Ortsgruppe Hamburg des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins Ortsgruppe Hamburg des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins (ADF)
Rothenbaumchaussee 15 im Curiohaus (um 1914)
Dammtorstraße 18 (später)
Bis zur Abspaltung des radikalen Zweigs der bürgerlichen Frauenbewegung hatte auch die 1896 u. a. von Lida Gustava Heymann und Helene Bonfort gegründete Ortsgruppe Hamburg des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins (ADF) in der Paulstraße 25, in Hamburgs erstem, von Lida Gustava Heymann gegründeten, Frauenhaus, ihr Vereinslokal.
Später war die Ortsgruppe Hamburg des ADF mit ihrem Büro in der Dammtorstraße 18 zu finden.
Wie kam es zu der Gründung solch eines Vereins?
Die Historikerin PD Dr. Kirsten Heinsohn schreibt in ihrem Beitrag „Die Frauenfrage – ein Problem der Moderne“ in: Rita Bake und Kirsten Heinsohn: Zur Geschichte der Hamburger Frauenbewegung und Frauenpolitik vom 19. Jahrhundert bis zur Neuen Hamburger Frauenbewegung Ende der 1960er-Jahre. Hamburg 2012 dazu: „Parallel zur Entwicklung einer eigenständigen Arbeiterbewegung in den 1860er Jahren setzten auch Bemühungen bürgerlicher Frauen wieder ein, eine allgemeine, zusammenfassende Frauenbewegung zu konstituieren. 1865 wurde in Leipzig der ‚Allgemeine Deutsche Frauenverein‘ (ADF) gegründet, der sich auf die liberale Tradition des Vormärz bezog, aber nun das ‚Recht (der bürgerlichen Frau) auf Arbeit‘ in das Zentrum seines Programms stellte.
Diese Verschiebung im Emanzipationsprogramm resultierte im Wesentlichen aus sozio-ökonomischen Gründen. Es gab nämlich nicht nur eine soziale Frage in Bezug auf das Proletariat, sondern auch eine soziale Frage bürgerlicher Frauen. Beide hatten ihren Ursprung im Wandel der Wirtschaft. Die Industrialisierung Deutschlands bewirkte einen Funktionswandel der Familie von einer Produktionsgemeinschaft zu einer Konsumtionsfamilie. Konkret bedeutete dies, dass immer mehr Bedarfsartikel des Haushalts, die vor der Industrialisierung durch die Arbeit aller Familienmitglieder oder von fremder Hand im eigenen Haus geschaffen worden waren, nun in Großproduktionen hergestellt und zu niedrigen Preisen erworben werden konnten. In diesen Produktionsbereichen stieg die industrielle außerhäusliche Frauenerwerbsarbeit stark an.
Der Funktionswandel der Familie war in den Unterschichtsfamilien nicht so eklatant wie in der bürgerlichen Schicht, waren doch bereits in der vorindustriellen Zeit die Unterschichtsfamilien aufgrund des geringen Einkommens der Männer stets existenziell auf die außerhäusliche Erwerbsarbeit der Ehefrauen angewiesen gewesen. Für das Bürgertum hatte der Wandel der Familie von einer Produktionsgemeinschaft zu einer Konsumtionsfamilie erheblichere Folgen. Für bürgerliche Frauen wurde allein eine ökonomisch vorteilhafte Heirat als Möglichkeit gesehen, um eine materiell abgesicherte Tätigkeit als Dame des Hauses, dem eigenen Haushalt vorstehend aufrechtzuerhalten. In weniger wohlhabenden bürgerlichen Familien musste die Ehefrau – in Ermangelung z. B. von Dienstpersonal – unter äußerster Sparsamkeit unentgeltlich Hausarbeit leisten, um die Reputation der Familie, die nun allein vom ‘Ernährerlohn‘ des Ehemannes abhing, aufrechtzuerhalten. Ledige Frauen hatten kaum noch Möglichkeiten, ihr Leben im Rahmen der eigenen Herkunftsfamilie zu verbringen, da es schlichtweg an ökonomischen Aufgaben in der Familie mangelte. Sie waren daher gezwungen, ihren Lebensunterhalt nun in niedrig entlohnter, oft schamvoll verleugneter Heimarbeit, wie Weißnähen oder Stricken, zu verdienen. Erste Arbeitsplätze für bürgerliche Frauen als Kontoristinnen im Handel oder in der Verwaltung entstanden in dieser Zeit, doch reichte die Schulbildung der Mädchen häufig nicht aus, um den Anforderungen dieser Erwerbszweige zu genügen. Andererseits war es gesellschaftlich nicht vorgesehen, bürgerlichen Mädchen eine angemessene berufliche Ausbildung zu geben, da sie ja doch heiraten würden.
Die Aufgaben des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins (…) lautete daher sehr konsequent: Förderung der weiblichen Bildung (...).
Die Zielrichtung der neuen bürgerlichen Bewegung hatte sich mit dem Programm des ADF von der Lösung sozialer Missstände im Interesse der 'ärmeren Classen' oder religiöser Intoleranz auf die Vertretung eigener, bürgerlicher Fraueninteressen für Ausbildung und Schulreform verlagert. (…)
Der ADF gründete in mehreren Städten des Deutschen Reiches erfolgreich Zweigvereine, die sich der Aufgabe annahmen, die Erwerbsmöglichkeiten für Frauen zu erweitern. Es wurden Industriekurse, Arbeitsbasare und Stellenvermittlungsbüros aufgebaut, die alle dem Zweck dienten, einen Arbeitsmarkt für ledige bürgerliche Frauen zu etablieren. In diesen Bestrebungen traf sich der ADF mit den anderen weiblichen Berufsvereinen, die sich seit den siebziger Jahren stark entwickelten – in Hamburg etwa der Wüstenfeld’sche ‚Verein zur Förderung weiblicher Erwerbsthätigkeit‘. [siehe dazu unter Gewerbeschule für Mädchen]
Daneben verstand sich der ADF aber auch als ein Verein zur Förderung der Frauenemanzipation und hielt sich daher eng an den Vorsatz, dass Frauen ihre eigenen Angelegenheiten nur selbst entscheiden und ordnen sollten.
Es war genau dieses Prinzip bürgerlicher Selbsthilfe von Frauen, das dem Verein und seinen Vertreterinnen das Urteil der öffentlichen Meinung einbrachte, die Emanzipation der Frauen über alle ‚natürlichen‘ Geschlechterunterschiede hinweg befördern zu wollen. So wurden zwar die vorgestellten Lösungswege für die soziale Frage bürgerlicher Frauen anerkannt, vor allem die Verbesserung der Erwerbsmöglichkeiten, doch stand das Organisationsmodell des ADF im Zentrum der Kritik. Der bekannte Sozialpolitiker Adolf Lette (1799–1868), Präsident des Berliner ‚Centralvereins für das Wohl der arbeitenden Klassen‘ und des ‚Vereins zur Förderung der Erwerbsfähigkeit des weiblichen Geschlechts‘, in dem allein Männer den Ton angaben, führte dazu aus: ‚Was wir nicht wollen und niemals, auch nicht in noch so fernen Jahrhunderten wünschen und bezwecken, ist die politische Emanzipation und Gleichberechtigung der Frauen. [...] Der alte Satz der christlichen Kirche ,mulier taceat in ecclesia‘ (die Frau schweige in der Gemeinde) gilt für alle Zeit, nicht bloß für die kirchliche, sondern auch für die politische Gemeinde.‘
Das Prinzip ‚Selbsthilfe von Frauen für Frauen‘ wurde so das zentrale Unterscheidungsmerkmal zwischen Vereinen, die sich der neu entstehenden Frauenbewegung zurechneten, und denen, die sich strikt gegen jede Emanzipation der Frau wandten.“ (Kirsten Heinsohn: Die Frauenfrage – ein Problem der Moderne, in: Rita Bake, Kirsten Heinsohn: „Man meint aber unter Menschenrechten nichts anderes als Männerrechte“. Zur Geschichte der Hamburger Frauenbewegung und Frauenpolitik vom 19. Jahrhundert bis zur Neuen Hamburger Frauenbewegung Ende der 1960er Jahre. Hamburg 2012, S. 57ff.)
Der ADF gehörte zu dem gemäßigten Flügel der Frauenbewegung in Deutschland. Die „Gemäßigten“, so Kirsten Heinsohn: „erstrebten eine Verbesserung der gesellschaftlichen und staatsbürgerlichen Stellung von Frauen im Rahmen des herrschenden Geschlechtermodells, das den beiden Geschlechtern komplementäre Eigenschaften zuwies. Zudem hielten sie weiterhin an der Vorstellung fest, Arbeiterinnen und ihre Familien durch gezielte sittliche Beeinflussung bürgerlicher Frauen zu ‚heben‘. Die Anerkennung der Geschlechterrollen implizierte jedoch nicht, daß die damit verbundene Hierarchisierung der Geschlechter ebenfalls akzeptiert wurde. vielmehr betonten die Gemäßigten die Komplementarität der Geschlechter und zogen daraus den Schluß, beide Geschlechter müßten gemeinsam in der Gesellschaft im Sinne der gegenseitigen Ergänzung tätig werden. Diese Tätigkeiten für die Gesellschaft konnten durchaus geschlechterspezifisch getrennt sein. (…) Die zentrale Überlegung war (..), daß die verschiedenen Tätigkeitsbereiche nicht gegeneinander ab- oder aufgewertet werden sollten.“ (Kirsten Heinsohn: Politik und Geschlecht. Zur politischen Kultur bürgerlicher Frauenvereine in Hamburg. Hamburg 1997, S. 200.)
Neben den „Gemäßigten“ gab es noch die „radikalen“ Frauen der bürgerlichen Frauenbewegung. Siehe dazu unter dem Eintrag „Verein Frauenwohl“.
Zur Ortsgruppe Hamburg des ADF schreibt Kirsten Heinsohn: „Die Gründung der Ortsgruppe [Hamburg des ADF] markierte einen deutlichen Generationenwechsel im hamburgischen Frauenvereinswesen. Bis zum Beginn des Kaiserreiches war noch die ‚alte‘ Führungsschicht der ersten Frauenvereine aktiv, beispielsweise Emilie Wüstenfeld und Johanna Goldschmidt. Im Laufe der siebziger und achtziger Jahre übernahmen jüngere Frauen die Vorstandssitze und Geschäftsführung der älteren Vereine. Aus dieser Gruppe heraus bildeten sich Vereine, die eine neue Generation bürgerlicher Frauen ansprachen. Diese neue Gruppe unterteilte sich genau genommen in zwei Generationen. Zum einen gab es die Gruppe von Frauen, die in den fünfziger und sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts geboren waren und oft noch persönliche Kontakte zu den älteren Vereinsfrauen pflegten. So unterrichtete beispielsweise Helene Bonfort (1854-1940) 1873 in der ‚Gewerbeschule für Mädchen‘ und war daher persönlich mit Emilie Wüstenfeld bekannt. Zu dieser zweiten Generation der bürgerlichen Frauenbewegung gehörten unter anderem auch Marie Kortmann, Julie Eichholz (1852–1918) und Bertha Wendt (1859–1937).
Dieser zweiten folgte schnell eine dritte Generation bürgerlicher Frauen, die in den siebziger und achtziger Jahren geboren waren, und keine persönlichen Erinnerungen an die ersten Frauenvereinsvorsitzenden hatten. Zu dieser Gruppe gehörten sowohl Lida Gustava Heymann (1868–1943) und Frieda Radel (1869–1958) als auch Emma Ender (1875–1954) und Emmy Beckmann (1880–1967).
Zudem wuchs die dritte Frauengeneration schon unter den Bedingungen des Deutschen Reiches mit seiner rasanten ökonomischen Entwicklung auf. Der ‚alt-hamburgische Partikularismus‘, der in den älteren Generationen bürgerlicher Frauen und Männer noch fest verwurzelt war, fand in den Ideen der dritten Generation nur wenig Entsprechung. Ihr Bezugspunkt war zwar die Stadt Hamburg, doch bildeten die sozialen und politischen Verhältnisse im Reich den eigentlichen Fluchtpunkt ihrer Entwürfe.
Zunächst fanden sich jedoch Frauen der zweiten und dritten Generation zusammen, um die Tätigkeiten der neuen Ortsgruppe des ADF zu koordinieren. Der erste Vorstand des neuen Vereins setzte sich aus beiden Gruppen zusammen: Helene Bonfort, Anna Meinertz und Julie Eichholz aus der ‚älteren‘ Gruppe arbeiteten u. a. mit den 'Jüngeren' um Lida Gustava Heymann zusammen.
Die gemeinsame Sache umfasste drei Tätigkeitsbereiche: Frauen, die sozialpolitisch tätig waren, sollten geschult und ausgebildet werden, um dieses Arbeitsfeld zu professionalisieren. Darüber hinaus verfolgte die neue Ortsgruppe den Anspruch, die bereits vorhandenen Frauentätigkeiten zu verbinden und zu strukturieren; sie wollte einen Mittelpunkt für die alten und neuen Frauenvereine bilden. Schließlich suchte der ADF aber auch nach innovativen Wegen und Mitteln, um die Anliegen bürgerlicher Frauen in der Öffentlichkeit bekannt zu machen, d. h. sie legte gegenüber den älteren Vereinen ein stärkeres Gewicht auf öffentliche Präsenz und ‚Propaganda‘. Es war insbesondere dieses letzte Arbeitsfeld, das eine Erneuerung darstellte: Zum einen wurde ein regelmäßiges Vortragsprogramm angeboten, mit dem über alle Fragen der Frauenbewegung informiert wurde, und dazu eine ganze Reihe von Broschüren sowie Berichten in den hamburgischen Tageszeitungen publiziert. Auf diese Weise erfuhr die interessierte Öffentlichkeit regelmäßig von Meinungen und Projekten aus dem ADF.
Auch intern wurden die Mitglieder ‚geschult‘, etwa auf regelmäßig stattfindenden Diskussionsabenden, bei denen es auch darum ging, die ‚parlamentarischen‘ Regeln einzuüben.
Zum anderen versuchte der Verein aber auch, konkret Einfluss auf die Gestaltung weiblicher Lebensbedingungen zu nehmen und dafür ebenfalls öffentlichkeitswirksame Propaganda zu betreiben. Die Ortsgruppe Hamburg des ADF richtete fünf große Abteilungen ein, die sich den Themen der Frauenbewegung sowie der vorhandenen Frauenvereine widmeten: Wohlfahrtspflege, Jugendschutz, Kostkinderwesen, Frauenbildung und Rechtsschutz. Aus diesen Abteilungen gingen eigenständige, neue Vereine hervor, die ihre Tätigkeiten entsprechend professionalisierten. Als Beispiele seien hier nur genannt: Aus der Abteilung für Wohlfahrtspflege heraus wurden 1900 die ‚Sozialen Hilfsgruppen‘ etabliert und 1912 der ‚Hamburgische Verband für Waisenpflege, Armenpflege und Vormundschaft‘ eingerichtet, ein Zusammenschluss der wichtigsten Institutionen auf diesem Feld. Die Abteilung Jugendschutz baute ab 1899 das „‘Annaheim‘ auf, eine Lehranstalt für Dienstmädchen. Im Bereich der Frauenbildung initiierte die Ortsgruppe den ‚Verein für Haushaltungsschulen‘, ebenso wie den Verein ‚Frauenbildung und Frauenstudium‘, der sich für die Zulassung von Mädchen zum Abitur einsetzte. Schließlich richtete die Abteilung Rechtsschutz eine eigene Rechtsberatungsstelle ein, die sehr erfolgreich arbeitete und 1911 sogar in einen eigenständigen Verein umgewandelt wurde. Diese und eine Reihe anderer Initiativen stärkten das Ansehen der Ortsgruppe und ihrer Vertreterinnen in der Stadt. Da Frauen in Hamburg nicht das Bürgerrecht erwerben konnten und daher zu den einflussreichen, kommunalpolitisch aktiven Bürgervereinen nicht zugelassen waren, war die Mitarbeit in der Ortsgruppe oder in einer ihrer Abteilung eine vergleichbare Bürgerinnenarbeit für die sozialen und kommunalen Belange der Stadt – und des eigenen Geschlechts.
Das Selbstverständnis des ADF in Hamburg war von den Grundgedanken der gemäßigten Frauenbewegung geprägt, unter dem Motto ‚Leben ist Streben‘. Die Mitglieder des Vereins verstanden ihre Tätigkeiten als Pflichterfüllung, die eine Voraussetzung für die Erlangung weiterer Rechte für Frauen war. Gegenüber sozialdemokratischen Ideen wurde betont, es sei Ziel des Frauenvereins, Veränderungen langsam und stetig, ohne staatliche Umwälzungen zu erreichen: ‚Evolution, nicht Revolution! Auf allen Gebieten des häuslichen und des öffentlichen Lebens soll der Kultureinfluß der Frauen zu voller innerer Entfaltung und freier äußerer Wirkung gebracht werden. Die dem entgegenstehenden Hindernisse, die aus persönlichen und sozialen Irrtümern sowie aus wirtschaftlichen Übelständen erwachsen, müssen durch unermüdliche Arbeit, durch den Einfluß gereifter, veredelter Persönlichkeiten und durch den unbeirrten Glauben an den endlichen Sieg des Guten und Wahren überwunden werden. Dabei darf aber niemals die historische Bedingtheit aller Lebensentwicklung außer Acht gelassen werden. Jedes klar erkannte Ziel des Fortschritts ist doch unter dem Gesichtspunkte zu betrachten, wie weit der Stand der Gesellschaftsverfassung augenblicklich die Annäherung ermöglicht.‘ (Leben und Streben. Bericht der Ortsgruppe Hamburg des ADF, 1896-1907, Hamburg 1907, S. 7.)
Durch die ‚Erfüllung neuer Pflichten‘ sollte der ‚Kultureinfluß der Frauen‘ langfristig gesichert werden. Interessant ist, dass die Frauen des ADF von neuen Pflichten sprachen, von Aufgaben also, die den Frauen bisher nicht zugewiesen waren. Die Ideen und die Strategie der Ortsgruppe basierten demnach auf einem Gesellschaftsentwurf, der die Rechte und Pflichten der Frau mit den veränderten gesellschaftlichen Bedingungen in Übereinstimmung bringen wollte. Bildete das Haus zu Beginn des 19. Jahrhunderts den gemeinsamen Bezugspunkt der Geschlechter, so hatte sich dies nach der Meinung von Helene Bonfort zum Ende des Jahrhunderts grundlegend gewandelt. Der wachsende Einfluss des Staates, verbunden mit der zunehmenden Gestaltung des Lebens in der Öffentlichkeit sowie der abnehmenden Bedeutung der hauswirtschaftlichen Tätigkeiten für den Unterhalt der Familie führten zu einer Trennung der Geschlechter, die die Frauen einseitig benachteiligte. Insbesondere sei das traditionelle Modell des pater familias, der als das Oberhaupt der Familie diese grundsätzlich nach außen hin vertrete, angesichts der neuen Verhältnisse nicht mehr tragfähig. Helene Bonfort führte 1901 diesen Gedanken aus: Es ‚steigen holdselige, liebe Bilder auf: die emsige Hausfrau, unter deren Leitung eine stattliche Kinderschaar, ein großes Gesinde fleißig und fröhlich den Tag hinbrachte, weil sie umsichtig und erfahren in vielerlei Hantirung mit Beispiel und Ermunterung voranging. Nach des Tages Last fand in ihrer traulichen Wohnstube der Gatte mit seinen erwachsenen Söhnen, fanden ihre Freunde die Stätte geistiger Erholung, wo Musik und bildende Kunst, Literatur und Philosophie heimisch waren. Und die Frau stand da in ihrem Hause auf der Höhe der Kultur ihrer Zeit und ihres Volkes, in inniger Berührung mit den Männern ihrer Familie, oft auch mit den besten Geistern der Nation. Wie anders heute! Für die vielseitig schaffende Hantirung der Großmütter läßt die moderne Industrie in der Einzelwirthschaft keinen Raum. An Stelle der philologisch-ästhetischen Nationalbildung ist die naturwissenschaftlich-technische getreten. Das Leben des einzelnen hat seinen Schwerpunkt gewonnen in der Wechselwirkung mit dem Staate. [...] Wenn der Staat und seine gesetzmäßig geregelte Regierung [...] deswegen vorhanden ist, um Personen und Eigenthum zu schützen und zu sichern, so liegt es auf der Hand, daß Person und Eigenthum der Frauen dauernd nicht auf den indirekten Schutz mittels der Betheiligung der Männer am Staatswesen beschränkt sein dürfen.‘ (Hamburgischer Correspondent 10.11.1901: Zur Frauenfrage. Einst und jetzt, von Helene Bonfort.)
Frauen sollten aber nicht nur ihre Person und ihr Eigentum selbstständig in der Öffentlichkeit vertreten können, sondern auch an der allgemeinen Entwicklung von Kultur und Gesellschaft gleichberechtigt teilhaben. Da den Frauen eine grundsätzlich andere Natur als den Männern zugesprochen wurde, war es nur konsequent, dass Helene Bonfort schlussfolgerte, beide Geschlechter müssten einen eigenen Beitrag zum Fortschritt der Gesellschaft leisten. Deshalb sei die Gründung von Frauenvereinen notwendig, um Frauen vorzubereiten. Bonfort unterschied jedoch deutlich zwischen Staat und öffentlichem Leben bzw. Gesellschaft. Tätigkeitsbereich der Frauen sollte vorrangig die Gesellschaft, nicht der Staat sein. An diesem Punkt zeigten sich die Emanzipationsvorstellungen Bonforts ganz in den Grenzen des herrschenden Geschlechtermodells eingebunden: Der Staat war männlich und gehörte somit nicht in den weiblichen Bereich. Gleichzeitig aber bewertete sie den gesellschaftlichen Raum, in dem auch die Frauen ihre Pflicht zu erfüllen hatten, eindeutig höher als den Staat: ‚Das öffentliche Leben aber hat nur nach bestimmten praktischen Seiten hin seine Erfüllung im Staate. Andere und zwar grundlegende Äußerungen desselben bilden den Inbegriff dessen, was wir Gesellschaft nennen. Die Entwicklung der Gesinnung, die Ausgestaltung physischer, geistiger und sittlicher Bildung, kurz, das Wachsthum der Kultur vollzieht sich im Schooße der Gesellschaft. Dieser Kultur folgt dann langsam und in großen Etappen die Gestaltung des Staates, Hier, an seiner Wiege, wo äußerlich unmerklich und doch innerlich entscheidend, das Schicksal der Nationen sich vollzieht, hier vollends können wir der Frauen nicht entrathen; hier muß ihre weibliche Eigenart zur Geltung gebracht werden, um dem Volksleben Gleichgewicht, urwüchsige Kraft und die dauernde Richtung auf die höchsten Menschheitsziele zu erhalten.‘ (Ebd.)
Mit dieser historischen Einordnung der Rechte und Pflichten von Frauen stellte Bonfort sich und ihre Mitstreiterinnen in den Mittelpunkt des gesellschaftlichen Fortschritts. Da die Kultur langfristig den Staat forme, sei die Arbeit der Frauen hier wertvoller als in den Ämtern des Staates, wobei ihre Ausführungen aber keine Absage an das Selbstvertretungsrecht der Frau im Staat implizierten. Auch die so genannten Gemäßigten wollten das Stimmrecht für Frauen – als zentrales Symbol für die Gleichberechtigung der Geschlechter – erreichen, allerdings erst nachdem Frauen mit ihren Vereinen gezeigt hätten, dass sie dieses Recht auch verdienten.“ (Kirsten Heinsohn: Die Frauenfrage – ein Problem der Moderne, in: Rita Bake, Kirsten Heinsohn: „Man meint aber unter Menschenrechten nichts anderes als Männerrechte“. Zur Geschichte der Hamburger Frauenbewegung und Frauenpolitik vom 19. Jahrhundert bis zur Neuen Hamburger Frauenbewegung Ende der 1960er Jahre. Hamburg 2012, S. 61ff.)
Zur Anerkennung durch die bürgerliche Öffentlichkeit kam es erst, nachdem die Spaltung zwischen radikaler und gemäßigter bürgerlicher Frauenbewegung vollzogen war. Nun konnte sich auch das offizielle Bürgertum, z. B. der Senat, auf die Seite der Gemäßigten schlagen, ohne befürchten zu müssen, diese Frauen würden der „natürlichen Bestimmung des Weibes“ widersprechende Forderungen aufstellen.
„Seit Mitte der zwanziger Jahre gewann in der Politik des ADF neben der kommunalen Frauenarbeit die ‚staatsbürgerliche Betätigung‘ stärkeres Gewicht, deren Ziel die Erlangung der ‚wahren Gleichberechtigung der Frau im öffentlichen mit privaten Leben‘ war. (…) Trotz der intensiven Bemühungen, unter den veränderten Bedingungen der ‚staatsbürgerlichen‘ Gleichstellung in der Frauenbewegung der Weimarer Republik ein eigenständiges Aufgabengebiet als ‚allgemeiner Frauenverein‘ zu besetzen (…), verlor der ADF im Laufe der zwanziger Jahre zunehmend an Einfluß. (…)
Die Hamburger Ortsgruppe des ADF, die von 1916 bis 1934 von Klara Fricke geleitet wurde, gehörte zu den mitgliederstärksten im Verband; ihr waren 1919 rund 500, 1931 etwa 450 Mitglieder angeschlossen. (…) Im Rahmen der kommunalen Arbeit konzentrierte sie sich zum einen auf die Mitarbeit in der öffentlichen Wohlfahrtspflege, insbesondere die Jugendfürsorge, zum anderen auf die freie Wohlfahrtspflege (…). Ihre Mitglieder arbeiteten daneben führend in der ‚Hamburgischen Frauenhilfe 1923‘ (…). Seit Anfang der dreißiger Jahre bemühte sie sich daneben verstärkt um die ‚staatsbürgerliche‘ Erziehung der Frauen.“ (Karen Hagemann, Jan Kolossa: Gleich Rechte – gleiche Pflichten? Ein Bilder-Lese-Buch zu Frauenalltag und Frauenbewegung in Hamburg. Hamburg 1990, S. 138.) So veranstaltete die Ortsgruppe „anläßlich der bevorstehenden Reichstagswahl [ 1930] im großen Saal des ‚Coventgartens‘ eine öffentliche Frauenversammlung, auf der die Kandidatinnen von fünf Parteien vor 12.000 Zuhörerinnen sprachen. Vertieft wurde die politische Bildungsarbeit in der Folgezeit durch die Einrichtung von Arbeitsgemeinschaften. In den letzten Jahren der Weimarer Republik gewann der Kampf gegen den Nationalsozialismus in der Tätigkeit der Ortsgruppe zunehmend an Bedeutung.“ (Karen Hagemann, Jan Kolossa, a. a. O., S. 139.)
Nachdem 1933 die Nationalsozialisten die Macht übernommen hatten, löste sich die Ortsgruppe Hamburg des ADF im Februar 1934 auf.
Aus dem Tätigkeitsbericht der Ortsgruppe Hamburg des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins für die Zeit von 1896-1921
• „Erhebliche Vorteile brachte dem jungen Verein die freundliche Stellung, welche der Hamburgische Correspondent unter Professor E. Franckes Leitung zur Frauenbewegung einnahm. Zum ersten mal in Deutschland unterstützte eine große Tageszeitung die Frauen durch fortgesetzte Aufnahme ihrer Mitteilungen sowie vom 15. September 1896 an durch Errichtung einer ständigen Abteilung für Frauenvereinsinteressen. (…)
• Den nächsten Markstein in der Entwicklung bildete die Tagung des Bundes deutscher Frauenvereine in Hamburg im Oktober 1898.
Von dem Senat offiziell begrüßt, von der Teilnahme der Bürgerschaft, der Oberschulbehörde, der Presse und leitender Kreise begleitet, hielt der Bund unter fortwährender lebhafter Beteiligung einer großen Zuhörerschaft Arbeitssitzungen und öffentliche Vorträge. (…)
….; im ersten Jahrzehnt entstanden 30 Eingaben an Hamburgische Behörden. (…) Wenngleich manche der Eingaben häufig wiederholt werden mußten, wie die für Errichtung staatlicher höherer Mädchenschulen siebenmal, und Forderungen wie Vertretung der Mütter und der Lehrerinnen durch Frauen in der Oberschulbehörde, Einstellung als vollberechtigte Armen- und Waisenpflegerinnen Jahrzehntelang unerfüllt blieben, so war doch die Einwirkung auf die öffentliche Meinung sehr merkbar, und vielfach wurden unsere Anträge von Männern bei den Behörden warm vertreten.
• [1922 ] „hat der Reichsrat einen dem Reichstag zugegangenen Gesetzentwurf, der die Zulassung von Frauen zu dem Amte eines Schöffen oder Geschworenen vorsieht, unter anderem mit der Begründung abgelehnt, ‚daß die Frau in weit höherem Maße als der Mann gefühlsmäßigen Einflüssen unterworfen und in der von Gefühlen unbeeinflußten objektiven Bearbeitung von Tatvorgängen behindert sei‘. Ein solches Beispiel genügt, um ferner zu zeigen, wie notwendig das Fortbestehen der Frauenvereine ist; nur von ihnen kann eine zweckmäßige und organisierte Gegenwirkung gegen solche Fehlurteile, die das Volksganze schädigen, ausgehen.“ (Die Tätigkeit des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins Ortsgruppe Hamburg nebst Zweigvereinen 1896-1921, Hamburg S.4-9.)
Texte zusammengestellt von: Rita Bake