Ida Dehmel Ida Dehmel, geb. Coblenz, gesch. Auerbach
(14.1.1870 Bingen am Rhein – 29.9.1942 Hamburg)
Vorsitzende der GEDOK
Dehmelstraße 1 (Wohnadresse)
Richard-Dehmel-Straße 1 (Wohnadresse) Stolperstein
Jungfernstieg 26–30 (Hamburger Hof) (Wirkungsstätte)
1926 gründete Ida Dehmel im Hamburger Hof die GEDOK. Eine dort angebrachte Tafel erinnert daran: „Im Hamburger Hof gründete im Jahr 1926 Ida Dehmel eine Gemeinschaft deutscher und österreichischer Künstlerinnen und Kunstfreundinnen, die GEDOK, der in Deutschland mehrere tausend Mitglieder angehörten. Ida Dehmel, geboren am 14. Januar 1870, Förderin Stefan Georges und Frau des Dichters Richard Dehmel, setzte sich u. a. für die Rechte der Frauen ein. Von den Nationalsozialisten als Jüdin bedroht, nahm sie sich am 29. September 1942 das Leben.“
Im Hamburger Hof befanden sich das Stadtsekretariat der GEDOK und ein Ausstellungsraum, in dem Kunst und Kunstgewerbeausstellungen, Lesungen und Vorträge stattfanden.
Die GEDOK rekrutierte sich aus dem 1915 von Ida Dehmel gegründeten Bund Niederdeutscher Künstlerinnen, der auch Kunstgewerblerinnen mit einschloss. Im Gründungsjahr fand die erste große Verkaufsausstellung in der Galerie Commeter mit 500 Bildern statt. Doch Krieg und Inflation lähmten alle Aktivitäten. 1926 erfolgte der Zusammenschluss zum Bund Hamburgischer Künstlerinnen und Kunstfreundinnen, der sich später nach Anschluss der Österreicherinnen GEDOK (Gemeinschaft deutscher und österreichischer Künstlerinnen und Kunstfreundinnen) nannte. Ida Dehmel warb in den wirtschaftlich schlechten Zeiten nach dem Ersten Weltkrieg viele kunstinteressierte Hamburgerinnen als Kunstfreundinnen und Mäzeninnen.
1933 wurde die GEDOK aufgelöst. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie 400 Mitglieder und einen bedeutenden Platz in Hamburgs Kulturszene. Künstlerinnen wie die Malerinnen Anita Rée, Gretchen Wohlwill, Alexandra Povorina, Elfriede Lohse-Wächtler, die Kunsthistorikerin Rosa Schapire, die Sängerin Sabine Kalter oder die Schriftstellerin Hertha Borchert waren GEDOK-Mitglieder. Doch am 20. April 1933 war alles vorbei. Zehn SA-Männer „stürmten (..) in die monatliche Vorstandssitzung, bedrohten Ida Dehmel und forderten sie ultimativ auf, ihre Ämter niederzulegen, weil sie Jüdin war. Darauf wurden die zehn anwesenden Frauen mit Gummiknüppeln die Treppe hinuntergejagt. Sie flüchteten in Taxis. Drei Wochen später teilten Ida Dehmel und Schatzmeisterin Anna Maria Darboven dem Vereinsregister ihren Rücktritt von der Spitze der Reichs-GEDOK mit“, [1] berichtete die Kunsthistorikerin Maike Bruhns.
Über die Auflösung schrieb damals eine Hamburger Tageszeitung: „Die Gedok in Hamburg hat sich aufgelöst. (...) Vor der nationalen Umwälzung stand die ‚Gedok‘ in Hamburg unter nichtarischer Leitung, und dieser Einfluß machte sich auf jede Weise und jedem Gebiet bemerkbar. Nach erfolgter Gleichschaltung übernahm Gertrud Kappesser die Führung und versuchte in Gemeinschaft mit wenigen Nationalsozialistinnen auch innerlich die ‚Gedok‘ umzustellen. Aber die spitzfindig-ästhetisierenden Ideen, das mehr gesellschaftliche Wollen der ‚Gedok‘ Hamburg konnten trotz größter Aufopferung und Mühe der Leiterin nicht zu der wahren Gemeinschaft hingeführt werden, die not tut. Aus dieser Erkenntnis heraus und im Einverständnis mit der Reichsführerin der ‚Gedok‘, Frau Elsa Brinkmann, München, sowie nach eingehenden Verhandlungen mit der NS-Frauenschaft, Gau Hamburg und der Frauenwirtschaftskammer löste sich die Ortsgruppe Hamburg der ‚Gedok‘ auf.“ Im Organ der Reichs-GEDOK war „die Hamburger Ortsgruppe nach 1933 nicht mehr aufgeführt. Erst 1948 fand eine Neugründung durch Ida Dehmels Nichte, Marianne Gärtner statt“. [1]
Über die Gründerin der GEDOK, Ida Dehmel, schrieb Matthias Wegner in seiner Ida Dehmel Biographie „Aber die Liebe. Der Lebenstraum der Ida Dehmel, München 2001“: „Der Traum ihres Lebens war jede Form von Teilhabe an der Erstehung von Kunst – auch sie selbst würde dadurch vielleicht zu einem Kunstwerk erhöht werden.“
Ida Dehmel und ihre vier Geschwister wurden nach dem frühen Tod der Mutter von ihrem Vater, einem reichen Kommerzienrat, nach strengen konservativen Prinzipien erzogen. Ida kam in ein belgisches Mädchenpensionat, in dem sie wegen ihres jüdischen Glaubens diskriminiert wurde. Im Alter von zwanzig Jahren begegnete sie Stefan George, der ebenfalls in Bingen aufwuchs und wurde dessen Muse.
1895, als 25-jährige, heiratete Ida auf Wunsch ihres Vaters den jüdischen Berliner Tuchhändler Leopold Auerbach. Im selben Jahr kam ihr Sohn Heinz-Lux auf die Welt, und Ida begann in ihrem luxuriösen Haus am Berliner Tiergarten ein Leben als Salondame. Hier traf sich die Berliner Boheme, hier lernte sie, die unglücklich Verheiratete und an Depressionen Leidende, den ebenfalls verheirateten Literaten Richard Dehmel kennen. Er gab ihr Selbstvertrauen und schaffte es sogar, dass die Schwangere sich auf die Geburt ihres Kindes freuen konnte. Ida und Richard verliebten sich, und nun begann eine Zeit der Zerrissenheit der Gefühle. Als drei Jahre später Idas Mann wegen eines betrügerischen Bankrotts inhaftiert wurde, nahm sie dies zum Anlass, ihre Ehe aufzulösen, was unter diesen Umständen selbstverständlich von der Berliner Gesellschaft akzeptiert wurde.
Durch den Bankrott ihres Mannes hatte Ida Auerbach ihr Vermögen verloren und war nicht mehr in der Lage, als Mäzenin aufzutreten, doch sie blieb der Kulturszene verbunden.
Um in der Nähe ihres Geliebten zu sein, mietete sie sich in der Nachbarschaft des Ehepaares Dehmel in Pankow eine Wohnung. Schon bald trennte sich Richard Dehmel von seiner Frau und Ida und er wurden ein Paar. 1901 heirateten die beiden und zogen nach Hamburg.
Das Dehmelhaus in Blankenese in der heutigen Richard-Dehmel-Straße 1 wurde zum kulturellen Mittelpunkt. Ida Dehmel organisierte Feste und Veranstaltungen und unterstützte junge Talente. Ihr besonderes Interesse und Engagement galt den Künstlerinnen und den Frauenklubs. Sie setzte sich für die Rechte der Frauen ein und entwickelte ein Programm für Künstlerinnen, um ihnen größere gesellschaftliche Akzeptanz zu verschaffen. Deshalb gründete sie 1915 den Bund Niederdeutscher Künstlerinnen und 1926 dann die GEDOK.
Der Erste Weltkrieg brachte viel Leid ins Dehmel Haus. Ida Dehmels Sohn Heinz-Lux wurde als Soldat getötet und im Garten des Dehmelhauses begraben. Der damals fünfzigjährige Richard Dehmel war freiwillig in den Krieg gezogen und hatte sich dort eine Venenentzündung zugezogen. In Folge dieser Erkrankung entstand 1919 eine Thrombose, die am 8.2.1920 zu Richard Dehmels Tod führte.
Ida Dehmel geriet in finanzielle Schwierigkeiten. Durch Gründung verschiedener Stiftungen wie der Dehmelstiftung und der Dehmelgesellschaft sowie durch den Ausbau ihres schon gegen Kriegsende errichteten kunstgewerblichen Kleinbetriebes, in dem Perlarbeiten hergestellt wurden, versuchte sie ihre desolate finanzielle Situation zu verbessern.
Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten konnte sie sich nicht entschließen zu emigrieren. 1938 schrieb sie in einem Brief: „(...) ich würde nie auswandern (...) im Moment in dem ich das Dehmelhaus verlassen muß, mache ich Schluß“. (zit. nach: www.richard-dehmel.de/rdehmel/zeitgenossen/idad.html) Trotz der Unterstützung durch Freunde lebte Ida Dehmel isoliert in ihrem Haus. Sie durfte die Rechte am Werk ihres Mannes nicht mehr wahrnehmen und musste hierfür einen nichtjüdischen Verwalter einsetzen. Ihre Verzweiflung wuchs. 1941 schrieb sie in einem Brief an ihre Freundin Marie Stern in Blankenese: „Du hast mir einen schönen Brief geschrieben, nicht ahnend, daß ich inzwischen nicht nur dem Tod sondern auch der Hölle nahe war. Seit Mittwoch war nicht nur mein Leben, sondern das von Tausenden eine bodenlose Qual. Seit einer Stunde erst scheine ich gerettet zu sein. Als Einzelne. Mittwoch erhielten 2.000 Hamburger Juden (es können auch nur 1.500 gewesen sein), den Evakuierungsbefehl. Diese vorläufig. Man weiß, daß alle drankommen sollen. Grausamste Bedingungen. Mitgenommen muß werden: Läusesalbe, Insektenpulver, Staubkamm. Nach Litzmannstadt. Hier u. da eine ganze Familie, aber auch Vater und Mutter, oder Tochter oder Sohn herausgegriffen. Die Haushilfe meiner j(üdischen) Mieter ist auch dabei, daher habe ich alles aus nächster Nähe miterlebt (...).“ (zit. nach: www.richard-dehmel.de/rdehmel/zeitgenossen/idad.html)
Weil Ida Dehmel Beschützer hatte, wurde sie nicht deportiert. Doch das Schicksal ihrer jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger belastete zutiefst ihre Seele. Als sie auch noch erfahren musste, dass sie unheilbar krank und künftig auf Hilfe angewiesen sei, nahm sie sich am 29.9.1942 mit einer Überdosis Schlaftabletten das Leben. Ihre Urne und die ihres Mannes stehen vereint in einer Doppel-Schmuckurne im Regal des Arbeitszimmers im Dehmelhaus.
Text: Dr. Rita Bake