch-englische Verständigung und sozial-karitative Arbeit. Im Vorstand, dem ich zunächst als stellvertretende Vorsitzende, dann einige Jahre als Vorsitzende angehörte, konnte ich von der langen Cluberfahrung der Engländerinnen viel für die eigenen Führungsaufgaben lernen.
In der Arbeitsgemeinschaft Hamburger Frauenorganisationen (Landesfrauenrat Hamburg), deren Mitglied dieser Club (heute: Deutsch-Englischer Internationaler Frauenclub e. V.) bald wurde, traf ich auf Frauen aus der alten Frauenbewegung der Zeit vor 1933. Eine Reihe der im Jahre 1933 aufgelösten oder gleichgeschalteten Frauenverbände hatte sich nach 19445 neugegründet, so auch der Deutsche Frauenring e. V., der in der Tradition ehemaliger staatsbürgerlicher Frauenorganisationen steht und dem ich mich anschloss. Dort bat man mich 1969 um einen Vortrag über „50 Jahre Frauenwahlrecht“. Es begann eine genüssliche Zeit: Ich saß wieder in Bibliotheken und entdeckte die Frauengestalten des vorigen Jahrhunderts und ihre revolutionären Schriften und Taten – ein Gebiet der Geschichte, das während meines Studiums kein Thema war. Ich erkannte, dass ihre emanzipatorischen Ideen bis jetzt nur zum Teil verwirklicht worden sind.
Mein Resumee damals: „Die Wandlung des Frauenbildes im Bewusstsein der Gesellschaft kann nur durch die Aktivität der Frau selbst bewirkt werden. Und zwar, wenn sie die Vielfalt ihrer Fähigkeiten und Möglichkeiten sichtbar macht, auch ein eigenes Verhältnis zur Macht entwickelt – Politik ist ohne Macht nicht denkbar -, kurz: Wenn sie passives Wahlrecht als aktives Handeln versteht.“
Die Arbeit an diesem Thema wurde das Fundament für mein frauenpolitisches Wirken. Und als im vergangenen Jahr 1994 „75 Jahre Frauenwahlrecht“ anstand, flossen 20 Jahre Politikerfahrung sowie Ergebnisse der neuen Frauenbewegung und der jüngeren Frauenforschung in einem Vortrag vor dem landesfrauenrat ein. Mein Resumee heute: „Die Frauenfrage muss zur Männerfrage werden. Frauenbenachteiligung gibt es noch, aber alle Probleme sind inzwischen analysiert, und Lösungsvorschläge liegen auf dem Tisch. Diese sind jedoch nur umzusetzen, wenn die Männer die Dringlichkeit erkennen und sich die Frauenfragen zu eigen machen, denn noch sind die Mehrheiten in den Entscheidungsgremien männlich.“
Nach dem Abitur meiner Töchter brachte ich mein schulpolitisches Engagement in einen „Aktionskreis beunruhigter Eltern“ ein, den ich mit interessierten Eltern bildete. Punkte unserer Kritik waren: Beobachtungsstufe, Lehrplangestaltung, mangelndes Mitspracherecht der Eltern, 5-Tage-Woche u. a.
Meine Bemühungen um einen Platz in der Schuldeputation 1970 führten erst auf dem Umweg über die Deputation der Jugendbehörde, die 1972 mit der Schulbehörde zusammengelegt wurde, zum Erfolg. Dieser Umweg eröffnete mir mit der Jugendpolitik ein unbekanntes Feld. Ich lernte die spezifischen Fragestellungen kennen und arbeitete mich in die verschiedenen Sachbereiche ein: Kindertagesstätten, Vollheimerziehung, Pflegekinderwesen, Offene Jugendarbeit, Jugendverbände u. a.. Ich studierte die einschlägigen Gesetze, besuchte Fachtagungen und gründete zusammen mit Kolleginnen der SPD und der FDP, den Verein „Kinder und Bürger, Verein zur Mitverantwortung für Heimerziehung e. V.“. Anfang der 1970er Jahre begann der Aufbruch in der Heimerziehung, und so gewannen wir große Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit. Dies war notwendig, um Veränderungen der Strukturen zu erreichen. Von der Arbeit in den Heimen erfuhren wir dadurch, dass unsere Mitglieder Wochenendpatenschaften übernahmen und zur Schularbeitshilfe bereit waren; daraus ergaben sich manchmal dauerhafte Verbindungen und Verpflichtungen – auch Pflegeverhältnisse.
Als Vorsitzende konnte ich schwierige Einzelfälle in direktem Kontakt mit leitenden Mitarbeitern der Behörde klären und Entscheidungen zugunsten der Kinder beeinflussen. Verbände können oft mehr erreichen als die parlamentarische Opposition!
Meinen Eintritt in die Bürgerschaft verdankte ich dem guten Abschneiden der CDU bei den Wahlen 1974. Von der Frauenvereinigung vorgeschlagen, erhielt ich den Listenplatz 49, der nach allgemeiner Meinung aussichtslos war. dann schaffte die CDU den Sprung über die 40-Prozent-Grenze und konnte die Zahl ihrer Abgeordneten von 41 auf 51 erhöhen. Bei den späteren Bürgerschaftswahlen hatte ich keine Schwierigkeiten, auf vordere und damit sichere Listenplätze zu gelangen.
Meine Arbeitsgebiete in den ersten Legislaturperioden waren die Ausschüsse für Kultur, Wissenschaft, Schule und Jugend. Außerdem gehörte ich dem Haushaltsausschuss an. Er bietet die beste Möglichkeit, einen umfassenden Überblick über die Hamburger Politik und über das Verhältnis der eigenen Sachgebiete zum Gesamtvolumen des Haushalts zu gewinnen.
Ich war bald als Jugendpolitikerin ausgewiesen und wurde 1976 Fachsprecherin der Fraktion. Die in der Deputation erworbene Sachkenntnis, die Kontakte zu Behördenvertretern und die Verankerung im vorpolitischen Raum waren günstige Voraussetzungen, um eigene Parlamentsinitiativen zu entwickeln und die Oppositionsaufgabe der Kritik und Kontrolle wahrzunehmen.
Die pädagogischen Reformen der 1970er und 1980er Jahre veränderten Inhalte und Strukturen der Jugendhilfe. Zeitweise nahmen die Ideologen den Pädagogen das Heft aus der Hand – nicht unbedingt zum Wohle der Kinder und Jugendlichen. Die Opposition steht solchen Entwicklungen recht ohnmächtig gegenüber. Ihr bleibt nur die Kritik.
Schmerzlich erlebte ich einmal die Ablehnung einer Eingabe, um deren Bearbeitung ich als Jugendpolitikerin gebeten worden war. darin hatten Eltern um die Adoption eines Kindes gebeten, das bei ihnen ein Jahr lang in Adoptionspflege gewesen war und das ihnen nun wieder fortgenommen wurde, weil das Jugendamt sie nicht für fähig hielt. Ich wandte insgesamt 150 Stunden auf für Recherchen und Gespräche, um mir selbst ein Urteil bilden zu können. Ich kam genau zur gegenteiligen Auffassung. Das Kind würde großen Schaden nehmen, wenn es aus der liebevollen Familie, in der es sich wohlfühlte, wieder herausgerissen würde. Die Mehrheit im Eingabenausschuss entschied gegen das Kind, weil die Behörde es so wollte.
Aber als Teil der Opposition habe ich auch Erfolge erlebt. Ein Beispiel: Die neue Leiterin des Amtes für Jugend plante Anfang der 1980er Jahre, die Aufbewahrung von Adoptionsakten neu zu regeln, sie wollte sie nach drei Jahren vernichten lassen und glaubte damit der Stigmatisierung der Mütter, die ihre Kinder abgegeben haben, entgegenwirken zu können. Protest erhob sich bei Adoptionseltern und einer Hamburger Rechtsprofessorin, die in den USA über Probleme der Adoption gearbeitet hatte. Eine wichtige Erkenntnis dieser Untersuchung war, dass adoptierte Kinder, wenn sie erwachsen werden, große Anstrengungen unternehmen, um die Gründe für ihre Adoption zu erfahren und die leibliche Mutter ausfindig zu machen. Sie sind oft nicht in der Lage zu heiraten, bevor sie über ihre Herkunft – ihre Identität – Gewissheit gefunden haben.
Ich habe in dieser Sache viel Mühe aufgewandt, mit allen Betroffenen lange Gespräche geführt und mir vor allem die Argumente der Professorin zu eigen gemacht. Mit Parlamentsanträgen hatte ich schließlich Erfolgt, die Behörde machte einen Rückzug. Natürlich wird eine Regierung nie zugeben, dies sei durch die Opposition veranlasst worden! Aber wichtig ist allein das Ergebnis: Die Akten werden nun für dauernd aufbewahrt.
Als Frauenpolitik sich zu einem eigenen politischen Ressort entwickelte und die Bürgerschaft einen Frauenausschuss einsetzte, wuchsen mir weitere Aufgaben zu. In der Partei war ich schon seit 1976 als Vorsitzende der Frauenvereinigung (Frauen-Union) für diesen Bereich zuständig.
In den 1970er und beginnenden 1980er Jahren führten die CDU-Frauen intensive Programmdiskussionen. Motor und Impulsgeberin war die Bundesvorsitzende der Frauenvereinigung Dr. Helga Wex, mit der ich seit gemeinsamen Studentenzeiten in Heidelberg und Hamburg sehr freundschaftlich verbunden war. Sie unterstützte 1984 meine Idee einer Norddeutschen CDU-Frauenkonferenz im Hamburger Rathaus und referierte selbst über „Die Teilhabe der Frauen an Mandaten und Ämtern“. Weitere Themen waren: „Frauen fordern mehr Wählereinfluss (Änderung des Wahlrechts)“ und „Frauen in Zukunftsberufen – Auswirkungen der Neuen Technologien auf Frauenarbeitsplätze“; dazu berichtete Prof. Rita Süßmuth über Untersuchungen des niedersächsischen Instituts „Frau und Gesellschaft“, dessen Leiterin sie damals war.
Die Norddeutsche Frauenkonferenz wurde zum Forum für aktuelle Frauenpolitik und findet seitdem jährlich im Wechsel in den – inzwischen sieben – norddeutschen Ländern statt.
Tagungen, Konferenzen, Bundesdelegiertentage stärkten den Zusammenhalt in der Frauen-Union. Wir bildeten eine gute Gemeinschaft, die größere Herausforderungen mit Engagement meisterte: z. B. einwöchige Informations- und Fragebogenaktionen auf der Mönckebergstraße oder Unternehmungen wie die besonders gelungene öffentliche Veranstaltung zum Thema „70 Jahre Frauenwahlrecht“ 1989 mit Rita Süßmuth, der Bundestagspräsidentin und Bundesvorsitzenden der Frauen-Union (Nachfolgerin der verstorbenen Helga Wex).
Die Krönung der langjährigen programmatischen Arbeit der CDU-Frauen war der Parteitag in Essen 1985, wo die Gesamtpartei „Leitsätze zur neuen Partnerschaft zwischen Mann und Frau“ verabschiedete. Im Wesentlichen waren es die Ergebnisse unserer Programmdiskussion, die dann auch in Politik umgesetzt wurden, z. B. Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub, Unterstützung für Berufsrückkehrerinnen, Frauenförderung im öffentlichen Dienst. Für mehr Gleichberechtigung in der Politik wurden Regelungen angekündigt, die den Anteil der Frauen an Ämtern und Mandaten erhöhen sollten. Es war nur konsequent, dass die Hamburger Frauen-Union bei den nächsten parteiinternen Wahlen meine Kandidatur zur stellvertretenden Landesvorsitzenden anmeldetet – ohne Kungelei, ohne Absprachen, aber satzungsgemäß. Ein Sturm der Entrüstung über solche Anmaßung und massive Beeinflussung der delegierten durch die tonangebenden Funktionsträger der Partei führten zu der von uns einkalkulierten Niederlage. Dennoch hatte diese Kandidatur Signalwirkung: Heute sind zwei Frauen unter den vier stellvertretenden Landesvorsitzenden.
In Vorständen und Parlamenten lässt die Repräsentanz von Frauen in unserer Partei sonst noch sehr zu wünschen übrig. Parteitagsbeschlüsse, die einen Anteil der Frauen an Mandaten und Ämtern entsprechend ihrem Anteil an der Mitgliedschaft (in Hamburg 40 Prozent) vorsehen, werden nicht befolgt. Aus männlicher Sicht droht dann wohl das Machtgefüge zu wanken; jede Frau mehr bedeutet ein Mann weniger! Ohne Quote wird es nicht gehen!
Das wichtigste gesellschaftliche Ereignis dieses Jahrhunderts sei die Emanzipation der Frau – so die Demoskopin Prof. Noelle-Neumann vom Allensbacher Institut. Dies muss endlich auch in der Politik spürbar werden. Von der Wiege bis zur Bahre hängt unser Leben von politischen Entscheidungen ab. Frauen haben die Kompetenz, daran zu gleichen Teilen mitzuwirken. Ihre Sensibilität und Intuition, ihre andere Sichtweise und größere Praxisbezogenheit sind bei der Lösung der immer komplexeren gesellschaftlichen Aufgaben unverzichtbar.
In der Bürgerschaft wurde nach einem Jahrzehnt der Frauenausschuss wieder abgeschafft, die CDU-Fraktion war damals gegen die Einführung gewesen. Frauenpolitik ist eine Querschnittsaufgabe, was bedeutet, dass z. B. Einzelfragen zur „Berufsrückkehr“, „Frauenförderung in der Wirtschaft“, „Gewalt gegen Frauen“ in den jeweiligen Fachausschüssen zu behandeln sind, und zwar von Frauen und Männern gemeinsam. Der Frauenausschuss bestand vorwiegend aus weiblichen Angeordneten.
Ich kümmerte mich z. B. als Mitglied im Sozial- und Gesundheitsausschuss um Fraueninitiativen und Frauenprojekte, die auf diesen Gebieten arbeiteten.
Der Schwerpunkt meiner Arbeit liegt heute in der Sozialpolitik. Unter den aktuellen sozialen Problemen sind Obdachlosigkeit und Armut die schwierigsten und bedrückendsten. Während die technologischen Entwicklungen immer weitergehen und das wirtschaftliche Wachstum zunimmt, hat der Sozialstaat für diese brennenden Fragen keine überzeugenden politischen Antworten, sondern nur punktuelle Lösungen.
Zur Sozialpolitik gehören die Probleme der älteren Menschen und dort liegt der Akzent z. Zt. Auf der ambulanten und stationären Pflege und der damit zusammenhängenden Pflegeversicherung. Meine ehrenamtliche kirchliche Tätigkeit als Vorsitzende einer Diakonie- und Sozialstation kommt mir bei dieser nicht einfachen Materie sehr zugute. Wie hilfreich der konkrete Bezug zum Sachthema sein kann, erlebe ich bei Podiumsdiskussionen und Gesprächen.
Kompetenz und Glaubwürdigkeit ist das, woran wir Politiker gemessen werden. Diesen Anspruch zu genügen, erfordert Flexibilität und Einfühlungsvermögen; die Bereitschaft, sich immer wieder gründlich in neue Gebiete einzuarbeiten.
Die Hamburgische Bürgerschaft als Feierabendparlament hat Vor- und Nachteile. Die Arbeit leidet darunter, dass die Abgeordneten sich ständig in Zeitnot und Terminschwierigkeiten befinden. Die Mehrfachbelastung durch Beruf und Parlament wird aber ausgeglichen durch die Vorzüge: Kontakt zur Arbeitswelt und zur Bevölkerung sowie wirtschaftliche Unabhängigkeit. Ein Berufsparlament bedeutet existentielle Sicherung durch die Politik und damit Abhängigkeit des einzelnen von seiner Partei – wegen der Notwendigkeit, wieder aufgestellt zu werden.
Dadurch wird ein wesentliches Element des freien Mandats gefährdet. Feierabendparlament und Privatleben sind schwer unter einen Hut zu bringen. Die freien Abende sind selten. Meine kirchlichen Ämter sind auch mit abendlichen Terminen verbunden. An regelmäßige kulturelle Veranstaltungen – Konzerte und Vorträge – ist schon lange nicht mehr zu denken.
Als ich 1980 nach dem Tod meines Mannes plötzlich allein war – die Töchter waren schon lange aus dem Haus, als ich Abgeordnete wurde -, nahm zunächst der Umfang meiner Aufgaben beträchtlich zu. Inzwischen habe ich systematisch Ämter niedergelegt und Aufgaben reduziert – den Zeitpunkt des Ausscheidens möchte ich immer selbst bestimmen. So verzichtete ich bereits vor einigen Jahren auf die Mitgliedschaft in mehreren Bundesfachausschüssen der CDU und kandidierte nicht mehr für den Bundesvorstand der Frauen-Union. Mit der Arbeit in den verschiedenen Bundesgremien bleiben wichtige Erfahrungen und interessante Begegnungen verbunden: die Gespräche mit Bundesministern, der Austausch mit Kollegen und Kolleginnen aus dem Bundestag und den anderen Bundesländern, die konzentrierte inhaltliche Arbeit an Bundesvorlagen. Ich beobachtete den Unterschied im Selbstverständnis zwischen Leuten in Regierungsverantwortung und solchen auf Oppositionsbänken. Ich habe leider nur letzteres kennengelernt.
Was ist die Summe meiner bisherigen politischen Tätigkeit?
Ein wesentlicher Zuwachs an Lebenserfahrung und Menschenkenntnis, das Wissen über politische Zusammenhänge, die Durchschaubarkeit der staatlichen Apparatur und das know how, mit ihr umzugehen. Die Genugtuung, wenn ich Bürgern durch Intervention bei Behörden helfen kann. Die Kollegialität und Zusammengehörigkeit in der Fraktion, da ich nicht im Berufsleben gestanden habe. Natürlich auch die negativen Begleiterscheinungen von Macht und Ehrgeiz im Parteigefüge – darüber gäbe es viel zu erzählen! Der Lebenshorizont ist weiter geworden. Ich war aber immer darauf bedacht, Politik nicht zum einzigen Lebensinhalt werden zu lassen.
Jedes politische Amt weniger hat in den letzten Jahren zu neuen kirchlichen Aufgaben geführt. So ist meine sozialpolitische Erfahrung im Vorstand des Diakonischen Werkes und in einzelnen Feldern der Diakonie von Nutzen.
Langfristig bekommt die Beschäftigung mit theologischen Fragen mehr Gewicht. Insbesondere bin ich am christlich-jüdischen Verhältnis interessiert: Mehrere Israelreisen und langjährige Verbindungen zu jüdischen Freunden haben mir das Judentum nähergebracht.
Wichtig ist mir aber auch das jahrelange Engagement im Vorstand des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge, als Beitrag zur Friedens- und Erinnerungsarbeit für meine Generation noch selbstverständlich. Warum ist es so schwer, jüngere Menschen dafür zu gewinnen?
Den wichtigsten Bereich jenseits der Politik bildet die Familie. Das Heranwachsen der Enkelkinder zu erleben ist faszinierend. Auch sollen sie etwas von meinem Leben erfahren. Haben wir nicht alle den Wunsch, etwas von dem, was uns wesentlich ist, den Jüngeren weiterzugeben?