Biografien-Datenbank: Frauen aus Hamburg

Hamburger Frauenkoalition

Rathausmarkt: Hamburger Rathaus, Anfang März 1976 - 15. April 1976: Zusammenschluss aller weiblichen Bürgerschaftsabgeordneten, eine Aktionsgemeinschaft gegen die Benachteiligung der Frau in Familie, Politik und Gesellschaft unter dem Motto „Wir kennen keine Parteien mehr, wir kennen nur unsere Probleme“


4449 Plenarsaal Hamburgische Buergerschaft
Plenarsaal Hamburger Bürgerschaft; Christoph Braun (CC0), via Wikimedia Commons

Folgender Text: Inge Grolle aus: Inge Grolle und Rita Bake: „Ich habe Jonglieren mit drei Bällen geübt“ Frauen in der Hamburgischen Bürgerschaft 1946 bis 1993. Hamburg 1995, S. 216ff.
„Beim Tee kam die Frauenkoalition“. Unter dieser Schlagzeile berichtete die Welt am Sonntag am 7. März 1976 vom Zusammenschluss der Frauen aller Bürgerschaftsfraktionen: „Die Damen-Riege macht Parlamentsgeschichte. Denn in keinem Parlament in Deutschland gab es bisher einen interfraktionellen Frauen-Klub, der das Motto ‚Wir kennen keine Parteien mehr, wir kennen nur unsere Probleme‘ auf seine Fahnen geschrieben hat.“ (Welt am Sonntag vom 7.3.1976.)
Die 15 Hamburger Parlamentarierinnen – sieben von der SPD, fünf von der CDU und drei von der FDP – hatten schon Ende 1975, im „Jahr der Frau“, den Plan gefasst, eine „Aktionsgemeinschaft gegen die Benachteiligung der Frau in Familie, Politik und Gesellschaft“ zu bilden. Keine entzog sich, aber es gab auch Einwände gegen einen Alleingang der Frauen: Friederike Büscher (SPD) fühlte sich auch mit den Genossen verbunden, weil sie während ihres 45jährigen parteipolitischen Engagements viel Kameradschaftlichkeit von ihnen erfahren hatte; Frauke Martin vom linken Flügel der SPD hielt die Frauenkoalition „Generell eigentlich für unredlich, denn letztlich sind wir nicht in der Bürgerschaft, weil wir Frauen sind, sondern weil wir das Programm der Partei unterstützen“. Dennoch waren alle Hamburger Parlamentarierinnen überzeugt, mit ihrer Frauensolidarität ein Modell mit Signalwirkung zu schaffen. In der Bürgerschaft reagierten die Männer auf den Zusammenschluss ihrer Kolleginnen mit einer Verblüffung, die sich in teils spöttischen, teils anerkennenden Kommentierungen äußerte.
Ehe die „Hamburger Frauenriege“ öffentlich hervortrat, mussten sich die 15 Parlamentarierinnen über ihre poltischen Ziele einig werden. Vor allem wollten sie die Situation von Frauen auf dem Arbeitsmarkt verbessern, ferner auf die Darstellung von Frauen in der Werbung von Rundfunk und Fernsehen Einfluss nehmen. Als Auftakt der gemeinsamen Aktion in der Bürgerschaft formulierten sie eine Große Anfrage zu Schwangerenberatung in Hamburg.
Dem Journalisten Uwe Bahnsen von der „Welt“ gegenüber äußerten sich drei Frauen aus je einer Fraktion zu ihren Motiven und zu den Reaktionen, die sie auf die Frauenkoalition erfahren hatten (Die Welt vom 15.3.76, S.1.): Die Wirtschaftsexpertin Birgit Breuel (CDU) wollte in der Bürgerschaft die eklatante Benachteiligung von Frauen im Arbeits- und Wirtschaftsleben stärker zum Thema machen und darauf hinwirken, dass die Leistungen von Frauen gerechter bewertet würden und dass das Schlagwort vom „Doppelverdienertum“, wogegen sich bereits Frauen der alten Frauenbewegung in der Weimarer Republik gewandt hatten, verschwinde. (Siehe dazu Eintrag Stadtbund hamburgischer Frauenvereine). Befremdlich fand sie die Frage einiger Bürgerschaftskollegen, ob denn nun etwa die männlichen Abgeordneten auch spezifisch männliche Probleme in gesonderter Initiative vor das Plenum bringen sollten. Sie hoffte, dass das Hamburger Beispiel weiterwirken würde, denn: „Die Frauen müssen ihre Probleme selbst anpacken“.
Die Soziologin Helga Kutz-Bauer (SPD) erklärte sich mit der Resonanz auf die Fraueninitiative in der SPD-Fraktion hochzufrieden. Als Motiv für ihr Engagement nannte sie die Aufgabenverteilung zwischen Mann und Frau, die in Bezug auf die Erziehung der Kinder noch sehr zu wünschen übrig lasse.
Die Juristin Maja Stadtler-Euler (FDP) betonte, dass die Frauenkoalition eine lebhafte Reaktion vor allem von Seiten der Frauen erfahre. Dies sei ein Zeichen dafür, dass Frauen in der Bevölkerung die Lösung ihrer Probleme von Politikerinnen erhofften. Außerdem war Frau Stadler-Euler der Meinung, die interfraktionelle Frauenkoalition könne auch das Bewusstsein von Männern für die gesellschaftliche Situation von Frauen wecken. Im außerparlamentarischen Raum müssten Verbände und Gewerkschaften diesbezüglich beeinflusst werden, denn: „Jedes Frauenproblem ist zugleich ein Gesellschaftsproblem, betrifft also beide Geschlechter – denken Sie etwa an die Möglichkeit der Teilzeitarbeit für Männer ohne Diskriminierung.“
Mit Enthusiasmus stellte Alterspräsidentin Charlotte Fera (CDU) bei einer Zusammenkunft der Europäischen Frauenunion in Brüssel das Hamburger Modell vor, „als dort wieder einmal die Klagemauer der Frauen beweint wurde“ (Welt am Sonntag vom 7.5.78), und begeisterte damit alle Anwesenden.
Der Bericht über diese Breitenwirkung war allerdings fast schon der Nachruf: einen Monat, nachdem die Hamburger Frauenkoalition mit großer Hoffnung aus der Taufe gehoben worden war, machte ihre Premiere in der Bürgerschaft wieder Schlagzeilen – mit der deprimierenden Überschrift: „Einigkeit war schnell vergessen“ (Die Welt vom 15.4.76, S. 1). Die „weibliche Dreieinigkeit“ zerbrach am 15. April 1976 während der Bürgerschaftsdebatte an den hervortretenden Parteigegensätzen.
Was war geschehen?
Die Parlamentarierinnen wussten genau, wie unterschiedlich ihre Meinungen zum Thema Schwangerschaftsabbruch waren. Deshalb hatten sie vereinbart, die Anfrage und deren Besprechung in der Bürgerschaft ganz auf die kritikwürdigen Zustände der örtlichen Beratungsstellen für schwangere Frauen auszurichten und sich somit nur auf begleitende Maßnahmen im Zusammenhang des § 218 zu beschränken. Nun war aber gerade in diesen Tagen die Lage im Bundestag, der für die Novellierung des Abtreibungsparagraphen einzig zuständigen Instanz, in dieser Frage so angespannt, dass sich die erste Debattenrednerin der Hamburger „Frauenriege“, Helga von Hoffmann (SPD), zu einer Kritik an der „Verzögerungstaktik der CDU/CSU auf Bundesebene“ hinreißen ließ. Sie begab sich damit unmissverständlich auf Parteikurs. Auch hinsichtlich der Beratungsstellen wandte sie sich generell gegen einzelne im Gesetzentwurf der CDU/CSU enthaltenen Punkte wie gegen das umständliche Verfahren, dem sich Abtreibungswillige unterziehen sollten, und gegen unterschiedliche Behandlung von Frauen mit Krankenschein und mit Scheckheft. Sie griff persönlich ihre Kollegin Charlotte Fera (CDU) an, die öffentlich von „kleinen Unterschieden“ gesprochen hatte, die die Parteien zu dieser Frage hätten, von denen man aber absehen könne, und hielt ihr vor, die Bonner CDU/CSU wolle statt dessen die „großen Unterschiede“ beibehalten. Von den Regierungsparteien erntete Frau von Hoffmann sechsmal Beifall. (Antrag der Frauen aller fraktionen in: Drs 1352. Besprechung: Pl Pr, 8/50 vom 14.4.76, S. 2942ff. Hier alle folgenden Zitate.)
Ihre Nachrednerin, Sigrid Brinkmann (CDU) war laut Pressebericht den Tränen nahe, als sie ihre Rede begann: „Frau von Hoffmann, ich bedaure sehr, daß Sie aus dieser Debatte um die gemeinsame Große Anfrage eine Abtreibungsdebatte machen wollen. Ich lasse mich darauf nicht ein (…). Natürlich wollen wir nicht die Parteigegensätze verkleistern, nur wollten wir eben heute über diese Gegensätze gar nicht sprechen, weil darüber hier schon ausführlich debattiert worden ist.“
Frau Brinkmann bezog sich mit Nachdruck auf die gemeinsamen Abmachungen, die die Frauen untereinander getroffen hatten und bat, sich doch streng an das vorgegebene Thema zu halten, das Bonner Politik nicht berühre. Dann fuhr sie im Text ihrer vorbereiteten Rede fort, kritisierte die Organisation der Hamburger Gutachterstelle für Schwangere bei der Ärztekammer, die unsensibel und wenig menschenwürdige Behandlung der Frauen, die sich dort vorstellten und forderte, wie vorab besprochen, eine Änderung solcher „Begleitumstände“.
Die Rednerin der FDP, Ursula Pohl, ließ sich durch die entstandene Spannung nicht beirren, an der gemeinsamen Aktion festzuhalten. Sie reizte die Männer zu verärgerten Zwischenrufen, als sie, ganz im Sinne der Absprache unter den Kolleginnen, verkündete: „Männer entscheiden maßgeblich als Richter, Staatsanwälte und nicht zuletzt als Parlamentarier. Männliches Denken bestimmt weitgehend unsere Gesellschaft. Frauen haben sich bisher nur vereinzelt aus ihrer dienenden Rolle herausentwickelt. Sie sind gefangen in ihrer durch eine männliche Gesellschaft geprägten Rolle. (Zuruf von der CDU: Sie auch!) (…) Auch die Männer werden langfristig nicht daran vorbeikommen, ihre Denkart ein wenig zu verändern. Wir hoffen, daß unsere Gesellschaft durch die verstärkte Einflußnahme der Frauen etwas menschlicher wird. (Fridjof Kelber, CDU: Das bezweifle ich, wenn ich Sie sehe!). Sie sollen mich nicht anschauen, sondern etwas tun. Zwischen Sehen, Reden und Handeln besteht ein großer Unterschied.“
Als die Rednerin „das gesamte Verfahren der Abtreibung“ ansprach, entstand Unruhe bei der CDU, und es ertönte der Zwischenruf: „Sie schaden nur den Frauen durch die Art der Debatte!“ Im Folgenden kritisierte Ursula Pohl die Antwort des Senats auf einzelne Punkte der Großen Anfrage. Senator Nölling wies die Vorwürfe zurück mit dem überheblichen Hinweis, die „mit soviel Frauensachverstand“ gestellte Große Anfrage sei ungenau formuliert: „Es zieht sich durch dieses Gemeinschaftswerk eine gewisse Konfusion. (Lachen bei allen Parteien).“
Charlotte Fera (CDU) griff die Debatte spontan auf und richtete sich frontal gegen die Erstrednerin Helga von Hoffmann (SPD): „Sie haben sowohl mit dem Inhalt wie mit dem Ton Ihrer Rede unserer Absprache, unseren gemeinsamen Schritt und unserer Intention direkt widersprochen.“ (Sehr richtig! Und Beifall bei der CDU) Ich stelle das mit großem Bedauern fest, weil Sie damit auch für die Zukunft einige Konsequenzen gezogen haben. Sie wissen genau, daß wir abgemacht hatten, nichts über Unterschiede in unserer Auffassung zum § 218 zu sagen, sondern wir wollten – und das ist beinahe ein weltweites Echo gewesen – nur unsere Gemeinsamkeit für eine gemeinsame Sache der Frauen betonen. Sie haben sowohl unseren Frauen hier im Parlament als auch den Frauen außerhalb des Parlaments einen schlechten Dienst erwiesen.“
Elisabeth Kiausch (SPD) versuchte, die verfahrene Lage zu retten. Sie bestätigte das Anliegen der Parlamentarierinnen, ein Thema, das vor allem Frauen betraf, gemeinsam vorzutragen. Die Absprache sei aber nicht dahin gegangen, die Parteizugehörigkeit ganz zu vergessen. Sie verteidigte ihre Fraktionskollegin Helga von Hoffmann gegen Frau Fera: „Die Bürgerinnen im Lande erwarten keine Frauenfraktion, sondern aktive Frauen in den Parteien.“
Gertrud Rädiker (FDP) erklärte, den Frauen ihrer Fraktion sei zwar der Ton der Rede von Frau von Hoffmann zu scharf gewesen, aber es handele sich eben um eine Frage, über die Parteimeinungen auseinandergingen. Die große Leistung der Fraueninitiative sah sie weniger in politischer Harmonie als in einer sozialen Einigung, die „so unterschiedliche Frauen verbindet, etwa von der Art einer großbürgerlichen Hausfrau, einer ledigen Studentin, einer berufstätigen Mutter und einer aktiven Gewerkschafterin. Das Ganze geschieht über die Parteigrenzen hinweg.“
Der erste gemeinsame Auftritt der Parlamentarierinnen hatte bewiesen, dass die Tatsache der Parteizugehörigkeit sich nicht einfach durch Solidarität überbrücken ließ und dass andere Methoden zur Durchsetzung von Fraueninteressen gefunden werden mussten, die Differenzen zwischen Frauen besser einkalkulierten. Die so hoffnungsvoll interfraktionelle Union war schon bei der ersten Belastungsprobe gescheitert. Ein weiterer Versuch erfolgte erst wieder nach den Neuwahlen im Jahre 1978.
Text: Inge Grolle aus: Inge Grolle und Rita Bake: „Ich habe Jonglieren mit drei Bällen geübt“ Frauen in der Hamburgischen Bürgerschaft 1946 bis 1993. Hamburg 1995, S. 216ff.